Bildende Kunst

Seit knapp einem Jahr im Amt, kuratiert die neue Leiterin der Kunsthalle St. Annen, Noura Dirani, nun ihre erste eigene Ausstellung, mit der sie eine andere Ausrichtung ihres Hauses initiieren will. Die Kunsthalle soll offener werden, Barrieren möchte sie abbauen, und insbesondere die Jugend soll sich eingeladen fühlen, die Ausstellungen zu besuchen und sich aktiv in ihnen zu betätigen. „Man darf laut sein“, sagt sie, „man darf spielen.“

 

Es ist der konsequente Versuch, einem Museumsbesuch jede Feierlichkeit und jedem Kunstwerk die Aura zu nehmen: Die Distanz zu den Kunstwerken wird aufgehoben, indem die Besucher in der verschiedensten Weise zum Mitmachen aufgefordert werden, ja sie sollen sich als aktiver Teil einer Ausstellung fühlen. Mehr als nur ein wenig erinnert das an Josef Beuys… („Jeder Mensch ist ein Künstler.“)

 

Die Einladung, aktiv die Ausstellung zu verändern, beginnt bereits im Vorraum, in dem der griechische Künstler Andreas Angelidakis insgesamt 68 pastellfarbene Sitzmöbel mit einem Schaumstoffkern bereitgestellt hat. Die mit antik anmutenden Säulenkapitellen bedruckten Möbel lassen sich ganz nach Belieben mal hierhin, mal dorthin verschieben. Diese Installation nennt sich „Beach“, weil der Strand der Ort sei, an dem zwei Welten einander begegnen.

 

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Gleich im Anschluss tritt man in einen dem Dialog gewidmeten Raum – es ist eigentlich der einzige Teil der Ausstellung, der inhaltlich ausgerichtet ist und versucht, die beiden Aspekte des Ortes, die mittelalterliche Kunst des St. Annen-Museums und die Gegenwartskunst der Kunsthalle, zu verbinden. Allerdings wird konsequent darauf verzichtet, Bezug auf die Kunstgeschichte zu nehmen.

 

Zum Thema Dialog finden sich die verschiedensten älteren und neueren Kunstwerke, darunter Willi Baumeisters „Gegenüberstellung“ oder Hanna Jägers „Wir können zusammenleben als Menschen oder zusammen sterben als Narren“ als Beispiele für die Nachkriegskunst; aber auch in dem älteren Bestand des St. Annen-Museums wurde die Kuratorin fündig.

 

Hello Hanna Jaeger Kunsthalle St. AnnenHanna Jäger: „ODER". Foto: © Kunsthalle St. Annen


Welche Haltung Besucher und Kuratoren nicht einnehmen sollen, soll eine „Appointed Curators“ überschriebene Montage aus verschiedenen Fotos demonstrieren. Auf ihnen sehen wir nicht die Köpfe, sondern allein die Oberkörper von Kuratoren, die mit verschränkten Armen irgendwelchen, für uns unsichtbaren Arbeiten gegenüberstehen. Diese Haltung wird als „Geste der Verschlossenheit“ gedeutet, aber mir erscheint das eher eine Geste zu sein, die eine zurückhaltende Skepsis signalisiert, aber genauso gut als Ausdruck einer aufmerksamen und konzentrierten Prüfung oder Besichtigung verstanden werden kann. Also eine Haltung, an der ich nichts auszusetzen finde; nichts, das den Dialog verweigerte. Oder ist dieser an begeisterte Zustimmung gebunden?

 

In den beiden oberen Stockwerken steht dann eher der Spaß im Vordergrund, und „die Besuchenden sind die Hauptakteur:innen“. Bilder wurden so hoch an der Wand aufgehängt, dass sie kaum richtig angeschaut werden können; aber dafür stehen unten Trampoline, so dass man sich hopsend der Kunst nähern kann. Ob man sie dann besser erkennt? Aber anders, so scheint es, konnte nicht herausgefunden werden, dass nur 10 Prozent der Lübecker Sammlung von Frauen stammen.

 

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Ahmet Öguet: jump up, 2022. Installationsansicht aus dem Museum in Skopje. © Ahmet Öguet

 

Es sind durchaus prominente Künstler, die nach Lübeck eingeladen wurden. Einer von ihnen, Christian Jankowski, forderte in Workshops Schüler verschiedenen Alters auf, ihre Gedanken aufzuschreiben und in Knetfiguren zu realisieren, die sich nun auf Backsteinen befinden. Ein Bespiel? „Ich als Mülleimer für alles“. Mit den Worten „Ich als“ fangen alle Statements an; und die Ergebnisse dieser Überlegungen können wir uns im ersten Stockwerk anschauen.

 

Benjamin Butter und Stephanie Lüding haben zwei einander sehr ähnliche Konzepte realisiert; einmal wird der Raum mit weißem Papier ausgelegt, das vom Publikum mit der Hilfe einer erstaunlichen Anzahl bereitgestellter Buntstifte in ein Kunstwerk verwandelt werden soll. Lüding wiederum, die sich auf wenig haltbare Materialien wie zum Beispiel farbigen Schaum spezialisiert hat, legt eingefärbte Eiswürfel bereit, damit die Besuchenden sich in Mitwirkende verwandeln und die Würfel auf ein großes weißes Papier legen, wo sie dann schmelzend ihre Farbe freigeben. Das Ergebnis sollte letztlich ein verschwimmendes Bild im Stile des abstrakten Expressionismus sein.

 

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Stephanie Lüning: Schaum-Aktion, 2023 Foto: Anja Schneider

 

Im untersten und entsprechend fensterlosen und ziemlich dunklen Stockwerk (also eigentlich im Keller…) findet sich die ästhetisch sehr reizvolle Installation „fuse“ von Tatjana Busch mit langsam an- und abschwellender elektronischer Musik. Eine ihrer beiden Plastiken sieht aus wie aus Stanniol gefaltet und erinnert an einen langsam durch das Meer treibenden Barsch, der mal diese, mal jene Farbe annimmt. Besucher sind eingeladen, hier eine eher meditierende Haltung einzunehmen.

 

Ich komme auf das Vorhaben der Kuratorin zurück, die Kunsthalle zu öffnen und ein anderes Verhalten des Publikums (der „Besuchenden“) zunächst zu erlauben, ja eigentlich zu provozieren. Kann das funktionieren? Wahrscheinlich schon, denn Jugendliche mögen so etwas. Ich selbst ja damals auch… Aber die Kunsthalle befindet sich in einem Haus mit dem St. Annen-Museum und dessen mittelalterlichen Bestand: Es ist dieselbe Kasse, an der wir zahlen, und erst dann geht es entweder nach links in einen Beton-Neubau – also zum Spaß – oder nach rechts in die spätgotischen Gewölbe eines vor Jahrhunderten aufgehobenen Klosters. Dort aber wäre ein Verhalten, wie es für die Kunsthalle erwünscht wird, strikt und entschieden verboten. Links sollen wir die Möbel auf dem „Beach“ nach Gusto hinstellen, rechts respektvoll vor den Bildern verharren, links dürfen wir ausdrücklich laut sein, rechts ist ein Flüstern angebracht. Und natürlich dürfen wir nichts anfassen.

 

Stehen wir vor Gottvater oder Maria, schreibt Hegel in seiner „Ästhetik“, so können wir noch so sehr berührt sein: „es hilft nichts, unser Knie beugen wir doch nicht mehr.“ Das ist wohl wahr. Und trotzdem besitzen diese Bilder eine Aura – eben die Ausstrahlung, die im linken Teil des Gebäudes nicht nur keine Rolle spielt, sondern auch ausdrücklich nicht spielen soll. Insofern stellt das Nebeneinander von Kunsthalle mit Sitzkissen und der Aufforderung zur Beteiligung und dem alten Kloster mit sakraler Kunst den Wandel der Kunst dar. Er könnte radikaler kaum sein.


„Hello Lübeck“ – Neue Lübecker Kunstausstellung als Ort des lebendigen Austauschs

Zu sehen bis 28. Juli 2024 im St. Annen-Museum (Kunsthalle), St. Annen-Straße 15, in 23552 Lübeck

Geöffnet: 01.01-31.03.: 11-17 Uhr. / 01.04.-31.12.: 10-17 Uhr

Weitere Informationen (Museum)

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