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Film

Das St. James Theatre am Broadway muss es sein und die Adaption von Raymond Carvers Kurzgeschichte „Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden”. Thomson führt Regie, hat das Stück geschrieben, die Hauptrolle übernommen und sich bereits finanziell in arge Bedrängnis gebracht. Am meisten irritiert ihn aber sein spöttisches Über-Ich, Birdman hat sich im Kopf des Schauspielers eingenistet und quengelt andauernd: „Wie sind wir hier nur gelandet in diesem Drecksloch?” Die Beine zum Lotussitz verschränkt schwebt Thomson (der Mime) wie ein Fakir durch die schmuddelige Garderobe. Im Geheimen frönt er zuweilen übersinnlicher Fähigkeiten, die er behalten hat als Souvenir seines längst vergangenen Erfolgs. Die Premiere in wenigen Tagen, ein Desaster droht.  

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Die Parallelen zwischen Schauspieler und Protagonist sind offensichtlich. Auch Keaton machte eine kometenhafte Karriere als Comic-Held, er spielte die Titelrolle in Tim Burtons „Batman” (1989) und „Batmans Rückkehr” (1992). Und auch bei ihm war es danach mit dem großen Glamour und den Mega-Gagen vorbei. Um so begeisterter feiern ihn nun die Medien. Ein Comeback im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wie es sonst eigentlich nur die Traumfabrik Hollywood beschert. Doch der Erfolg ist real, kein verlogener Kino-Kitsch. „Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)” wurde für neun Oscars nominiert, Keaton bereits mit einem Golden Globe ausgezeichnet und darf nun auf einen Oscar in der Kategorie „Bester Hauptdarsteller” hoffen. Als Fledermaus mit Superman-Qualitäten profilierten sich später hochkarätige Schauspieler wie Val Kilmer, George Clooney und Christian Bale, sie waren weitaus besser gewappnet für das Leben danach. Mittlerweile sind Comic Helden salonfähig, dafür sorgte schon Regisseur Christopher Nolan mit seinen ästhetisch virtuosen Produktionen. Die Message solcher Filme bezeichnet Inárritu zu Recht als politisch höchst bedenklich.

Der mexikanische Regisseur und Produzent schrieb das Drehbuch zusammen mit Nicolas Giacobone (“Biutiful”), Alexander Dinelaris („The One Percent”), Armando Bo („The Last Elvis”). Er will sein absurdes Künstlerdrama als universelle Geschichte verstanden wissen. Die Trümmer von Thomsons Leben, seine Hoffnungen und Ängste sind die eines Jedermanns. Der ikonische Held, von dem Millionen Menschen träumen, versagt genau wie seine Zuschauer. Die Identifikation entlarvt sich wie der Ruhm als das, was sie ist; eine kurzfristige Illusion. Es geht um mehr als einen verbitterten, ehrgeizigen Schauspieler, um die Verantwortung als Vater, Ehemann, um Integrität, Freundschaft, Liebe, Eifersucht, gefährliche Ambitionen, Kunst als Erbe für die folgenden Generation. Der Blick hinter die Kulissen des Showbusiness ist eine gesellschaftskritische wenn auch amüsante Parabel auf unsere marode Gesellschaft. Sie erinnert entfernt an Billy Wilders legendären „Boulevard der Dämmerung” mit Gloria Swanson, profitiert von der Demontage des Hollywood Mythos’ um ihn zugleich wieder zu bestätigen. „Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)” explodiert fast vor brillanten Ideen, Einfällen, Anspielungen, Ikarus, Phönix, Roland Barthes, Jorge Luis Borges, Martin Scorsese selber Justin Bieber darf nicht fehlen. Georges Feydeau über den Dächern von New York. Es ist kein Jahrmarkt der Eitelkeiten, sondern der bösen Wahrheiten. Die Art des Humors wechselt ständig, zwischen ironisch, derb, surreal, subtil, intellektuell. Ein cineastisches Wunderwerk, das nie unter seinem metaphorischem Ballast zusammenbricht, sondern von atemberaubender Leichtigkeit ist.

Abgesehen vom Epilog gleitet die Kamera scheinbar ohne Schnitt durch Tage und Nächte, die labyrinthischen Flure und Treppen des Theaters, über die Bühne in den Zuschauerraum, schwenkt vom Dunkel ins Scheinwerferlicht, dann nach draußen auf den Broadway und wieder zurück. Emmanuel Lubezki („The Tree of Life”) hat in der Branche den Status eines Zauberers, schon in „Gravity” begeisterte er mit einem 13-Minuten-Take das Publikum und wurde mit einem Oscar ausgezeichnet. Sein Stil ist hier ein anderer: die Kamera erwischt die Akteure wie zufällig. Wagemutig, frech treibt sie die Handlung voran, Zuschauer, Akteure vor sich her. Alles wirkt roh, unverarbeitet, kaschiert mit welch unglaublicher Präzision jede Bewegung inszeniert ist. Kalkül tarnt sich als Spontaneität. Steady-Operator Chris Haarhoff beweist höchstes handwerkliches Geschick. Die fließende, hinreißende, komplizierte 113-Minuten-Fahrt halten manche für ein Hommage an Alfred Hitchcocks Thriller „Cocktail für eine Leiche”(1948). Jene Art von Kameraführung geht zurück in die Zeit des Stummfilms, F.W. Murnau in den Zwanzigern und später Max Ophüls (Le Plaisir, 1952) beherrschten jene Magie. Als Champion dieser Technik galt bisher Alexander Sokurov mit seinem 2002 in der Eremitage gedrehten Film „Russian Ark”.

Thomsons Bühnenpartner wird von einem herabstürzenden Scheinwerfer niedergestreckt,  kein besonderer Verlust. Wahrscheinlich hat der Protagonist dem Schicksal mal wieder ins Handwerk gepfuscht. Ersatz muss her, Woody Harrelson ist unter Vertrag für „Hunger Games”, Michael Fassbender dient bei den „X-Men” und Robert Downeys ist voll auf mit „Iron Man” beschäftigt. „Der Clown hat nicht die Hälfte Deines Talents”, beschwert sich das Über-Ich. Mehr und mehr drängt sich der Dämon Birdman in den Vordergrund. Alle nörgeln, streiten, nerven den armen Thomson, vor allem Tochter Sam (Emma Stone). In einem unbedachten Moment hat der Vater sie als Assistentin engagiert, eine besondere Hilfe stellt sie wahrlich nicht dar. Sie sieht die ambitionierte Broadway Produktion als willkommene Chance zur Abrechung. Dad ist an allem schuld, an ihrem Drogenkonsum wie an ihrem Drogenentzug. Dads Aversion gegen Twitter und Blog der schlagende Beweis, dass seine Zeit endgültig vorbei ist, als Maßstab für Talent wertet Sam allein die Likes bei Facebook. Die Familie mault, weil das Haus in Malibu verpfändet wurde. Die Geliebte behauptet (besser hofft) schwanger zu sein. Was Realität oder Illusion ist, der Zuschauer vermag es kaum noch zu unterscheiden, der Protagonist ebenso wenig. Es ist zum in die Luft gehen, und das tut Thomson auch, nicht im Vogelkostüm sondern in seinem zerknitterten Trenchcoat. Noch immer genügt ein Fingerschnippen, um parkende Wagen oder Hubschrauber in einen Feuerball zu verwandeln.

Mike Shiner (Edward Norton) springt ein, der arrogante wie intelligente Schauspieler gilt als Kassenmagnet, aber auch als extrem kapriziös. Er hat sich dem Method-Acting verschrieben, verweigert das Script, beharrt auf Improvisation, will echten Gin statt Wasser, vor allem eine funktionierende Pistole und kein Bühnenrequisit. Er bändelt mit Sam an, zieht den Protagonisten mit seiner Birdman- Vergangenheit auf, mokiert sich über Hollywood als „kulturellen Genozid” und lässt keine Gelegenheit aus, den Kollegen in den Wahnsinn zu treiben. Der Zuschauer kann nicht vergessen, das Norton selbst der „Unglaubliche Hulk” war. Was immer geschieht, dem Übernatürlichen oder Surrealen begegnet Inárritu mit Ernsthaftigkeit, das gilt auch für seine anderen Filme. Lächerlichkeit hat bei ihm als Derivat der Tragik eine besondere Noblesse. Überall in dieser Showbiz Satire verspürt der Zuschauer die Trauer um eine Epoche, wo große Talente sich noch nicht als Comic Helden verdingen mussten. Die künstlerische wie existenzielle Krise ist  eine Suche nach Erlösung. Thomson hat sich ausgesperrt, muss zurück auf die Bühne. Wenn er verzweifelt in einer höchst peinlichen Unterhose den Broadway entlang sprintet, umringt von Fans, die ihre Smartphones zücken oder ein Autogramm wollen, wird er zum Inbegriff des Anti-Helden. Doch die eigentlichen Herausforderungen erwarten ihn noch. Der Regisseur sieht ihn als eine Art von Don Quijote, der tapfer mit seinem Über-Ich kämpft.

Enttäuscht waren einige der englischsprachigen Kritiker von der bissigen Komödie, weil ihrem Berufsstand so wenig Respekt gezollt wurde. Ob „Biutiful” (2010), „Babel” (2006), „21 Gramm”(2003) oder „Amores Perros” (2000), sie hatten den ungewöhnlichen Filmemacher immer wieder mit euphorischem Lob bedacht. Das soll nun der Dank für ihre Loyalität sein? Die frustrierte Theaterkritikerin Tabitha (Lindsay Duncan) der einst so mächtigen New Yorker Zeitung hat das Stück noch nicht gesehen, aber fest steht, sie wird es verreißen, das macht sie Thomson unmissverständlich klar. Jemand wie er, der als ridiküler Comic Held Weltruhm erlangte, kann ihrer Meinung nach, nichts künstlerisch Anspruchsvolles zu Stande bringen. Es geht in „Birdman” immer wieder um Vorurteile, Fehleinschätzungen, von sich selbst, von Anderen, Kunst und Popkultur, Moral und Talent. Die Journalisten überzeugt zwar die Qualität von Inárritus Film nur eben nicht das eigene Spiegelbild. Vielleicht wird heutzutage kein Schreiber seiner Verachtung vorab öffentlich Ausdruck verleihen (Große Bruder iPhone hört überall mit), doch die Kritiker haben in jenem Moment der Entrüstung vergessen, dies ist Fiktion, Satire und zwar eine, wo sich der Protagonist in die Lüfte erhebt. Jeder argumentiert aus der höchst subjektiven Ecke seines Mikrokosmos, die Welt des Gegenüber scheint unvorstellbar.

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Originaltitel: Birdman or (The Unexpected Virtue of Ignorance)
Regie: Alejandro González Iñárritu
Darsteller: Michael Keaton, Zach Galifianakis, Edward Norton, Andrea Riseborough, Amy Ryan, Emma Stone, Naomi Watts
Produktionsland: USA 2014
Länge: 119 Minuten
Verleih: Fox Deutschland
Kinostart: 29. Januar 2015

Fotos & Trailer: Copyright Fox Deutschland

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