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Die Begründung der Ravensburger Jury erklärt Erfolg und Preisverleihung folgendermaßen: „Der Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ ist die Geschichte dreier behütet aufwachsenden Geschwister, die durch Unfalltod der Eltern entwurzelt werden und fortan mehr oder weniger getrennt im Internat leben müssen. Berührend erzählt, sprachlich großartig, schildert Benedict Wells, wie die Traumatisierung nach und nach in Lebensbewältigung übergeht und in einen starken Zusammenhalt und ein gemeinsames Lebensmodell der Geschwister mit ihren Kindern mündet. Ein kluges Werk über Verlust und Bewahren, über langsame Selbstfindung, über die Macht des Vergangenen, ungeachtet seiner Traurigkeit tröstlich, zuweilen sogar komisch. Ein Roman, den man nicht so schnell vergisst.“

Benedict Wells Foto Marion Hinz LuebeckDer Ruhm des jungen Autors scheint sich schnell herumgesprochen zu haben, gemessen am Andrang zur Lesung aus „Vom Ende der Einsamkeit“ in Lübeck im Rahmen der LiteraTourNord. Kurz vor Beginn war kein einziger freier Platz mehr im Saal zu finden. Beifall brandete auf, sowie Buchhändlerin Martina Dusollier und Autor Benedict Wells den Raum betraten. Wie Benedict Wells zum Schriftsteller wurde, welche Werke und Leseerlebnisse ihn beeinflusst und geprägt haben in seinem Werdegang, erfuhren die Zuhörer aus dem intensiven Gespräch, das sich rasch zwischen Autor und Buchhändlerin entwickelte.

Sieben Jahre hat Wells an dem Buch gearbeitet, das ursprünglich 800 Seiten umfasste und aus der Ich-Perspektive von Jules geschrieben ist. Während der Entstehung des Romans habe er nicht ausschließlich an diesem Werk gearbeitet, sondern auch andere Projekte bearbeitet, verriet Benedict Wells den Zuhörern. Er liebe es geradezu, nicht immer nur an einem Buch zurzeit zu arbeiten. Schreiben - und das zugleich an mehreren Werken - diese tägliche Arbeit sei sowohl mit Lust und Phantasie als auch mit Quälerei verbunden, gestand Benedict Wells. Dabei schreibt er einfach drauflos, lässt seinem Spieltrieb freien Lauf. „Das Buch muss fließen.“ Die Erwartungshaltung anderer interessiert ihn nicht. „Es gibt nur eine Enttäuschung und das bin ich“, dies sei für ihn der Maßstab, so der Autor.
Autor und Lektorin haben das Buch letztendlich stark eingekürzt. „Meine Lektoren haben im Laufe der Zeit gemerkt, sie können viel mehr draufhauen“, lacht Benedict, gesteht aber, das Kürzen eines Werks sei für ihn immer wieder aufs Neue ein schmerzhafter Prozess. Dennoch sei es ihm lieber, später ganze Szenen aus einem Roman herauszuschneiden, als sich beim Schreibprozess einzuschränken. Im aktuellen Roman schnitt er zum Beispiel am Ende, nachdem er 800 Seiten geschrieben hatte, die Vergangenheit des Vaters komplett heraus. Er habe beim Schreiben plötzlich messerscharf bemerkt, der Fokus war inzwischen umgeschwenkt, richtete sich nun statt auf Jules auf dessen Vater. „Es geht aber um den Sohn, der seine Eltern verlor“.

Das Buch ist in zehn Handlungskapitel gegliedert. Thematisch geht es ums Erinnern und Vergessen, um Selbstfindung und Verlust, Liebe und Tod, Glück und Unglück, Einsamkeit und Geborgenheit. Kurz gesagt: es geht um den Facettenreichtum des Lebens, es geht um die große Liebe. Das Werk ist auch ein Familienroman. „Eine schwierige Kindheit ist wie ein unsichtbarer Feind. Man weiß nie, wann er zuschlagen wird“, heißt es an einer Stelle. Eine schwierige Kindheit wartet auf die drei Geschwister Jules, Liz und Martin. Zunächst wachsen die Kinder wohlbehütet auf. Umso schwerer wiegt der Verlust der Eltern, die bei einem Unfall ums Leben kommen. Nach diesem Schicksalsschlag leben die Geschwister zwar gemeinsam im Internat, doch sie gehen getrennte Wege. Sie werden einander fremd, verlieren sich aus den Augen, finden sich wieder. Und dann ist da noch Alva, Jules große Liebe. Auch sie kommt und geht. „Die einzige, die Jules zeitweise aus seiner Einsamkeit befreien kann, ist Jules Jugendliebe Alva“, erklärt Martina Dusollier. Doch auch das ist leider nicht von Dauer.

„Das Gegengewicht zu Einsamkeit ist Geborgenheit. Doch Menschen, die Verletzungen mit sich herumtragen, fällt es schwer, Nähe zuzulassen“, sagt der Autor. Genau das erlebt Jules, nachdem seine Eltern tödlich verunglückt sind. „Man verändert sich nach solchen Dingen“, ist Benedict Wells` Überzeugung. Doch was ist es, das immer gleichbleibt? Was ist das Unveränderliche? Wie kann man etwas, das man verloren hat, wiedergewinnen? Wie Benedict Wells schreibend nach Antworten auf diese Fragen sucht, wie er Probleme beschreibt, von Grenzerfahrungen spricht, eine Lebens- und Liebesgeschichte ausschreibt, „das geschieht in einer klassischen, geraden Sprache“, so Buchhändlerin Dusollier. „Man gerät als Leser in einen Sog. Das Buch ist sehr berührend“, gesteht sie.

So berührend wie der Roman „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ von Carson McCullers, dessen Titel in Wells aktuellem Buch mehrfach genannt wird. So berührend wie der Roman „Das Hotel New Hampshire“ von John Irving. „Ein Autor, der seinen Helden nichts erspart“, erklärt Benedict Wells dem Publikum. Das fasziniere ihn, sei einer der Gründe, warum er die Bücher von Irving gerne liest. Auch F. Scott Fitzgerald, Vladimir Nabokov, Jack Kerouac und Ernest Hemingway gehören seit langem zu seinen Lieblingsautoren. Schon mit 15 Jahren las Benedict vor allem englischsprachige Literatur, erst viel später kamen deutsche Autoren wie Thomas Mann hinzu. Ob dicke oder dünne Bücher, das ist Leser Wells egal. „Bücher müssen einfach gut lesbar sein, Inhalt und Form müssen eine Einheit bilden.“
Dieser Anspruch gilt auch für das eigene Schreiben, das gleich nach dem Abitur begann. Damals zog Benedict Wells von München nach Berlin. Er entschied sich gegen ein Studium und für das Schreiben. „Seinen Lebensunterhalt verdiente er hauptsächlich als Kellner“, verriet Buchhändlerin Dusollier dem Publikum. Tagsüber jobbte Benedict, nachts schrieb er unermüdlich. Er glaubte an sich. Er hatte Recht und hatte Glück: Nur alle drei Jahre verlegt der Diogenes Verlag einen unbekannten Autor. Benedict Wells gehört zu den Glücklichen, für die sich der Verlag entschied. Auch der Verlag hatte Recht: er hatte auf das richtige Pferd gesetzt.

Schon für sein Debüt „Becks letzter Sommer“, das 2015 verfilmt wurde, erhielt der Newcomer 2009 den Bayerischen Kunstförderpreis. Zahlreiche Preise folgten. Benedict Wells nächstes Buch soll ein Jugendbuch werden, erzählte er seinem Auditorium in der Lübecker Buchhandlung Hugendubel. Wir dürfen gespannt sein. Müssen wir wieder sieben Jahre warten bis zum Erscheinen des Buches? „Nein“, sagt der Autor und schmunzelt, „diesmal brauche ich nur vier Jahre.“ Wenn das kommende Buch auch so gut lesbar ist wie „Vom Ende der Einsamkeit“, dann soll uns das recht sein. Darauf warten wir gerne.

Benedict Wells, Vom Ende der Einsamkeit
Diogenes Verlag, Zürich 2016
Gebunden, 368 Seiten

ISBN 9783257069587
Weitere Informationen zur Literatur Nord

Benedict Wells wurde 1984 in München geboren. Im Alter von sechs Jahren begann seine Reise durch drei bayerische Internate. Nach dem Abitur 2003 zog er nach Berlin, wo er heute noch lebt. Er entschied sich gegen ein Studium und widmete sich dem Schreiben. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit diversen Nebenjobs. Sein vielbeachtetes Debüt ›Becks letzter Sommer‹ erschien 2008, wurde mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet und 2015 fürs Kino verfilmt. Wie bereits sein dritter Roman ›Fast genial‹ steht auch sein soeben erschienener Roman ›Vom Ende der Einsamkeit‹ auf den Bestsellerlisten. Wells wurde dafür 2016 mit dem ›Literaturpreis der Europäischen Union‹ Deutschland ausgezeichnet. Das Buch ist auch als Hörbuch mit der Stimme von Robert Stadlober zu haben. (Quelle: Diogenes Verlag)


Abbildungsnachweis:
Fotos: Marion Hinz

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