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Das Goethe-Institut verleiht am 28. August 2010 in Weimar zum 56. Mal die Goethe-Medaille. Damit ehrt es Persönlichkeiten, die sich mit besonderem Engagement um die Vermittlung der deutschen Sprache und den internationalen Kulturaustausch verdient gemacht haben. Der Präsident des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann übergibt den offiziellen Orden der Bundesrepublik Deutschland im Weimarer Residenzschloss an die ungarische Philosophin Ágnes Heller, den libanesischen Lyriker und Übersetzer Fuad Rifka und den amerikanischen Exilforscher John M. Spalek. Gemeinsam mit „pèlerinages“ Kunstfest Weimar veranstaltet das Goethe-Institut am Tag nach der Verleihung eine Matinee mit den drei Preisträgern in der Anna Amalia Bibliothek.

Mit der Goethe-Medaille ehrt das Goethe-Institut die ungarische Philosophin Ágnes Heller für ihr Lebenswerk, das über 40 Buchtitel umfasst. Darin spiegelt sich ihre persönliche Biografie wider, die stark geprägt ist durch die bewegte Geschichte des 20. Jahrhunderts: die Barbarei des Nationalsozialismus, der ihr Vater zum Opfer fiel und sie selbst nur knapp entkam, die ungarische Revolution von 1956 sowie die Opposition im Intellektuellenzirkel der „Budapester Schule“. In ihren Schriften sucht die Lieblingsschülerin des bedeutenden marxistischen Literaturhistorikers und Philosophen Georg Lukács den Dialog mit den großen philosophischen Vordenkern Kant, Nietzsche, Aristoteles, Shakespeare und Kierkegaard. Leben und Freiheit sind für Ágnes Heller die größten Werte, Gerechtigkeit, Moralität, gesellschaftliches Leben, Politik, Geschichte, Kunst und Wissenschaft ihre Themen. „Ágnes Heller hat in ihren Büchern die Kultur Europas beschrieben, voller Kreativität, politischer Weisheit, moralischer Energie und intellektueller Integrität,“ heißt es in der Begründung der Jury. Die große Zahl ihrer ins Deutsche übersetzten Veröffentlichungen zeigt weit über den philosophischen Bereich hinaus die Bedeutung ihres Werkes für die deutsch-ungarischen Kulturbeziehungen.

Für seine zahlreichen Übertragungen deutschsprachiger Lyrik ins Arabische erhält der libanesische Lyriker, Philosoph und Übersetzer Fuad Rifka die Goethe-Medaille. Mit Übersetzungen von Rilke, Hölderlin, Novalis, Hesse, Celan, Brecht und Goethe hat er – häufig als erster – zentrale Werke der deutschen Dichtung im arabischen Sprachraum zugänglich gemacht. In den 1950er Jahren war er Gründungsmitglied der avantgardistischen Lyrik-Zeitschrift „Sh’ir“, die es sich neben der Übersetzung zeitgenössischer Lyrik zur Aufgabe gemacht hatte, die strengen formalen und inhaltlichen Regeln arabischer Dichtung aufzubrechen. Auch in seiner Tätigkeit als Professor für Philosophie an der Lebanese American University in Beirut wurde er zum Mittler zwischen den geistigen Welten des Orients und des Okzidents. Fuad Rifka hat über Martin Heidegger promoviert und stets die deutschen Philosophen in den Mittelpunkt seiner Lehre gestellt. Die Begegnung mit der deutschen Dichtkunst und Philosophie, die er selbst einmal als „Erdbeben für seine Existenz“ bezeichnet hat, prägt auch sein eigenes dichterisches Schaffen bis heute nachhaltig.

Ebenfalls mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet wird der amerikanische Exilforscher John M. Spalek. Seit über 40 Jahren setzt er sich unermüdlich für die Erinnerung an das deutschsprachige Exil von 1933-1945 in den USA ein. Er hat zahlreiche Standardwerke zur Exilliteratur verfasst, und so die Voraussetzung für die systematische Erforschung des erzwungenen geistigen Transfers aus dem Machtbereich der Nationalsozialisten in die USA geschaffen. Mit detektivischem Spürsinn gelang es John Spalek, über 200 Nachlässe deutscher Exilanten vor dem Verlust zu bewahren. Darunter finden sich unzählige unersetzbare Zeugnisse der deutschsprachigen Geistesgeschichte: Briefwechsel zwischen Thomas Mann und Hedwig Rossi, George Grosz und Hermann Borchardt oder Soma Morgenstern und Stefan Zweig sowie Manuskripte, Fotografien, Telegramme und Skizzen von Persönlichkeiten wie dem Autor Joseph Roth oder den Soziologen Joseph und Alice Maier. John Spalek hat auch maßgeblichen Anteil an der Entstehung des Exilarchivs der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main, dem er seit 1995 insgesamt 89 Nachlässe in die USA emigrierter Persönlichkeiten übergeben hat.

Die Festrede anlässlich der Verleihung der drei Goethe-Medaillen hält der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant, Professor für Europäische Mehrsprachigkeit an der Jacobs University in Bremen. Die Laudationes auf die Preisträger halten der Historiker Lutz Niethammer (Ágnes Heller), der Autor, Übersetzer und Literaturkritiker Stefan Weidner (Fuad Rifka) und der Verleger Klaus G. Saur (John M. Spalek). Gemeinsam mit „pèlerinages“ Kunstfest Weimar veranstaltet das Goethe-Institut eine Matinee mit den drei Preisträgern: Am Sonntag, dem 29. August 2010, diskutieren Ágnes Heller, Fuad Rifka und John M. Spalek mit Christina von Braun, Kulturwissenschaftlerin und Vize-Präsidentin des Goethe-Instituts, über „Die ,Lichter‘ der Aufklärung – Irrlichter?“

Die Goethe-Medaille wurde 1954 vom Vorstand des Goethe-Instituts gestiftet und wurde 1975 von der Bundesrepublik Deutschland als offizieller Orden anerkannt. Von 1992 bis 2008 wurde sie jährlich anlässlich des Todestags Goethes in Weimar verliehen. 2009 fand die Verleihung erstmals am 28. August, dem Geburtstag Goethes, statt. Ausgezeichnet werden Persönlichkeiten aus dem Ausland, die sich um die Vermittlung der deutschen Sprache und den internationalen Kulturaustausch verdient gemacht haben. Seit der ersten Verleihung 1955 sind insgesamt 323 Persönlichkeiten aus 58 Ländern geehrt worden. Zu den Preisträgern gehören unter anderen Pierre Bourdieu, Jorge Semprún, Sir Ernst Gombrich, György Ligeti, Sir Karl Raimund Popper, Billy Wilder und Daniel Barenboim.

Die Verleihung wird in enger Partnerschaft mit der Klassik Stiftung Weimar und der Stadt Weimar veranstaltet. Die Matinee mit den drei Preisträgern ist eine Kooperation mit „pèlerinages“ Kunstfest Weimar.

Samstag, 28. August 2010
11 Uhr: Festakt zur Verleihung der Goethe-Medaille im Residenzschloss Weimar, Burgplatz 4, 99423 Weimar

Sonntag, 29. August 2010
11 Uhr: Matinee mit den drei Preisträgern der Goethe-Medaille und der Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun im Studienzentrum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Platz der Demokratie 4, 99423 Weimar
Titel: „Die ,Lichter‘ der Aufklärung – Irrlichter?“

Quelle: Goethe-Institut Zentrale