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Film

Das frappierende Leinwandepos basiert lose auf Sarah Waters 2002 erschienen Roman „Fingersmith” („Solange Du lügst”). Park Chan-wook („Oldboy”, „Stoker”) verlegt den viktorianischen Thriller in das von den Japanern besetzte Korea der Dreißiger-Jahre. „Die Taschendiebin” ist eine erotische Phantasie über eine reiche schöne Erbin, ihren sadistischen geldgierigen Onkel, eine scheinbar ergebene Dienerin und einen attraktiven Hochstapler, der glaubt, einen genialen Coup landen zu können. Das Drehbuch schrieb der Filmemacher zusammen mit Chung Seo-kyung.

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Sookee (Kim Tae-ri) ist Waise und Tochter einer berüchtigten Diebin. Sie träumt davon, ihrer düstereren kriminellen Vergangenheit zu entfliehen. Ein galanter Kleinganove, der sich Graf Fujiwara (Ha Jung-woo) nennt, unterbreitet dem Mädchen einen Plan, der auch sie reich machen soll. Ziel ist das Vermögen der jungen japanischen Lady Hideko (Kim Min-hee), die auf einem prächtigen Anwesen lebt und keinerlei Kontakt zur Außenwelt hat. Ihr tyrannischer Onkel Kouzuki (Cho Jin-woong), ein Mann aus Korea, der in die Familie eingeheiratet hat, kontrolliert jeden ihrer Schritte. Er ist Kunsthändler und ein besessener Sammler seltener bibliophiler Erotika von zweifelhafter Herkunft. Von klein auf an hat er Hideko zum obskuren Objekt seiner Begierde stilisiert, sie muss potentiellen Käufern Texte in der Tradition von Marquis de Sade vortragen. Da der vermeintliche Graf es vortrefflich versteht, Frauen zu verführen, ist sein Plan, die einsame Hideko zu umgarnen und mit ihr nach Japan durchzubrennen. Nach erfolgter Eheschließung will er baldmöglichst die Gattin in eine Irrenanstalt sperren, um sich so deren Vermögens zu bemächtigen. Sookee soll als Kammerzofe ihr Vertrauen gewinnen, sie ausspionieren und vor allem beeinflussen bei der Wahl des Heiratskandidaten.

Genau wie die Romanvorlage ist der Film in drei Teile gegliedert, jedes Mal wird die Handlung aus der Perspektive eines anderen Protagonisten erzählt. Park Chan-wook greift Situationen immer wieder auf, aber sie sind völlig verschieden von dem kurz zuvor Gesehenen oder Erlebten. Entscheidende Fakten wurden vorenthalten, die alles in völlig neuem Licht erscheinen lassen. „Die Taschendiebin” ist ein Thriller über das Schreiben und Erzählen von Geschichten, über die Mechanismen der Wahrnehmung und Vorstellung, wie das Bild eines Menschen entsteht oder auch zerstört wird. Schon der Wechsel zwischen drinnen und draußen wird zum sinnlichen Abenteuer. Es ist, als hätten wir nie zuvor Grün dieser Intensität erblickt. Doch nichts davon ist reiner Manierismus, sondern immer eng verknüpft mit dem Geschehen wie auch den Akteuren. Es geht um Freiheit, Verletzbarkeit, Rebellion, die Mauern dieses opulenten Gefängnisses zu sprengen. Ungeachtet der intellektuellen Kapriolen entfaltet sich das labyrinthische Puzzle mit fast spielerischer Leichtigkeit, während der Zuschauer sich verirrt zwischen traumähnlichen opernhaften Visionen (Kamera: Chung Chung-hoon) und unerwarteten Wendungen.

Sookee ist tief beeindruckt von dem luxuriösen Anwesen und der Schönheit ihrer Herrin. Wenige Wochen später trifft der Graf ein unter dem Vorwand, die junge Adlige in die Kunst des Malen einzuführen. Sookee verrichtet ihre Arbeit gewissenhaft und aufopferungsvoll. Im Laufe der Zeit wird die Beziehung zwischen ihr und Hideko immer vertrauter, und es scheint sich etwas zwischen ihnen zu entwickeln, dem sich keine der beiden zu entziehen vermag. Als Graf Fujiwara der Lady Avancen macht und der entscheidende Tag immer näher rückt, bleibt die Umworbene erstaunlich kalt und distanziert. Wie die Story selbst ist das Anwesen voller Geheimnisse, es verbindet japanische und westliche Einflüsse. Abhängig von dem Blickwinkel des jeweiligen Betrachters scheint das Haus seine Größe und Gestalt zu ändern, und auch drinnen offenbart es immer neue Räume, Zimmerfluchten, geheime Türen und versteckte Gänge. Jeder Akteur hat seine eigenen Wege. Sie spionieren einander nach oder tun nur so aus Furcht, sie würden beobachtet. Sind die Gefühle echt oder nur vorgetäuscht? Und so beginnt man weniger auf die Worte zu achten sondern mehr auf die Reaktion des Gegenübers. Verrät das Mienenspiel etwas? Blicke sind hier Worten ebenbürtig, die wirkliche Bedeutung kann der Zuschauer nur erahnen, irgendwann eskaliert die Situation.

“Die Taschendiebin” ist ein Thriller in der Tradition Hitchcocks, er steht für eine Welt, in der alles inszeniert ist, kalkuliert, nichts dem Zufall überlassen wird, und doch scheitert der teuflische Plan. Die Bösartigkeit entpuppt sich am Ende als Falle und die Männer als pathetisch grotesk. Ihr größter Fehler hier wie auch in der Realität, sie überschätzen sich und ihre Verführungskünste, oder besser sie unterschätzen die Intelligenz der Frauen. Manche Kritiker glaubten, die lesbische Romanze würde ausgebeutet, nur in Szene gesetzt fürs männliche Auge. Genau das Gegenteil ist der Fall: Sollen wir auf Schönheit verzichten, nur weil solche wie Kouzukis jämmerlich lüsterne Kunden danach verlangen? Bei Park Chan-wook geben sie endlich einmal eine eher klägliche Rolle ab, sowohl als Voyeur wie als Gangster. Die Gier nach Geld und Macht, auch wenn er sie mit blumigen Worten verleugnet, ist das einzig wirklich tiefere Gefühl, zu dem Graf Fujiwara fähig scheint, für Hidekos Onkel mit der von Tinte schwarzen Zunge es nur eine seiner vielen Perversionen. Ein wundervoll arrangiertes Verwirrspiel von psychologischem Scharfsinn, in dem Chauvinismus mit List bekämpft wird. Die Gewalt ist eine meist unsichtbare, die dunklen Dämonen trotzdem spürbar, fast glauben wir, sie berühren zu können wie den Brokat der kostbaren Gewänder.

Das Leinwand-Puzzle setzt sich zusammen aus vielen einzelnen Begebenheiten, die auch losgelöst von einander funktionieren würden. Dialoge, Gedanken, Briefe, Literarisches, Fiktives und Reales überschneiden sich. Die suggestive melodramatisch schwelgerische Musik von Cho Young-wuk hat etwas Hypnotisches. Park Chan-wooks rätselhaftes Konstrukt übertrifft noch die Komplexität eines Christopher Nolan-Films. Ekstase, Eifersucht, Zärtlichkeit, Angst, Schmerz vermischen sich zu einer hochexplosiven aber auch amüsanten Mischung. Das Setting ist mehr als eine Kulisse, es atmet den Geist jahrtausender Jahre alter Tradition, zeigt Brüche und Risse auf, das Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen. Die Flut von Bildern, Eindrücken, Farben ist atemberaubend, jedes Detail auserlesen, jeder Close up wird zum Meisterwerk, die alten Folianten, die Kalligraphie, wie das Blut über Matratze und Steinboden fließt, eine makabre Zerstörungsorgie dessen, was dem dekadenten Kunstsammler so am Herzen liegt. Und doch geht es ausschließlich um das, was wir nicht sehen, die Wahrheit. So will Lady Hideko der Geliebten vieles verzeihen wie Fluchen oder Stehlen aber niemals eine Lüge. Die beiden so gegensätzlichen Frauen verkörpern für einander Freiheit, Selbstbestimmung, wirkliche tiefe Zuneigung. In ihrem Umfeld ist Zärtlichkeit eigentlich etwas Unvorstellbares, fast schon eine Provokation und die Quelle des Widerstands. Der Sex zwischen Sookee und Hideko ist fordernd, heiß und vor allem eben zärtlich, ein Spiegelbild ihrer Liebe.

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Originaltitel: Agassi  
Regie / Drehbuch: Park Chan-wook 
Darsteller: Kim Min-hee, Kim Tae-ri, Ha Jung-woo  
Produktionsland: Südkorea, 2016  
Länge: 145 Minuten 
Verleih: Koch Films GmbH 
Kinostart: 5. Januar 2017

Fotos & Trailer: Copyright Koch Films

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