Literatur

Daniel Kehlmann schreibt filmisch, könnte man sagen. Wie eine Kamera richtet er das Auge, den Blick auf seine Romanfiguren. Den Text schneidet Kehlmann szenisch-visuell (nach)erlebbar. So auch in seinem neuem Roman „Lichtblick“.

 

Geradezu meisterlich verknüpft der Autor wieder einmal Fiktion und Historie. Erzählt wird die Geschichte des Filmemachers G.W. Pabst, der mit seiner Familie vor den Nazis floh. Sein erster Film in Amerika floppt. Pabst kehrt ins Dritte Reich zurück. Fortan kooperiert er mit den Nazis.

 

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Es ist wahrlich kein helles (Licht)Spiel, das Daniel Kehlmann geschrieben hat. Im Gespräch mit Jan-Philipp Thomsa, Leiter des Lübecker Grass-Hauses, gab er den rund 700 Zuhörern in der Lübecker Kulturwerft Gollan Einblicke in die Entstehungsgeschichte seines Romans.

 

Daniel Kehlmann F Marion Hinz

Foto: Marion Hinz

 

Die Gliederung sei ihm von Anfang an klar gewesen, erzählte er. Er habe gleich gewusst, dass die drei Teile des Romans draußen, drinnen und danach spielen. Was er allerdings nicht von Anfang an gewusst habe, war, dass die drei Teile tatsächlich „Draußen, Drinnen und Danach“ heißen würden. Der erste Teil „Draußen“ beginnt in Hollywood. Hierher ist Pabst mit seiner Familie geflohen, hier will er Großes erreichen, international berühmt werden. Möglich gewesen wäre es, denn Pabst ist zu diesem Zeitpunkt ebenso anerkannt und erfolgreich wie seine Kollegen Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau. In Deutschland wurde er mit Filmen wie „Die freudlose Gasse“ und „Die Büchse der Pandora“ berühmt. Er entdeckte Greta Garbo, schuf sozialkritische Tonfilme und gilt in der Filmgeschichte als einer der Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit. Doch in Hollywood konnte er nicht Fuß fassen: Sein Film „A Modern Hero“ floppt und die Karriere in Amerika hat sich damit erledigt. Pabst lässt sich nach anfänglicher Abwehr überreden ins Deutsche Reich zurückzukehren. Fortan produziert er Filme für die Nazis. Diese Arbeit bildet Teil 2 des Romans, Teil 3 beleuchtet die Nachkriegszeit.

 

Angeregt zu seinem Roman „Lichtspiel“ wurde Kehlmann durch verschiedene Quellen. So las er in Carl Zuckmayers Dossiers über 150 Künstler der Weimarer Republik und des Dritten Reiches (Anm. d. Red.: 1943/44 für das amerikanische Office of Strategic Services (OSS) geschrieben und unter dem Titel „Geheimreport“ 2002 im Wallstein Verlag veröffentlicht) eine Bemerkung Zuckmayers über G.W. Pabst: „Er ist wieder ins Deutsche Reich zurückgegangen und ich versteh`s nicht.“ Ein weiterer Anlass für „Lichtspiel“ bot Kehlmann das Buch „Lucky Child“ des Holocaustüberlebenden Thomas Buergenthal, der 2023 verstarb. Das alles und anderes mehr machte Kehlmann neugierig auf den Lichtspielmacher Pabst, mit dem er sich daraufhin näher beschäftigt, erzählte der Autor dem Lübecker Publikum.

 

Alle realen Personen im Roman tragen Klarnamen – mit einer Ausnahme: Der englische Schriftsteller P.G. Wodehouse (1881–1975) heißt im Roman Rupert Wooster. Warum? „Er ist einfach ein besserer Schriftsteller als ich“, so Daniel Kehlmann. „Ich bringe es nicht fertig, über P.G. Wodehouse als P.G. Wodehouse zu schreiben, deshalb musste ich den Namen ändern.“ Mit dem Kapitel „Schattenspiel“, in dem der Kriegsgefangene Rupert Wooster in Salzburg an der Premiere von Pabst` Film „Paracelsus“ teilnehmen muss, begann die Lesung in der Lübecker Gollan-Werft. „So viele waren getötet worden, mich hatten sie bloß ins Adlon verfrachtet“, denkt Wooster und fragt seinen „Vergil“ („mein Führer durchs Totenreich“): „Warum ist die Filmpremiere eigentlich in Salzburg“. Dieser antwortet: „Filmpremieren machen wir jetzt immer hier oder in Prag. Keine Bombenangriffe, keine Verdunkelung.“ „Und wohl auch keine schlechten Kritiken?“ „Kritiken? Zersetzendes Zeug! Eine jüdische Gattung, die niemand braucht. Bei uns gibt es stattdessen Kunstbetrachtung!“ Und wie betrachtete Pabst selbst die Kunst? Für ihn bedeutete Kunst laut Kehlmann alles – immer und überall: „Wichtig ist es, Kunst zu machen unter den Umständen, die man vorfindet“, sagt G.W. Pabst. An anderer Stelle im Buch äußert er: „Die Zeiten sind immer seltsam. Kunst ist immer unpassend. Immer unnötig, wenn sie entsteht. Und später, wenn man zurückblickt, ist sie das Einzige, was wichtig war.“

 

„Lichtspiel“ ist ein Roman über Kunst und Korruption, ein Roman über die Verführbarkeit des Menschen. Dabei gönnt Daniel Kehlmann seinen Hauptfiguren viel Empathie, Nebenfiguren werden eher ironisch-satirisch betrachtet oder sogar karikiert. So wie Leni Riefenstahl. „Wäre sie eine Hauptfigur, wäre es meine Aufgabe, sie mit Empathie, sympathisch zu schildern. Aber das wollte und konnte ich nicht, deshalb ist sie keine Hauptfigur“, bekannte Kehlmann in Lübeck. Und genau deshalb konnte er Leni Riefenstahl so schildern, wie er es getan hat: als eine eigentümlich erschreckende Frau mit scharfen, kantigen Zügen, mit bösen Augen und sehr weißen Zähnen, die sie bleckt. Der berühmte Schauspieler Bernhard Minetti steht im Roman bei den KünstlerkollegInnen sogar unter Verdacht, dass er an die Gestapo berichtet, „aber solange man darauf achtete, was man in seiner Nähe sagte, konnte man gut mit ihm arbeiten“.

 

Daniel Kehlmann Lichtspiel COVEREin Kapitel, das Bände spricht, trägt die Überschrift „Deutsche Dichtung“. Es ist ein einerseits humorvolles, andererseits ein unheimliches Kapitel. Zunächst belustigend liest sich die Beschreibung des literarischen Damenkränzchens, das sich nachmittags trifft, um sich bei Kaffee und Kuchen über regimetreue Dichtung zu unterhalten. Am besten wäre es, meinen die Damen, sich ausschließlich über den Schriftsteller Alfred Karrasch und dessen Bücher zu unterhalten, die allerdings grottenschlecht sind. Doch das darf niemand sagen, wenn er oder sie in der sogenannten Gesellschaft dazu gehören will. In diese ebenso kuriose wie schreckliche und erschreckende Runde muss sich Pabst Ehefrau Trude begeben, um sich in diesen Kreisen als Mitglied zu bewähren. „Wir werden sehen, ob wir zusammenfinden“, sagte Else Buchholz.“. Nicht jede kann mit jeder lesen.“ Heute wollen die Damen über Karraschs neues Buch sprechen und Trude soll beginnen. „Trude räusperte sich, um Zeit zu gewinnen. Ja, was sollte man sagen? Das Buch war so uninteressant, dass es nicht einmal schlecht war. […] man vergaß es sofort, die Sprache hatte keine Kraft, die Figuren hatten kein Leben, niemand sagte je etwas Interessantes“, denkt Trude, sagt aber etwas anderes. Uns LeserInnen vergeht bei diesem Kapitel das anfängliche (Lese)Vergnügen und Unbehagen stellt sich ein. Wir begreifen, wer hier ein falsches Wort sagt, muss den Lesezirkel verlassen. So geschieht es dann auch einer der Damen…

 

Verrat droht in dieser wahren und doch fiktiven Geschichte überall, selbst Familien können einander nicht mehr trauen. Misstrauen, Ironie, Verführbarkeit, Drohungen, Gewalt, Nostalgie – all das liegt in diesem Roman dicht beieinander. Wie einen Film breitet Daniel Kehlmann die Geschichte aus. Ein Film, wie Pabst selbst ihn gemacht haben könnte. „Pabst war ein Meister des Schnitts, eine stilprägende Figur“, äußerte Moderator Thomsa am Ende des Abends in der Kulturwerft Gollan. Nach dem Krieg sei Pabst international ein Verfemter gewesen. Dass er nicht so berühmt geworden sei wie Lang und Murnau, habe auch damit zu tun.

 

Daniel Kehlmann setzt dem großen Filmemacher mit „Lichtspiel“ nun ein literarisches Denkmal und verhilft Pabst auf diese Weise zu spätem, nachträglichem Ruhm. Der Spannungsbogen des Romans reicht von scheinbar harmlosen bis hin zu grauenhaften Momenten. Allerdings wird der Bogen manchmal überspannt, zum Beispiel bei der Beschreibung der Umstände, die den Schnitt des letzten, in der Realität als verschollen geltenden Film von Pabst „Der Fall Molander“ begleiten. Hier wird die ohnehin vorhandene Dramatik unnötig überhöht. Das hat zur Folge, die Leseleidenschaft lässt nach. Auch ist die Absicht des Autors mitunter zu offensichtlich. So wird an einer Stelle erwähnt, dass jemand den gleichen Rucksack hat. Der wird dann tatsächlich vertauscht. Das ist vorhersehbar und daher spannungslos. Meist aber möchte man unbedingt weiterlesen und ist am Ende fast enttäuscht, wenn die 470 Seiten Lektüre der Vergangenheit angehören.


Daniel Kehlmann: „Lichtspiel“

Rowohlt Verlag

Roman

480 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag

ISBN 978-3-498-00387-6

Weitere Informationen (Verlag)

Leseprobe

 

YouTube-Video:

- Daniel Kehlmann: Lichtspiel (Buchtrailer, 0:26 Min.)

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