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Wenn morgen ein Schneesturm über das Land fegt, könnte dieser die Konturen des Eröffnungsprogramms verwischen, mit dem sich das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europas vorstellen möchte. Verwischte Konturen: Das ist im übertragenen Sinne ein zentrales Thema dieses Ballungsraums. Kann eine Kulturhauptstadt funktionieren, die aus 53 miteinander konkurrierenden Städten und Gemeinden besteht?

Die von den Bezirksregierungen Arnsberg, Münster und Düsseldorf ferngelenkt wird? Die ihren Pulsschlag aus Stahl in den vergangenen Jahrzehnten verloren hat und seitdem in einem nicht enden wollenden Prozess der Umstrukturierung nach ihrer neuen Identität sucht? Es ist nicht einfach, das Wesen des Reviers zu erfassen, und so wirkt die Tatsache noch immer überraschend, dass nicht Berlin über die dichteste Kulturlandschaft Deutschlands verfügt, sondern dieser diffuse Großraum, von dem manche Bayern behaupten, er beginne in Trier und ende irgendwo in Norddeutschland. Aber gerade weil es unmöglich erscheint, das Ruhrgebiet in kurze Definitionen zu pressen, ist es so lohnend, sich mit Neugier auf die europäische Kulturhauptstadt Ruhr einzulassen. Im Laufe des Jahres werden deren Veranstalter verblüffende Entdeckungsreisen anbieten, nicht nur durch die renommierten Schauspielhäuser, Opern und Museen der Region, sondern auch durch viele faszinierende Kapitel europäischer Geschichte.

An keinem anderen Ort des Kontinents trafen in den vergangenen 150 Jahren mehr Immigranten aus europäischen Ländern aufeinander; an keinem anderen Ort kondensierte sich das industrielle Zeitalter stärker als im urbanen Koloss zwischen Duisburg und Dortmund. Und kein anderer Ort entwickelt sich im 21. Jahrhundert so sehr zum städtischen Experimentierfeld wie das Ruhrgebiet, das früher und drastischer als andere Ballungsräume mit den Folgen des demografischen Wandels konfrontiert wird. Das Kulturhauptstadt-Projekt ist die einmalige Chance, die nach London und Paris drittgrößte Metropolregion Europas als vielschichtigen urbanen Kosmos zu erfassen - am Ende des Jahres werden mehr Europäer eine Vorstellung von seinen Konturen haben.

Quelle: Westdeutsche Zeitung