Bildende Kunst

Da ist den Ausstellungsmacher*innen ein trefflicher und doppeldeutiger Titel gelungen: „Herausragend“ ist diese wunderbare Ausstellung über „Das Relief von Rodin bis Taeuber-Arp“ in der Hamburger Kunsthalle – in der Tat.

Mit rund 130 Werken von über 100 internationalen Künstler*innen breitet sie in zwei Gebäudekomplexen den ganzen Facettenreichtum dieses so lange aus den Augen verlorenen Mediums aus.

 

Schon vom Eingang des Hubertus Wald Forums fällt der Blick auf den kraftvollen „Rückenakt“ von Henri Matisse (1909), ein Glanzstück der hauseigenen Sammlung. Auguste Rodins „Junge Mutter in der Grotte“ (1885, Musée Rodin, Paris) steht gleich links im Raum und rechter Hand fesselt das bezaubernde polychrome Wachs-Relief der „Drei Zauberinnen“ (1881) von Henry Cros (eine seltene Leihgabe der Veste Coburg). Die Reliefauffassung dieser drei Künstler könnte kaum größer sein. Während Matisse den menschlichen Körper zu kompakten, der Fläche verhafteten Volumina verdichtet und Henry Cros‘ delikate Farbkomposition an ein sanft plastisch modelliertes Renaissancegemälde erinnert, stürmen Rodins Figuren geradezu in den Raum.

 

Relief rauch friedrich II nach der schlacht bei kolin 1850

Christian Daniel Rauch (1777–1857) Friedrich II. nach der Schlacht bei Kolin, Entwurf für einen Denkmalsockel, 1850 Gips, 94x122x20cm. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie © Nationalgalerie, SMB / Christian Daniel Rauch-Museum, Bad Arolsen. Foto: Frank Hellwig

 

Reliefs zählen zu den frühesten Kulturzeugnissen der Menschheit. Die ältesten, Funde stammen aus Südafrika, die eingemeißelten „versenkten“ Reliefs der altägyptischen Kunst zählen zu den größten Schätzen der Berliner Museumsinsel und der monumentale Parthenon-Fries gilt als Sinnbild der griechischen Antike schlechthin. Dennoch fristen sie bis heute ein seltsames Schattendasein als „Mischform“ zwischen Malerei und Skulptur, Fläche und Raum. Seit der Renaissance stritt die Kunsttheorie, wie und wo man das Relief einzuordnen habe. August Wilhelm Schlegel erklärte es dann um 1800 zu einer „vollständigen“ Kunstgattung. Heute behauptet sich das Relief selbstverständlich als eigenständig und gleichwertig mit den anderen Gattungen.

 

Die Tatsache, dass es einen Träger braucht (Wand oder Nische) und oftmals im Rahmen hing, bezeugt die Nähe zum Bild, ebenso, wie der Grat der plastischen Ausarbeitung (Flach- Halb-, Hochrelief). Aber auch ein Bild kann zum Relief werden, sobald die Fläche zerstört wird und sich ein klein wenig in die dritte Dimension wölbt, wie Lucio Fontana mit seinen geschnittenen und gelöcherten Leinwänden vor Augen führt.

 

Anstatt die Geschichte des Reliefs brav chronologisch zu erzählen, hat Kuratorin Karin Schick in Kooperation mit dem Frankfurter Städel Museum eine spannungsgeladene Tour d’Horizon konzipiert, die zwar mit der „Antike als Vorbild“ beginnt, sich aber einer linearen Logik verweigert und stattdessen in zwölf Kapiteln den ganzen Reichtum dieses faszinierenden Mediums von 1800 bis 1960 auslotet. Immer wieder werden dabei Grenzen zwischen Gruppen und Gattungen gesprengt, Unschärfen oder Verwandtschaften deutlich gemacht. So suggeriert Gerhard Richters „Großer Vorhang“ Räumlichkeit, ist aber reine Malerei, Giacomettis Figur ist vollplastisch, obwohl dünn wie ein Strich. Daniel Spoerris „Fallbild“ („Restaurant Spoerri“) gebührt im Grunde sogar eine eigene Kategorie.

 

Relief taeuber arp muscheln und blumen 1

Sophie Taeuber-Arp (1889–1943): Muscheln und Blumen (Coquilles et fleurs), 1938, Öl auf Holz, 60x60x7,7cm. Aargauer Kunsthaus Aarau und Gottfried Keller-Stiftung. Bundesamt für Kultur, Bern. Foto: Jörg Müller

 

Die Schau macht auch deutlich, wie viele Protagonisten der Moderne sich mit dem Relief auseinandergesetzt haben: Edgar Degas, Paul Gauguin, Pablo Picasso oder Ernst Ludwig Kirchner (mit seiner hinreißenden volkstümlichen Lehrer-Schüler-Hommage aus Davos) bringen Farbe ins Spiel, die bei den Klassizisten wie Bertel Thorwaldsen (mit seinem 900 Kilo „Epitaph für Johann Philipp Bethmann-Hollweg“ dabei) oder Christian Daniel Rauch, (Friedrich II. nach der Schlacht bei Köln) noch Tabu war. Dadaisten wie Hans Arp und Kurt Schwitters, Konstruktivisten wie Alexander Archipenko, Naum Gabo, Oskar Schlemmer und Sophie Taeuber-Arp revolutionierten nicht nur das Medium mit „armen“ Materialien (Holz, Papier, Sperrmüll), sondern hatten auch gleich die Umgestaltung der Gesellschaft im Sinn. Durch Einsteins Relativitätstheorie wurde die Zeit als vierte Dimension entdeckt. Bei Lee Bontecou wird sie unmittelbar erfahrbar, denn ihr Riesenrelief aus geschweißtem Stahl, Leinwand, Draht und Ruß muss man tatsächlich umrunden.


„Herausragend. Das Relief von Rodin bis Taeuber-Arp“

Zu sehen bis zum 24.2.2024 in der Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall, 20095 Hamburg

Weitere Informnationen (Kunsthalle), Katalog und musikalisches Begleitprogramm

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