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Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Bayerische Staatsgemäldesammlungen erinnern gemeinsam mit rbb und BR an die Opfer des nationalsozialistischen Kunstraubs – Kooperation erzählt anhand von Restitutionsfällen vergessene Lebensgeschichten jüdischer Menschen – Auftaktveranstaltung im Bode-Museum – Kulturstaatsministerin Claudia Roth: Den mit geraubten Kunstwerken verknüpften Lebensgeschichten nachgehen – Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster: Projekt ist wichtig, damit Erinnerung nicht verblasst


Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit dem Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben ein einzigartiges Erinnerungsprojekt gestartet, das aus dem Etat der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien mit 690.000 Euro gefördert wird. Es erzählt von jüdischen Menschen, die einst das Kulturleben Deutschlands maßgeblich geprägt haben, dann aber von den Nationalsozialisten verfemt, entrechtet, verfolgt, beraubt und ermordet wurden. Beide Einrichtungen richten damit den Fokus nicht mehr nur auf Werke, die als Ergebnis der Provenienzforschung restituiert werden, sondern auf die vielen Lebensgeschichten von teilweise unbekannten Kunstsammlerinnen und Kunstsammlern, denen die Stücke einst gehörten. Zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk und dem Rundfunk Berlin-Brandenburg soll diesen Menschen ein facettenreiches filmisches Denkmal gesetzt werden. Es entsteht eine eigene Projektwebsite als multimediale Mediathek der Erinnerung.

Zur Auftaktveranstaltung des Projektes im Bode-Museum erklärte Kulturstaatsministerin Claudia Roth: „Hinter jedem geraubten oder enteigneten Kunstwerk steht die Lebensgeschichte und das erlittene Unrecht eines Menschen. Diesen Biographien hinter den geraubten Kunstwerken nachzugehen, die Vielfalt jüdischen Lebens in der deutschen Gesellschaft vor 1933 auszuleuchten, ermöglicht uns ein wichtiges Erinnern für die Zukunft und bleibt eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mit dem Projekt ‚Kunst, Raub und Rückgabe‘ leisten die SPK und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gemeinsam mit dem Bayerischen Rundfunk und dem Rundfunk Berlin-Brandenburg hierfür einen wichtigen Beitrag. Das Projekt steht für unsere fortwährende Verantwortung, den NS-Kunstraub und die Menschheitsverbrechen der Shoah konsequent aufzuarbeiten und das Erinnern daran lebendig zu erhalten und allgemein zugänglich zu machen.“

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster sagte in seinem Grußwort: „Dieses Projekt ist wichtig, damit Erinnerung nicht verblasst; damit die Geschichten von Jüdinnen und Juden nicht verschwinden. Und was kann daraus anderes folgen, als eine Verantwortung – nicht zur ‚Wiedergutmachung‘, wie es zuweilen selbstgefällig und unangebracht heißt – sondern zur Wiederherstellung von Recht; von Eigentum?“

Es sind oftmals unbekannte Namen, auf die die Provenienzforschenden bei ihrer Arbeit stoßen. Wer waren diese Menschen? Und was bedeutet es ihren Nachkommen, wenn ein verfolgungsbedingt entzogenes Kunstwerk zurückgegeben wird? Hinter jedem wieder aufgespürten Werk stehen die Geschichte und das Schicksal eines Menschen sowie das ganzer Familien. Die Mediathek wird im Frühsommer 2023 mit den ersten fünf Lebensgeschichten online gehen, die anhand von Texten, Bildern, Filmen, Karten und Audioelementen multimedial erzählt und im weiteren Projektverlauf sukzessive um weitere Lebensgeschichten ergänzt werden. Bis Ende 2024 sollen 30 Persönlichkeiten in der Mediathek vorgestellt werden. 

Hermann Parzinger, Präsident der SPK, sagte: „25 Jahre sind seit der Washingtoner Konferenz vergangen. Wie wir haben viele Einrichtungen in Deutschland Kunstwerke und Bücher restituiert, faire und gerechte Lösungen im Sinne der Nachkommen gefunden. Aber es bleibt noch sehr viel zu tun, denn der nationalsozialistische Kunstraub ist ein riesiges Verbrechen. Und bei allem geht es nicht nur um Akten, es geht um Menschen, die aus ihren Leben herausgerissen, die verfemt und verfolgt und vernichtet wurden. Ihre Namen und ihre Familien sollten vergessen gemacht werden. Wir möchten an möglichst viele Menschen mit unserem Projekt erinnern und wir möchten damit etwas gegen das Übel des Antisemitismus tun – wo und wie es auch immer auftreten möge. Unser Projekt hat einen Pilotstatus. Weitere Einrichtungen können und sollen sich anschließen. Es geht uns darum, möglichst viele dieser vergessenen und erschütternden Biographien erzählen zu können.“

Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, ergänzte: „Der menschliche Gedanke, die Ergebnisse der Provenienzforschung nicht allein auf die zu restituierenden Objekte zu beziehen, sondern auch auf die Lebensschicksale ihrer einstigen Eigentümer, liegt nahe. Lange sah man vorrangig auf den Erinnerungswert der Kunstwerke, so wie es ja auch mit der Washingtoner Erklärung beabsichtigt ist. Doch wer sind die Nachfahren, wer geht mit diesen Objekten heute auf welche Weise um? Und wie arbeitet eigentlich die Provenienzforschung? Berlin als ‚Hauptstadt des Deutschen Reichs‘ und München als sogenannte ‚Hauptstadt der Bewegung‘ haben mehr als viele andere Städte Anlass, diese Themen aktiv aufzuarbeiten. Das Interesse an der gemeinsamen Kommunikation für eine breite Öffentlichkeit verband uns."

Ellen Trapp, BR, Leiterin des Programmbereichs Kultur: „Wissenschaft und Journalismus dienen gleichermaßen der Aufklärung und Erinnerung. Als Bayerischer Rundfunk freuen wir uns daher zusammen mit dem rbb und unseren Kooperationspartnern, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, einen Beitrag leisten zu können, um zumindest einige der zahlreichen von den Nationalsozialisten verfolgten, ihrer Kunstwerke beraubten und oftmals ermordeten Menschen der Vergessenheit zu entreißen. Ihre bewegenden Lebensgeschichten sollen durch unsere Filme auch für zukünftige Generationen erhalten bleiben." 

Dr. Katrin Vernau, Intendantin des rbb: „Die vom NS-Regime geraubte Kunst ist ein Unrecht, das tief bewegt. Jedes wieder aufgespürte Werk ist mit einem ganz persönlichen Schicksal verknüpft. Einige davon wollen wir gemeinsam mit dem BR filmisch ins Gedächtnis rufen. Wir lernen jüdische Kunstsammlerinnen, Mäzene und Bürger kennen, die damals unser kulturelles Leben geprägt haben und deren Namen heute kaum bekannt sind. Es ist uns ein besonderes Anliegen als rbb Teil dieses einzigartigen Erinnerungsprojekts zu sein.“

Im Rahmen der Auftaktveranstaltung wurden die ersten beiden Filme zu den Lebensgeschichten von Friedrich Guttsmann und August Liebmann Mayer vorgestellt. Im Anschluss sprach Moderatorin Shelly Kupferberg mit Ann-Charlott Mörner, der Enkelin von Friedrich Guttsmann, Gilbert Lupfer (Deutsches Zentrum Kulturgutverluste), Rüdiger Mahlo (Jewish Claims Conference) und Hermann Simon (Gründungsdirektor des Centrum Judaicum Berlin) über das Projekt, über Erinnerung und die Bedeutung von Provenienzforschung. Miriam Friedmann, Enkelin eines weiteren Verfolgten, dessen Schicksal im Rahmen des Projektes vorgestellt wird, kam in einer Videogrußbotschaft zu Wort.

Friedrich Guttsmann (1888-1959) war Kaufmann und Handelsvertreter. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung verlor er nach 1933 seine Anstellung und die Familienwohnung in Berlin, die finanzielle Notlage zwang ihn zum Verkauf seines Mobiliars und seiner Kunstgegenstände. Guttsmann überlebte die NS-Zeit unter anderem wegen seiner „privilegierten Mischehe“ mit der Protestantin Henriette Franziska. Seine Söhne konnten Deutschland 1939 nach Schweden verlassen. Friedrich Guttsmann folgte mit seiner Ehefrau im Jahr 1948 dorthin. Die SPK restituierte 2019 eine Zeichnung aus seinem Besitz an seine Nachfahren.

August Liebmann Mayer (1885-1944) war ein international anerkannter Experte für spanische und italienische Malerei. Er arbeitete als Konservator an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und Professor für Kunstgeschichte an der Münchener Universität. Aufgrund einer Hetzkampagne trat er 1931 von seinen Ämtern zurück. Die Nationalsozialisten beschlagnahmten ab 1933 seinen Besitz. Mayer floh nach Frankreich, wurde aber 1944 verhaftet und nach Auschwitz deportiert, wo er unmittelbar nach seiner Ankunft ermordet wurde. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen restituierten 2010 vier Werke aus seiner ehemaligen Sammlung.

Ludwig und Selma Friedmann waren erfolgreiche und respektierte Augsburger Geschäftsleute und Eltern von vier Kindern. Ab 1933 wurde die Familie Opfer nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen. Während die Kinder emigrieren konnten, blieben die Eltern in Augsburg und mussten in ein sog. ‚Judenhaus‘ ziehen. Am Vorabend ihrer angekündigten Deportation beging das Ehepaar Friedmann Selbstmord. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen restituierten 2018 ein Gemälde an seine Erbengemeinschaft.

Im Rahmen des Abends stellte auch Emma Abel, eine vierzehnjährige Schülerin, ihr Buch vor. Emma Abel beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit dem Holocaust und hat im Rahmen einer schulischen Arbeit einen Roman über das Verfolgungsschicksal eines jüdischen Mädchens verfasst. „Nur die Sterne schienen gelb zu leuchten“ ist aus der Sicht der zu Beginn des Buches im Jahr 1938 achtjährigen Eva aus Freiburg erzählt, die untertaucht und schließlich ins Ghetto Theresienstadt deportiert wird.

Den Abschluss bildete ein Konzert des Projekts „Lebensmelodien“. Nur Ben Shalom und sein Nimrod Ensemble erinnern mit dem Projekt daran, dass in den unmenschlichsten Situationen der Verfolgung und Ermordung, zwischen Leben und Tod, Melodien entstanden sind und Menschen bewegt haben. Dahinter verbergen sich die Geschichten jüdischer Schicksale. Es spielten Marina Grauman (Violine), Francesca Zappa (Viola), Nur Ben Shalom (Klarinette) und Michael Cohen-Weissert (Klavier); Ulrich Matthes stellte die Geschichten hinter den Musikstücken vor.

Weitere Informationen zu Provenienzforschung:
https://www.pinakothek.de/forschung/provenienzforschung
https://www.preussischer-kulturbesitz.de/schwerpunkte/provenienzforschung-und-eigentumsfragen.html
https://www.smb.museum/forschung/provenienzforschung/

 

Quelle: Stiftung Preußischer Kulturbesitz

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