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Literatur-Nobelpreis für Herta Müller - Sie hat ihn verdient.

Marcel Reich Ranicki will über Herta Müller nicht reden. Ein Armutszeugnis für den Großkritiker. Und ein weiterer Beleg dafür, dass der wortgewaltige Literaturkritiker aus Frankfurt mit experimenteller, avantgardistischer, nicht in der Erzähltradition Thomas Manns stehender Literatur ziemlich wenig anzufangen weiß. Schade für Reich Ranicki. Denn Herta Müller ist eine hochpoetische Prosa-Autorin, der es mit ihrer sehr eigenen Sprache gelingt, die Schrecken zu bannen, denen die Deutschsprachige im rumänischen Alltag des Ceausescu-Regimes ausgesetzt war. Eine Literatur, die letztlich auch geprägt ist von der selbst erlebten Verfolgung, Bespitzelung und Unterdrückung. Erst 1987 reiste Herta Müller aus und gab dem Erlebten fortan ihren ganz eigenen Ausdruck. Doch bei alldem betreibt Herta Müller keine Deutschtümelei, sie setzt sich ebenso konsequent mit der Tätergeneration ihrer Eltern auseinander, die sich vielfach auf die Seite Hitlers schlug. Von ihrer großen Kunst zeugt auch ihr neuester Roman "Atemschaukel". Das Nobelkomitee hat Herta Müller sehr zurecht den Literatur-Nobelpreis zugesprochen.

Quelle: Neue Westfälische


Eine Preisträgerin, die noch zu entdecken ist.

Man könnte meinen, es habe eine besondere Bewandtnis mit den Neunerjahren. 1929, zehn Jahre nach der Gründung der Weimarer Republik und am Beginn ihrer finalen Krise, erhielt Thomas Mann den Literatur-Nobelpreis. Wie kaum ein anderer galt er in der Welt als ein kultureller Repräsentant dieser von innen bedrohten ersten deutschen Demokratie. 1999, zehn Jahre nach dem Fall der Mauer und zum Ausklang des Jahrhunderts der Totalitarismen, ging die höchste literarische Auszeichnung an Günter Grass, der wie kaum ein anderer als Repräsentant der Bundesrepublik und ihres kulturellen Mainstreams galt und gilt. Und nun, noch einmal zehn Jahre später, pünktlich zum 20.Jahrestag des Mauerfalls, wieder ein "deutscher" Nobelpreis: Herta Müller war Außenseiterin unter denen, die als mögliche Kandidaten genannt wurden. Gerade hatte der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, Peter Englund, mit seiner Kritik am "Eurozentrismus" des Nobelpreiskomitees noch einmal die Erwartung beflügelt, es werde in diesem Jahr ein Nicht-Europäer ausgezeichnet, also etwa Philip Roth, der ewige Kandidat, oder Bob Dylan oder Joyce Carol Oates oder Amos Oz. Groß ist nun die Überraschung, in die sich auch Ratlosigkeit mischen mag, über die mögliche Botschaft dieser Preisvergabe an eine aus Rumänien stammende deutsche Autorin, die noch vor dem Sturz Ceausescus und dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs ihre Heimat Richtung Bundesrepublik verließ. Beim Rätseln, was das zu "bedeuten" habe, sollte man die Finger von jeglicher Zahlenmystik und die Neun als Schicksalszahl der Deutschen aus dem Spiel lassen. Den runden Jahrestagen und Jubiläen, die in diesem Neunerjahr 2009 in Deutschland begangen werden, wollten die Schweden sicherlich nicht noch einen Feieranlass hinzufügen oder gar den Ehrenschein für ein literarisches Werk auf das Land abstrahlen lassen, in dem es größtenteils entstand. Herta Müller geht das Repräsentative, das gewissermaßen Staatstragende ab. Sie ist keine deutsche Nationaldichterin, sondern eine, die, wie es in der Preisbegründung heißt, "Landschaften der Heimatlosigkeit" zeichnet. Die Heimatlosigkeit kommt aus der Erfahrung des Totalitarismus, der Allgegenwart von Angst, Misstrauen und Gewalt. Herta Müller verlor ihre Arbeit als Übersetzerin, weil sie sich weigerte, mit dem Geheimdienst Securitate zusammenzuarbeiten. Ihre Mutter hatte die Repression der Deutschen in Rumänien in den ersten Nachkriegsjahren erlitten und war in den Gulag deportiert worden. 1987 reiste Herta Müller aus. Die Erinnerung an die Ceausescu-Diktatur und die Schwierigkeit, im Westen heimisch zu werden, bilden den biografischen Rohstoff ihrer Literatur. Ihr Werk verarbeitet also historische Erfahrungen einer deutschen Minderheit in einer europäischen Region, die auch heute noch am Rande liegt. Doch ihr Anspruch ist universell. Genau das ist durch den Nobelpreis gewürdigt worden. Er stellt eine Dichterin ins Licht, die für viele noch zu entdecken ist.

Quelle: Berliner Morgenpost



Nobelpreis für Literatur an Herta Müller.

Herta Müller, so sperrig sich manche ihrer Bücher auch lesen, ist eine große Autorin, die die Ehrung aus Schweden zu recht erhält. Die Ehrlichkeit der Schilderungen ist es, die beeindruckt, die dem Leser die Gräuel und Leiden zeigt, an die viele Menschen nicht mehr denken wollen. An die wir alle aber denken sollten - gerade im 20. Jahr der Erinnerung an den Mauerfall. Die Diktatur der Arbeiter und Bauern hat Folgen bis heute - auch das wollen viele Menschen am liebsten vergessen oder in der Rücksicht verklären. Herta Müllers Bücher, die politische Literatur im besten Sinne sind, können dabei helfen, die Erinnerung in die richtige Richtung zu leiten. Das macht sie so wichtig. Und so unbequem.

Quelle: Ostsee-Zeitung


Man spricht deutsch.

Drei Treffer in den letzten zehn Jahren - da kann sich die deutschsprachige Literatur kaum über mangelnde Gunst der Nobelpreis-Juroren beschweren. Nach dem insgesamt unumstrittenen Günter Grass und der höchst kontrovers bewerteten Elfriede Jelinek dürfte Herta Müller in der Mitte liegen: gewiss keine längst überfällige Kandidatin, aber eben auch alles andere als eine schwedische Verlegenheitslösung.

Zweifellos vereint Müller sprachliche Kraft mit politischem Anspruch, den eine leidvolle Biografie beglaubigt. Und natürlich hat das eindringlich beschworene Trauma eines geknebelten Lebens globale Symbolkraft. Doch obwohl solche Schicksale auch in Afrika, Asien oder Amerika zwischen Buchdeckel gepresst werden, ist das noble Preisgericht wieder einmal in Europa fündig geworden. Nur drei nichteuropäische Sieger in den letzten 15 Jahren - der Rest der Welt sitzt offenbar am Stockholmer Katzentisch. Da sollte man sich vielleicht einmal anschauen, wie generös etwa der japanische Kyoto-Preis an große Geister anderer Erdteile verliehen wird.

Geradezu brüskierend wirkt mittlerweile die Missachtung der hochklassigen amerikanischen Literatur. Gerade einmal zwei Sieger (Isaac Bashevis Singer, Toni Morrison) gestand man den Vereinigten Staaten in den letzten 30 Jahren zu und ignorierte die Giganten der US-Literatur geradezu aufreizend. An John Updike kann man diese Ignoranz nicht mehr gut machen, und Philip Roth könnte wohl noch 30 imposante Alterswerke schreiben, ohne von der Schwedischen Akademie belohnt zu werden.

Letztere scheint ohnehin zwei Aversionen zu hegen: gegen besonders auflagenstarke Stars des Literaturbetriebs, und gegen langjährige Favoriten wie Amos Oz und Assia Djebar. Da kürt man im Zweifelsfall lieber biografisch schillernde, künstlerisch eher mediokre Außenseiter wie Vorjahressieger Le^Clezio. Herta Müller indessen sollte sich auch durch Reich-Ranickis pikiertes Schweigen nicht irritieren lassen: Sie ist eine würdige Siegerin.

Quelle: Kölnische Rundschau


Nobelpreis für Herta Müller - Eine würdige Wahl.

Berühmt ist Herta Müller seit der gestrigen Nobilitierung aus Stockholm, aber gerühmt wird sie schon seit langem, von Kennern: Kaum ein Jahr seit 1984, in dem sie nicht mit einem Literaturpreis ausgezeichnet wurde. So lässt der dritte Nobelpreis für deutschsprachige Autoren binnen zehn Jahren wieder an die Nation der Dichter und Denker glauben; er zeichnet aber auch das unsystematische System unserer Literaturförderung aus, das mit seiner Vielzahl an Preisen offenbar doch das fördert, was gut ist. Einmal mehr ging der Preis also nach Europa, einmal mehr blieben die Amerikaner außen vor. Ein Autor wie Philip Roth, seit Jahren als Kandidat für den Preis gehandelt, wird gut daran tun, die Entscheidung des Nobel-Komitees politisch zu verstehen. Herta Müller selbst ist schließlich eine eminent politische Autorin. Sie machte aus der Erfahrung mit der Ceausescu-Diktatur Terror und Sehnsucht nach Freiheit zum Lebensthema. Und setzt die Reihe solcher Preisträger wie Heinrich Böll und Günter Grass konsequent fort. Nur dass Herta Müllers Werke sprachlich noch kühner, noch virtuoser, noch poetischer ausfallen als die ihrer Vorgänger. Schon deshalb ist sie eine mehr als würdige Preisträgerin.

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung