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Festakt in der Staatsbibliothek Unter den Linden

Die Staatsbibliothek erwirbt mit Hilfe der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien und der Kulturstiftung der Länder das private und berufliche Archiv sowie die persönlichen Tagebücher von Wolf Biermann. Wie kein anderer hat der 84-jährige Liedermacher mit seinem Werk die Zerrissenheit und die Vereinigung Deutschlands widergespiegelt. Das Archiv Wolf Biermann wird die Forschung in vielfältiger Weise tiefgreifend beflügeln, es wird literarische, kultur- und gesellschaftspolitische Fragestellungen neu aufwerfen. Mit einem Festakt im Haus Unter den Linden der Staatsbibliothek zu Berlin wird dieses Ereignis heute gefeiert.

Außergewöhnlich ist die immense Schaffenskraft Biermanns: Sein Werk umfasst 24 Alben und über 40 Publikationen von Gedichten, Übersetzungen, Nachdichtungen, gesellschaftskritischen Essays, Noten und Hörbüchern. Das Archiv, das in einem sehr gut geordneten Zustand in die Staatsbibliothek zu Berlin kommt, besteht aus rund 100 großen Kisten mit Manuskripten, Noten, ausführlichen Korrespondenzen, einer großen Fotosammlung, einem Tonarchiv beginnend in den 60er Jahren, einem Filmarchiv, einer Plakatsammlung, Sammlungen von Kritiken sowie zeithistorischen Dokumenten der politischen Linken in Ost und West und vieles mehr. Es enthält auch den Nachlass der Eltern Biermanns. Außergewöhnlich ist, dass Biermann seit seinem 17. Lebensjahr, über sechs Dekaden, ununterbrochen Tagebücher führte und in über 200 Büchern mit analytischer Beobachtungsgabe eine Chronik seiner Zeit schuf.

 

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz: „Wolf Biermann hat mit seinem Lebensweg und seinem Werk bewiesen, wie stark und folgenreich die Kraft des Wortes, des Liedes sein kann. Die massiven Proteste gegen seine Ausbürgerung im Jahr 1976 gelten als Anfang vom Ende der DDR. Mit seinen politischen Essays regte er im wiedervereinigten Deutschland wichtige Debatten an. Er verkörpert wie kaum ein anderer die deutsch-deutsche, aber auch die wiedervereinigte Geschichte des Landes. Ich freue mich, dass es gelungen ist, sein Werk in die Staatsbibliothek mit ihren bedeutenden Beständen aufzunehmen.“

 

Kulturstaatsministerin Monika Grütters: „Wolf Biermanns Archiv ist ein einmaliges Zeugnis deutsch-deutscher Zeitgeschichte. Mit seinen Liedern und Gedichten war er Stimme des Widerstands gegen das SED-Regime; bis heute gehört er zu den wichtigsten Künstlern und Intellektuellen in Deutschland. Seine Zeitzeugnisse durch den Ankauf seines Archivs in der Staatsbibliothek zu Berlin zu bewahren, ist nicht nur für die heutige, sondern gerade auch für nachfolgende Generationen wichtig. Wolf Biermanns Vita und Werk machen sichtbar, was es für Künstler bedeutet, in einer Diktatur zu leben. Sie zeigen, welche hohe Güter die Freiheit der Kunst, die Freiheit der Meinung, die Freiheit des Wortes sind - und dass es immer wieder Mut braucht, sie einzufordern.“

 

Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder: „Die Kulturstiftung der Länder fördert im Auftrag der 16 Länder die Erwerbung und den Erhalt von Kunstwerken und kulturellen Zeugnissen, die für die Gesellschaft in Deutschland von besonderer Bedeutung sind. Das heute präsentierte Biermann-Archiv ist ein solches. Es spiegelt die enorme Schaffenskraft eines Lebens, das sich auf exzeptionelle Weise singend, komponierend, dichtend, denkend und vor allem kritisch auf diese Gesellschaft bezogen hat und bezieht. Insofern handelt es sich um eine Bibliothek voller Zeitgeschichte, die sich für Öffentlichkeit und Forschung in vielerlei Hinsicht als wertvoll erweisen wird. Ich freue mich, dass wir zu dieser Erwerbung einen Beitrag leisten konnten.“

 

Das Archiv Wolf Biermann

Das Archiv Wolf Biermann ist eine außergewöhnlich umfangreiche Materialsammlung aus über 120 Jahren. Es bedient unterschiedlichste Genre und zahlreiche Wissenschaftszweige, von der Musikwissenschaft über die Literatur- und Theaterwissenschaft, der Soziologie, der Politologie bis hin zur Geschichtswissenschaft. Ältester Bestand ist der Nachlass der Eltern, Emma und Dagobert Biermann: Politische Zeugnisse der KPD-Zugehörig-keit, Korrespondenzen, auch die Briefe des Vaters aus politischer Haft, Gestapo-Akten, Dokumente der jüdischen, deportierten Familie, sowie eine umfangreiche Fotosammlung der Familie. Hinzu kommen die privaten Korrespondenzen mit ausgeprägt politischen Inhalten - sowie die Korrespondenzen, die Emma Biermann seit den 1960er Jahren stellvertretend für Wolf Biermann im Westen geführt hat. Im Archiv Wolf Biermann befinden sich Dokumente seiner Kindheit und Jugend, seiner Übersiedlung in die DDR, der Schul- und Studienzeit. Lückenlos dokumentiert das Archiv den Werdegang Wolf Biermanns, wobei die Sammlung zugleich die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und politischen Strömungen in Ost und West ausweist. Enthalten sind Unterlagen zu Wolf Biermanns Theatergründung 1961, dem b.a.t., und Biermanns zweijährigen Assistenz am Berliner Ensemble, sodann Biermanns Agitprop- und Theaterstücke, die weitgehend unveröffentlicht sind.

 

Das Archiv enthält handschriftliche Manuskripte von Gedichten, Balladen und Liedern. Zudem Entwürfe und Ausarbeitungen von Märchen, Prosatexten, Essays und Vorlesungen, Gedichtfassungen, Aphorismen, philosophische Betrachtungen, Zeichnungen. Sodann Übersetzungen, sowohl der Werke Biermanns als auch von Werken, die Biermann ins Deutsche brachte. Bestandteil ist auch die reiche handschriftliche Notensammlung von Biermanns Kompositionen.

Einen Großteil nehmen die privaten wie beruflichen und politischen Korrespondenzen Biermanns seit den 1950er Jahren ein, darunter zahlreiche Autographen relevanter Kollegen und Zeitzeugen. Die Korrespondenzen Biermanns spiegeln besonders die politischen Umbrüche, durch die sich die Protagonisten bewegen – in Ost und West – auch durch beigefügte Dokumente der politischen Linken in der BRD. Enthalten sind auch gesellschaftsrelevante, themenbezogene Konvolute, wie z.B. die Auseinandersetzung zum Golfkrieg 1991.

 

Enthalten ist auch eine Sammlung der über Jahrzehnte hinweg geführten Interviews Biermanns, ergänzt durch eine Sammlung von Kritiken und Zeitungsartikeln über Biermann sowohl aus der DDR-Presse als auch aus den Medien in der BRD und international. Die Plakatsammlung zu Biermann-Konzerten, beginnend zu DDR-Zeiten vor dem Verbot 1965, reicht bis in die heutige Zeit. Ergänzt wird sie von Programmen, Tourneeplänen, Kalendern und Adressbücher. Ein umfangreiches Fotoarchiv dokumentiert Wolf Biermanns Leben sowohl im privaten wie auch im beruflichen, darunter Werke bedeutender Fotografen.

 

Biermanns Tonarchiv, bereits ab 1962 beginnend, enthält viele unveröffentlichte Lieder, aber auch Gespräche mit Freunden, Kollegen und Zeitzeugen, sowohl in der DDR als auch im Westen, des Weiteren zahlreiche Konzertaufnahmen, Lesungen, Radiosendungen. Das Filmarchiv beherbergt nicht nur Aufnahmen von Wolf Biermann im Interview, in Fernseh- und Dokumentarfilmen und Konzerten, sondern auch zahlreiche Interviews seiner Wegbegleiter. Zum Thema Widerstand liefert das Archiv – neben dem Nachlass von Emma und Dagobert Biermann – eine umfangreiche Dokumentensammlung zur Ausbürgerung 1976, sowie Zeugnisse aus dem Untergrund, wie Samisdat-Exemplare oder illegal gefertigte Tonbänder. Dazu reihen sich zahlreiche Zeugnisse der friedlichen Revolution.

 

Wolf Biermann

Dichter und Liedermacher, 1936 in Hamburg geboren. 1953 übersiedelt er in die DDR. 1965 erhält er ein totales Auftritts- und Publikationsverbot, er wird zum radikalsten Kritiker gegen die Parteidiktatur der DDR. Eng und kritisch verbunden war Biermann zudem mit der politischen Linken des Westens. 1976 wird Biermann ausgebürgert. Die Ausbürgerung löst eine ungeahnt große Protestbewegung in Ost und West aus. Biermanns Gedichtbände sind unter den meistverkauften der deutschen Nachkriegsliteratur. Wolf Biermann wurde mit großen deutschen Literaturpreisen ausgezeichnet. Der Ehrenbürger der Stadt Berlin lebt mit seiner Frau Pamela in Hamburg, bleibt aber eng verbunden mit der Stadt Berlin.

 

Das Archiv in der Staatsbibliothek zu Berlin

Das Archiv Biermann hat nun seinen Platz in einer der weltweit bedeutendsten Bibliotheken. Neben ihrem außergewöhnlich reichen Bestand an Sondermaterialien – genannt seien hier die Musikautographe von Beet-hoven, Mozart und Bach – verwahrt sie umfangreiche Sondersammlungen von Weltrang mit Handschriften, Nachlässen, Archiven, Karten, Globen, seltenen Drucken. Der moderne Buchbestand wächst fortlaufend an, derzeit verwahrt die Staatsbibliothek zu Berlin rund 32 Millionen verschiedene Medien. Das Archiv Biermann gelangt somit in ein Umfeld mit diversen mittelbaren wie auch unmittelbaren Bezügen zu anderen Archiven und Nachlässen, so etwa zum Archiv des Verlages Wagenbach, zum Nachlass des Theologen Dietrich Bonhoeffer oder zum Archiv der jüdischen Berliner Familie Mendelssohn.

 

Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz

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