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Im Norden viel Neues: Bremen und Bremerhaven - www.sehnsuchtdeutschland.com

Tradition und Moderne liegen bei den Schwestern an der Weser „nahbei“. Ein Streifzug durch Hanse-Klassik und neue Zeit.


Es kräht von unten aus dem Boden des Bremer Marktplatzes. Dann ein Miauen, es folgt ein Bellen. Schließlich ein deutliches Iah! An der erstaunten Reaktion auf die ungewöhnliche Richtung, aus der die Tierlaute kommen, ist der Bremer vom Touristen unterscheidbar.

Das „Bremer Loch“ zwischen Bürgerschaftshaus mit Sitz des Landtags und dem prachtvollen Rathaus von 1410 mit der üppigen Renaissancefassade ist eine der vielen Überraschungen, die die Hansestadt bereithält. Nach Einwurf einer Geldmünze in eine Art Gully bieten die „Bremer Stadtmusikanten“ die akustische Untermalung zum belebten Altstadt-Szenario – mittenmang, wie der Einheimische sagt.

Das Denkmal der vier tierischen Helden, eine Bronzeplastik mit blank gegriffenen Eselsbeinen, befindet sich gleich um die Ecke des Rathauses, links neben dem Eingang zum Ratskeller. In seinen Katakomben beherbergt dieser, der mit rund 600 Jahren einer der ältesten Weinkeller Europas ist, mit Gastronomie und Laden die größte Sammlung deutscher Weine und das älteste weingefüllte Fass von 1653.

„Der Bremer Rat hat sich klugerweise in der Hansezeit das lukrative Handelsgut Wein von Rhein und Mosel als Monopol gesichert“, erklärt Ratskellermeister Karl-Josef Krötz, der Gralshüter der mit Raritäten gefüllten „Schatzkammer“. Dieses Genusskulturgut ist mit dem darüberliegenden Rathaus seit 2004 UNESCO-Weltkulturerbe.

„Die gute Stube“, wie die Bremer ihren Marktplatz auch nennen, zeugt an allen Ecken und Gebäuden von Bremens Historie als eine der bedeutendsten Hansestädte neben Hamburg, Lübeck und Danzig. Die Statue des Ritters Roland, ebenfalls UNESCO-Schatz, ist Symbol bürgerlichen Selbstbewusstseins. Mit Blick auf den Dom steht er seit 1404 als Repräsentant für das Marktrecht, für Freiheit und Unabhängigkeit gegenüber der Kirche.

Meist über die Sögestraße, eine der ältesten und Haupteinkaufsstraßen, durch die im Mittelalter die Schweine, „Söge“, zum Weiden vor die Stadttore getrieben wurden, schlendert man zum historischen Kern der Freien Hansestadt, nicht ohne im Café Knigge von 1889 „cafésiert“ zu haben, wie es hier heißt. Und der Pavillon des Bratwurstglöck’l auf dem Unser-Lieben-Frauen-Kirchhof ist für den Bremer eine Institution in Sachen Bratwurst. Eine leckere Gelegenheit, sich in Ruhe umzuschauen.

Wenige Schritte weiter liegt der Domshof mit dem ständigen Bauernmarkt vor dem mächtigen über 1.200 Jahre alten Sankt Petri Dom.

Die „Schlachte“-Promenade an der Weser entlang Richtung Hafen ist im Sommer Ausflugsziel mit Cafés, Biergärten und Kneipen. Hier liegt auch das neue Hotel „Überfluss“. Viel elegantes Schwarz und cooles Design.

Im Winter ist die Weserpromenade mit dem „Schlachtezauber“ ein langer Weihnachtsmarkt. Von hier legen die Schiffe am Martini Kai für eine Flussfahrt ab.

Im gegenüberliegenden Belugahaus, einer Reederei, befindet sich im obersten Stock das im Juni 2009 eröffnete Restaurant „Outerroads“. Durch die hohen Fenster hat man einen atemberaubenden Blick über die Weser, hinüber zum Dom und die Dächer der Stadt, bei einer Küche, die mit Küchenchef Sven Niederbremer lässig einen Stern anpeilt.



Nach der allmählichen Weserhafenversandung und der Werftenkrise begann ein schwerer Weg. Der einst umsatzstärkste Hafen der Welt wurde schlussendlich 1998 zugeschüttet und so manch Bremer Bürger musste eine Träne unterdrücken.

Das Überseehafengebiet oder eben die Überseestadt ist wie ein Phönix das beeindruckende Entwicklungsprojekt, das mit dem Speicher XI den Neuaufbau markiert. Im 400 Meter langen, über hundert Jahre alten Prunkstück der alten restaurierten Hafengebäude befinden sich heute die Kunsthochschule, das mit viel Liebe zum Detail eingerichtete Hafenmuseum, Ateliers und Gastronomie.

Im benachbarten Speicher I bietet das Restaurant „Hansen“ junge deutsche Küche. Bei „Bremer Grünkohl modern“ schaut man auf den neu gestalteten Europahafen, der im Sommer 2009 mit großer Einweihungsfeier dem Publikum bekannt gemacht wurde.

In Schuppen 2, ein paar Räume weiter neben dem „Werder Fan Shop“, zog vor kurzem die traditionsreiche bremische Silbermanufaktur „Koch+Bergfeld Corpus“ ein, die als offene Werkstatt besucht werden kann. Überraschend: die Goldene Kamera, der Champions League und DFB-Pokal stehen hier im Regal – wird alles hier hergestellt.

Gold- und Silberschmiedemeister Florian Blume lebt begeistert seinen Beruf. Der junge Geschäftsführer ist bewusst in das neue Trendviertel gezogen. „Wo Leben ist, ist auch Tradition.“

Das spannende Bremer Neuland kann vom Schlachte-Anleger „Hal över“ angeschippert werden oder ist ganz bequem mit der Straßenbahn 3 erreichbar.

Nicht auslassen sollte man ein weiteres Ziel, das Bremens moderne Zeiten darstellt: das Raumfahrtcenter EADS auf dem Flughafengelände. Unter großen Sicherheitsvorkehrungen, (Ausweis nicht vergessen!) geht es per Bus durch die Schleuse. Von der begeisterten Touristenführerin Hannelore Hohmann ist alles über den Ariane-5-Bau bis zum Leben im Weltraum zu erfahren. Was für ein Gefühl, einen spektakulären Live-Blick in die Raumstation ISS zu bekommen und den Astronauten beim Arbeiten im All zuzuschauen.

Mit 404 Quadratkilometern ist Bremen das kleinste Bundesland Deutschlands und wird üblicherweise zu den Stadtstaaten gerechnet, obwohl es aus Bremen und Bremerhaven besteht.

Wer sich für die faszinierende Entwicklung interessiert, die das Zwei-Städte-Land gerade macht, darf das 60 Kilometer entfernte Bremerhaven nicht auslassen.

Denn mit den neuen „Havenwelten“, einem umfassenden, authentisch-maritimen Großprojekt mit Museen, Restaurants und Hotels sowie einem Zoo, einer Marina und der Einkaufswelt „Mediterraneo“ hat sich die bedeutsame Forschungs- und Hafenstadt Bremerhaven von der vermeintlich grauen Maus an der Nordsee / Wesermündung zu einem außergewöhnlichen, anregenden Ausflugsziel am Deich gleichsam neu erfunden.

Die Aussichtsplattform des neuen Viersternehotels „Atlantic Sail City“, dessen Bau an ein geblähtes Segel erinnert, ist perfekt, um sich im frischen, allgegenwärtigen Nordseewind einen Überblick über die Stadt, die Überseehäfen, den Fischereihafen und die in unmittelbarer Nähe liegenden Bauten der „Havenwelten“ zu verschaffen.

Der UNESCO-prämierte Publikumsliebling „Klimahaus“ ist eines der auch architektonisch Aufsehen erregenden „Edutainment“-Konzepte.



Wissen wird hier erlebbar und unterhaltsam und dadurch nachhaltig vermittelt. Seit Eröffnung im Juni 2009 reist der Besucher auf dem achten Längengrad Ost, auf dem sich auch Bremerhaven befindet, durch die Klimazonen um die Welt. Manchmal kletternd, kriechend, staunend, von arktischer Kälte über die schwüle Hitze Samoas lässt sich mit allen Sinnen das aktuelle Thema Klimaschutz, Tiere und Pflanzen und die jeweils dort lebenden Menschen erfahren.

Der „Zoo am Meer“, aktiv im Schutz der bedrohten Humboldtpinguine und nach aufwendigem, durchdachtem Umbau neu eröffnet, besticht durch seinen Charme als kleine, feine Gesellschaft der am und im Meer beheimateten Tiere. Es gibt unter anderem ein Eisbärpaar mit Hoffnung auf Nachwuchs, aber auch Affen, als Reminiszenz an die Zeit, in der sie von Seeleuten als Souvenir mitgebracht wurden.

Ein Muss für alle „Sehleute“ ist das „Deutsche Schifffahrtsmuseum“, ein international anerkanntes Forschungsmuseum mit seinem Schatz, einer originalen und weltweit einzigartigen Hansekogge von 1380. Wie sehr unterscheidet sich doch ein Museumsbesuch zu früher.

Viele Ahs und Ohs sind zu hören beim Ausprobieren und Entdecken. Von einer echten Schiffsbrücke mit Radar lässt sich das rege Treiben auf der Wesermündung überwachen. Unwiderstehlich: ein Foto vor der imposanten, goldenen Gallionsfigur.

Eine absolute Attraktion ist das „Deutsche Auswandererhaus“. Mit ihm ist man bei der alten Hafen-Seele der Seestadt als wichtigstem Auswandererhafen Europas.

Kurz nach der Gründung Bremerhavens 1827 gab es schon regen Schiffsverkehr nach Amerika und die Ware Mensch wurde gegen Stückgut aus der Neuen Welt über den Ozean verschifft.

Am alten „Pier der Tränen“, dem historischen Standort des „Neuen Hafens“, wo mehr als sieben Millionen Menschen Europa verließen, wird mit großer multimedialer Ausdruckskraft und Detailgenauigkeit die Geschichte der Migration bis zu aktuellen Aspekten erzählt.

Es ist emotional packend, anhand beispielhafter tatsächlicher Biografien persönlich deren Schicksal bis zu den heute lebenden Nachfahren zu verfolgen. Das Auswandererhaus ist auch bei der eigenen Suche nach Verwandten behilflich.

Seit der Eröffnung 2005 wurden rund 1.100 Recherchen durchgeführt, täglich gehen Anfragen ein.

Es erhielt, wie unter anderem das Guggenheim-Museum in Bilbao, 2007 den „European Museum of the Year Award“.

Ein passender Ort, um über Aufbruch und Abschied, aber auch Ankunft und Willkommen, wie damals bei Elvis Presley im Jahr 1958 an der Columbuskaje, zu sinnieren, ist der „Treffpunkt Kaiserhafen am Bananenpier“ oder auch „Die letzte Kneipe vor New York“.

Das Lokal stammt, anders als es der Name vermuten lässt, aus den Achtzigern, ist aber so urig und originell, als stünde es seit ewig hier. Teile der Inneneinrichtung kommen aus alten Kreuzfahrtschiffen und machen Atmosphäre.

Bernd Wormland, Gründer und Besitzer bis 2003, ist als Schiffskoch gefahren, der heutige Inhaber Martin Benecke stammt in vierter Generation aus einer Seefahrerfamilie – beste Voraussetzung also.

Die Wirtschaft liegt im Freihafen und war bereits Part eines Fernsehfilms mit Dieter Pfaff. Wenn in der benachbarten Lloyd Werft große Schiffe umgebaut werden, mischen sich Landratten und Seeleute.

Dann ist bewegte Stimmung. Brunhilde Lüchau, „die Trude Herr des Nordens“, macht mit der lokaleigenen „Ocean Band“ Hausmusik. Und von Aufbruch ist dann lange keine Rede mehr.

(Anmerkung der Red.: Dieser Artikel erscheint im Zuge des Schriftenaustausches mit unserem Partnerportal Sehnsucht Deutschland)

Foto: Copyright www.stefanbock.de