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Jordi Savalls Themenalbum Granada Der Traum vom toleranten Miteinander

Zusammenleben, Koexistenz oder Zweckgemeinschaft? Selten waren Juden, Christen und Muslime einander so nah wie in den fast 500 Jahren des Königreichs Granada. Jordi Savall forscht in der Musik aus „Granada 1013 – 1502“, was damals geschehen ist, wo Ähnlichkeiten lagen – und was möglich gewesen wäre, wenn Toleranz nicht immer wieder nur zeitlich begrenztes Mittel zur Durchsetzung eigener Machtpolitik geblieben wäre.

Der katalanische Gambenist Jordi Savall hat ein neues Themenalbum veröffentlicht, das sich der Musik einer ganz besonderen Epoche in der Geschichte der iberischen Halbinsel widmet: der Zeit, in der ab ihrer ersten Landung im Jahr 711 muslimische Krieger Spanien eroberten. Savall hat seinen Fokus noch etwas zugespitzt: Bei seinem Projekt hat die erste Herrschaftsepoche, das Kalifat von Cordoba, ihren Niedergang bereits erlebt. Was Savall vorführt, ist die Musik ab der Gründung des Königreichs Granada, das – 1013 errichtet – fast 500 Jahre bestand, bis es 1492 von den katholischen Majestäten Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien zurückerobert wurde. Er dehnt ihn sogar aus bis 1502, als endgültig Schluss sein durfte mit den Resten gelebter Toleranz und trotz Vertreibung verbliebenen Muslime zwischen Zwangstaufe und Sklaverei wählen mussten.
Der begnadete Kantor Lior Elmaleh singt Verse eines jüdischen Liebeslieds, die von Hohen Lied Salomos inspiriert sind. Die heute in Paris lebende syrische Sängerin und Oud-Spielerin Waed Bouhassoun und ihr aus Marokko stemmender Kollege Driss El Mahoumi stimmen ein arabisches Lied an, das thematisch dem jüdischen kaum näher sein könnte. Moriskentänze und christliche Pilgerweisen und Büßergesänge folgen, die melancholische Beschwörung des fernen Jerusalem, ein hebräisches Klagelied, ein enthusiastisches Loblied auf den die Schönheit des Maurenpalastes Alhambra, Dank- und Siegeshymnen an die Heilige Jungfrau, Kampfgesänge, schmachtende Erinnerungen; Befreiungslieder, am Ende ein arabisches Klagelied.
Musikalische Schlaglichter auf eine Epoche, in der sich die drei monotheistischen Religionen nahe waren, sehr nahe. Was einerseits bedeutete Kulturaustausch, mal mehr, mal weniger, zwischen arabischen, jüdischen und christlichen Philosophen, Ärzten, Politikern und Geistlichen. Da konnte ein jüdischer Fürst Wesir des Herrschers von Granada sein wie Samuel ibn Naghrela ha-Naguid, der sich auch als Dichter, Philosoph, Talmud-Gelehrter und General einen Namen machte. Und wenige Jahre später wurden 1000 jüdische Familien in einem Pogrom ermordet, dem auch der (unbeliebte) Sohn Samuels zum Opfer fiel. Mal gab es eine Politik der Toleranz gegenüber den Christen, mal regierten fundamentalistische Muslime wie die Almohaviden, die die Kirchengüter einzogen. Während in den christlich zurückeroberten Gebieten Nicht-Christen ein sichtbares Kennzeichen an der Kleidung tragen mussten, nicht Arzt werden konnten und keine Waffen tragen durften.

Ein Laboratorium kulturellen Miteinanders
Es sieht im Nachhinein aus wie ein Laboratorium multikulturellen Nebeneinanders – nur, dass hier alles nicht freiwillig ausprobiert wurde, sondern vielfache, immer wiederkehrende Abwägungen der gegenseitigen Nützlichkeiten die jeweilige Form des Zusammenlebens bestimmten. Mal waren friedliche Koexistenz und voneinander Lernen politisch nützlich, mal war es Verfolgung, Vertreibung und Totschlag. Mal Frieden, mal Krieg. Mal gaben die Muslime den Takt vor, am Ende war das Königreich Granada ein Lehen, das der König von Spanien vergab – so lange er die Muslime nicht völlig vertreiben konnte.
Saval Granada CoverUnd man kann nur ahnen, was ein fortwährender friedlicher ost-westlicher Austausch in Europa für einen Entwicklungsschub gegeben hätte – im Handwerk bei Stoffen, Glas und Porzellan, bei Seide und Damast, bei Einlegearbeiten und Mosaiken, Schmiedearbeiten, in den Wissenschaften von Astronomie bis zur Medizin, in der Verfeinerung von Kultur und Lebensart: Dichtung, Musik, Ornamentik. Von vielem sind nur schwache Spuren geblieben - vielleicht kann die ab 1238 erbaute Alhambra den Glanz noch erahnen lassen. Sie wurde von Nasriden-Herrscher Muhammad ibn Nasr al-Ahmar begonnen, der mit dem kastilischen König einen Nichtangriffspakt geschlossen hatte, der Granada zwar lehnsabhängig von Kastilien machte – es so aber noch länger als 250 Jahre unter muslimischer Herrschaft erhielt.
Ahnen kann man die kulturelle Vielfalt auch, wenn man die Musik hört, die Savall heraus gesucht hat, um diese Epoche akustisch zu illustrieren. Er nutzt nicht nur die glasklaren Stimmen der „Capella Real de Catalunya“ und sein Alte-Musik-Ensemble „Hesperion XXI“, sondern hat zusätzlich orientalische Musiker eingeladen, die den Originalklang ihrer Kulturen mitbringen: Oud (die Laute), Duduk (ein Doppelrohrinstrument aus Aprikosenholz), Kanun (eine Kastenzither), Ney (eine orientalische Flöte), die Guitarra Morisca, die Sacabuche (eine frühe Posaune). Andrew Lawrence-King schert mit Psalter und Harfe ein – und das ganze klingt so lebendig und jetztzeitig, wie der ganze Konflikt von damals uns auch heute wieder heftig beschäftigt.
Die vorzüglichen Texte im Begleit-Booklet machen diesen Abschnitt orientalisch-abendländischer Geschichte gut verstehbar und ordnen die Musik in ihren historischen Zusammenhang ein.

Am Ende wurden mehr als eine Million arabischer Bücher verbrannt
Was die christlichen Herrscher Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien zerstörten, nachdem sie Granada erobert hatten und die Mauren aus ihren Gebieten vertrieben, verraten die Register der verbrannten arabischen Bücher: mehr als eine Million Bände, vieles davon für immer verloren. Die spanische Inquitistion sorgte dafür, dass auch konvertierte Juden und zum Christentum übergetretene Muslime weiter verfolgt wurden.
Noch in Granada empfingen die Majestäten einen gewissen Kolumbus, der sicher auch vom nautischen Wissen profitierte, das aus dem Osten nach Spanien gekommen war. Er wurde in der Alhambra auf Entdeckungsreise über den Atlantik geschickt. Und bald wurden Gold- und Machthunger und europäische Intoleranz auch gegenüber den Indios zum tödlichen Programm – eine indianische Melodie und ein Auszug aus Kolumbus’ Tagebuch sollen daran erinnern.
Weder Spaniern noch Arabern ging es bei diesem Jahrhunderte währenden Konflikt um eine dauerhafte Ausweitung von Wissen und Toleranz. Geblieben ist die Musik, ihre Hoffnung und ihre Wehmut. Sowie der Traum vom toleranten Miteinander – er wird wohl noch länger ein Traum bleiben.

Jordi Savall, Waed Bouhassoum, Lior Elmaleh, Driss El Maloumi mit La Capella Real de Catalunya und Hesperion XXI: Granada 1013-1502
CD und Begleitbuch.
ALIA VOX
AVSA9915


Abbildungsnachweis:

Header: Ansicht der Alhambra vom Albaicín-Hügel. Quelle: Wikipedia CC
CD-Cover

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