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Schon seit langem beschäftigt mich die Frage, warum es in Hamburg keine oder, selbst bei großzügiger Betrachtung, nur extrem wenige Künstlerfamilien gibt, die es über Generationen in der Hansestadt gehalten hat oder ausgehalten haben.
Dafür gibt es viele Gründe: Jeder Nicht-Hamburger und all die vielen, die als "Reingeschmeckte" in der Stadt leben, kommen irgendwann einmal an diesen speziellen Punkt, die noch immer bestehenden Dünkel, die die Herkunft betreffen.

Auch ich machte einmal eine jener Erfahrungen, die unmissverständlich klarmachen, was es bedeutet seit Generationen in Hamburg zu leben.
Es war bei einem Abendempfang bei einer dieser Familien, die auf 200-jährige hanseatisch-kaufmännische Geschichte in der Stadt zurückblicken können. Die Dame des Hauses – knapp 80-jährig – fragte höflich, ob ich denn auch aus gutem Hause sei und mich als Hamburger bezeichnen könne.
„Gewiss, aus gutem Hause – ja, aber Hamburger – das nun eher nicht, vielmehr prägt meine Familien seit Jahrhunderten das Nomadische – gewollt und gezwungen.“ Die knappe Antwort der Dame: „Nun ja, so kann man auch leben“, und damit war das Gespräch auch schon beendet.
Die namhaften Familien, die seit Generationen die Geschicke Hamburgs und übrigens auch Altonas, sowohl in merkantiler, politischer und namensgebender Weise prägen, sind allesamt in den Berufsfeldern der Kaufleute und Händler, Reeder und Bankiers zu finden – aber nicht im Feld der Künste!

Meine Recherchearbeit, was Hamburger Traditionsfamilien angeht, die in künstlerischen Berufsfeldern namhaft tätig waren und sind, ist ernüchternd.
Ich stoße durchaus auf Familiennamen, die es über zwei Generationen geschafft haben, in Hamburg künstlerisch tätig zu sein, aber das Gros dieser Familiennamen sind heute unbekannt und kaum bedeutsam.

In der Historie findet man berühmte Namen, die sich im konservativen Hamburg und im eher freidenkenden Altona aufhielten: Gotthold Ephraim Lessing, Johann Anton und Johann Jakob Tischbein, Carl Philipp Emanuel Bach, Friedrich Gottlieb Klopstock, Johannes Brahms, Gustav Mahler und Ernst Barlach, um nur eine kleine Auswahl zu benennen. Keiner der Aufgezählten war lebenslang hier, für alle war Hamburg ein Intermezzo.
Ein Beispiel mag für viele symptomatische Entwicklungen stehen. Gotthold Ephraim Lessing kam euphorisch nach Hamburg, doch er verzweifelte an der Stadt: Die Gründung des Hamburger Nationaltheaters hatte ihn 1767, aus Berlin kommend, umziehen lassen. Er bekam die Stelle als Dramaturg und Berater. Der Dichter und Theatertheoretiker Johann Friedrich Löwen, der seinen Freund Lessing für die Stelle vorschlug, hatte die „Hamburgische Entreprise“ schon frustriert Richtung Hannover verlassen. Auch Lessing sollte es nicht anders ergehen. Da im Winter der Spielbetrieb wegen fehlenden Heizmöglichkeit nicht stattfinden konnte, dachten die Hamburger Finanziers, könnte man auch gleich das Gehalt des Dramaturgs einbehalten. Als die Besucher nicht so zahlreich kamen wie angenommen, kürzte man Lessings Gehalt dann noch um die Hälfte. Das Urheberrecht gab es noch nicht, und so wurden Lessing-Stücke zwar aufgeführt – wenn sie nicht zensiert wurden wie die „Minna von Barnhelm“ – doch der Autor erhielt keinerlei Bezahlung. Im Gegenteil, das Hamburger Publikum boykottierte Lessings Theaterideen zeitweise und wollte lieber die sehgewohnten „Klamotten“, wie Lessing-Biograph Adolf Stahr schreibt, auf dem Programm sehen. Die „Klamotten“ wurden im „Comödienhaus“, das 1765 an der Stelle des sieben Jahre zuvor abgerissenen alten Opernhauses eröffnet wurde, gespielt und waren zwei Jahre sämtlich von französischen Autoren geschrieben, weil die Deutschen Theaterautoren in den Augen der Obrigkeit, ob in Berlin, München oder Hamburg nicht schreiben konnten. Aber selbst aus der Chance, das Französische integrativ für Hamburg zu nutzen, waren die Bürger der Stadt damals nicht in der Lage. Erst nach 1771 mit Friedrich Ludwig Schröder als neuem Direktor werden dann Shakespeare, Goethe und Schiller auch auf der Bühne erfolgreich.
Außerdem raubten Lessings Fehden mit dem Hallenser Philologen Christian Adolf Klotz, der Hamburger Schauspielerin Sophie Hensel (Ehefrau eines der Hamburger Finanziers des Theaters und Kaufmannes), dem Theaterkritiker Johann Jakob Dusch und mit dem Hauptpastor Johann Melchior Goeze ihm jeden Rest von Euphorie. 1770 verlässt Lessing Hamburg.


Auch ein zweiter wichtiger Vertreter der deutschen Literatur und des Journalismus kommt nur kurz nach Hamburg: Der Romantiker Heinrich Heine. 1816 zieht er nach Hamburg, wo er eine kaufmännische Ausbildung bei seinem Onkel Salomon Heine fortsetzt. Unter dem Pseudonym „Sy Freudhold Riesenharf” veröffentlicht Heine in Hamburg erste Gedichte – zunächst epigonale Reimereien im Stil des Minnegesangs, Vaterland und Heldentum gewidmet. Schließlich findet er durch seine leidenschaftliche, aber unerwiderte Liebe zu seiner Cousine Amalie einen eigenen Ausdruck. Es entstehen Gedichte, die zehn Jahre später im „Buch der Lieder“ zusammengefasst werden, darunter die Balladen „Belsazar“ und „Die Grenadiere“. Im „Hamburger Wächter“ schreibt er regelmäßig literarisch, feuilletonistisch und journalistisch.
Doch Hamburg steht auch für ihn nicht für die Kunst, sondern für das von ihm wenig geliebte Merkantile. Und überhaupt hat Heine keinen Bezug zur Hamburger Gesellschaft, er fühlt sich unwohl. Mit Unterstützung seines Onkels Salomon gründet er das Geschäft "Harry Heine et Comp. – kl. Bückerstr." Er spezialisiert sich auf englische Tuchwaren. Das Geschäft misslingt schon nach einem Jahr. Heine meldet Konkurs an und immatrikuliert sich an der Universität zu Bonn für ein Jurastudium. Er will danach zwar nach Hamburg zurückkehren, doch wegen der unerfüllten Liebe und den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten und nach den judenfeindlichen Ausschreitungen 1819 und 1830 zieht er über Göttingen nach Berlin.
Zeitlebens behält Heine jedoch in Hamburg sein verlegerisches Zentrum bei Julius Campe.

200 Jahre später: Viele Medien und unter anderem Deutschlandradio Kultur betitelt im November 2010 eine Sendung mit: „Nur weg aus Hamburg - Die Kulturpolitik, die Abwanderung von Künstlern und so mancher Schließungsplan“. Hamburg kann offensichtlich keine Künstler halten, weder namhafte noch jene, die Humusarbeit leisten. Die Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle macht für eine gewisse Zeit dicht – nicht wegen fehlender Heizmöglichkeiten, sondern vermeintlich wegen fehlender Brandschutzklappen, ein Museum sollte ganz verschwinden. Ein Museumsdirektor soll mit seinem Gehalt für Verluste gradestehen, die eine finanziell katastrophal ausgestattete Museumstiftung verursacht und von der Politik nicht entscheidend gesund aufgestellt wird. Ein Schauspielhaus spart sich vom intelligenten Delphin zum kampfwilligen Hai.

Nun wäre all das nicht wirklich tragisch, wenn man wüsste, dass Hamburg im 2. Jahrzehnt des neuen Jahrtausends fähig wäre, Liebe zu den Künsten und Künstlern, Achtung und Vertrauen zu entwickeln. Vertrauen nicht nur ins Geld und Rechnen zu haben und nicht nur verbal auf (be)rechenbare Eventkultur zu setzen, sondern wirklich Neues zu erschaffen. Kreatives künstlerisches Arbeiten sollte großzügig zugelassen und gefördert werden - so muss die zukünftige Devise heißen. Hamburg sollte als wachsende Stadt eine Symbiose von Kultur, Journalismus und neuen Medien stärker und nachdrücklicher aufbauen, um die verpassten Chancen der Vergangenheit nicht zu wiederholen.
Hamburg darf sich auch durchaus der positiven Tradition des offenen Tores im Wappen von Altona erinnern, denn kultivierte Großzügigkeit zahlt sich auch aus!

Dies steht auf meiner Wunschliste für 2011 ganz oben.

Ihr Claus Friede

Foto "Lessingdenkmal" am Hamburger Gänsemarkt: Claus Friedealt

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