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Sie war einst politisches und kulturelles Zentrum der mittelalterlichen Kaiser und Könige, wichtige Handelsstation im Herzen Europas, symbolische Wirkungsstätte des letzten preußischen Kaisers: Die Kaiserpfalz in Goslar.
Namen von längst verfallenden Herrschern tauchen aus dem Dunkel der Geschichte wieder auf. Namen aus der fast tausendjährigen Geschichte dieser Pfalz, die seit 1992 als elfte deutsche Welterbestätte zum UNESCO Weltkulturerbe gehört, gemeinsam mit der Altstadt Goslars, dem Bergwerk Rammelsberg und dem Oberharzer Wasserregal.


Diese mehr als tausendjährige Geschichte ist noch heute spürbar. Aber nicht nur der Geist des Mittelalters weht durch die Straßen und Gässchen Goslars, sondern auch die Moderne. Die Stadt mauserte sich zur Kulturstadt am Harz. Seit 1975 wird hier zusammen mit dem Mönchehaus Museum Goslar alljährlich der Kaiserring der Stadt Goslar an zeitgenössische Künstler verliehen. Zu den bisherigen Preisträgern gehören Bernd und Hilla Becher über Gerhard Richter und Andreas Gursky bis zu Cindy Sherman.

 

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Die erste Kaiserpfalz wurde in den Jahren 1005-1015 von Kaiser Heinrich II. aus dem Adelsgeschlecht der Ottonen erbaut. Die Bauherren verstarben, die Herrschergeschlechter wechselten, sodass erst Generationen später nach fast fünfzigjähriger Bauzeit das Gebäude etwa dem heutigen Aussehen entsprach. Gelegen am Fuße des Rammelsberg im Süden der Stadt Goslar umfasst das Areal etwa 340 mal 180 Meter. Das Kaiserhaus ist ein romanischer, zweigeschossiger Saalbau mit einer Länge von 54 Meter, einer Tiefe von 18 Meter und durch Rundbogenfenster gegliedert. Mit seinen zwei riesigen übereinander liegenden Sälen mit Holzpfeilern und flacher Balkendecke, ist er der größte Profanbau seiner Zeit. Zum Kaiserhaus gehörten die Kapellen „St. Ulrich“ – hier befindet sich unter einer Grabplatte aus dem 13. Jahrhundert das Herz Heinrichs III. – und „Liebfrauen“, die Stiftskirche „St. Simon und St. Judas“ sowie zahlreiche religiöse und profane Bauwerke, die heute nicht mehr erhalten sind.


Glanzvolle Reichstage wurden hier veranstaltet, der letzte 1219. Die Prominenz war groß, Könige und Kaiser gaben sich ein Stelldichein und besuchten die Pfalz am Fuße der Harzer Berge. Im Jahre 1253 war letztmalig ein deutscher Herrscher in der Kaiserpfalz anwesend. Danach begann die Anlage langsam zu verfallen.
Entsprechend dem mittelalterlichen Reisekönigtum war die Goslarer Pfalz über 200 Jahre die bedeutendste Kaiserpfalz im Deutschen Reich. Bedingt durch ihren Reichtum, wurde hier deutsche und europäische Geschichte geschrieben. Da die regierenden Herrscher über keine feste Hauptstadt und kein Regierungszentrum verfügten, besuchten sie und der Hof reihum die Pfalzen, um ihre persönliche Präsenz zu demonstrieren. Die Pfalzen waren gut gesicherte militärische Stützpunkte; sie waren wirtschaftlicher Mittelpunkt und Verwaltungszentrum des königlichen Besitzes, Veranstaltungsort für Hoftage, Kirchenfeste und spektakuläre Reichstage und Unterkunft für Herrscher und ihr Gefolge. Die Bezeichnung „Kaiserpfalz“ ist eine falsche Benennung des 19. Jahrhunderts, da der König erst nach einer Krönung durch den Papst den Titel des Kaisers des Römischen Reiches trug und die Pfalzen sowohl den Königen als auch den Kaisern offen standen.
Der Saal im Obergeschoß ist der größte jemals in Deutschland erbaute Kaisersaal. Insgesamt 23 glanzvolle Reichstage wurden hier abgehalten, der letzte im Juli 1219 von Kaiser Friedrich II. Mit dem Tod von Kaiser Barbarossa und dem Niedergang des staufischen Kaisertums verloren die Kaiserpfalz und damit das Pfalzensystem im 13. Jahrhundert an politischer Bedeutung. Die Nutzungsrechte gingen an die Stadt Goslar über und die Gebäude wurden Zweck entfremdet. Die Zeiten der alten Kaiserherrlichkeit waren vorbei. Nach einer fürchterlichen Feuersbrunst Ende des 12. Jahrhunderts, brannte die Anlage bis auf die Grundmauern nieder. Die restlichen Gebäude dienten als provisorische Gerichtsstätte und Gefängnis, als Versammlungsort der Bürger, als Lagerschuppen oder Getreidemagazin.


Über 500 Jahre verfiel die Kaiserpfalz, bis die Ruine in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts komplett restauriert wurde. Bedingt durch den gewonnenen Deutsch-Französischen Krieg und die Gründung des Neuen Kaiserreichs von 1871 sollte die Kaiserpfalz als Denkmal des neuen preußisch-deutschen Kaisertums wieder auferstehen. Quasi als Nationalheiligtum, das eine Brücke von der mittelalterliche Kaiserherrlichkeit zur Gegenwart schlagen sollte. In diesem Zusammenhang wurden zwischen 1876 und 1897 historische Malereien im oberen Kaisersaal angebracht, die vor allen Dingen den geschichtlichen Anspruch des neuen deutschen Kaiserreichs untermauern und die Erbfolge eines preußischen Monarchen als Nachfolger des mittelalterlichen Kaiserthrons legitimieren sollten. Wie sollte man dem Volk einen Preußen auf dem Kaiserthron erklären?
Mit Hilfe einer alten Sage: Die Sage vom alten Kaiser Barbarossa, der in einer Höhle im Kyffhäuser-Gebirge schlief und erst erwachte, wenn ein neuer Kaiser dem alten Reich zu neuem Glanz verhilft, wurde vom Preußischen Kulturministerium wiederbelebt und die Werbetrommel für Kaiser Wilhelm I. und das Neue Kaiserreich gerührt. In Barbarossa sahen Hermann Wislicenus und seine Zeitgenossen ein Symbol der alten Kaiserherrlichkeit. „Der Weißbart auf des Rotbarts Thron“, hieß es im Volksmund über den greisen, weißhaarigen Wilhelm I.


Historische Szenen aus der Zeit zwischen 1050 und 1253 stellten die wichtigsten Episoden aus der Glanzzeit des mittelalterlichen Kaisertums dar und sollten die Proklamation des Neuen Kaiserreiches von 1871 legitimieren. Auf Grundlage eines Wettbewerbs wählte das Ministerium den Düsseldorfer Akademieprofessor Hermann Wislicenus (1825-1899) als Sieger für einen Wandzyklus aus. Dieser, noch ganz der schwülstigen Historienmalerei eines Peter Cornelius und Julius Schnorr von Carolsfeld verpflichtet, schuf einen 52 teiligen Zyklus aus der alten Reichsgeschichte, angefangen bei Karl dem Großen über Friedrich II. bis Kaiser Wilhelm I., ergänzt mit der Barbarossa Sage und dem Dornröschen Märchen auf den Wandflächen oberhalb der Türen.


Die großen Hauptgemälde sind umrahmt von kleineren Bildern und Grisaillen, die sich thematisch auf das Leben und Wirken des jeweiligen Kaisers und die Geschichte der Pfalz beziehen. Im Zentrum des Bildprogramms steht auf der Westwand „Die Gründung des Kaiserreiches von 1871“, ein allegorisches Gemälde der Kaiserproklamation von Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles. Das monumentale Bild ist als Triptychon mit Rundbögen konzipiert, wobei die seitlichen Felder vom Mittelteil durch gemalte Säulen getrennt sind. Unter dem mittleren Bogen dieser Scheinarchitektur reiten Kaiser Wilhelm I. und der Kronprinz Friedrich Wilhelm - der spätere 99-Tage-Kaiser - hoch zu Pferde dem Betrachter entgegen. Über ihren Häuptern schweben die Schatten der Ahnen: Könige und Kaiser des Mittelalters und Königin Luise von Preußen, die Reichskrone in den Händen haltend. In der Mittelachse unter dem reitenden Kaiser steht das Wappen des deutschen Kaiserreichs, flankiert von den Personifikationen der Geschichte und des Rheins. Unterhalb der Reitergruppe stehen Molte, Roon und Bismarck als Repräsentanten des preußischen Generalstabs und weisen mit einem Hammerschlag auf die Gründung des neuen Reiches hin. Ihnen gegenüber deuten personifizierte Frauengestalten die Annexion von Elsass und Lothringen an.
Unter den Seitenbögen versammeln sich die Mitglieder des Hauses Hohenzollern, wie Kaiserin Augusta, der Kronprinzessin Viktoria und Prinz Wilhelm, dem späteren Kaiser Wilhelm II., und die regierenden Fürstenhäuser. Zu sehen ist die symbolische Übergabe der Krone durch den bayerischen König Ludwig II.
Der Leser kennt den Ausgang der Geschichte. Das Deutsche Kaiserreich von 1871 endete 1918 mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Preußens Glanz und Gloria sind vom Hauch der Geschichte verweht.


Wislicenus ist gewiss nicht der prominenteste Historienmaler des preußischen Reiches gewesen, aber er traf den Kunstgeschmack der kaiserlichen Majestäten und ihm ist - abgesehen von unserem heutigen Urteil - ein wichtiges Werk des 19. Jahrhunderts gelungen.


Der Saal im Erdgeschoss der Kaiserpfalz zeigt eine Ausstellung herausragender Kunstschätze aus der Historie der Pfalz, wie den bronzenen Kaiserthron oder eine einst den Giebel der Pfalz zierende Greifenfigur. Vor der Pfalz sieht der Besucher den staufischen Kaiser Barbarossa und den Preußen Kaiser Wilhelm I. vereint hoch zu Pferd reitend sowie zwei Kopien des Braunschweiger Löwen.


Doch zurück zur heutigen Realität. Nachdem im Rammelsberg das einst große Kupfer-, Blei- und Zinkerzlager erschöpft ist, wird Ende der 1980 Jahre der Bergwerksbetrieb eingestellt und das Gelände unter Denkmalschutz gestellt. Die einst glorreiche Kaiserpfalz wird nur noch touristisch genutzt. Aber, was nutzt die faszinierende Atmosphäre einer ehemals großen Geschichte? Die Idee, das mittelalterliche Goslar in die Moderne zu führen, hatte der Goslarer Unternehmer und Kunstliebhaber Peter Schenning. Er wollte eine Verbindung zwischen der reichen kulturellen Vergangenheit Goslars und der Gegenwart herstellen. Zu dem Zweck gründete er Mitte der 70er Jahre einen Verein zur Förderung moderner Kunst, mit dem Ziel einen internationalen Preis für herausragende Positionen in der zeitgenössischen Kunst zu vergeben.


1975 erhielt der englische Bildhauer Henry Moore als erster Künstler den Kaiserring. Dieser von dem Worpsweder Goldschmied Hadfried Rinke entworfene Ring, wird jedes Jahr als Unikat für den jeweiligen Preisträger angefertigt. Er ist ein in Gold gefasster, glasklarer Aquamarin, in dem das Siegel Heinrich IV. eingraviert ist. „Mit dem Kunstpreis Kaiserring ehrt die Stadt Goslar seit 1975 jedes Jahr einen international renommierten Gegenwartskünstler. Der undotierte Preis gehört inzwischen zu den hoch angesehenen Kunstpreisen weltweit und wird von Kennern als Nobelpreis der Bildenden Kunst bezeichnet. Die Liste der Preisträger liest sich wie ein Who is Who der zeitgenössischen Kunst. Im Jahr 1978 wurde das Mönchehaus Museum eröffnet, um den Kaiserringträgern ein repräsentatives Ausstellungsforum zu bieten“.


Träger des Kaiserringes 2018 der Stadt Goslar ist der in London und Berlin lebende Fotokünstler Wolfgang Tillman. "Die Analyse des Mediums der Fotografie, das Ausloten ihrer Grenzen, sowie das Austarieren zwischen Poesie und Ernüchterung machen Wolfgang Tillman zu einem der bedeutendsten Fotografen unserer Zeit", heißt es in der Begründung der Jury.


Jeder Besucher kann in der Stadt Goslar entsprechend seinen Interessen etwas Besonderes entdecken. Neben dem seit 1988 stillgelegten Erzbergwerk Rammelsberg, zeigt das Museum und Besucherbergwerk die Tradition des Bergbaus in Goslar und im Harz. 2010 wurde zudem die Oberharzer Wasserwirtschaft – ein weltweit einzigartiges Teich- und Grabensystem zur Energiegewinnung durch Wasserkraft in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Hinzu kommen die Museen und die Kaiserpfalz. Mit ihrer Ausstellung zur deutschen Geschichte des Wanderkaisertums ein „Muss“ für jeden Besucher. In themengeführten Zeitreisen kann er eintauchen in die Historie der Pfalz und das Umfeld der Ritter, Kaiser und Könige und der deutschen Vergangenheit


Die Kaiserpfalz zu Goslar

Weitere Informationen


Abbildungsnachweis:
Quelle: Marketing GmbH. Fotos: Stefan-Schiefer
Galerie:
01.
Historisches Foto von Hermann Wislicenus. Quelle: Wikipedia CC
02.
Ulrichskapelle in der Kaiserpfalz
03. Kaiserpfalz, Burggang
04. Wandbild kaiser Wilhelms I. zu Preussen

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