Meinung

Beitragsseiten

KlassikKompass: Die Welt der Bach-Cantatas – Himmelfahrt

Vierzig Tage nach Christi Auferstehung an Ostern finden sich zwei Schlüsselfeste der Christen ‚Christi Himmelfahrt’ und weitere 10 Tage später ‚Pfingsten’.
Johann Sebastian Bach hat zu ihnen einige seiner schönsten Kantaten und ein Oratorium zu Himmelfahrt komponiert. Es ist schon merkwürdig, dass diese beiden Feste heute einmal als ‚Vatertag’ mit sinn-entleerten Trinkgelagen und als reiner ‚Ausflugstag’ begangen werden, ohne eigentlich noch ihre Bedeutung zu kennen.

Dabei sind Himmelfahrt und Pfingsten eng verbunden – die Erhöhung Christi und die Erfüllung seines Versprechens durch die Sendung des ‚Heiligen Geistes’ an Pfingsten sind eigentlich die Grundlagen allen Glaubens – daher auch Bachs prächtige musikalische Ausstattung dieser beiden Feste.
Interessant sind auch die beiden Zahlen 40 und 50 – zusammengesetzt aus vier plus null und fünf plus null. In der Zahlenmystik des Mittelalters spielt die ‚Null’ eine Rolle als Zeichen für die Ewigkeit. Die Zahl Vier war bereits für die griechischen Naturphilosophen von Bedeutung, sie sahen vier Elemente – Feuer, Wasser, Luft und Erde – als Grundbestandteile allen Seins, diese Vier-Elemente-Lehre wirkt bis in die heutige Zeit.
Da es neben den vier Elementen vier Himmelsrichtungen, Jahreszeiten und Temperamente gibt, galt die Vier im Mittelalter als die Zahl des Irdischen, im Gegensatz zur Drei, der Zahl Gottes und der Trinität.
In der christlichen Zahlensymbolik des Mittelalters steht die Drei für die nach dem Bild des dreifaltigen Gottes geschaffene Seele und alle geistigen Dinge.

Galerie - Bitte Bild klicken
Aus den rechnerischen Verbindungen Drei und Vier ergeben sich weitere im Christentum heilige Zahlen: Sieben (Sieben Tage) und Zwölf (12 Apostel).
Die Sieben ist die Addition von drei und vier, von Geist und Seele einerseits sowie Körper andererseits, also das Menschliche.
Die Vier ist die Zahl der Elemente und steht damit symbolisch für die materiellen Dinge, die nach antiker Anschauung alle aus der Kombination der vier Elemente hervorgehen
Aus dieser christlichen Zahlenlehre ergibt sich für die Musik die Auffassung, dass der 3/4-Takt als der Vollkommene gilt – früher dargestellt durch einen Kreis, während der 4/4-Takt als der unvollkommene, der irdische gilt, der bis heute in der musikalischen Notation durch einen Halbkreis, ein dem großen C ähnliches Zeichen angegeben wird.
In der Zahlensymbolik steht die Vier außerdem unter anderem für das Kreuz. Sowohl in ihrer Darstellung kreuzt sie sich, als auch das Kreuz hat vier Ecken. Es steht somit für Tod und Leid generell.
Im Christentum sind die ‘Fünf Wundmale Christi’ Gegenstand der Andacht und Verehrung. Die Fünf ist in vielen östlichen und westlichen Kulturen die Zahl der Liebe als unteilbare Summe der männlichen Zahl drei und der weiblichen Zahl zwei. Sie galt als die Zahl der Liebesgöttin Venus. Auch die zahl der ‚fünf Sinne’ mit der wir die Welt erfahren.

Man kann also daraus schließen das die 40 Tage nach Ostern die Erhöhung Christi über alles Menschliche sehen – er geht über die Dimensionen der Menschen und das Leid des Kreuzes hinaus in die Ewigkeit seines ewigen Reiches. Und aus Liebe und in Erinnerung seiner Wundmale, die er am Kreuz erhielt, sendet er den ‚Heiligen Geist’ (rund) 50 Tage nach seiner Auferstehung, um in ihm alle Menschen, die weiblichen und männlichen Elemente miteinander zu versöhnen und ihnen eine Vision der Einigkeit und Liebe zueinander zu geben.

Bach hat beides – die Freude und den Abschiedsschmerz bei der Auffahrt Christi an Himmelfahrt und die ungebremste Begeisterung über das göttliche Geschenk der Erleuchtung durch den ‚Heiligen Geist’ an Pfingsten in einige seiner schönsten Cantatas gegossen.
Wir wollen uns sowohl an Himmelfahrt als auch an Pfingsten dieser Musik erfreuen und zu versuchen ihre Wirkung und ihren inneren Aufbau zu erklären, damit sie noch besser mit Seele und Geist verstanden werden kann.

Am Himmelfahrtstage
BWV 11 Lobet Gott in seinen Reichen
BWV 43 Gott fähret auf mit Jauchzen
BWV 128 Auf Christi Himmelfahrt allein
BWV 37 Wer da gläubet und getauft wird

„Auf, auf, mit hellem Schall
Verkündigt überall:
Mein Jesus sitzt zur Rechten!
Wer sucht mich anzufechten?
Ist er von mir genommen,
Ich werd einst dahin kommen,
Wo mein Erlöser lebt (...)“
Aus der Bass Arie & Rezitativ der Cantata ‚Auf Christi Himmelfahrt allein’ BVW 128 zum Himmelfahrtstage

Der Begriff ‚Himmelfahrt’ bezeichnet das in Religionen und Mythen weit verbreitete Motiv, bis zu einem höchsten Ziel zu gelangen. Im Juden- und Christentum bezieht er sich konkret darauf, dass jemand definitiv und leiblich ins Jenseits gelangt, ohne einen Leichnam zurückzulassen. Im deutschen Sprachraum bezieht sich der Begriff ‚Himmelfahrt’ meist auf die beiden christlichen Feste ‚Christi Himmelfahrt’ und ‘Mariä Himmelfahrt’, am 15. August, bezogen.
Bereits die altägyptische Vorstellung vom Himmelsaufstieg oder die Himmelsreisen der Schamanen bringen das Streben zum Ausdruck, zu einem höchsten Ziel zu gelangen.
Auch die hellenistischen Mysterienreligionen, wie zum Beispiel der Mithraismus, geben Anweisungen für eine Reise in den Himmel.
Das Alte Testament beschreibt unter anderem die Entrückung des Henoch: Altes Testament Genesis (1. Buch Mose) Kapitel 5, Vers 24 ff
Henoch war fünfundsechzig Jahre alt und zeugte Methusalah. Und nachdem er Methusalah gezeugt hatte, blieb er in einem göttlichen Leben dreihundert Jahre und zeugte Söhne und Töchter, dass sein ganzes Alter ward dreihundertfünfundsechzig Jahre. Und dieweil er ein göttliches Leben führte, nahm ihn Gott hinweg, und er ward nicht mehr gesehen (…) und die Himmelfahrt des Propheten Elias in einem feurigen Wagen

Altes Testament 2. Könige 2 Kapitel:
„Und da sie miteinander gingen und redeten, siehe, da kam ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, die schieden die beiden voneinander und Elias fuhr also im Wetter gen Himmel.
Das Judentum kennt ebenfalls die Legenden der Himmelfahrt des Mose sowie die von der Himmelfahrt des Jesaja.“

Christi Himmelfahrt bezeichnet im christlichen Glauben die Rückkehr Jesu Christi als Sohn Gottes zu seinem Vater in den Himmel.
Das Fest wird am 40. Tag des Osterfestkreises gefeiert. Deshalb fällt es immer auf einen Donnerstag. Der frühstmögliche Termin ist der 30. April, der spätmögliche der 3. Juni.

Die ‚Himmelfahrt Jesu Christi’ erwähnt das Neue Testament drei Mal –
im Evangelium des Markus 16 ff: „Und der HERR, nachdem er mit ihnen geredet hatte, ward er aufgehoben gen Himmel Und sitzt zur rechten Hand Gottes. Sie aber gingen aus und predigten an allen Orten.
Und der HERR wirkte mit ihnen und bekräftigte das Wort durch mitfolgende Zeichen.“

Im Evangelium des Lukas 24 ff: „Er führte sie aber hinaus bis gen Bethanien und hob die Hände auf und segnete sie.
Und es geschah, da er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.
Sie aber beteten ihn an und kehrten wieder gen Jerusalem mit großer Freude
Und waren allewege im Tempel, priesen und lobten Gott.“

In der Apostelgeschichte 1 Kapitel 1 ff: „Und da er solches gesagt, ward er aufgehoben zusehends,
Und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg.
Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr,
Siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Kleidern, welche auch sagten:
Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet gen Himmel?
Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel,
Wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren.
Einzig an letzter Stelle ist sie ausführlich beschrieben. Demnach begegnet der auferstandene Christus über vierzig Tage hinweg wiederholt seinen Jüngern und wird dann in den Himmel aufgenommen, wo er mit dem Platz ‘zur Rechten Gottes’ die Macht über Himmel und Erde erhält.
Die Himmelfahrt Christi hat große Bedeutung für die christliche ‚Eschatologie’, der prophetische Lehre von den Hoffnungen auf Vollendung des Einzelnen und der gesamten Schöpfung, auch die Lehre vom ‘Anbruch einer neuen Welt’.

Dazu die Epistel Brief an die Philipper Kapitel 2 Vers 8 ff: „Ihn, der sich selbst erniedrigt hat und gehorsam geworden ist bis zum Tode am Kreuz, hat Gott über alle erhöht und ihm einen Namen gegeben, der größer ist als alle Namen.“
Der Glaube an die Himmelfahrt wird bereits in dem alten römischen Glaubensbekenntnis des dritten Jahrhunderts, dem Vorläufer des Apostolische Glaubensbekenntnisses von 325 und des nicänischen Bekenntnisses von 381 ausgedrückt:
„Er ist am dritten Tag auferstanden
Und aufgefahren in den Himmel.
Er sitzt zur Rechten des Vaters
Und wird wiederkommen in Herrlichkeit
Zu richten die Lebenden und die Toten
Seiner Herrschaft wird kein Ende sein.“

Das Fest der ‘Himmelfahrt Christi’ ist ebenfalls bereits in der Liturgie von Jerusalem seit 383 durch die Pilgerin Egeria bezeugt. Sie war eine spätantike Schriftstellerin aus Gallien, die als Pilgerin von 381 bis 384 das Heilige Land bereiste und darüber einen Reisebericht in Form eines Briefes an ihre Mitschwestern verfasste, ein so genanntes ‚Itinerar’, das 1884 in der Klosterbibliothek von Arezzo in Mittelitalien wiedergefunden wurde. Gemäß den biblischen Texten ist der Termin von ‚Christi Himmelfahrt’ also vierzig Tage nach Ostern und zehn Tage vor Pfingsten. Das Verhältnis von Auferstehung und Himmelfahrt Christi war und ist Gegenstand theologischer Debatte. Das Grundereignis ist der Sieg. Gott zieht seinen Sohn heraus und empor. Dies ist ein Triumph über alle Mächte dieser Welt, ein Triumph, an dem alle Christen Anteil haben.
Die drei Tage der Woche vor ‚Christi Himmelfahrt’ werden als Bitttage und sogenannte ‚Rogationes minores’ (‚kleine Litaneien’) mit den sogenannten Bittprozessionen begangen oft Feldumgängen als Fürbitte um eine gute Ernte.
Auch am Freitag nach Christi Himmelfahrt, dem ‘Hagelfreitag’ oder ‚Schauerfreitag’, oder am dem Himmelfahrt folgenden Sonntag ‚Exaudi’ waren mancherorts Prozessionen üblich.
Die Himmelfahrts-Woche wurde deshalb auch als Gangwoche, Betwoche, Bittwoche oder Kreuzwoche bezeichnet, weil den Prozessionen das Kreuz vorangetragen wurde. Die Bitttage stehen in einer gewissen Spannung zum freudigen Charakter der Osterzeit, die liturgisch erst mit dem Pfingstfest endet.

Sehen wir uns nun genauer an, wie Bach in seinen Musiken diese Freude und den Aufbruch aber auch den Abschiedsschmerz der Himmelfahrt nachzeichnet und damit hörbar und geistlich erfahrbar macht.


Himmelfahrts Oratorium BWV 11 ‚Lobet Gott in seinen Reichen’
Uraufführung 19. Mai 1735 in Leipzig, Text: vermutlich Christian Friedrich Henrici ‚Picander’
Choral ,Du Lebensfürst Herr Jesu Christ’. Johann Rist 1641
Choral ‚Gott fähret auf gen Himmel’. Text: Gottfried Wilhelm Sacer 1697
Melodie: ‚Von Gott will ich nicht lassen’, Erfurt 1563
Evangelischen Gesangbuch Nr. 365

‘Lobet Gott in seinen Reichen’ das ,Himmelfahrtsoratorium’ BWV 11 wurde in der alten Bach-Gesamtausgabe noch bei den Kantaten eingeordnet. Daher stammt die kleine BWV-Nummer. Mittlerweile wird es folgerichtig den Oratorien zugeordnet, da es eine biblische Handlung zur Grundlage hat, die von einem Evangelisten und anderen Personen in den Rezitativen vorgetragen wird. Das zweiteilige Werk besteht aus elf Sätzen und wurde vom Komponisten selbst als ‚Oratorium In Festo Ascensionis’ (‚Oratorium zum Feste der Himmelfahrt’) bezeichnet. Interessant ist schon der Einleitungschor, der Gott in seinen ‚Reichen’ preist – Plural. Gemein hier wohl das Christuswort, das wir an den Anfang unserer Betrachtungen stellten: ‚Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden’ – in der Tat zwei ‚Reiche – Regentschaft im Himmel und auf Erden. Es gibt weitere interessante Querverbindungen zum Werke Bachs. Ich finde es immer wieder faszinierend wie folgerichtig und einheitlich Bach theologisch und musikalisch dachte. Vielleicht ist dies auch einer der Reize seiner Cantatas, die bis heute zu den meist aufgeführten Bach Werken zählen.

Das Himmelfahrtsoratorium hat eine direkte musikalische und theologische Verbindung zum Weihnachtsoratorium BWV 248. Dessen Teile wurden ein Jahr vor der Entstehung des Himmelfahrtsoratoriums, erstmals vom Thomanerchor in Leipzig in den sechs Gottesdiensten zwischen dem ersten Weihnachtsfeiertag 1734 und dem Epiphaniasfest 1735 in der Nikolaikirche und der Thomaskirche aufgeführt.
Beide Oratorien entstanden, wie übrigens auch das Osteroratorium, aus einer weltlichen Vorlage.
Das Weihnachtsoratorium unter anderem aus der Cantata BWV 214 ‚Tönet ihr Pauken! Erschallet Trompeten’, komponiert zum Geburtstag der Königin von Polen – das Himmelfahrtsoratorium aus einer verschollenen Fest-Cantata zu einer Eröffnung der Thomas Schule BWV Anhang 18 ‚Froher Tag, verlangte Stunden’.
Die erste Cantata des Weihnachtsoratoriums ‚Am Weihnachtstage’ beginnt ebenfalls mit einer Aufforderung an alle Gläubigen zum Loben beginnt ‚Jauchzet frohlocket, auf preiset die Tage’.
‚Lobet Gott in seinen Reichen’ ist fast eine Antwort darauf – nachdem Christus seine Zeit auf der Welt abgeschlossen und sein Heilswerk vollendet hat, am Himmelfahrtstag. Und Bach schafft auch eine musikalisch Parallele, die Instrumentierung des Einleitungschors ‚Lobet Gott in seinen Reichen’ gleicht aufs Haar der Instrumentierung des ersten Chors des Weihnachts-Oratoriums – zwei Clarin-Trompeten und Pauken. Ein festlicher Anfang an der Krippe findet in der ebenso festlichen Auffahrt seine Erfüllung.
Der Chor feiert Gott in seinen ‚Reichen’ und wiederkehrende nach oben gerichtete Triolen-Bewegungen signalisieren die Auffahrt Christi in den Himmel:
„Lobet Gott in seinen Reichen,
Preiset ihn in seinen Ehren,
Rühmet ihn in seiner Pracht.
Sucht sein Lob recht zu vergleichen,
Wenn ihr mit gesamten Chören
Ihm ein Lied zu Ehren macht!“

Sucht sein Lob recht zu vergleichen – meint gleich zu machen – dem Lob das ihr gesungen habt aus Freude über die Geburt?

Wie im Weihnachtsoratorium geht es weiter mit einem Rezitativ des Evangelisten. Zu Weihnachten heißt das – wie alle wissen: „Es begab sich aber zu der Zeit...“
Zu Himmelfahrt wird von der Auffahrt berichtet: „Der Herr Jesus hub seine Hände auf
Und segnete seine Jünger
Und es geschah, da er sie segnete,
Schied er von ihnen.“

Und nun kommt wieder eine interessante Parallele ins Spiel zwischen Anfang und Ende – zwischen Krippe und Heimfahrt zum Vater.
Das erste Wort (Rezitativ) und die erste Arie im Weihnachtsoratorium gehört dem Alt – der ‚Tochter Zion’. Die ‘Tochter Zion’ steht metaphorisch einmal für die jüdischen Glaubensinhalte zu Jerusalem und den Tempel. Aber auch für die christliche Mutter Gottes, Maria.
In der mittelalterlichen Mystik ist die ‚Tochter Syon’ ein Sinnbild für die Seele des gläubigen Christen, so in den Schriften des Franziskaner Mönchs Lamprechts von Regensburg. Sein Werk ‚Diu tohter von Syon’ entstand um 1250. Sie ist darin eine allegorische Figur für die Seele die danach strebt, die Vereinigung mit Christus und Gott zu suchen.

Im Weihnachtsoratorium beginnt die ‚Tochter Zion’ mit einem Rezitativ begleitet von den Hirteninstrumenten Oboe und Fagott:
„Nun wird mein liebster Bräutigam,
Nun wird der Held aus Davids Stamm
Zum Trost, zum Heil der Erden
Einmal geboren werden.
Nun wird der Stern aus Jakob scheinen,
Sein Strahl bricht schon hervor.
Auf, Zion, und verlasse nun das Weinen,
Dein Wohl steigt hoch empor.“

Das Gegenstück im Himmelfahrtsoratorium – das stilistische Mittel ist nun das ‚Seelen- und Trauerinstrument’, die (Quer)-Flöte. Eine flehende Abschiedsrede bei denen die ‚Tränen von den blassen Wagen’ wirklich ‚rollen’ – musikalisch in absteigender Bewegung von der traurigen Flöte begleitet:
„Ach, Jesu, ist dein Abschied schon so nah?
Ach, ist denn schon die Stunde da,
Da wir dich von uns lassen sollen?
Ach, siehe, wie die heißen Tränen
Von unsern blassen Wangen rollen,
Wie wir uns nach dir sehnen,
Wie uns fast aller Trost gebricht.
Ach, weiche doch noch nicht!“

Es folgt im Weihnachtsoratorium die berühmte Alt Arie der ‚Tochter Zion’ in freudiger Erwartung des Heilandes:
„Bereite dich, Zion, mit zärtlichen Trieben,
Den Schönsten, den Liebsten bald bei dir zu sehn!
Deine Wangen
Müssen heut viel schöner prangen,
Eile, den Bräutigam sehnlichst zu lieben!“

Bach setzt eine Alt Arie im Himmelfahrtsoratorium am gleichen Platz ein und erinnert sich der ‚zärtlichen Triebe’ der Erwartung und bittet ‚das liebste Leben’ doch nicht so bald zu fliehen:
„Ach, bleibe doch, mein liebstes Leben,
Ach, fliehe nicht so bald von mir!
Dein Abschied und dein frühes Scheiden
Bringt mir das allergrößte Leiden,
Ach ja, so bleibe doch noch hier
Sonst werd ich ganz von Schmerz umgeben.“

Der Thomaskantor hat noch ein weiteres, verstecktes, allegorisches Bild in dieser Arie untergebracht, das er später in der h-Moll Messe erneut zum Leben erweckte: ‚Agnus Dei’, das ‚Lamm Gottes’.

1748, zwei Jahre vor seinem Tod, nahm er diese Arie aus dem Himmelfahrtsoratorium und schuf daraus das grandiose Abschlussgebet seiner h-Moll Messe:
„Agnus Dei,
Qui tollis peccata mundi,
miserere nobis

Lamm Gottes,
Das du trägst die Sünden der Welt,
Erbarme dich unser!“

Erneut singt dies die ‚Tochter Zion’, der Alt, und diese Arie gehört zu den absolut überwältigsten Bach-Werken und Ikonen der Musikgeschichte.
‚Lamm Gottes’ – fähret auf zum Himmel – Ende eines Lebens – die Bitte um Erbarmen. Das macht Bachs musikalische und geistliche Dimension so erstaunlich und unvergleichlich – diese folgerichtige, innere Wahrheit seiner Kompositionen.

Das Himmelfahrtsoratorium kehrt zurück zur Erzählung des Evangelisten, des Tenor, der in einem schlichten Secco Rezitativ beschreibt:
„Und ward aufgehaben zusehends
und fuhr auf gen Himmel
eine Wolke nahm ihn weg vor ihren Augen,
und er sitzet zur rechten Hand Gottes.“

Ein prächtig instrumentierter Choral beschließt den ersten Teil des Oratoriums:
„Nun lieget alles unter dir,
Dich selbst nur ausgenommen;
Die Engel müssen für und für
Dir aufzuwarten kommen.
Die Fürsten stehn auch auf der Bahn
Und sind dir willig untertan;
Luft, Wasser, Feuer, Erden
Muss dir zu Dienste werden.
Wir haben am Beginn unserer Betrachtungen oben etwas Zahlenmystik betrieben und uns mit der Zahl ‚Vier’ beschäftigt. Auch in diesem Choral stellt Bach das eine Reich Christi – die Erde – durch die Vier-Zahl der Elemente vor.

Luft, Wasser, Feuer, Erden
Muss dir zu Dienste werden.“

Nach der Predigt – das Oratorium wurde durch eine Predigt unterbrochen - wie viele der zweitgeteilten Bach-Cantatas – kommt erneut der Evangelist zum Zuge und dramatisiert nun das Geschehen in einem Accompagnato mit ‚zwei Männern in weißen Kleidern’ dargestellt durch zwei Tenöre.

Evangelist
Und da sie ihm nachsahen gen Himmel fahren,
Siehe, da stunden bei ihnen
Zwei Männer in weißen Kleidern, welche auch sagten:

Zwei Männer
Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr
Und sehet gen Himmel
Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen
Gen Himmel, wird kommen,
Wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren

Die beiden Stimmen der Männer singen fugiert so dicht beieinander, das sie fast wie eine Stimme, die sich überschneidet, wirken. Es war eine beliebte musikalisch-dramatische Methodik seit der Renaissance bis ins Barock hinein überirdische Erscheinungen durch mehrere, möglichst gleichartige, Stimmen zu charakterisieren, nicht nur in der Kirchenmusik dieser Epoche. So lässt der britische Barock-Komponist Henry Purcell (1659-1695) seine Hexe, die ‚Witch of Endor’, in der Masque ‘In guilty night’ - Saul and the Witch of Endor’ -auch von zwei Stimmen singen – klingt wohl auch unheimlich.

Die ‚Tochter Zion’ im Alt unterstreicht nochmal ihre klagende Sehnsucht wieder von der Flöte unterstützt im sofort anschließenden Accompagnato-Rezitativ:
„Ach ja! so komme bald zurück:
Tilg einst mein trauriges Gebärden,
Sonst wird mir jeder Augenblick
Verhaßt und Jahren ähnlich werden.“

Etwas jedoch wird das Ganze Trauern konterkariert durch den Abschluss des Evangelisten-Berichts erneut im Tenor Rezitativ:
„Sie aber beteten ihn an,
Wandten um gen Jerusalem
Von dem Berge,
Der da heißet der Ölberg,
Welcher ist nahe bei Jerusalem
Und liegt einen Sabbater-Weg davon,
Und sie kehreten wieder
Gen Jerusalem mit großer Freude.“

Bach wendet in der folgenden Sopranarie einen weiteren kompositorischen Kunstgriff an, um das ‚Entschweben’ Christi und den ‚Awe’-Effekt der umstehenden Zeugen musikalisch sichtbar zu machen: Er lässt zwei Querflöten leicht wie Licht einen extrem hohen Sopran begleiten und darunter fehlt der übliche Bass-Unterbau.
Der Musikhistoriker und Bach Forscher Alfred Dürr schreibt in seinen Bemerkungen zu dieser Arie: „(...) Da alle an der Ausführung dieser Arie beteiligten Instrumente sowie die Singstimme der hohen oder mittleren Stimmlage zugehören, erweckt der Satz den Eindruck des Blicks nach oben. Alle Erdenschwere scheint aufgehoben. (...)“

Der Schlusschoral erinnert in seiner ganzen Prächtigkeit wieder an das Weihnachtsoratorium – Christus wird mit jubelnden Clarinen und Pauken zum Himmel geschickt, wie er einst mit jubelnden Chören begrüßt wurde.
Ein ungeheuer mitreißender Choral, der den Himmel weit offen macht, im Tanzrhythmus begleitet, in der Tat kehren sie und wir zurück, mit großer Freud:
„Wenn soll es doch geschehen,
Wenn kömmt die liebe Zeit,
Dass ich ihn werde sehen,
In seiner Herrlichkeit?
Du Tag, wenn wirst du sein,
Dass wir den Heiland grüßen,
Dass wir den Heiland küssen?
Komm, stelle dich doch ein!“

Ich möchte zu Beginn meiner CD Empfehlungen die Aufnahme des Himmelfahrtsoratoriums eines wahren Patriarchen deutscher Bach-Pflege Erneuerung der Kultur der Bach-Cantatas vorstellen, Helmuth Rilling, geboren 1933.
Der Stuttgarter Kirchenmusiker, Dirigent und Musikpädagoge. studierte zunächst an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst seiner Heimatstadt, dann ab 1955 Orgel in Rom. Rilling gründete im Januar 1954 die Gächinger Kantorei und 1965 das Bach-Collegium in Stuttgart. Seither ist das geistliche und weltliche Werk von Johann Sebastian Bach Rillings Arbeitsschwerpunkt. So spielte er zwischen 1970 und 1985 als erster Dirigent alle geistlichen Kantaten Johann Sebastian Bachs auf Schallplatte ein. 2000 folgte dann die erste Gesamtaufnahme aller Werke von Johann Sebastian Bach unter Rillings künstlerischer Gesamtleitung auf 172 CDs in der international ausgezeichneten ‚Edition Bachakademie’. Rilling gründete ebenfalls bereits 1970 das Oregon Bach Festival und 1981 die Internationale Bachakademie Stuttgart, deren künstlerischer Leiter er bis zu seinem Rücktritt im Februar 2012 war. Eine seiner Spezialitäten sind die Gesprächskonzerte, in denen er Musikanalyse und Konzert verbindet.
Rilling hat sich Zeit seines Lebens geweigert sein Orchester mit ‚Originalen’ Musikinstrumenten auszustatten, wenngleich er viele der Ideen dieser Szene in seine Aufführungspraxis übernahm.
Ãœber diese Auffassung Rillings heißt es in dem Begleitheft zu seiner Aufnahme des Oster -und des Himmelfahrtsoratorium, die dem Zyklus der ‚Bach Akademie’ entnommen ist und 1981 (Oster Oratorium) und 1984 (Himmelfahrtsoratorium) in der Gedächtniskirche in Stuttgart entstand:
(...) ‚Die Rekonstruktion isolierter Aspekte nützt jedoch wenig, wenn es darum geht dem modernen, in jeder Beziehung anders geprägten Hörer, den Sinn dieser Musik zu vermitteln. Das Ziel bleibt immer bestehen, auch wenn Elemente wie Emotionalität, Dynamik, Artikulation und Phrasierung, die den Affekt und den Sinn des vertonten Wortes erhellen, sich verändert haben.’ (...)
Rilling ist immer eine Klasse für sich – ich habe nach wie vor alle seine Cantatas und Oratorien im Plattenschrank – der schwäbische Bach-Experte hat wohl wie wenige das theologische und musikalische Denken des Thomaskantors verstanden und vermittelt es mit seinen Einspielungen.
Auch wenn der Klang seines Orchesters heute ungewöhnlich laut und sehr glänzend und präsent kling – eben wegen der modernen Instrumente – und er oft eher opernhafte Sänger Persönlichkeiten favorisiert – der Gesamteindruck der Aufnahmen ist intensiv und musikalisch bestechend in ihrer eigenen Art.

Die CD Johann Sebastian Bach Osteroratorium BWV 249 und Himmelfahrtsoratorium BWV 11 mit der Gächinger Cantorei und dem Bach Collegium Stuttgart sowie dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn, sowie den Gesangs-Solisten Arleen Auger (Oster Oratorium) und Constanza Cuccaro (Himmelfahrtsoratorium) (Sopran), Julia Hamari (Osteroratorium) und Mechtild Georg (Himmelfahrtsoratorium) (Alt), Adalbert Kraus (Tenor) sowie Philippe Huttenlocher (Oster Oratorium) und Andreas Schmidt (Himmelfahrtsoratorium) (Bass) unter der Leitung von Helmuth Rilling ist zu haben bei Hänssler Records ‚Edition Bach Akademie’ Nr. 77.

Zwei weitere Empfehlungen sollen für die Aufnahme des Himmelfahrtsoratoriums sowie einiger weiterer Kantaten folgen: Einmal die Einspielung von Philippe Herrweghe – eines hochgelobten wallonischen Bach-Interpreten den wir in eine unseren vorigen Folgen der ‚Welt der Bach-Cantatas’ bereits ausführlich vorstellten.
Herreweghe bevorzugt – natürlich – Instrumente im Originalklang und einen sehr feinen, handverlesenen Chor, den Collegium Vocale aus Gent sowie ein ausgesuchtes klein besetztes Orchester von 24 Solisten der Sonderklasse – hier nur erwähnt der Oboist Marcel Ponseele, der mittlerweile zu den besten seines Fachs zählt und in etlichen Orchestern mit Originalklang zuhause ist, sowie einige Bach-Cantatas mit eigenem Ensemble einspielte.
Dazu sucht Herreweghe ebenso hochkarätige Solisten aus wie die Sopranistin Barbara Schlick, die Altistin Catherine Patriasz, den ebenso hochgelobten Tenor und Evangelisten von Rang Christoph Pregardien und den Bassisten Peter Kooy.

Die CD Aufnahme des Himmelfahrtsoratoriums stammt von 1993 und bietet neben diesem Werk die Cantata die wir als nächste besprechen wollen – ebenfalls zum Himmelfahrtstage – ‚Gott fähret auf mit Jauchzen’ BWV 43 und die Cantata zum Sonntag ‚Exaudi’ zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ‚Sie werden euch in den Bann tun’ BWV 44 die wir bereits vorstellten.

Die CD Johann Sebastian Bach ‚Himmelfahrts-Oratorium’ und den Cantatas ‚Gott faehret auf mit Jauchzen’ BWV 43 zum Himmelfahrtstage sowie ‚Sie werden euch in den Bann tun’ BWV 44 zum Sonntag ‚Exaudi’ mit dem Collegium Vocale und Instrumentalisten sowie den Solisten (siehe oben) unter der Leitung von Philippe Herreweghe gibt es bei Harmonia Mundi Records unter der Bestellnummer HMC 901479.

Außerdem sei hier noch an eine CD erinnert, die wir ebenso bereits in unserer Serie besprachen, des Flamen Sigiswald Kuijken, der mit seiner Petite Bande und vier Solisten das ‚Himmelfahrtsoratorium’ bestechend schön und begeisternd in Kleinstbesetzung mit einer Stimme pro Part aufgenommen hat.

Die CD Johann Sebastian Bach Cantatas Volume 10 ‚Himmelfahrtsoratorium’ mit den Cantatas ‚Es ist euch gut das ich hingehe’ BWV 108 und BWV 86 ‚Wahrlich, wahrlich ich sage euch’ zum Sonntag ‚Rogate’ sowie dem ‚Himmelfahrtsoratorium Lobet Gott in seinen Reichen’ BWV 11 und schließlich der Cantata zum Sonntag nach Himmelfahrt ‚Exaudi’ BWV 44 ‚Sie werden euch in den Bann tun’ mit Petite Bande und Gesangssolisten Siri Thornhill (Sopran), Petra Noskaiová (Alt), Christoph Genz (Tenor) und Jan Van der Crabben (Bass) unter der Leitung von Sigiswald Kuijken gibt es bei Accent Records unter der Bestellnummer ACC 25310.

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment


Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.