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Im Rahmen einer Partnerschaft zwischen der Museums Association of Namibia (MAN) und der SPK waren seit Frühjahr 2019 mehrere Forscher aus Namibia zu Gast im Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin. Gemeinsam mit dem Wissenschaftlerteam des Museums untersuchten sie die rund 1400 Objekte der Namibia-Sammlung des Hauses im Hinblick auf ihre Geschichte, Bedeutung und ihre künstlerischen Potenziale.

In dem nun folgenden Projekt „Confronting Colonial Pasts, Envisioning Creative Futures“, das die Gerda Henkel Stiftung ermöglicht hat, werden 23 dieser Objekte nach Namibia reisen, darunter Schmuck, Prestigeobjekte und historisch wichtige Artefakte. Dort sollen sie in den kommenden drei Jahren weiter erforscht werden und zeitgenössischen Künstlern für die kreative Auseinandersetzung zur Verfügung stehen. Erstmals in Deutschland wurde ein solcher ergebnisoffener Prozess der Zusammenarbeit angestoßen, der maßgeblich von den namibischen Partnern bestimmt wird.

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, betont: „In unserer Arbeit möchten wir nachhaltige Beziehungen aufbauen, die von gegenseitigem Respekt und von Transparenz im Umgang miteinander geprägt sind. Das haben wir schon in einigen anderen größeren Projekten praktiziert, etwa mit Partnern in Tansania, Ruanda oder im Amazonasgebiet. Was dieses Projekt jedoch einzigartig und wegweisend macht, sind das Ausmaß und die Intensität, in der die Partner mit den Objekten arbeiten können, da wir nicht nur Gastwissenschaftler zur Arbeit in Berlin einladen, sondern durch die Reise der Objekte nach Namibia zudem zahlreiche Beteiligte vor Ort langfristig mit ihnen arbeiten können. Dass die Gerda Henkel Stiftung diese Zusammenarbeit so großzügig finanziert, ist für uns unglaublich wertvoll und beispielhaft.“
Golda Ha-Eiros, Vorstandsvorsitzende der Museums Association of Namibia, Kuratorin für Liberation Heritage am Ministry of Veterans Affairs und Gastwissenschaftlerin am Ethnologischen Museum, sieht großes Potenzial in der Reise der Objekte nach Namibia: „Aufgrund der Geschichte und des Wissens in namibischen Gemeinschaften können die Objekte in Namibia ihre vollen kulturellen, sozialen und historischen Bedeutungen entfalten.“

Michael Hanssler, Vorsitzender des Vorstands der Gerda Henkel Stiftung, ergänzt: „Ich hoffe, dass von diesem Pilotprojekt ein doppelter Impuls ausgehen kann: Zum einen in Richtung einer wirklichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit unseren namibischen Partnern in der Bewältigung unserer kolonialen Vergangenheit. Und zum zweiten in Richtung des Bundes und der Länder, sich verstärkt – und das heißt eben auch mit wesentlich mehr finanziellen Mitteln – für die dauerhafte Rückgabe von Objekten aus kolonialem Kontext an die Herkunftsgesellschaften einzusetzen. Leihgaben aus deutschen Museen an namibische Institutionen können dabei nur ein erster Schritt sein. Ziel muss letztlich bleiben, diejenigen Objekte, die geraubt oder unter zweifelhaften Umständen erworben worden sind, zeitnah und dauerhaft zu restituieren.“

Die Namibia-Sammlungen des Ethnologischen Museums
Die historischen Sammlungen aus Namibia im Ethnologischen Museum wurden größtenteils während der deutschen Kolonialzeit (1884-1919) erworben. Ihre Provenienzen werden seit Anfang 2018 erforscht, in den letzten Monaten gemeinsam mit den namibischen Gastwissenschaftlern. Die Sammlungen spiegeln koloniale, teils äußerst gewaltvolle Aneignungsprozesse wider. Darüber hinaus zeigen sie die Kreativität und den Einfallsreichtum der Menschen in Namibia. Sie sind damit eine wichtige Quelle für die historische Forschung und Inspirationsquelle für zeitgenössische Künstler und Designer. Aufgrund der deutschen Kolonialisierung Namibias befindet sich die überwiegende Mehrheit solcher Objekte in deutschen und nicht namibischen Institutionen und ist daher für die meisten Namibier nicht zugänglich. Mit dem von der Gerda Henkel Stiftung finanzierten Projekt wird, beginnend mit der Reise der Objekte nach Namibia, ein erster Schritt unternommen, um dieses Ungleichgewicht zu beheben. Der größte Teil der Fördermittel in Höhe von insgesamt rd. 400.000 Euro fließt in die Arbeit in Namibia.

Projekt „Confronting Colonial Pasts, Envisioning Creative Futures“

In den vergangenen Wochen wählten die namibischen Partner 23 Objekte der kolonialen Namibia-Sammlung im Ethnologischen Museum aus, die an das National Museum of Namibia geliehen werden. Dies geschah in enger Absprache mit Community-Vertretern in Namibia. Neben MAN sind auch das National Museum of Namibia und die University of Namibia Projektpartner in „Confronting Colonial Pasts, Envisioning Creative Futures“. In Deutschland und in Namibia wird die kooperative Forschung zu den Sammlungen fortgesetzt und der Öffentlichkeit und Stakeholdern zur Verfügung gestellt.

Im weiteren Projektverlauf in Namibia sind vier mehrtägige Workshops am National Museum of Namibia und in Kulturerbe-Gemeinschaften geplant, die das mit den Objekten verbundene Wissen und andere Formen des immateriellen Kulturerbes, wie zum Beispiel historische Techniken und Materialien, reaktivieren und dokumentieren sollen. Zusätzlich finanziert die Gerda Henkel Stiftung einen Restaurator sowie einen Museologen am National Museum of Namibia und unterstützt das Museum mit Capacity Building-Workshops und Materialien zur präventiven Konservierung der Sammlung. Darüber hinaus ermöglicht sie die Einrichtung zweier Stipendien an der University of Namibia, die es Postgraduierten erlauben, die Forschung aus dem Museum in die Kulturerbe-Gemeinschaften zu tragen.

Die Inspirationen, die die Objekte aus Berlin bieten, werden zudem in das von MAN geplante Museum of Namibian Fashion einfließen. In diesem Kontext sind weitere wesentliche Elemente des Projekts die Produktion von Kunstwerken, die sich mit den historischen Sammlungen auseinandersetzen, die Stelle eines Kurators zur Gestaltung der Eröffnungsausstellung des Museum of Namibian Fashion sowie das Museum selbst. Ziel ist der Aufbau von Kapazitäten zum Erhalt und zur Weiterentwicklung von Sammlungen in Namibia.

Hertha Bukassa, Kulturreferentin des namibischen Ministry of Education, Arts and Culture und Gastwissenschaftlerin am Ethnologischen Museum in Berlin: „Die Objekte zeigen, dass wir unsere Kulturen trotz der Bedrohung durch Kolonialisierung bewahrt haben.“

Nehoa Kautodonkwa, Museum Development Manager, Museums Association of Namibia, betont das Potential, das die Auseinandersetzung mit historischen Objekten bietet: „Ich glaube, dass Objekte eine Form von einzigartigen Archiven sind, die uns helfen können, alternative Erzählungen zu kreieren. Wir sind gespannt auf die Geschichten, die uns diese Objekte offenbaren werden.“

Für Jonathan Fine, Kurator der Sammlungen aus Westafrika und Namibia am Ethnologischen Museum, zeichnet sich das Projekt durch seinen kooperativen Prozess aus: „Die Zukunft der ethnologischen Museen liegt darin, Menschen zusammenzubringen, um schlummerndes Wissen zu reaktivieren und neue Wege zu schaffen, sich gegenseitig zu verstehen.“

Julia Binter, Provenienzforscherin am Ethnologischen Museum, ergänzt: „Dieses Projekt vereint zwei Perspektiven, den Blick zurück und den Blick nach vorne, die Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit und die Vision einer kreativen Zukunft.“
Larissa Förster, wissenschaftliche Beraterin des Projektes, betont den Austausch von Wissen und Kompetenz: „Die Geschichte namibischer Objekte in deutschen Museen ist lange nicht behandelt worden. In diesem Kooperationsprojekt wird die Deutungshoheit geteilt, wenn nicht sogar auf namibische Stakeholder verlagert.“

Museums Association of Namibia
Die Museums Association of Namibia (MAN) ist eine Nichtregierungsorganisation, die Museen und Kulturerbeeinrichtungen in ganz Namibia vertritt.  Sie erhält einen jährlichen Zuschuss der namibischen Regierung und wurde beauftragt, die Etablierung von Kulturerbe-Einrichtungen als Räume für das Selbsterstarken von Communities und ihre Bildung auf regionaler und lokaler Ebene zu erleichtern und diese Einrichtungen durch Beratung und Fachwissen zu unterstützen.

Quelle: Stiftung Preußischer Kulturbesitz

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