Musik
Gewandhaus-Orchester Foto: Eric Kemnitz

Keine Frage: der absolute Höhepunkt dieses Konzertabends im Gewandhaus Leipzig am letzten Freitag im März bildete die deutsche Erstaufführung „Zwei Sätze für Klavierquartett“ von Gustav Mahler/Alfred Schnittke in der Bearbeitung für Klavier- und Streichorchester von Omer Meir Wellber und Keren Kargarlitzsky.

 

Zumal Giorgia Leonardi und Kammertänzer Flavio Salamanka mit unglaublicher Leichtigkeit zu dieser Musik (Choreografie: Ermanno Sbezzo) tanzten. Ihre Bodenhaftung schien aufgehoben. Diese schwerelose Körperlichkeit, die mit der Musik und in der Musik aufging, faszinierte das Publikum.

 

Musikalisch bildete dieses Auftragswerk des Gewandhausorchesters und des London Philharmonic Orchestras den mittleren Teil des Abends, dessen großes Gesamtthema mit dem Wort „Wandlung“ überschrieben werden könnte. In und mit dieser ursprünglich mahlerschen Musik wandelte sich im Tanz das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Die Rollen wurden hin und her getauscht, die Machtverhältnisse immer wieder geändert, neu verteilt oder erobert. Am Ende des atemberaubenden Tanzes stand der – in den von Mahler skizzierten Takten gesetzte - Fluchtpunkt. Flavio Slamanka hält abrupt inne, stoppt die Bewegung, bremst seinen (Fort)Lauf, den Giorgia Leonardi zu verhindern sucht. Alles, was war und ist bleibt in Bewegung. Das könnte uns diese Interpretation sagen, die tänzerisch und musikalisch großartig war. Puristen und Pragmatiker könnten sich an der Logik des Abends stoßen: Statt erwartungsgemäß bei Glasunows Ballett „Vier Jahreszeiten“, bei dem es sich ja ganz konkret schon im Titel um eine „Ballettmusik op. 67 in vier Bildern“ handelt, tanzten Giorgia Leonardi und Flavio Slamanka hier zur Musik von Mahler und Schnittke in der Neubearbeitung von Welllber und seiner israelischen Kollegin Kargarlitzsky.

 

In der Programmzusammensetzung erwies sich die Logik des Abends als genau richtig. Auszüge aus Peter Tschaikowskis „Vier Jahreszeiten“ in der Bearbeitung für Bläserensemble von Moshe Zorman setzten hier gleich zu Beginn den richtigen Ton. Moshe Zorman greift das prägende Motiv Tschaikowskis auf, stellt eine Fantasie der solistischen Klarinette voran. Eine Fantasie, die den verschiedenen Gedichtzeilen folgt, die Tschaikowski den jeweiligen Sätzen und Jahreszyklen zugeordnet hat. So verfährt der israelische Komponist Zorman durchgängig, also auch bei allen weiteren Monaten: Immer geht dem für Bläserensemble eingerichteten Werk die Solo-Kadenz eines musikalischen Protagonisten voraus. Bei dieser Neubearbeitung, die erstmals im Gewandhaus zu hören war, glänzten die Bläser – auch und vor allem deren Solisten – zu jeder Zeit, ob mit filigranen Tönen oder mit wuchtiger Dynamik. Mal kammermusikalisch ausgerichtet, mal orchestral bot sich stets ein optimaler Gesamtklang. Das ist auch dem Dirigat von Omer Meir Wellber zu verdanken, der ab September 2025 Generalmusikdirektor der Staatsoper Hamburg und des Philharmonischen Orchesters Hamburg wird.

 

Meir Wellber Omer F Jens Gerber

Dirigat Omer Meir Welber. Foto: Jens Gerber

 

Auf Tschaikowski folgte Mahler/Schnittke an diesem Märzabend im Gewandhaus Leipzig. Ebenso wie Schnittke haben auch Meir Wellber und seine israelische Kollegin in ihrer Bearbeitung den nur 27 Takte umfassenden Mahlerschen Tonsatz, dessen wehmütiges Thema mir heute noch in Erinnerung ist, nicht angetastet. Sie übernahmen Mahlers und Schnittkes Substanz originalgetreu, variierten nur die Zahl der beteiligten Streicher je Stimme und intensivierten dynamische Angaben. Den Abschluss dieses außergewöhnlichen Konzertabends bildete Alexander Glasunows Ballettmusik „Die Jahreszeiten“, die – wie gesagt - an diesem Abend unbetanzt blieb. Dirigent Omer Meir Wellber blieb auch hier seinem Ruf treu, immer in Bewegung zu sein. Manchmal schien er sogar abzuheben, hin zu himmlischen Sphären. Himmlisch wirkte dies alles auch auf das Publikum, das am Ende des Abends begeistert applaudierte. Besondere Freude dürften zudem all diejenigen gehabt haben, die den Balletttanz lieben. Solch wunderbare Solisten wie Giorgia Leonardi und Flavio Slamanka in einer solch stimmigen Choreographie wie die von Ermanno Sbezzo ist selten zu erleben. Zumal an einem Konzertabend. Was für ein großes Glück für die Besucher dieses „Grossen Conzertes“ im Gewandhaus Leipzig!


Großes Concert

Ein Nachbericht aus dem Gewandhaus Leipzig am 27. Und 28. März 2025

 

Mitwirkende: Gewandhausorchester, Omer Meir Wellber Dirigent/Klavier, Giorgia Leonardi Tanz (Mahler/Schnittke), Kt. Flavio Salamanka Tanz (Mahler/Schnittke), Ermanno Sbezzo Choreographie (Mahler/Schnittke)

Programm: Peter Tschaikowski — Auszüge aus "Die Jahreszeiten" op. 37b (Bearbeitung für Bläserensemble von Moshe Zorman)
(Uraufführung, Auftragswerk des Gewandhausorchesters)

Gustav Mahler /Alfred Schnittke — Zwei Sätze für Klavierquartett (Bearbeitung für Klavier und Streichorchester von Omer Meir Wellber)
(Deutsche Erstaufführung, Auftragswerk des Gewandhausorchesters und des London Philharmonic Orchestra)

Alexander Glasunow — Die Jahreszeiten op. 67

Weitere Informationen (Gewandhaus) 

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