Fotografie

Die Schau gibt mehr als einen Einblick in die unterschiedlichen Vorstellungen und Abbildungen des unverhüllten menschlichen Körpers. In sieben Kapiteln arbeitet sich der Besucher durch knapp 250 original Vintage-Prints, Bücher und Mappenwerke von der Zeit um 1850 bis heute. „Von Fotografien aus dem 19. Jahrhundert, die sich an Vorbildern der Antike und Renaissance orientieren, bis zu surrealistischen Experimenten und der Mode- und Lifestyle-Fotografie. Die Ausstellung illustriert den Wandel von Schönheitsidealen und Moralvorstellungen und offenbart einmal mehr die stetige Gratwanderung zwischen Aufklärung, Anregung und Schaulust“, heißt es in der Ankündigung.

Dem Besucher begegnen namhafte Werke von Pionieren der Fotografie wie Eadweard Muybridge im Kapitel ‚Akademien und Exotik im 19. Jahrhundert’, und seinen berühmten Serienaufnahmen des menschlichen Bewegungsablaufs. Max Koch & Otto Rieth, deren merkwürdige, teilweise skurrilen Aufnahmen von verdrehten Akten auf stürzenden Kanapees oder Kaminsimsen durchaus Vorbild gewesen sein könnten für die Fotowerke von Bernhard Johannes und Anna Blume. Einen derartig humorvollen Umgang mit den Nackt-Sein erwartet man nicht unbedingt aus dem Jahr 1893.

Im Kapitel ‚Kunstfotografie um 1900’, liegt der Fokus dann überwiegend auf dem weiblichen Akt, leicht romantisch und verklärt, am Meer sitzend, in tänzerischen Posen oder gestellten, fast filmstillartigen Darstellungen. Nur in den Aufnahmen von Marianne J. Leissl glaubt man an eine natürliche Haltung der abgelichteten Frauen.

Die ‚Avantgarden der 1920er und 30er Jahre’ zeigen das, was auch in anderen künstlerischen Feldern gemacht wurde: Man experimentiert, setzt den menschlichen Körper in Beziehung zu Architektur, spielt mit Licht, Schatten und Projektionen. So tauchen in diesem Kapitel dann auch bekannte Künstlernamen auf wie WOLS, Man Ray, André Kertész und Herbert List.

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Die ‚Künstlerischen Positionen nach 1945’ beginnen mit dem großen Otto Steinert, der Generationen von Fotografen an der Essener Folkwang-Schule in seinen Bann zog und ausbildete. Das entkleidete Menschenbild wird bereits in den 1950er Jahren sichtbar befreit gezeigt. Immer mehr Aufnahmen werden nicht mehr in den Ateliers geschossen, sondern im öffentlichen Raum und in der Natur. Lucien Clergue aus dem französischen Arles ist mit einer Reihe von Aktfotografien aus den Jahren 1953 und 1956 vertreten, die Gänsehaut in Meeresbrandung zeigen. Der Stuttgarter Fotograf Robert Häusser ist mit einer Serie vertreten, die den menschlichen Körper wie eine sich verändernde Skulptur auf einem Tisch behandelt. Aus der Distanz wirken diese wie Fotos der Steinskulpturen des Bildhauers Karl Prantl. Das die Aktfotografie in den 60er Jahren deutlich einhergeht mit der sexuellen Befreiung und gesellschaftlichen Bewusstseinsveränderung im Umgang mit dem eigenen Körper und der Geschlechtlichkeit, zeigt sich in den Fotos von Dennis Oppenheim, Charles Gatewood und Stefan Moses.

Die Bilder des Niederländers Jaap De Graaf der Performances des Künstlerduos Ulay und Abramovic aus den 70ern, wirken wie ein roter Faden durch die Ausstellung, denn immer wieder zeigt sich wie dicht die verschiedenen Kunstgenres sich kommen.


Werke von Larry Clark und Nan Goldin stehen für eine neue Zeit und Generation, die durch Drogen, Alkohol und Arbeitslosigkeit Sexualität quasi wie Zeitvertreib zelebriert. Auch Tim Ulrichs ist mit einer sehenswerten Serie vertreten. Seine Fotofragmente aus pornografischen Filmen beschäftigen sich weniger mit purer Sexualität oder dem Akt im doppelten Sinn, vielmehr fokussiert der Künstler die Orte an denen die „Filmchen“ gedreht und fotografiert wurden. Er findet auch dort noch eine Beziehung zur Kunst und bezieht sich auf die Gemälde, die an den Wänden im Hintergrund hängen. So bezeichnen die Titel seiner Fotoarbeiten Bilder von Picasso, van Gogh, Marc oder Rembrandt und katapultieren sie von der Dekoration ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Im Kapitel ‚Freikörperkultur’ sind neben den Fotografien des frühen 20. Jahrhunderts insbesondere Mappenwerke zu sehen mit deutschen Titeln wie: ‚In Licht und Sonne’, ‚Körperschulung der Frau’ oder ‚Atemgymnastik’, während die französischen Titel weniger der vermeintlich gesundheitlichen Fürsorge dienen. Diese lauten ‚En Costume d’Eve’, ‚Ètudes de Nus’ oder ‚La Beauté de la Femme Dans l’Art’.

Auch dem ‚männlichen Akt’ ist ein kleines Kapitel gewidmet, dieses wirkt jedoch im Gesamtkontext eher peripher und oszilliert zwischen strotzen Kraftprotzen, androgynen Darstellungen oder ethnologischen Fotoerkundungen in Afrika und Japan mit den tätowierten Körpern von Jan Mutsu.

Und schließlich endet der Rundgang durch die Ausstellung mit dem Thema ‚Glamour’ und widmet sich der Welt der Stars und Sternchen. Zu sehen sind zwei Werke von Bert Stern aus seiner Marilyn Monroe-Serie und von André Gelpke wird ein umfangreicher Zyklus der Tänzerinnen des Salambo oder Alcarzar auf Hamburgs Vergnügungsmeile gezeigt. Fotografien von Helmut Newton und Walter Schels begleiten den Besucher zum Ausgang.

Die Ausstellung läuft vom 29. Januar 2010 bis 25. April 2010 im Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, 20099 Hamburg.
Es erscheint ein Katalog im Kehrer Verlag zum Preis von 24,95 Euro mit 416 Seiten und ca. 300 ü̈berwiegend farbigen Abbildungen, herausgegeben von Ulrich Pohlmann und Rudolf Scheutle, mit Beiträgen von Margarete Gröner, Ulrich Pohlmann, Rudolf Scheutle und Petra Steinhardt.

Fotos: Header: Jan Mutsu: „Tätowierter Mann“, um 1955 (Detail)
T.W. Salomon (zugeschrieben): „Revuegirls“, ca. 1935
Max Koch & Otto Rieth: „Weiblicher Akt mit Maske“, 1893
Gerhard Riebicke: „Paar beim Ausdruckstanz“, 1930
Herbert List: „Araber mit Steppenkerzen“, 1935
Bert Stern: „Marilyn Monroe – The Last Sittings“, 1962
Herlinde Koelbl: „Lamak Kourian“, 1984
André Gelpke: „Angelique aus dem Salambo, St. Pauli/Hamburg“, 1976