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Diana Nashers sehr persönliche Familiengeschichte ist eingebettet in die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten zweier Länder:Â Deutschland und Afghanistan. Ihre Geschichte und Geschichten sind persönlich und allgemeingültig zugleich. Das Buch baut auf keiner kanonischen Geschichtsschreibung auf, sondern zeigt, dass selbst getroffene Handlungen, Wirkungen und Reaktionen voneinander anhängen und Lebenswege bestimmen.
Auch wenn der Leser so manches Mal kopfschüttelnd über die Naivität der Protagonisten staunt, amüsiert lachen muss und sich im nächsten Moment respektvoll vor der Willensstärke der Frauen innerlich verneigt, so ist das Buch durchaus ein Beweis dafür, was sich innerhalb nur weniger Generationen selbstbewusst verändern kann und wie die politischen und privaten Umstände wirken. Es sind zudem starke Mächte am Werk: Liebe, Politik und Religion.

Hin und her gerissen zwischen zwei vollkommen unterschiedlichen Kulturen, sind die abendländische und sprachliche Prägung und das kulturelle Gedächtnis der Großmutter Elisabeth Wolff die Felsen in ihrer Lebensbrandung. Sie ist und bleibt ihrer Heimat Deutschland zeitlebens fest verbunden und ist dennoch getrieben von der Neugierde zum anderen, zum Orient. Je weiter es in den Generationen voran geht, um mehr verwischen sich die Konturen und eine etwas eigentümlich, manchmal auch kuriose vermischte Prägung ergibt sich. Die kleine Geschichte über das Weihnachtsfest steht dafür und ist im Buch amüsant beschrieben.

Auf meine Frage, anlässlich einer Lesung, ob Diana Nasher etwas aus Ihrer afghanischen Heimat hier in Deutschland vermissen würde antwortet sie: „Die Gastfreundschaft“. Die sei in paschtunischen Familien Ehrenkodex. Und dieser geht weit. Jeder der in einem Hause zu Gast sei, würde quasi ohne Hinterfragen aufgenommen. Das gilt für jeden. Zwischen den Zeilen sagt sie damit, dass in Afghanistan keine Gäste je verraten oder ausgeliefert würden, schon gar nicht an fremde Heere im eigenen Land, egal ob es der freundliche Fremde, ein Taliban, Al-Qaida oder Osama Bin-Laden sei.
Und an dieser Stelle merkt man, dass ihr Buch keineswegs unpolitisch ist, auch wenn dies nicht – und schon gar nicht aus rein heutiger und westlicher Sicht – ihre Absicht war. Aber im Kleinen kann man eben auch das Große erkennen.
Die Familienchronik erwischt uns Leser immer wieder als Uninformierte, Unwissende und gleichzeitig als Lernende. Und dies ist einer der Antriebsmotoren, das Buch, wenn man angefangen hat zu lesen, nicht mehr zur Seite legen zu können.

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Alles fing Mitte der 1920er Jahren an, ein junges deutsches Mädchen, Elisabeth Wolff aus Worms verliebt sich beim Tennisspielen in einen afghanischen Chemiestudenten, Mohammed Omar, der in ihrer Heimatstadt ein Praktikum tätigt. Obwohl sie sich nicht wirklich gut kennen, entsteht nach der Abreise von Omar eine dauerhafte Briefliebesfreundschaft. Man verspricht sich viel. Aber aus den verschiedensten Gründen dauert es lange, Jahre, bis sie sich wiedersehen. Elisabeth muss sich gegen heftige Widerstände ihres Vaters und der getrennt lebenden Mutter wehren und sie bleibt ein Sturkopf, mit festem Willen. Ihre etwas romantische Vorstellung vom Orient hilft ihr dabei: Franz Lehárs „Land des Lächelns“ oder das Singspiel „Die gelbe Jacke“ prägen das Bild vom Osten.
Nach sieben Jahren Wartens und viel auf und ab ihrer Gefühle, Gedanken und Ideen ist es dann endlich soweit. Den Steinway-Flügel verkauft, um die Schiffspassage nach Bombay zu finanzieren und los geht es von Worms über Genua, zunächst nach Port-Said am Suezkanal. Und genau dort findet sie ihre Vorstellung vom Orient dann auch bestätigt. Buntes Treiben auf dem großen Basar, Gedränge und Geschiebe. Exotische Früchte, farbenfrohe Stoffe und Kunsthandwerk werden in den kleinen Basarläden feilgeboten.
Im Juli 1932 dann die Ankunft in Bombay. Omar holt sie am Pier ab, sie verbringen ein paar Wochen in der indischen Metropole mit Vorbereitungen und dann ist es endlich soweit: Hochzeit!

Was sich dann allerdings auf der Fahrt in Omars Heimatland Afghanistan ereignet, prägt die gesamte Zukunft der jungen Frau. Omar verlangt die Verschleierung und Unterwerfung. Der Kulturschock im fremden Land, mit einer fremden Religion, Sitten Gebräuchen und Gesetzen ist immens. Aber dieser war für Elisabeth, die über einen starken Willen und über eine unglaubliche Widerstandskraft verfügt, eine echte Herausforderung. Ihr Leben in Afghanistan war alles andere als einfach, aber sie arrangierte sich. Selbst dann noch als nach ein paar Jahren und einer kleinen Tochter Omar ins Gefängnis gesperrt wird und viele Jahre dort verbringen muss.
Ganz allein kann sie das Leben dort in Kabul nicht meistern und sie entschließt sich vorübergehend nach Deutschland zurückzukehren, bis sich die familiäre Situation wieder normalisieren kann. Kurz vor Ausbruch des Weltkrieg-Infernos erreicht sie Berlin und überlebt dort. Über den Iran, wo Mutter und Tochter Mariam zunächst in Teheran leben, kehren sie 1948 eher unfreiwillig nach Afghanistan zurück.
Omar ist durch seine lange Haft nicht wiederzuerkennen, wird gewalttätig und aggressiv und hat seine 14-jährige Tochter zur Heirat gegen Geld einem unbekannten Mann versprochen. Es gibt nur eine Möglichkeit sich von Omar zu lösen, die Scheidung und die schnelle Verheiratung Mariams an einen Mann ihrer Wahl. Als 15-jähriges Mädchen heiratet sie als zweite Ehefrau in eine reiche und einflussreiche Familie in Kunduz. Das Leben im paschtunischen Klan ist zwar zunächst gewöhnungsbedürftig, aber Mariam ist jung genug, um sich zu arrangieren. Früh wird Mariam Mutter und ihre älteste Tochter Diana wächst mit vielen Geschwistern und Halbgeschwistern auf. Das Leben in den 50er und 60er Jahren ist angenehm, die Familie gibt den notwendigen Halt und Mariam versucht Ihren Kindern die afghanische Tradition und die westliche Kultur zu vermitteln. Hohe und berühmte Besucher gehen in Kundus ein und aus: Prinz Philip Mountbatten von England etwa oder das japanische Thronfolgerpaar Akihito und Michiko. Auch der ägyptische Schauspieler Omar Sharif kommt die Familie besuchen.

Als sich Diana für ein Medizinstudium entscheidet, sorgt ihr Vater dafür, dass sie in Prag studieren kann. Doch dort überrollen, in den 1970er-Jahren, die politischen Ereignisse und Unruhen in Afghanistan sie und ihre Familie.
Nach dem Einmarsch der sowjetischen Armee 1979 fliehen die letzten Familienangehörigen nach Europa und den USA, wo sie bis heute leben.

Diana Nasher: Töchterland

Die Geschichte meiner deutsch-afghanischen Familie
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 304 Seiten, 13,5 x 21,5 cm mit 32 S. Bildteil
ISBN: 978-3-453-18562-3
Heyne Verlag
Leseprobe


Abbildungsnachweis: Sämtliche Abbildungen stammen aus dem Privatarchiv der Familie Nasher. Wir danken der Familie und dem Heyne Verlag für das zur Verfügung stellen.
Header: Detaiul aus Buchcover.
Galerie:
01. Töchterland, Buchcover, Heyne Verlag
02. Elisabeth Wolff, um 1920
03. Mariam Nasher, um 1940
04. Diana Nasher, um 1960
05. Der junge Mohammed Omar
06. Ghulam Sawar Nasher und seine Frau Mariam in Kunduz
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