Meinung
KlassikKompass: Die Welt der Bach-Cantatas – Pfingsten I

Pfingsten (altgriechisch: pentekostē hēmera bedeutet der fünfzigste Tag).
Es wird von den Gläubigen die Entsendung des Heiligen Geistes gefeiert und es wird am 50. Tag des Osterfestkreises, also 49 Tage nach dem Ostersonntag, begangen.
Im Neuen Testament wird in der Apostelgeschichte erzählt, dass der Heilige Geist auf die Apostel und Jünger herabkam, genau an jenem Tag als sie zum jüdischen Fest Schawuot‚ (hebräisch: „Wochen“ zum 50. Tag nach Pessach) in Jerusalem versammelt waren.
Dieses Datum wird in der christlichen Tradition auch als Gründung der Kirche verstanden. Als christliches Fest wird Pfingsten erstmals im Jahr 130 nach Christi Geburt erwähnt.

Auf welches Datum Pfingsten fällt, hängt ganz vom Osterdatum ab. Das Christentum hat das Verhältnis zwischen diesen Festen vom Judentum übernommen, in Anlehnung an den Abstand von 50 Tagen zwischen Pessach und dem Wochenfest Schawuot.
Das christliche Pfingstereignis fand also am jüdischen Fest Schawuot statt. Dieses Fest feiert die Offenbarung der Torah an das Volk Israel und gehört zu den Hauptfesten des Judentums.
Schawuot ist gleichzeitig ein Erntedankfest oder „Tag der Erstfrüchte“, da es den Abschluss der mit Pessach beginnenden Ernte markiert. Mischna und Talmud kennen das Fest auch als Atzeret „feierliche Versammlung“. Die vielen Namen spiegeln die verschiedenen Bedeutungen, die das Fest hat.Bereits aus dieser Tradition stammt der griechische Name pentekostē, aus dem der deutsche Begriff Pfingsten hervorgegangen ist.

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Im 2. Kapitel der Apostelgeschichte werden die Erfahrungen der Jünger Jesu beim Pfingstfest, dem jüdischen Wochenfest, in Jerusalem geschildert: „Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander.
Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel
Wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.
Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer.
Und er setzte sich auf einen jeden von ihnen,
Und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an,
Zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“

Als Petrus gefragt wurde, was getan werden solle, antwortete er: Buße zu tun und sich taufen zu lassen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden, um den verheißenen heiligen Geist zu empfangen. Am Pfingsttag nahmen dreitausend Menschen sein Wort an.

Das Pfingsten wird das von Jesus Christus angekündigte Kommen des ‚Heiligen Geistes’ gefeiert wird, und zugleich der feierliche Abschluss der Osterzeit.
Nach dem christlichen Glauben – wie Petrus ihn in seiner Pfingstpredigt zum Ausdruck gebracht hat – folgt auf die Buße die Taufe auf den Namen Jesu Christi. Das Empfangen des ‚Heiligen Geistes’ kann durch Handauflegung geschehen.
Im Evangelium nach Lukas heißt es, dass der Gottesgeist als ‚Kraft aus der Höhe’ herabkommen wird. Das Johannesevangelium beschreibt, dass der Auferstandene am Abend des Ostertages in die Mitte seiner Jünger kam, sie anhauchte und mit den Worten ‚Empfanget den Heiligen Geist!’ ihnen den Geist Gottes übertrug.

Am Pfingsttage
BWV 34 O ewiges Feuer, O Ursprung der Liebe
BWV 74 Wer mich liebet wird mein Wort halten
BWV 172 Erschallet ihr Lieder

Bach hat einige seiner schönsten und gewaltigsten Kantaten für das Pfingstfest geschrieben. Es ist immer wieder interessant sich Gedanken über den ‚Heiligen Geist’ zu machen und Bach hat viele Wege gefunden diesen zu charakterisieren – als die Kraft der Liebe, die Macht des geistlichen Feuers, der Segen des Frieden...
Ich hatte das Glück einen ausgezeichneten Konfirmationspfarrer zu haben und als ich im zarten Alter von 14 gefragt habe, was denn nun ein ‚Heiliger Geist’ sei – Gespenster kannte man ja aus anderen Zusammenhängen – habe ich eine Antwort bekommen, die mir heute sonnenklar diesen Begriff und seine seelische Wirkung offenbart: „Wie ein Kirchenfester ohne Licht keine Farben zeigt, so kann der Glauben ohne den Heiligen Geist nicht seine volle Schönheit entfalten“.
Man wünscht sich mehr solche Konfirmationspfarrer in der Kirche.

Bach hat im Pfingstfest nur Begeisterung gefunden und sie in begeisternde Musik umgesetzt.


Bach Cantata BWV 34 ‚O ewiges Feuer, O Ursprung der Liebe’
Uraufführung Pfingsten nach 1740 in Leipzig, Text: Unbekannter Dichter

„Erwählt sich Gott die heilgen Hütten,
Die er mit Heil bewohnt,
So muss er auch den Segen auf sie schütten“.
Bass Rezitativ aus der Kantate

‚O ewiges Feuer, O Ursprung der Liebe’ BVW 34 zum Pfingsttage. Evangelium des Johannes 14 Vers 27 ff.

„Den Frieden lasse ich euch,
Meinen Frieden gebe ich euch.
Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.
Euer Herz erschrecke nicht
Und fürchte sich nicht.“

Wir begeben uns mitten hinein in das begeisternde Wunder von Pfingsten mit unserer ersten Cantata die Bach fast am Ende seines Lebens dem Pfingsttag widmete – ‚O ewiges Feuer, O Ursprung der Liebe BWV 34. Und wer Bach bis dato immer noch für einen verknöcherten, muffig-protestantischen Kantoren und für langweilig gehalten hat, der wird mit diesem ‚Feuer’ eines wahrhaft besseren und anderen Bach belehrt. Hier ist der echte Fieberwahn des kreativen Musikers zu spüren – die Vision eines Entrückten. Ich kann mir nur annähernd vorstellen, wie diese wilde Cantata auf die kreuz-biederen Leutchen in Leipzig am Pfingstsonntag gewirkt haben mag.
Bach spannt über fünf spiegelbildlich angeordnete Sätze einen gewaltigen Bogen von Feuer – Liebe – Hitze – Seele – Begeisterung – Frieden alles wieder in nur etwa knappen 17 Minuten Aufführungsdauer.
Der Drehpunkt der Cantata ist eine Alt-Arie um die ‚auserwählten Seelen’ die zu den Kleinoden Bach’scher Kompositionskunst zählt. Die Seele sitzt also da, wo sie soll – im Herzen - in der Mitte – auch in dieser Cantata. Umschlossen ist diese Arie von zwei Rezitativen wo es zunächst um das ‚gewählte Heiligtum’ beim Tenor und später um den Segen für das ‚geweihte Haus’ im Bass geht – umbauter Raum für die Seele also – oben wie unten- hoch wie tief.
Um das Ganze legt Bach einen wahren Feuerkreis von zwei Chor-Ausbrüchen, der lodert, wie es kaum heißer sein kann – erst die Entzündung der Liebe – dann die aktive Begeisterung für Christi Frieden – echt ‚heiße’ Themen also.
Mich hat das Ganze an einen alten Bekannten aus der Country Szene erinnert, der in seinen späten Jahren ein überzeugter ‚brennender’ Christ wurde und dessen berühmtester Hit auch um das ‚Brennen im Feuerkreis der Liebe’ geht – genau so wie in Bachs Pfingst-Cantata. Der Song von Johnny Cash ‚Ring of Fire’ – ein echter Welthit mit dem gleichen Thema wie unsere Pfingstmusik etwa 300 Jahre später.

„Love is a burning thing
And it makes a fiery ring.
Bound by wild desire
I fell into a ring of fire

I fell into a burning ring of fire,
I went down, down, down
As the flames went higher

And it burns, burns, burns,
The ring of fire, the ring of fire.

The taste of love is sweet
When hearts like ours meet.

I fell for you like a child,
Oh, but the fire went wild.

I fell into a burning ring of fire,
I went down, down,
Down as the flames went higher

And it burns, burns, burns,
The ring of fire, the ring of fire.“

Unsere Cantata beginnt mit einer Initialzündung im einleitenden Chor – erneut die drei Clarin-Trompeten geben das nötige feurige Licht zu diesem ersten Oktavsprung zunächst im Orchestervorspiel – einer Sinfonie – dann in den ersten Worten des Chors:
„O – eeeeeeeeewiges Feuer’ – ‚O’ der Start und man landet in der Oktav auf ‚e’ das ‚eeeeeeeeeeewig’ gehalten wird, bis das Feuer schließlich hell auflodert.

O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe,
Entzünde die Herzen und weihe sie ein.“

Rhythmisch punktiert werden die Herzen entzündet und dann geht es weiter mit ‚himmlischen Flammen’ – sie brennen an dieser Stelle schon hoch...

„Lass himmlische Flammen
Durchdringen und wallen,
Wir wünschen, o Höchster,
Dein Tempel zu sein,
Ach, lass dir die Seelen
Im Glauben gefallen.“

Das Feuer der Liebe brennt nach dem Mittelteil da capo – es beginnt erneut:
„O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe,
Entzünde die Herzen und weihe sie ein.“

Ein musikalischer Parforce-Ritt durch ein pfingstliches Flammen-Meer, das man schnell die Feuerwehr rufen möchte!
Ein relativ schlichtes Rezitativ des Tenor bringt die Einstimmung für den Zustand der Seele in diesem ‚Liebes-Szenario’:
„Herr, unsre Herzen halten dir
Dein Wort der Wahrheit für:
Du willst bei Menschen gerne sein,
Drum sei das Herze dein
Herr, ziehe gnädig ein.
Ein solch erwähltes Heiligtum
Hat selbst den größten Ruhm“

Die folgende Alt Arie ist ein Juwel wie es auch der Bachforscher Alfred Dürr in seinem Standardwerk „Johann Sebastian Bach, Die Kantaten“ beschreibt und dies unterstreicht: „Die Musik, die Bach für diesen Text bereit gehalten hat, ist von bezaubernder Anmut. Die Instrumentation ist ungewöhnlich – gedämpfte Violinen werden mit oktavierten Querflöten kombiniert, repetierenden Orgelpunkt Bässe verleihen dem Satz seine überirdische Ruhe. Mit Recht wird diese Arie zu den glücklichsten Eingebungen Bachs gezählt (...)

„Wohl euch, ihr auserwählten Seelen,
Die Gott zur Wohnung ausersehn.
Wer kann ein größer Heil erwählen?
Wer kann des Segens Menge zählen?
Und dieses ist vom Herrn geschehn.“

Der Bass führt ein weiteres Rezitativ an – diesmal den Frieden Christi beschwörend und direkt zu dem gewaltigen Ruf ‚Friede über Israel’ in dem sofort danach rasanten im Tutti einbrechenden Schlusschor überleitend:

Rezitativ Bass
„Erwählt sich Gott die heilgen Hütten,
Die er mit Heil bewohnt,
So muss er auch den Segen auf sie schütten,
So wird der Sitz des Heiligtums belohnt.
Der Herr ruft über sein geweihtes Haus
Das Wort des Segens aus:
Chor
Friede über Israel.
Dankt den höchsten Wunderhänden,
Dankt, Gott hat an euch gedacht.
Ja, sein Segen wirkt mit Macht,
Friede über Israel,
Friede über euch zu senden.“

Dieser Frieden ist aber hier nicht still und zurückgezogen, sondern aktiv, begeisternd und aggressiv im frei losgelassenen, feurigen Swing-Rhythmus und von aufsteigenden, stetig treibenden Bassfiguren und kurzen Trompetenstößen angeheizt – Frieden ist hier ein ‚Feuer der Seele’ – geboren aus der Liebe Gottes.

Ich möchte diesen Schluss mal von einem guten Swing-Orchester gespielt hören, das wäre wohl kaum ein Unterschied zu dem Schmiss den Bach hier vorlegt. Mich holt diese Cantata jedes mal aus dem Sessel – nur einmal hören reicht da normalerweise nicht.


Bach Cantata BWV 74 ‚Wer mich liebet wird mein Wort halten’
Uraufführung 20. Mai 1725 in Leipzig, Text: Christiana Mariana von Ziegler
Choral Text: ‚Gott Vater sende deinen Geist’. Paul Gerhardt 1653
Choral Melodie: ‚Kommt her zu mir spricht Gottes Sohn’, Nürnberg 1534
Evangelisches Gesangbuch Nr. 363

Bach hat zu dem Christuswort ‚Wer mich liebet, der wird mein Wort halten’ gleich zwei Cantatas komponiert – eine im Jahr 1724, BWV 59 und eine erweiterte zweite ein Jahr später, die wir hier besprechen wollen, BWV 74.
Der Text stammt wieder von der Leipziger Gesellschaftsdame und Dichterin Christiana Mariana von Ziegler, deren einfühlsame Dichtung Bach mehrfach in seinem Leben genial in Musik umsetzte.
Die früher entstandene Cantata beginnt mit einem Duett das Bach in der späteren zu einem Choral ausbaute und mit drei Clarin-Trompeten anreicherte. Dieser Chor gibt die freudige Stimmung zu Pfingsten wieder – ist in der Tat wieder ein fröhlicher Tanz. Es schließt sich ohne Rezitativ Unterbrechung eine Sopran Arie an, eine einfühlsame Einladung an Christus im Herzen seine Wohnung zu suchen, von einer tänzerischen obligaten Oboe begleitet.
Das nächste nur von Basso Continuo begleitete Arien Stück lässt Christus im Bass – der ‚Vox Christi’ die Antwort geben. Sie ist dem Evangelium des Johannes entnommen Kapitel 14 Vers 26 ff: „Ihr habt gehört, daß ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, Daß ich gesagt habe: Ich gehe zum Vater, Denn der Vater ist größer als ich.“

Es ist schon interessant das die meisten Pfingstbibellesungen sich im Johannes Evangelium befinden – der Botschaft des ‚Lieblings Jüngers’ Jesu – sie befassen sich (fast) alle mit der Liebe und sind sehr persönlich auf die Beziehung Seele-Christus angelegt.
Im Bass Rezitativ wird Christi Wort dann wie folgt umgesetzt, wieder in koloriert-tänzerischer Art und Weise, namentlich auf den Begriff ‚freuen’, der sich richtig ‚freut’ und mehrfach wiederholt wird – eine wirklich ‚frohe Botschaft’:
„Ich gehe hin und komme wieder zu euch.
Hättet ihr mich lieb,
So würdet ihr euch freuen.“

Die direkte Reaktion darauf ist eine der schönsten bekannten Bach Arien – gesungen vom Tenor begleitet von jubelnden Violinen, die gleicht die richtige Pfingststimmung mitbringt.
„Kommt, eilet, stimmet Sait und Lieder
In muntern und erfreuten Ton.
Geht er gleich weg, so kömmt er wieder,
Der hochgelobte Gottessohn.

Der Satan wird indes versuchen,
Den Deinigen gar sehr zu fluchen.
Er ist mir hinderlich,
So glaub ich, Herr, an dich.“

Dabei sind besonders die Zeilen...
„Der Satan wird indes versuchen,
Den Deinigen gar sehr zu fluchen.
Er ist mir hinderlich.“

...nicht nur ‚nett gesagt’, das der Teufel hier mal seine Hörner zeigt, sondern auch Hinweis auf die nächste, musikalisch sehr prächtige Arie in dieser Cantata, die den ‚höllischen Ketten’ gewidmet ist – auch dort spielt die konzertierende, virtuose Violine eine wichtige Rolle, eine echte‚Teufelsgeige’ sozusagen.
Das Ganze bezieht sich grundsätzlich auf eine Stelle in der Epistel-Lesung des Roemer-Briefes Kapitel Vers 1 ff: „So ist nun nichts Verdammliches an denen, Die in Christo Jesu sind, Die nicht nach dem Fleisch wandeln, Sondern nach dem Geist. Denn das Gesetz des Geistes, Der da lebendig macht in Christo Jesu, Hat mich frei gemacht, Von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“

Denn das folgende erneute Bass-Rezitativ tröstet und zitiert den entscheidenden Satz daraus:
„Es ist nichts Verdammliches an denen,
Die in Christo Jesu sind.“

Und mit der Alt Arie die folgt lädt Bach zu einer kleinen virtuosen ‚Höllenfahrt’ ein. Am Violinen Part dieser Arie – die Ketten der Hölle symbolisierend – haben sich sicherlich schon viele Geiger ‚höllisch’ dicke Finger gespielt – der Part ist einem Nicolo Paganini würdig, wilde Läufe über Läufe alles rasselt und klirrt.
„Nichts kann mich erretten
Von höllischen Ketten
Als, Jesu, dein Blut.“

Und im zweiten Teil ‚Ich lache der Wut’ – wird das ‚Lahahahachen’ auch sehr plastisch ausgemalt.
„Dein Leiden, dein Sterben
Macht mich ja zum Erben:
Ich lache der Wut.“

Bis die rasselnden ‚höllischen Ketten’ – da capo, bitte – wiederkehren – auf ein Neues.
Ein prächtig gesetzter, getragen ‚königlicher’ Choral ‚colla parte’ gesetzt – also begleitet von allen Instrumenten - schließt diese Cantata die von Christi Verheißung bis tief hinab in die Hölle und zurückführt.
„Kein Menschenkind hier auf der Erd
Ist dieser edlen Gabe wert,
Bei uns ist kein Verdienen

Hier gilt gar nichts als Lieb und Gnad,
Die Christus uns verdienet hat
Mit Büßen und Versühnen.“


Bach Cantata BWV 172 ‚Erschallet ihr Lieder, erklinget ihr Saiten’
Uraufführung: 20. Mai 1714 in Weimar, Text: Salomon Franck
Choral: ,Wie schön leuchtet der Morgenstern’. Philipp Nicolai 1599
Evangelisches Gesangbuch Nr. 70

„Von Gott kömmt mir ein Freudenschein,
Wenn du mit deinen Äugelein
Mich freundlich tust anblicken.“

Choral aus der Bach Cantata ‚Erschallet ihr Lieder, erklinget ihr Saiten’ BVW 172 zum Pfingsttage.

Die letzte Cantata die wir uns zum Pfingsttage ansehen wollen ist die älteste – Bach hat sie mit nur 29 Jahren in Weimar verfasst.
Jedes Pfingstfest braucht sein Konzert und so hat Bach diese Cantata dem Konzert im Himmel und auf Erden zu Christi Lob und zum Hochfest des ‚Heiligen Geistes’ gewidmet – der Titel sagt es klar: ,Erschallet ihr Lieder, erklinget ihr Saiten’.
Der Text stammt von Salomon Franck, dem Textdichter mit dem Bach in Weimar häufiger zusammenarbeitete. Franck war ein Vertreter des reformatorischen ‚Pietismus’ – einfach erklärt – der ‚neuen, innerlichen Gläubigkeit’, die sich besonders in intimen Beschreibungen der Beziehung Seele-Christus manifestierte.
Der ‚Pietismus’ war nach der Reformation die wichtigste Reformbewegung im kontinentaleuropäischen Protestantismus im 17. und beginnenden 18. Jahrhundert. Theologisch versteht sich der Pietismus als eine Rückbesinnung auf zentrale Anliegen der Reformation.
Als positive Selbstbezeichnung hat erstmals der pietistische Leipziger Poesie-Professor Joachim Feller (1638–1691) das Wort ‘Pietist’ verwendet:
„Es ist ietzt Stadt-bekannt der Nahm der Pietisten
Was ist ein Pietist? Der Gottes Wort studirt
Und nach demselben auch ein heilges Leben führt…“

Die Pfingst-Cantata Bachs ist textlich und auch in ihrer musikalischen Umsetzung ein schönes Beispiel des Pietismus dessen Ideen der Komponist in Musik goss. Der Chor beginnt nach der prächtigen Einleitung mit zwei Rufen, die jeweils von einer Pause unterbrochen werden, als ob sie auf ein Echo oder eine Antwort warten: „Erschallet!“ – Pause, mal hören, ob etwas zurück kommt – Ihr Lieder! – Nochmal – Pause, nix, dann weiter – Erklinget ihr Saiten.

Dieser kompositorische Kunstgriff hat enorme Wirkung, weil jeder erst mal aufhorcht.
Im zweiten Teil wird dann in einer motettisch-polyphonen Durchführung sozusagen die Seelen zu Tempeln bereitet bis erneut der Ruf nach schallenden Liedern und erklingenden Saiten da capo wiederholt wird:
„Erschallet, ihr Lieder,
Erklinget, ihr Saiten!
O seligste Zeiten!
Gott will sich die Seelen
Zu Tempeln bereiten.“

Natürlich sind nicht nur Saiten im Orchester sonders auch wieder die drei (!) Clarin-Trompeten – wie die ‚Dreieinigkeit’ – Gott Vater, Gott Sohn und Gott, Heiliger Geist in drei königlichen Fanfaren darstellend.
Der Bass – ‚Vox Christi’ - setzt zum Secco Rezitativ an mit den Worten Christi, die wir schon in der vorhergehenden Cantata mit dem Titel dieser Verheißung hörten:
„Wer mich liebet, der wird mein Wort halten,
Und mein Vater wird ihn lieben,
Und wir werden zu ihm kommen
Und Wohnung bei ihm machen.“

Die folgende Bass Arie gehört wieder zu den Glanzlichtern der Kompositionen Bachs und ist auch eine der viel aufgeführten, beliebten Stücken des Kantors.
Der Bass wird von drei konzertierenden Clarin-Trompeten mit Pauken und Continuo begleitet. Eine gewaltige Instrumentierung, die einen mächtigen aber auch fast hohlen, prächtigen Eindruck vermittelt.
‚Dreieinigkeit’ – himmlische Macht - wird beschworen – sie ist aber oft fern von uns und wirkt hier zwar königlich aber ein abweisend und selbst kriegerisch – besonders, der darin enthaltene Ruf ‚Großer Gott der Ehren’:
„Heiligste Dreieinigkeit,
Großer Gott der Ehren,
Komm doch, in der Gnadenzeit
Bei uns einzukehren,

Komm doch in die Herzenshütten,
Sind sie gleich gering und klein,
Komm und lass dich doch erbitten,
Komm und ziehe bei uns ein!“

Nach dieser fast martialischen Bitte an den Großen Gott der Ehren wechselt Bach radikal die Stimmung. Das Seelenparadies das in der Tenor Arie die folgt charakterisiert wird, hat völlig andere Töne nötig.
Alfred Dürr in seinem Standardwerk „Johann Sebastian Bach, Die Kantaten“ zu dieser Arie ‚O Seelenparadies’: „Es ist verständlich, das auf die Prachtentfaltung von Eingangschor und erster Arie ein erheblicher Kontrast folgen musste. Ihm dient die in einer späteren Aufführung durch eine oktavierende Flöte verstärkte Zusammenfassung der Violinen und Violen zu einer fließenden, das Wehen des göttlichen Geistes darstellenden Melodie. Auch der gewählte Dreiertakt erweckt den Eindruck des Gelöst-Seins von aller Erdenschwere (...)
„O Seelenparadies,
Das Gottes Geist durchwehet,
Der bei der Schöpfung blies,
Der Geist, der nie vergehet
Auf, auf, bereite dich,
Der Tröster nahet sich.“

Entscheidend ist hier auch der Satz ‚Der Tröster nahet sich’ denn der ‚Tröster’ – der ‚Heilige Geist’ (Alt) nahet sich im folgenden Duett im Zwiegespräch mit der der Seele (Sopran). Dieses Duett ist ein weiteres, bestes Beispiel für die pietistische Dichtung in der die Liebe zu Gott in intimster Weise dargestellt wird:
„Liebste Liebe, die so süße,
Aller Wollust Überfluss,
Ich vergeh, wenn ich dich misse...“

Das wirkt für heutige Ohren erst mal ziemlich kitschig – ist aber in Bachs musikalischer Umsetzung ein wunderschönes, stimmiges Vergnügen. Erstaunlich auch, das Bach dieses Intim-Duett nur mit einem obligaten Cello, einer konzertierenden Oboe und Continuo besetzt – es wirkt wirklich wie eine kleines wundervoll, betrachtendes Seelen-Kammerkonzert.
Die Oboe intoniert übrigens den Choral ‚Komm heiliger Geist, Herre Gott’ zu dieser Liebesaffäre als Cantus Firmus – das ist aber durch die kunstvolle Koloratur der beiden miteinander sich liebevoll umspielenden Stimmen kaum noch auszumachen.

Seele
Komm, lass mich nicht länger warten,
Komm, du sanfter Himmelswind,
Wehe durch den Herzensgarten!

Heiliger Geist
Ich erquicke dich, mein Kind.

Seele
Liebste Liebe, die so süße,
Aller Wollust Überfluss,
Ich vergeh, wenn ich dich misse.

Heiliger Geist
Nimm von mir den Gnadenkuss.

Seele
Sei im Glauben mir willkommen,
Höchste Liebe, komm herein!
Du hast mir das Herz genommen.

Heiliger Geist
Ich bin dein, und du bist mein!
Es schließt eine Strophe des Liedes ‚Wie schon leucht’ uns der Morgenstern’ – erneut bricht also Weihnachten aus – die Verheißung der Rückkehr Gottes auf die Erde – repräsentiert durch die ‚Tröstung’ des Heiligen Geistes –

Von Gott kömmt mir ein Freudenschein...

Wenn du mit deinen Äugelein
Mich freundlich tust anblicken.

O Herr Jesu, mein trautes Gut,
Dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut
Mich innerlich erquicken.

Nimm mich
Freundlich
In dein Arme, dass ich warme werd von Gnaden:
Auf dein Wort komm ich geladen.


Ich möchte nun zwei Aufnahmen der Bach’schen ‚Pfingst-Cantatas’ empfehlen die beiden dieser Musik nicht nur gerecht werden, sondern sie in zwei sehr unterschiedlichen Auffassungen hoch spannend interpretieren und neu deuten.
Natürlich zunächst mal die CD des britischen Bach-Experten und Dirigenten Sir John Eliot Gardiner, der mit seinen Aufnahmen die begeisterte Freude des Pfingstfestes in Bachs Cantatas hautnah spürbar macht.

Gardiner hat bevor seine Pilgerreise mit Bachs Cantatas im Jahr 2000 richtig losging – sozusagen zum ‚Warmlaufen’ bei „Deutsche Grammophon“ einzelne CDs mit Bach-Cantatas aufgenommen.
Die „Deutsche Grammophon“ hat, nachdem diese veröffentlicht waren, leider das große Projekt, wohl aus Furcht vor den Kosten beendet.
John Eliot Gardiner hat danach mit eigenen Label ‚Soli Deo Gloria’ , co-finanziert von Sponsoren, mit der ‚Bach Cantata Pilgrimage’ im Jahr 2000 weitergemacht und – zum Glück – schließlich doch noch alle Bach Cantatas eingespielt.
Die gute Nachricht dabei ist nun, dass die DGG-Einzel-CDs – mit besten Solisten – nun geradezu zum Schleuderpreis unter die Leute gebracht werden.
Der Brite hat diese Cantatas dann in mitreißender Form 1999 in London im der barocken Kirche St. Johns am Smith Square eingespielt – wohl kaum ist Pfingstfreude jemals farbiger umgesetzt worden.

Die CD Johann Sebastian Bach Cantatas ‚Pfingsten’ mit den Cantatas ‚Erschallet ihr Lieder,’ BWV 172 und BWV 59 und BWV 74 ‚Wer mich liebet, der wird mein Wort halten’ sowie der Cantata ‚O ewiges Feuer, O Ursprung der Liebe’ BWV 34 mit dem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists und den Gesangssolisten Martina Jankova (BWV172) und Magdalena Kozena (BWV59 und BWV 74) (Sopran), Bernarda Fink (BWV 34)(Alt), Robin Blaze (Altus) Christoph Genz und Steve Davislim (BWV 34)(Tenor) und Peter Harvey (BWV 59 und BWV 74) sowie Reinhard Hagen (BWV 172) und Christopher Foster (BWV34) (Bass) unter der Leitung von Sir Eliot Gardiner gibt es bei Deutsche Grammophon Records unter der Bestellnummer 463 584-2.

Eine andere reine Freude ist die CD ‚Pfingstkantaten’ des Flamen Sigiswald Kuijken, der diese Cantatas wieder mit einem instrumental solistischen Klein-Ensemble und nur vier Sängern aufführt.
Kuijken liefert eine bestechende Alternative, die Bachs Kompositionskunst durchsichtig und noch dichter erfahrbar macht. Er hat auf seiner CD-Aufnahme auch die beiden Cantatas zum zweiten und dritten Pfingsttag BWV 173 ‚Erhöhtes Fleisch und Blut’ und ‚Erwünschtes Freudenlicht’ BWV 184 versammelt, die wir nun zum Abschluss unserer musikalischen Reise durch die ‚Welt der Bach Cantatas’ für Himmelfahrt und Pfingsten besprechen wollen.

Die CD Johann Sebastian Bach Cantatas Volume 16 ‚Pfingstkantaten’ mit den Cantatas ‚O ewiges Feuer, O Ursprung der Liebe’ BWV 34 zum Pfingsttag, und BWV 173 ‚Erhöhtes Fleisch und Blut’ zum 2. Pfingsttag sowie der Cantata ‚Erwünschtes Freudenlicht’ BWV 184 und schließlich der Cantata zum Sonntag „Trinitatis’ BWV 129 ‚Gelobet sei der Herr, mein Gott’ mit Petite Bande und Gesangssolisten Gerlinde Sämann (Sopran), Petra Noskaiová (Alt), Christoph Genz (Tenor) und Jan Van der Crabben (Bass) unter der Leitung von Sigiswald Kuijken gibt es bei Accent Records unter der Bestellnummer ACC 25316.

Ihr Herby Neubacher


Abbildungsnachweis:
Header: Deckengemälde des Kosters Benediktbeuren (den Heiligen Geist empfangen).
Galerie:
01. Fernando Gallegos: "Segnender Christus", um 1490, Öl auf Leinwand, 169x132cm, Museo del Prado, Madrid
02. CD-Cover Bach / Gardiner zu Pfingsten
03. CD-Cover Bach / Kuijken zu Pfingsten