Die Lieder aus dem Taugenichts, von denen Thomas Mann als hochberühmten Kleinoden schwärmte, sind in dieser Komposition und speziell in dieser Einspielung ein zweites, und womöglich authentischeres Mal realisiert worden. Und zwar ohne den faden Beigeschmack einer unabsichtlich zu sich selbst auf Distanz gehenden, ironisch gebrochenen Biedermeierlichkeit.
Also dem Vortäuschen von Heil- und Ganzheit, da es sich doch in Wahrheit um eine frömmelnde Volkstümlichkeit, also den epigonalen Abguss eines scheinauthentischen Idylls handelt.
Die Worte, die diese Musik in den beiden Momenten der Produktion durch den Tonsetzer und der Reproduktion durch die Interpreten auf den Punkt bringen, sind insgesamt in der Sphäre spielerisch-verspielter, einer versonnen lächelnden Leichtigkeit beheimatet. Das ist der erste Eindruck. Der sich bis zum Ende durchhält und der, als beseeltes Lächeln, auch immer wieder auf den Gesichtern der Musizierenden aufscheint.
Aber da ist noch mehr. Was damit zusammenhängt, dass es so etwas wie Glück gibt, das ein Kind der Trauer ist. Der Trauer darüber, dass etwas, ein Zustand verloren gegangen ist, in dem sich, wie flüchtig auch immer, das Empfinden eingestellt hat, mit sich und der Welt im Reinen, auf gleichem Fuß zu sein. Dieses Empfinden, das eigentlich nicht empfunden werden kann, weil dazu das Reflektieren auf dieses Empfinden vonnöten wäre, wodurch es freilich, der dadurch erzeugten Distanz wegen, nicht mehr empfunden werden kann, ist es, das in dieser Musik der wehmütigen Erinnerung erlebten Glücks als eine Ahnung fortlebt.
Das andere von Trauer getragene Glück ist, auf seine Art, nicht weniger schmerzhaft. Weil es nicht aus dem Gefühl vermutlich endgültig abhanden gekommenen Glücks resultiert, sondern aus der der Zukunft zugekehrten Ahnung, dass sich das verlorene Gefühl, eins mit sich und der Welt zu sein, nie wieder einstellen wird.
Das Dritte schließlich ist, dass von Glück schon längst keine Rede mehr sein kann. Aus dieser von Verheerungen entstellten Welt hat sich eine Musik, in der es um die klangliche Erfüllung endlichen Glücks geht, in der spielerisch- verspielte Leichtigkeit, ein Vagabundieren mit unbeschwert-frohem Herzen und Sinn ein nicht erst sich vor sich und anderen zu rechtfertigendes Heimatrecht hat, in die finale Trauer über das schlimmstenfalls endgültig Verlorene zurückgezogen. So dass selbst und gerade eine Musik des Glücks letztlich und im Kern nichts anderes ist als eine Musik trostloser Trauer.
Will man dieser Ausweglosigkeit nicht das letzte Wort lassen, dann kann man sich bei einer moderaten Lösung halbwegs beruhigen, die dann ungefähr so zu lauten hätte: Es ist wahrlich nicht das Schlechteste, wenn ein Werk der (Ton-) Kunst auf Grund seiner spielerischen Leichtigkeit zu Tränen, die Tränen des selbstvergessenen Glücks sind, rührt. In diesem Trio in Es-Dur für Klavier, Violine und Violoncello Nr. 2, D 929 (op. 100) Franz Schuberts und speziell in dieser Darbietung durch Sayaka Shoji, Tatjana Vassiljeva und Jean-Frédéric Neuburger hat das in Freude lächelnde Leben, das durchaus nicht das einer dann eben doch biedermeierlich überzuckerten, sich religiös in sich selbst einhausenden Dörflichkeit wie im Taugenichts ist, seinen unverstellten Ausdruck gefunden.
Franz Schubert Faksimile W. Dahms, 1913. Gemeinfrei
Das, ohne diesen Einwand geht es auch hier nicht ab, in dieser Wiedergabe nicht zuletzt deswegen zu weh-frohen Tränen rührt, weil der hellhörige Rezipient realisiert, dass der Zeitenlauf alles andere als diesem in Seligkeit lächelnden Sich-verlieren gewogen ist. Für das, was hier erklingt und erklungen ist, hat vermutlich bisher noch nie in der wie auch immer gearteten Realität die geschichtliche Stunde geschlagen. Die Distanz scheint, rückwärts oder vorwärts gewandt, gleichviel, und hieraus resultiert die Wehmut und die Trauer, unüberbrückbar zu sein.
Es träumt sich nicht mehr recht von der Blauen Blume. Genauer: Es ist noch nie auf eine rechte Weise von ihr geträumt worden. Wäre der Traum der rechte gewesen, er wäre kein Traum mehr gewesen, sondern hätte seinen ihm bestimmten Platz in der Realität eigenommen. Wer heute und in der vergangenen Zeit als Heinrich Ofterdingen erwacht ist, ist einer Illusion – der Illusion wirklich gewordenen Glücks – erlegen oder auf den Leim gegangen. Den Leim des verlogenen Kitschs, dem authentisches Glück zu geben auf ewig verschlossen ist. Es sei denn, man hat längst mit Surrogaten, die die Echtheit des Vollen in die Pseudofülle des Leeren und Entleerten pervertieren, zu leben oder sich abzufinden gelernt.
Franz Schubert: Klaviertrio Nr. 2, Op.100, D. 929
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Sayaka Shoji, Tatjana Vassiljeva, Jean-Frédéric Neuburger – Franz Schubert: Piano Trio No.2, Op.100, D.929 (46:46 Min.)
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