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Film

Monika Treuts vierter Film, der sich mit Taiwan beschäftigt, ist ein ganz besonders gelungener, denn Sie gibt nicht nur einen Einblick in die teilweise außergewöhnlichen Küchen und Speisenzubereitungen, sie ergänzt diese Aspekte auch mit Szenen der Produktionsketten, des Anbaus, der regionalen Kulturen und der teilweise hausgemachten Umweltprobleme. Wir merken schnell, die Probleme sind global, die Esskultur nicht! Monika Treut vermeidet es, so zu tun, als ob Sie wissende Kennerin der kulinarischen Szenen wäre. Vielmehr ist sie auf Entdeckungstour und nimmt uns mit. Wir partizipieren an ihrer Reise, sind auf Augenhöhe mit ihr und der Kamera. Monika Treut ist im Film an verschiedenen Stellen selbst zu sehen, sie wirkt aber zurückhaltend, kommentiert nicht als Akteurin, sondern hat eher eine Art Brückenfunktion inne, die das ahnungslose, aber neugierige Westliche verkörpert.

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Kultur-Port.De-Chefredakteur Claus Friede traf sich mit Monika Treut in einem asiatischen Restaurant zum Essen.

Claus Friede (CF): Wer einmal auf Taiwan war, weiß, dass Essen ein ganz großes Thema ist. Einen Film darüber zu machen ist also ebenso eine wirklich große Aufgabe. Was hat Dich überzeugt, diese Dokumentation anzugehen?

Monika Treut (MT): Schon vor 10 Jahren, als ich erstmals nach Taiwan reiste wurde mir klar, dass Essen DAS Thema ist. Man verabredet sich im Restaurant, man kommuniziert miteinander während des Essens, man tauscht sich aus. Sehr förderlich sind die runden, drehbaren Tische und die Tatsache, dass niemand nur für sich bestellt, sondern jeder von allem probieren kann.
Li Ang, die Taiwanische Schriftstellerin, mit der ich bereits bei anderen Filmen arbeitete, ist eine dieser ‚Gourmet-Spezialistinnen’, die die Szene sehr gut kennt. Sie war es, die mich einführte und viel beibringen und mir den geschichtlichen und geographischen Hintergrund liefern konnte.

CF: Wo liegen denn die Unterschiede zu unseren Esstraditionen?

MT: Der kommunikative Aspekt ist es. Das Essen ist nicht Mittel zum Zweck, man nimmt sich Zeit, es ist Zentrum des Tages und der Gemeinsamkeit. Es ist selbst ein Medium, über das man ausführlich spricht.

CF: Ein wesentlicher Unterschied, der mir durchgehend im Film auffiel war die Tatsache, dass jeder Bauer, Koch, Restaurantbesitzer oder Gast immer die gesundheitlich-medizinische Bedeutung einzelner Produkte erwähnt hat. Dies ist gut für den Magen, das hilft gegen Schnupfen, etc. Gibt es also neben der besonderen Gabe des Kochens, der Zubereitung von Speisen, auch ein damit verwobenes Heilkundewissen?

MT: Ja, das hat auch mich sehr fasziniert! Und das quer durch die Generationen. Auch die jungen Menschen haben dieses Wissen, das innerhalb der Familien weitergegeben wird, sie kennen die Heilfunktionen von Lebensmitteln. Sie wissen auch detailliert den Unterschied zwischen den saisonalen Küchen, was man im Sommer isst, um den Körper abzukühlen und was im Winter, um ihn zu stärken. Die traditionelle chinesische Medizin nutzt neben Tee auch Suppen mit natürlichen Trockenprodukten zu konkreten Heilzwecken.
Bei uns in Deutschland ist dieses Wissen längst nicht mehr abrufbar. Wir wissen kaum noch etwas über die Heilwirkungen von Kräutern und wann welches Gemüse Saison hat. Alles ist mehr oder weniger ganzjährig verfügbar.

CF: Gibt es denn innerhalb der vielen Esskulturen Taiwans auch noch weitere Gemeinsamkeiten?

MT: Nein, ich glaube die Küchen, Essgewohnheiten, Lebensmittel und Traditionen sind sehr unterschiedlich. Es gibt Regionen, in denen quasi überwiegend Meeresprodukte gegessen werden und dann – wie bei der Minderheit der Hakka – viel Schweinefleisch oder in den Bergregionen Wildschwein. Dort wo bestimmte Früchte wachsen, ist das Wissen und die Nutzung der jeweiligen Produkte entsprechend groß, also sehr regional bis lokal orientiert.

CF: Mir gefällt die Gegensätzlichkeit des Filmtitels: „Das Rohe und das Gekochte“, weil die Antipoden in der Dokumentation metaphorisch übertragbar sind. Du erzählst über das Urbane und Ländliche, das Traditionelle und das Moderne, das Indigene und das Migrantische, das Ying und Yang...

MT: ... und der Titel verweist auf eine wichtige Kommunikation: Es gibt im Chinesischen die Begriffe des ‚rohen’ und den ‚gekochten’ Menschen. Der rohe Mensch ist der Ungeschliffene, Grobe, der Barbar. Der gekochte Mensch ist der kulturvierte, zivilisierte Mensch, der Freund.
Der Titel ist von Claude Levi-Strauss geborgt und passt einfach optimal.

CF: Die letzten Antipoden, die ich noch aufzählen wollte, sind das Asiatische und das Europäische, denn Du bist im Film nicht nur hinter der Kamera, sondern tauchst hier und da auf und bildest somit eine Brücke zum europäischen Publikum.

MT: Das war mir durchaus wichtig, wobei ich nicht bewertend rüberkommen wollte. Auch dass ich manchmal ein wenig wie ein Außenseiter wirke, macht meine Position klar, ich bin nämlich selber gerade im Prozess des Entdeckens.

CF: Aber Dein Film ist andererseits durch und durch politisch und nicht neutral. Es gibt keinen Ort, keine Szene, die nicht irgendwie auch politisch eingebunden wäre, egal ob es sich um die Kultur von Minderheiten handelt, um die Nahrungsproduktionskette oder um Umweltprobleme. Du schaust von Deinem westlich-europäischen Blick aus. Wie bist Du mit dem Politischen umgegangen?

MT: Das war teilweise ein Problem und hat insbesondere mit dem taiwanischen Team zu Diskussionen geführt, weil sie nicht verstanden haben, warum ich mich bestimmten Themen widme. Andererseits begegnete ich weitgereisten Taiwanern, die mit dezidierten ökologischen Haltungen zurück in ihr Land kamen, um auf Probleme aufmerksam zu machen und für mehr Bewusstsein einzustehen und zu kämpfen. Das ist unweigerlich auch in meinen Film eingeflossen.
Das Essen ist ein guter Transporteur von Ideen, denn die Menschen wollen wissen, was sie da zu sich nehmen, woher die Nahrung kommt und wie sie angebaut wird. Ein sehr positiver Effekt.

CF: Ein weiterer politischer Aspekt sind die Minderheiten in Taiwan und wie mit denen umgegangen wird. Mich interessiert zunächst die Frage wie die Minderheiten denn miteinander umgehen?

MT: Eine spannende Frage, denn die Minderheiten fühlten sich oft als Konkurrenten. Berührungspunkte untereinander gibt es nicht wirklich.
Die verschiedenen Einwanderungswellen haben immer wieder das Neue, Fremde definiert. Die Hakka wanderten in mehreren Wellen seit dem 9. Jahrhundert aus China ein und haben sich bis heute als eigenständige Minderheit ihre Traditionen, Sprache und Esskultur bewahrt. Die Übersetzung des Namens ‚Hakka’ sagt es schon, der bedeutet nämlich ‚Gäste’. Selbst nach über eintausend Jahren werden sie immer noch als fremd angesehen.
Es ging aber auch immer um Verdrängung. Z.B. wurden die Ureinwohner zunächst von den eingewanderten Chinesen aus der Fujian-Provinz von den fruchtbaren Ebenen der Westküste in die Berge verdrängt, ebenfalls stritten sich die eingewanderten Hakka-Chinesen mit den Ureinwohnern um die übriggebliebenen Gebiete. Sie mussten sich neue Lebensräume suchen und sich dort arrangieren.

CF: In der Mitte des Films besuchst Du eine der großen buddhistischen Tempelanlagen Taiwans im Süden der Insel. Auch deren vegetarische Kochkultur widmest Du Dich und ich hatte ein wenig das Gefühl, dass hier der Höhepunkt des Films war. Hast Du Dich dort besonders wohlgefühlt?

MT: Ja, da hätte noch länger bleiben können, ich war dort glücklich und die Dreharbeiten waren entspannt. Ich mochte die Nonnen und Mönche sehr gerne. Dabei war es erst einmal gar nicht so einfach eine Drehgenehmigung zu erhalten, weil die Leiter nicht wollten, dass ausschließlich das Essen im Mittelpunkt unseres Interesses steht. Wir haben dann aber eine gute Lösung gefunden und durch Gespräche die Bedenken zerstreuen können.

CF: Zum Ende unseres Gesprächs möchte ich mich auch noch auf einen weiteren scheinbar gegensätzlichen Punkt beziehen, der sich gerade im Zusammenhang mit dem Buddhismus und den Minderheiten ergibt. Du zeigst die sichtbare Ambivalenz zwischen den ganzheitlichen- und teilheitlichen Lebensentwürfen. Beide sind menschliche Gaben und stehen meines Erachtens nicht in wirklicher Konkurrenz zueinander. Wie siehst Du diese Ambivalenz?

MT: Das Ganzheitliche ist für mich zu einem Propagandabegriff verkommen. Der wird entweder als politische Utopie benutzt oder er wird im Wellnessbereich verbrämt, um eine Wohlfühlindustrie zu füttern. Glücklich leben kann – und das beweist der Film – jeder noch so teilheitliche Mensch. Es muss nicht alles aufgelöst werden, es können auch Kulturen nebeneinander stehen, auf noch so engem Raum wie in Taiwan.


 

(ca. 2.29 Min.) Trailer
 

„Das Rohe und das Gekochte“ – Eine kulinarische Reise durch Taiwan
(D/Taiwan 2012), 83/56 min., Farbe, HDCam www.hyenafilms.com

Buch und Regie: Monika Treut / Kamera: Bernd Meiners / Originalton: Chia-hao Yang / 2. Kamera: Li-jen Tu / Interkulturelle Beratung: Patricia Kortmann / Übersetzer am Drehort: Wuan-ling Guo / Produktionsassistenz: I-wen Tang / Büro Hyena Films: Sabine Linz / Produzentin: Monika Treut / Schnitt: Margot Neubert-Maric / Musik: Ramon Kramer und Michael Dommes.
Die DVD zum Film erscheint Ende Mai und kann unter folgender Adresse vorbestellt werden: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Kochempfehlung an die Kultur-Port.De-Leser:
Pfannengerührter Senf-Kohl mit eingelegter Tofu-Haut
Zutaten:
220 g Senf-Kohl
10 g Ingwer
160 g eingelegter Tofu
1 Chilischote
5 kleine Schalen gekochter Reis
Gewürze: 1/4 EL Salz, 1/2 EL Soya-Paste und eine Prise Pilzessenz
Alle Zutaten waschen, den Ingwer kleinhacken, das Gemüse in Streifen, den Tofu in Würfel und die Chilischote in Scheiben schneiden. Den Ingwer mit Öl im Wok anbraten, die Soya-Paste, Chili und Tofu hinzufügen und ebenfalls kurz anbraten. Danach den Reis hinzufügen und gut durchmischen und zum Schluss das Gemüse und die Gewürze dazugeben und alles nochmals kurz durchrühren.


Foto- und Trailernachweis:
Alle © Hyena Films, Hamburg 2012
Foto 11: Der in Taipeh lebende deutsche Journalist Klaus Bardenhagen (www.taiwanreporter.de) hat nicht nur Monika Treuts Team beim Dreh getroffen (s.o.), sondern auch ein Buch über den ungewöhnlichen Alltag auf der Insel geschrieben: Von der Religion über die Nachtmärkte bis zum Schulsystem stellt "Tschüß Deutschland, ni hao Taiwan" verschiedene Aspekte des gesellschaflichen Lebens in Taiwan vor. Viele Fotos gibt es auch. Einen Blick ins Buch werfen und bestellen (gedruckt und als eBook) kann man hier: https://www.intaiwan.de/buch/

altMein Taiwan-Buch « Brennpunkt Taipeh – News aus Taipei, Taiwan
Welcher Gott hilft bei der Partnersuche? Können Taiwaner wirklich überall schlafen? Und wieso findet man in Taipeh so schwer eine Parklücke für den Motorroller?







Nächste Vorstellungen: in Berlin, am 25.April, 20 Uhr hier: www.eva-lichtspiele.dealt

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