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In der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde wird derzeit die nächste große Sonderausstellung „Mit der S-Bahn in den Westen“ vorbereitet, die am 27. August 2009 eröffnet werden wird. Seit 9 Monaten arbeiten die beiden Kuratorinnen Claudia Rücker und Andrea Szatmary an der Konzeption der Schau. Sie beschäftigt sich mit der historischen Bedeutung der Berliner S-Bahn im Kontext von Flucht, Ausreise und Besuchsreisen in der geteilten Stadt.

28 Jahre lang, von 1961 bis zum Mauerfall 1989, war die S-Bahn ein Symbol für das geteilte Berlin. Warum die West-Berliner sie nach dem Mauerbau boykottierten, wie Ostdeutsche sie für eine Flucht in den Westen nutzten und wann die erste S-Bahn wieder durch ganz Berlin fuhr, erzählt die Ausstellung anhand von zahlreichen Exponaten, vielen Zeitzeugenberichten sowie Bild- und Tondokumenten.

Die Kuratorinnen haben allein in neun Archiven recherchiert und über 25 Zeitzeugen interviewt. Für sie gehörten die Gespräche mit den Zeitzeugen zu den spannendsten Herausforderungen bei ihrer Recherchearbeit. „Durch die Zeitzeugen wird die Geschichte der S-Bahn in der geteilten Stadt lebendig. Einem von Ihnen verdanken wir auch eines der interessantesten Dokumente der Ausstellung: Den von Hand am Bahnhof Baumschulenweg abgeschriebenen S-Bahn-Fahrplan vom 13. August 1961, dem Tag des Mauerbaus. Er wurde von Bernd W. erstellt, der später eine Lehre bei der Deutschen Reichsbahn begann und 1990 als erster Triebfahrzeugführer eine S-Bahn auf der wiedervereinigten Stadtbahn vom Ostbahnhof nach Charlottenburg steuerte,“ erzählt die Kuratorin Andrea Szatmary.

Mit welchen Ängsten und welchem Erfindungsreichtum sich Flüchtlinge auf den Weg mit der S-Bahn in den Westen machten, zeigt die Fluchtgeschichte von Joachim N.: „Ich kam am 21.12.1961 mit einem Schweizer Pass über Friedrichstraße in den Westen. Ein Freund hatte ihn mir besorgt. Weil der echte Passbesitzer blond war, musste ich meine Haare bleichen, doch meine Versuche mit Wasserstoffsuperoxyd gelangen nicht. In letzter Not fuhr meine Mutter mit mir zu einer Freundin, die Friseuse war. Ich habe mich im Spiegel kaum wieder erkannt. Für den Fall einer Durchsuchung bekam ich auch ein paar Schweizer Münzen und eine Kinokarte aus Zürich. Eigene Dokumente oder Gepäck konnte ich nicht mitnehmen. Ich glaube, jedem war klar, dass alles vorbei ist, wenn man mich befragt, denn ich konnte keinen Schweizer Dialekt. Ich gab mich deshalb besonders mürrisch und antwortete den Grenzern nur mit Ja und Nein.“

Auch die kuriosen Beschäftigungsverhältnisse, die aufgrund des Mauerbaus entstanden, werden in der Ausstellung thematisiert. Die S-Bahn gehörte zur deutschen Reichsbahn und unterstand dem Verkehrsministerium der DDR. Bis zur Übergabe der Strecken an die BVG 1984 wurde sie auch im Westteil der Stadt von der DDR betrieben. Personal der deutschen Reichsbahn wohnte in Westberlin. Das Arbeitsrecht und die Betriebsverfassung entsprachen aber denen in der DDR.

„In dieser Ausstellung, die wir anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Mauerfalls ausrichten, können die Besucher noch einmal nachvollziehen, wie sehr die Teilung der Stadt das Alltagsleben der Berliner in Ost und West beeinflusste“, erläutert Bettina Effner, die Leiterin der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde.

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