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Genau besehen lebt jeder von uns doch in seinem Viertel, in seinem Stadtteil. Das ist in Los Angeles nicht anders als in Gelsenkirchen. Die Gelegenheiten, sich als Teil einer Region, einer Metropole zu empfinden, sind für die meisten Menschen nicht Alltag, sondern die Ausnahme.

So hat die Kulturhauptstadt Ruhr zwar nicht den Ganzjahres-Feiertag im Revier eingeführt, aber Glanzlichter gesetzt, mit Aktionen wie den Schachtzeichen und dem Day of Song. Die Kultur ließ einen Schimmer davon spüren, wie das sein könnte: eine starke, selbstbewusste Region zu sein, die gemeinsam mehr hinbekommt als jede einzelne Stadt für sich. Und die es nicht nötig hat, sich so lange zu einer "Metropolregion" hochzureden, bis sie es endlich selber glaubt. Wenn im Urlaub andere wissen wollen, wo wir herkommen, sagen wir ja schon länger nicht mehr "nördlich von Düsseldorf".

Einigkeit herrscht im Ruhrgebiet bislang vor allem dann, wenn es darum geht, an Geld aus Brüssel, Berlin oder Düsseldorf heranzukommen. Echte Einigkeit aber wird noch viel nötiger sein, wenn das Revier seine Zukunft selbst in die Hand nehmen will, um nicht länger Spielball multinationaler Konzerne zu sein, die Standorttreue nach Kassenlage betreiben.

Kultur kann bei alledem aber nur der Vorreiter sein. Ja, die viel beschworene Kreativwirtschaft ist ein Hoffnungsträger. Sie wird jedoch niemals die Massen von Arbeitsplätzen ersetzen können, die bei Kohle und Stahl verloren gingen. Kultur muss um ihrer selbst willen da sein und für die Menschen. Wer sie zur bloßen Wirtschaftsbranche macht, wird am Ende keine Kunst mehr bekommen, sondern Abziehbilder, Chi-Chi, Zeittotschlagsgetöse.

Auch der Ruhrkultur-Tourismus hat seine naturgegebenen Grenzen. Halden sind nunmal keine Alpen, und selbst vor dem Stauwehr schlägt die Ruhr keine Meereswellen. Allerdings gibt es hier mit vorbildlich sanierten, gepflegten, bespielten Industrie-Kathedralen ein europaweites Alleinstellungsmerkmal. Und wer sich das anguckt, will nicht nur entspannen, sondern - staunen und wissen.

So muss sich das Ruhrgebiet schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit mit geballter Kraft zu einer Bildungsregion entwickeln. Es muss den Nachwuchs darin schulen, sich mit Technologie, Natur und Zukunft auseinanderzusetzen. Wir können alles außer doof: Das muss das Ziel sein. Eine Expo 2020, bei der die ganze Welt im Revier zu Gast wäre, könnte ein fantastisches Symbol dafür werden. Aber nicht mehr als das. Denn Bildung findet, genau wie Kohleförderung und Kultur, immer vor Ort statt.

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung