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In jedem Fall wird die mit der Beteiligung an solchen Verfahren eigentlich übernommene Verantwortung mehr oder minder ignoriert. Dass sich die Mehrzahl der Juroren, aber auch der Jurierten so verhält, sollte nicht allein mit den bekannten menschlichen Schwächen oder mit einer für das Kunstmetier typischen Mentalität (v)erklärt werden. Vielmehr sind die oft fatalistischen oder zynischen Reaktionen aller Beteiligten ein Ausdruck ihres Unbehagens und als Symptom für die strukturelle Unzulänglichkeit der gemeinhin praktizierten Auswahlverfahren zu werten.


Als gleichsam demokratische Institute der freien, offenen Willensbildung organisiert und praktiziert zu werden, würde nicht nur die Qualität und Legitimität der Auswahlverfahren erhöhen. Auch ihre Akzeptanz und Glaubwürdigkeit nähme erheblich zu, da sie mit jenen die gesamte Moderne prägenden Begriffen von »freier Kunst« und »offenem Werk« strukturell übereinstimmten. Folglich würden die zu beurteilenden künstlerischen und kulturellen Aktivitäten sich nicht mehr prinzipiell von den Auswahlverfahren unterscheiden und auf mehr Gerechtigkeit hoffen dürfen.


I. NOTWENDIGKEIT
Auf der Suche nach einem anderen Leben begeben sich immer mehr Menschen auch in die virtuelle Welt. Das verbreitete Bedürfnis, seiner Alltagswirklichkeit zu entfliehen, ist ebenso wie der häufige Gebrauch anderer potenziell oder tatsächlich abhängig machender Surrogate, das Motiv für die Beteiligung an solchen Phänomenen wie »Second Life«. Im Unterschied dazu lag eine wesentliche kulturelle Leistung neuzeitlicher Kunst darin, dem Begehren, aus der bestehenden in eine andere Welt zu entkommen, nicht nur Ausdruck zu verleihen, sondern es mehr oder weniger auch wirklich auslebbar zu machen. Solange in der Kunstwelt Autonomie als Ideal galt, wurde versucht, nach ihr eigenen Gesetzen bestimmte Lebens-, Werk- und Organisationsformen zu schaffen, die total anders als die übrige Welt sein sollten. Wo das gelang, war in der Moderne durch Kunst und nicht mehr durch die Religion ein ebenso sinn- und wertvolles wie alternatives Dasein in und zu dieser Welt gegeben.


Seitdem aber auch die Kunstwelt dem Diktat der Ökonomisierung und dem Dogma von der Unfehlbarkeit des Marktes gehorcht, sind die ihr eigenen ursprünglich geltenden Wertvorstellungen und Handlungsmaximen durch rein quantitative Kosten- bzw. Ertragskriterien überlagert worden. Infolge dieser ökonomischen Pervertierung prägt auch den Kunstbereich primär das penetrante Bemühen, durch Aufmerksamkeit, Anerkennung und breite Akzeptanz sich die Gunst des Geldes und damit die eigene Existenz zu sichern. Insofern auch künstlerischer Erfolg letztlich nur noch finanziell definiert wird, ist die Drift der Gegenwartskunst zur Publikumswirksamkeit und damit zur Anpassung an den Mainstream unaufhaltsam. 

 
Wie den Klimawandel so hat man auch die Ökonomisierung der Kunst jahrelang bestritten, nicht wahrhaben wollen und immer noch schöngeredet, bis sie schließlich zu einem unbestreitbaren Faktum geworden ist. So ist es für die Wirtschaft schon lange selbstverständlich etwa durch Akzeptanz-, Legitimations- und Reputationsgewinne von der Kunst zu profitieren. Indes haben wir es mittlerweile bereits mit einer zweiten Phase der Ökonomisierung von Kunst zu tun. Derzeit ereignet sich auf dem Kunstmarkt eine gravierende, zur echten Kapitalisierung der Kunst führende Veränderung: »Die Transformation des Kunstmarktes zum Kunstinvestmentmarkt, der Wandel der Kunst zum Investitionsgut«. (1) Nun will die Wirtschaft auch unmittelbar Profit aus der Kunst ziehen und zielt mit direkten und offenen Interventionen auf eine möglichst weitgehende Übernahme des Kunstmarktes und des gesamten Kunstgeschehens. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel dafür stellen die Aktivitäten des Artist Pension Trust dar. (2)


Die Diskussion der mit der Ökonomisierung der Kunst einhergehenden Konsequenzen, hat unlängst einige Studierende meines kunsttheoretischen Seminars erstaunt feststellen lassen, dass die Situation von Kunst und Künstlern heute ja auch nicht viel anders als vor der Französischen Revolution im Feudalsystem sei. Bei genauerer Betrachtung sind dann allerdings gravierende Unterschiede erkennbar geworden, welche die gegenwärtige Lage freilich erst recht problematisch erscheinen lassen: Die Künstler werden von ihren Auftraggebern heute nicht mehr privilegiert, und sie können durch deren Aufträge auch nicht mehr inspiriert werden.


Was einerseits die Privilegierung betrifft, so genossen Künstler seinerzeit am Hof und selbst gegenüber der Kirche besondere Freiheiten, die sich nicht nur in der berühmt-berüchtigten Narrenfreiheit erschöpften. Darüber hinaus erfuhr die künstlerische Arbeit Wertschätzung oder sogar Ehrerbietung, und nicht ausschließlich die berühmten Meister wurden besser als Handwerker entlohnt. Dabei waren die Künstler in ein kulturelles Umfeld eingebunden, in dem Kennerschaft etwas galt und nicht selten sogar bestand.


Heute dagegen wird an den Kunsthochschulen die Kunst als »freie« abgeschafft und ihr Dienstleistungscharakter hervorgehoben. Dennoch wird das Gros der Künstler und Künstlerinnen möglichst gar nicht, aber auf jeden Fall schlechter als jeder Handwerker bezahlt, wobei sich besonders auch die so genannte öffentliche Kulturförderung unrühmlich hervortut. Schließlich wird künstlerische Arbeit heute bestenfalls als Kuriosität bestaunt, und statt von Mäzenen oder Kunstfreunden wird der Kunstbetrieb letztlich von Laien und Spekulanten beherrscht.


Dass andererseits auch keinerlei Inspiration mehr von den Geldgebern und ihren Aufträgen ausgeht, ist den Künstlerinnen und unserer Kultur erst recht abträglich. Wenn Künstlerinnen etwa die Gestaltung der Eingangshalle des Daimler-Chrysler-Museums angetragen wird oder sie eingeladen werden, etwas zu einem Projekt mit dem Titel sculpture@citynord beizutragen, oder ihnen im Rahmen der Altonale auch nur die Ausstattung eines Schaufensters überlassen wird, dann handelt es sich um wirtschaftlich veranlasste, mehr oder weniger beliebige und geistlose Aufgabenstellungen, die bestenfalls zu motivieren, aber keinesfalls zu inspirieren vermögen.


Wenn dagegen der Papst 1515 bei Raffael Wandteppiche für die Sixtinische Kapelle bestellte oder Johann Sebastian Bach von seiner heimischen Kirche den Auftrag für ein Oster-Oratorium erhielt, oder auch nur irgendein Hofkünstler seinen von Gottes Gnaden eingesetzten Landesfürsten porträtieren sollte, so standen dahinter doch immer die Geltungsansprüche und die Gehalte einer auch geistigen Macht, die über die jeweiligen menschlichen und allzumenschlichen Partikularinteressen hinauswies und für die Hervorbringung des Werkes einen sinnvollen Zusammenhang und nicht nur einen finanziellen Rahmen abgab.


Das Dilemma eines Defizits an metaphysischer Inspiration ist ab ca. 1800 für die mit der Säkularisierung aufkommende moderne Kunst zu einem generellen Problem geworden. Als Reaktion darauf wurden Künstler und Kunst selbst zur eigentlichen Inspirationsquelle erklärt. In diesem Sinne wurde der zum Genie überhöhte Künstler einer creatio ex nihilo für fähig gehalten, für die als unabdingbare Voraussetzung galt, dass er sich möglichst frei von allen außerkünstlerischen Einflüssen hielt. Aus der Not einer zunehmend materialistischen und damit geist- und inspirationslosen Kultur wurde als Tugend das Ideal der Autonomie von Kunst geboren.

 
Das Autonomieideal hatte gleichsam als eine Ersatzinspirationsquelle zu fungieren. Als diese Kompensationsstrategie dann in der Hochzeit der Avantgardekunst durchschaubar wurde, hat etwa Harald Szeemann dem Zwang zur Selbstbefruchtung in der Kunst eine epochale Ausstellung mit dem schönen Titel Junggesellenmaschinen gewidmet, hat der Soziologe Niklas Luhmann den Gedanken von der Kunst als eines »autopoietischen« Systems entwickelt und auch der John Bock zugeschriebene Spruch »und ist das Mädel noch so lieb, Handbetrieb bleibt Handbetrieb« reagiert auf den gleichen Notstand und ironisiert nach postmoderner Manier das alte Autonomieideal der Kunst.

 
„Wer wollte da noch an die Kunstautonomie und ihre in der Moderne durch Selbstreferenz gespeiste Inspirationskraft weiter glauben. Und wer ist nicht inzwischen einer Kunst der ewigen Ironisierung dieses naiven Glaubens überdrüssig? Wie produktiv also die Idee einer Selbstzweckhaftigkeit der Kunst in der Vergangenheit auch gewesen sein mag, so ist sie doch inzwischen von einer Vision zu einer Illusion und damit unglaubwürdig geworden. Insofern bedarf die Kunst dringend einer »Finalisierung«, d.h. einer Zweckorientierung und ist nur durch den Bezug auf Fremdreferenzen fortsetzbar. Damit ist aber nicht der heute zu beobachtende Ausverkauf der Kunst an rein oder larviert kommerzielle, d.h. standortpolitische oder kulturpolitische Interessen gemeint. Vielmehr sieht das von mir vorgeschlagene Konzept der Finalisierung (3) vor, dass Künstlerinnen die Zwecksetzungen selbst bestimmt vornehmen und künstlerisch für bearbeitbar gehaltene Zwecke auffinden oder besser noch: erfinden.

 
Durch die heute nicht länger zu leugnende Unvermeidbarkeit, dass Kunst immer auch kunstexterne Zwecke erfüllt, ist die Kunst also als heteronom zu begreifen und kann ihren autonomen Status nicht länger behaupten. Aber sofern Künstlerinnen gleichwohl über die Art und Weise ihrer Zweckmäßigkeit weitest möglich selbst zu bestimmen suchen, kann Kunst gleichwohl auch noch Autonomie zukommen. Kunst, die sich nicht dem ökonomischen Verwertungszwang unterwerfen will, muss in diesem Sinne eine heautonome Struktur haben. Solcherart Selbstbestimmung ist die unabdingbare Voraussetzung für jede Kunstpraxis, die sich nicht nur als Vorstufe, Abart oder Überbleibsel der kommerziellen Hegemonialkultur versteht. »Es ist an der Zeit«, so Eduard Beaucamp, »am Projekt einer neuen, eigenständigen, weniger marktgefälligen Kunst zu arbeiten, die nicht länger billige Erwartungen und Klischees bedient und vor allem eine anachronistische Genie-Ästhetik verabschiedet. In unseren weltpolitischen und sozialen Umbruchsjahren muss die Kunst von Grund auf neu durchdacht, ja erfunden werden.« (faz 23.20.06)

 
Bei der Ausschau nach alternativen Praxisformen ist es ernüchternd, dass auch die in den Großstädten üppig wuchernden und sich subkulturell gebärdenden »Off-Szenen« von einem permanenten Wiederholungszwang beherrscht werden und keineswegs ein »Woanders« darstellen. Ganz im Gegenteil neigt die Szene aus einem gleichsam wild gewordenen Selbsterhaltungstrieb zur Überanpassung. Die meisten ihrer Protagonisten versuchen krampfhaft, den Konventionen der etablierten Kunst wie den Erfolgskriterien der herrschenden Ökonomie zu entsprechen, um endlich als dazugehörig anerkannt zu werden.

 
Vermeintlich schlau meint man, die Beteiligung an PR-Aktionen im Dienste von Wirtschaft und Politik zum eigenen Vorteil ausnutzen zu können. Tatsächlich aber kehrt sich diese Instrumentalisierungsabsicht um, und zumeist nur mühsam als künstlerisch kaschierte Leistungen müssen zu low- oder no-budget-Konditionen erbracht werden. Die in der Szene gepflegten Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen, die als Errungenschaften der Selbstorganisation ausgegeben werden, entpuppen sich bei näherem Hinsehen indes weder als besonders partizipatorisch noch als paritätisch. Vielmehr ist ein informelles Machtspiel nach eher darwinistischen Prinzipien zu beobachten, das perfekt den neoliberalen Vorstellungen völliger Deregulierung entspricht.

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