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Musik

Romeo Castellucci ist ein Grenzgänger. Er kommt von der bildenden Kunst und steht mittlerweile für ein neues, bildgewaltiges Gegenwartstheater, wie man in Europa wohl seit dem Orgien Mysterien Theater von Herman Nitsch nicht mehr gesehen hat. Doch anders als der österreichische Berserker, der mit Unmengen von Gedärmen, zermatschten Tomaten und Trauben, rohem Fleisch und literweise Tierblut kultische Kraftakte veranstaltete, gilt der italienische Regisseur als philosophischer Schöngeist, der den Stein des Anstoßes (Griechisch: Skandalon) auch ohne großes Getöse ins Rollen bringt. Radikal? Ja! Aber man darf bei aller Schonungslosigkeit sicher sein, dass die Kardinalfragen von Ethik und Religion auf subtile und ästhetische Art und Weise verhandelt werden.

Das gilt sogar, wenn Fäkalien im Spiel sind. Bei einem von (Kirchen)Protesten begleiteten Projekt 2013 präsentierte Castelluccis Theatercompagnie „Societas Raffaello Sanzio“ (benannt nach dem Renaissancemaler Raffael) im schick designten weißen Wohnzimmer die entwürdigende Seite des Alters: Vor den Augen eines überdimensionalen Christus-Bildes pflegte ein erwachsener Sohn seinen dementen, inkontinenten Vater, der beständig in die Windel machte und selbst den Stuhlgang nicht halten konnte. Ein Stück, so stark an der Schmerzgrenze wie Glucks „Orfeo“, das der international umworbene Regisseur 2014 für die Wiener Festwochen inszenierte: Orpheus‘ Geliebte Eurydike, gefangen in der Unterwelt, wurde hier von einer jungen Wachkoma-Patientin verkörpert, die per Live-Video aus dem Krankenhaus zugeschaltet war. Abstrakter, aber nicht weniger beklemmend war die Maschinen-Choreographie zu Stravinskys „Sacre du Printemps“ (Ruhrtriennale 2014): Sechs Tonnen (Rinder-)Knochenasche rieselte damals aus 40 beweglichen Behältern von der Decke auf die leere Bühne – im Rhythmus zur mitreißenden Opfer-Musik.

Man darf also gespannt sein, was für eine Performance sich Castellucci für das Leiden und Sterben Jesu ausgedacht hat. Ursprünglich, so verrät Johannes Blum, Dramaturg der mit den Deichtorhallen kooperierenden Staatsoper Hamburg, wollte er Passionsbilder der italienischen Renaissance von Schauspielern nachstellen lassen. Diese Idee erwies sich jedoch ohne Ober- und Unterbühne als nicht realisierbar.

Nun sollen Objekte, die nacheinander in die Halle gefahren werden, den Zuschauern die Leidensgeschichte des Heilands nahebringen. Allegorisch und assoziativ. Was für Objekte, wird nicht verraten, es können auch technische sein. Der Chor im Hintergrund (musikalische Leitung Kent Nagano) bleibt davon unberührt. Die Zuschauer hingegen sollen durch „stationäre Irritationen“ „einen neuen Begriff davon bekommen, was ‚Leid‘ bedeutet“.
Sie werden es zweifellos erfahren.
Romeo Castellucci: Johann Sebastian Bach – La Passione
21.,23. und 24. April, jeweils 20 Uhr
Deichtorhallen Hamburg / Staatsoper Hamburg

Die Premiere von „La Passione“ wird gleichzeitig die Eröffnung des 2. Internationalen Musikfests Hamburg sein. Eine Produktion der Staatsoper Hamburg in Zusammenarbeit mit den Deichtorhallen Hamburg im Rahmen des Internationalen Musikfests Hamburg 2016.

Musikalische Leitung: Kent Nagano
Konzept, Inszenierung, Bühne, Kostüme und Licht: Romeo Castellucci
Künstlerische Mitarbeit: Silvia Costa
Mitarbeit Bühnenbild: Maroussia Vaes
Dramaturgie: Piersandra di Matteo
Chor: Martin Steidler

Evangelist: Ian Bostridge
Sopran 1: Hayoung Lee
Sopran 2: Christina Gansch
Alt: Dorottya Láng
Tenor: Bernard Richter
Jesus/Bass: Philippe Sly

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor: Audi Jugendchorakademie

Johann Sebastian Bach Matthäus-Passion

Eine Produktion im Rahmen des Internationalen Musikfests Hamburg. In Zusammenarbeit mit Elbphilharmonie Konzerte und den Deichtorhallen Hamburg.

Lesen Sie ein Gespräch mit Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow und Georges Delon, Intendant der Staatsoper Hamburg, über LA PASSIONE im Blog der Staatsoper.

Preise: 132 / 109 / 87 / 48 / 20 Euro
Kartentelefon: (040) 3568 68
www.staatsoper-hamburg.de
www.deichtorhallen.de


Abbildungsnachweis:
Header: links Kent Nagano, rechts Romeo Castelucci. Fotos: © Dominik Oldenkirchen. Courtesy Hamburgische Staatsoper

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