Meinung
KlassikKompass – Die Welt der Bach Kantaten: Am 2. Ostertage

Wir blicken heute auf den österlichen Sonn- und Montag und auf die Bach-Kantaten: ‚Erfreut euch ihr Herzen’ BWV 66 sowie ‚Bleib bei uns, denn es will Abend werden’ BWV 6.
Der Ostermontag, steht als zweiter Feiertag ganz im Zeichen des Osterfestes. Allerdings wird hier eine andere Bibelstelle verwendet, welche die Auferstehung Jesu Christi aus dem Blickwinkel der Emmaus-Jünger erzählt.
Streng genommen ist der Montag also die Fortsetzung des Ostertages und somit – liturgisch – nur bedingt als eigenständiger Tag zu sehen. Biblisch ist die Geschichte am Ostersonntag verankert und nicht am Ostermontag.
Im Tagesevangelium sind zwei Jünger am dritten Tag nach der Kreuzigung Jesu aus Jerusalem fortgegangen, um wieder nach Emmaus zurückzukehren.

Auf dem Weg dorthin schließt sich ihnen ein dritter, unbekannter Mann an. Dieser hinterfragt die Trauer der beiden Heimkehrer und erläutert ihnen schließlich, dass der Messias all das erleiden musste, wie es die alten Schriften vorhergesagt hatten.
In Emmaus angekommen, laden die Jünger den Mann in die Herberge ein. Er bricht am Tisch das Brot, und in diesem Moment erkennen sie den auferstandenen Jesus, der aber vor ihren Augen verschwindet. Sie kehren sofort um, erreichen noch in der Nacht wieder Jerusalem und erzählen den dort noch versammelten Jüngern von ihrem Erlebnis.
Durch die Einführung eines zweiten Feiertags konnten in den deutschsprachigen Ländern für den Ostermontag eigene Bräuche entstehen. So erinnert der Emmaus-Gang oder Emmaus-Osterspaziergang an den Gang der beiden Jünger Christi von Jerusalem nach Emmaus, wo ihnen der auferstandene Jesus von Nazareth begegnete. Meist beginnt der Emmaus-Gang vor der Pfarrkirche und endet bei einer Kapelle.

Bach-Cantata BWV 66 ‚Erfreut euch ihr Herzen’
Uraufführung 10. April 1724 aus Leipzig
Text: unbekannter Dichter. Choral ,Christ ist erstanden’, 1529
Evangelisches Gesangbuch No.99

„Es bricht das Grab und damit unsre Not,
Der Mund verkündigt Gottes Taten;
Der Heiland lebt, so ist in Not und Tod
Den Gläubigen vollkommen wohl geraten.“

Johann Sebastian Bach schrieb eine seiner fröhlichsten und auch interessantesten Cantatas fuer den 2. Ostertag ‚Erfreut euch ihr Herzen’ BWV 66 – auch sie geht – wie das ‚Oster-Oratorium’ auf eine weltliche Glückwunsch Canatata zurück, die weitgehend als ‚Dialogus’ – als Zwiegespräch – angelegt war.
Bach enthält dieses Zweigespräch um und deutete es um in einen Dialog zwischen Furcht (Alt) und Hoffnung (Tenor).
Dabei ist es interessant das Alt und Tenor im Barock stimmlich sehr nahe beieinander liegen – ein oft eingesetzter männlicher ‚Altus’ wird auch als ‚Counter Tenor’ bezeichnet – also ein ‚hoher Tenor’ und so entsteht in der Auswahl dieser relativ alternierenden liegenden Stimmlagen ein interessanter Effekt des Gesprächs mit sich selbst – Furcht und Hoffnung finden sich eben in der gleichen Seele.

Doch zunächst beginnt die Cantata mit einem wunderschönen Ostertanz im Eingangschor – man mag mitswingen – begleitet von Oboen und Violinen und einer einzelnen Trompete, die hier erneut für das festliche ‚Osterlicht’ sorgt.
Der Chor wird weitgehend parallel geführt und das ganze hört sich an wie ein schöner tänzerischer Lobgesang.

„Erfreut euch, ihr Herzen,
Entweichet, ihr Schmerzen,
Es lebet der Heiland und herrschet in euch.“

Nur im zweiten Teil dieses Chores wird es wieder etwas trüber – einem ersten solistischen Dialog zwischen Furcht und Hoffnung – man erinnert sich darin in chromatisch absteigenden Harmonien an das Grab und ‚das Trauern, das Fürchten, das ängstliche Zagen’, wird hautnah spürbar...

„Ihr könnet verjagen
Das Trauern, das Fürchten, das ängstliche Zagen“, bevor der Tutti Chor tröstend beschließt... Der Heiland erquickt sein geistliches Reich...
...und dann im da capo – in der Wiederholung – die Sorge und Furcht wieder von der Freude über die Auferstehung verdrängt wird.

Der Bass gibt in einem von Violinen und Viola und Basso Continuo begleiteten Accompagnato nochmal die begeisterte Tageslosung aus – Ostern ist auch am Montag danach nicht vergessen:
„Es bricht das Grab und damit unsre Not,
Der Mund verkündigt Gottes Taten
Der Heiland lebt, so ist in Not und Tod
Den Gläubigen vollkommen wohl geraten“

Das Ganze gefolgt von einer weiteren sehr tänzerisch fröhlichen Bass Arie einem großen Dankeschön mit musikalischen Verbeugungen vor dem Heiland für sein ‚Erbarmen und ewige Treu’ – ewige Treu wird dann auch ewig lang phrasiert ‚ewige Treu’:
„Lasset dem Höchsten ein Danklied erschallen
Vor sein Erbarmen und ewige Treu.“

Hier auch wieder interessant der zweite Teil der Arie, in dem plötzlich der Auferstandene erscheint – in absteigenden fast fließenden Violinmotiven wird das beschworen – ganz anders und ‚fremd’ klingend im Vergleich zu dem einleitenden Tanz, der dann natürlich da capo wiederholt wird.

„Jesus erscheinet, uns Friede zu geben,
Jesus berufet uns, mit ihm zu leben,
Täglich wird seine Barmherzigkeit neu.“

Der zweite Teil der Cantata ist nun ausschließlich von dem Dialog zwischen Furcht (in einer unserer empfohlenen Aufnahmen von einem männlichen Altus gesungen) und Hoffnung (Tenor) bestimmt.
Accompagnato Rezitativ. Begleitung mit Basso Contnuo.

Hoffnung
„Bei Jesu Leben freudig sein
Ist unsrer Brust ein heller Sonnenschein.
Mit Trost erfüllt auf seinen Heiland schauen

Und in sich selbst ein Himmelreich erbauen,
Ist wahrer Christen Eigentum.
Doch weil ich hier ein himmlisch Labsal habe
So sucht mein Geist hier seine Lust und Ruh

Mein Heiland ruft mir kräftig zu:
Mein Grab und Sterben bringt euch Leben
Mein Auferstehn ist euer Trost
Mein Mund will zwar ein Opfer geben
Mein Heiland, doch wie klein

Wie wenig, wie so gar geringe
Wird es vor dir, o großer Sieger sein
Wenn ich vor dich ein Sieg- und Danklied bringe.“

An dieser Stelle wird das rezitative Accompagnato zum Arioso – namentlich die ‚der Tod in Banden’ wird wie eine lange Fesselung musikalisch umschrieben.
Furcht
Kein Auge sieht den Heiland auferweckt,
Hoffnung
Mein Auge sieht den Heiland auferweckt
Furcht
Es hält ihn noch der Tod in Banden.
Hoffnung
Es hält ihn nicht der Tod in Banden.

An dieser Stelle wird Arioso zurück zum Rezitativ geführt – ein Kunstgriff der zu der reich von einer konzertierenden Violine begleiteten Duett Arie hinleitet:

Hoffnung
Wie, darf noch Furcht in einer Brust entsteh’n?
Furcht
Läßt wohl das Grab die Toten aus?
Hoffnung
Wenn Gott in einem Grabe lieget,
So halten Grab und Tod ihn nicht.
Furcht
Ach Gott! der du den Tod besieget,
Dir weicht des Grabes Stein, das Siegel bricht,
Ich glaube, aber hilf mir Schwachen
Du kannst mich stärker machen;
Besiege mich und meinen Zweifelmut.

Der Gott, der Wunder tut,
Hat meinen Geist durch Trostes Kraft gestärket,
Dass er den auferstandnen Jesum merket.

Duett Aria
Begleitung: Violino solo, Continuo

Furcht
Ich furchte zwar des Grabes Finsternissen
Hoffnung
Ich furchte nicht des Grabes Finsternissen
Furcht
Und klagete mein Heil sei nun entrissen.
Hoffnung
Und hoffete mein Heil sei nicht entrissen.
Beide
Nun ist mein Herze voller Trost,
Und wenn sich auch ein Feind erbost,
Will ich in Gott zu siegen wissen.

Dieses Duett ist so begeisternd das es sogar vor Jahren einmal seinen Weg nach ganz oben in die US Pop-Hitparaden fand.

Bach gelingt es hier die Sterbensangst und die Lebensfreude und Hoffnung in unvergleichlicher Weise als Duett zu verbinden – einer der vielen musikalischen Diamanten, die sich in Bachs Canata Werken finden.
Die Canata beschließt der schlicht gesetzte Schluss des Osterchoral ‚Christ ist erstanden’ wie ein Siegel der Hoffnung

„Alleluja! Alleluja! Alleluja!
Des soll’n wir alle froh sein,
Christus will unser Trost sein.
Kyrie eleis.“

Wir empfehlen hier wieder die bereits oben beschriebene CD des Collegium Vocale mit dem Dirigenten Philippe Herreweghe der besonders den ‚Dialogus’ mit den Solisten Kai Wessel (Altus) und James Taylor (Tenor) zum Ereignis gestaltet – so hat man sich nie vor dem Grab gefürchtet und ist getrösten worden.


Bach Cantata BWV 6 ‚Bleib bei uns, denn es will Abend werden’
Uraufführung 2. April 1725 aus Leipzig
Text: Nikolaus Selnecker 1611. Choral ,Ach bleib’ bei uns Herr Jesu Christ’
Philip Melanchton 1579 / Martin Luther 1642
Evangelisches Gesangbuch No.246

„Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ,
Weil es nun Abend worden ist,
Dein göttlich Wort, das helle Licht,
Lass ja bei uns auslöschen nicht.“

Der Auferstandene Jesus mit den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus:
Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren und träges Herzens, zu glauben alle dem, was die Propheten geredet haben!
Mußte nicht Christus solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen?
Und fing an von Mose und allen Propheten und legte ihnen alle Schriften aus, die von ihm gesagt waren.
Und sie kamen nahe zum Flecken, da sie hineingingen und er stellte sich, als wollte er weiter gehen.
Evangelium Lukas 24 Vers 25 ff

Und sie nötigten ihn und sprachen:
Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.

Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.
Und es geschah, da er mit ihnen zu Tische saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen.

Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn.
Und er verschwand vor ihnen.
Und sie sprachen untereinander:
Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege, als er uns die Schrift öffnete?
Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten wieder gen Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren, welche sprachen:
Der HERR ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen.
Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wäre an dem, da er das Brot brach.

Nur einen Tag nachdem Bach das Oster-Oratorium in Leipzig 1725 aufgeführt hatte brachte er am Oster Montag die Cantanta ‚Bleib bei uns, denn es will Abend werden’ auf die Empore der Leipziger Thomaskirche.

Sigiswald Kuijken, dessen Einspielung dieser Cantata wir empfehlen wollen meint in seinem begleitenden Textheft dazu: „Die Leipziger sind wahrhaft verwöhnt gewesen’.

In der Tat zählt diese Kantate zu den wohl großartigsten des Bach-Schaffens, das zeigt sich schon am breit angelegten Eingangschor:
„Bleib bei uns, denn es will Abend werden
Und der Tag hat sich geneiget.“

Der Text zitiert nur das Lukas Evangelium des Tages mit der Bitte der Jünger an Jeus in Emmaus aber wie das musikalische dargestellt wird, sucht seinesgleichen.
Kuijken weiter dazu: „Der Text aus Lukas wird von dem Komponisten äußerst sorgfältig und von allen Seiten beleuchtet, wie von einem Maler der sich in sein Objekt völlig einlebt, bevor er es uns wiedergibt.“
C-moll war damals schon die angemessene Tonart für die Darstellung dunkler Gegebenheiten – tatsächlich geht uns das auch heute noch so – warum bleibt wohl ein Geheimnis der Natur.

Der Abend, die Nacht als bedrohendes Element werden also gerne in dieser Tonart geschildert (...)’
Die absteigende Linie der Oboen in Ganztonschritten ist wie eine beständige Verbeugung von Christus und die fast flehentliche Bitte doch zu bleiben – die Form ist eine Sarabande – einer der langsamsten und ernsthaftesten Tänze der barocken Suite. Dieser Eingangschor ist einfach ein Geniestreich.
Die folgende Alt Arie unterstützt diesen bittenden Grundtenor und erweitert ihn für alle Zeiten und das Leben des Menschen.
Die Altistin wird wahlweise mit einer Oboe da Cacchia begleitet oder einer Viola –Kuijken entschied sich die zweite Fassung zu wählen.
Das Wort ‚Finsternis’ wird dabei besonders dich ausgeschmückt.

„Hochgelobter Gottessohn,
Lass es dir nicht sein entgegen,
Dass wir itzt vor deinem Thron
Eine Bitte niederlegen:
Bleib, ach bleibe unser Licht,
Weil die Finsternis einbricht“

Es folgt eine Choralbearbeitung des Liedes durch den Sopran begleitet von einer kunstvollen Versette des Violonchello piccolo. Sigiswald Kuijken setzt sie als Schulter instrument ‚da spalla’ ein, eine Technik die er rekonstruierte.

„Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ,
Weil es nun Abend worden ist,
Dein göttlich Wort, das helle Licht,
Lass ja bei uns auslöschen nicht.

In dieser letzt'n betrübten Zeit
Verleih uns, Herr, Beständigkeit,
Dass wir dein Wort und Sakrament
Rein b'halten bis an unser End.“

Das Bassrezitativ nimmt die Dunkelheit an und versucht eine Erklärung zu finden. Ungewöhnlich ist das Zitat ‚Drum hast du auch den Leuchter umgestoßen’.

„Es hat die Dunkelheit
An vielen Orten überhand genommen.
Woher ist aber dieses kommen?
Bloß daher, weil sowohl die Kleinen als die Großen

Nicht in Gerechtigkeit
Vor dir, o Gott, gewandelt
Und wider ihre Christenpflicht gehandelt.
Drum hast du auch den Leuchter umgestoßen.“

Das fremdartige Bild des umgestoßenen Leuchters stammt aus der Apokalypse des Johannes Kapitel 2 Vers 8

„(...) Gedenke, wovon du gefallen bist und tue Buße und tue die ersten Werke.
Wo aber nicht, werde ich bald kommen und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wo du nicht Buße tust (...)“
Die Ephesern hatten entsprechend die Androhung, dass der Leuchter umgestoßen wird, wenn die Gemeinde nicht zur ersten Liebe zurückkehrt, die Vorstellung des Herrn als den, der mitten unter den Leuchtern wandelt und die Macht hat diese sogar umzuwerfen.
Der Tenor schließt mit einer Arie die durch die Violinen Motive ‚aufgehellt’ erscheint und der Bitte nicht ‚auf Sündenwegen zu gehen’ und das Licht dieses Leuchters soll nicht umgestoßen sondern das ‚Licht Deines Worts uns helle scheinen’.
„Jesu, lass uns auf dich sehen,
Dass wir nicht
Auf den Sündenwegen gehen.
Lass das Licht
Deines Worts uns helle scheinen
Und dich jederzeit treu meinen.“

Der schlicht gesetzte Choral Martin Lurthers schließt diese Cantanta zum 2. Ostertag:
„Beweis dein Macht, Herr Jesu Christ,
Der du Herr aller Herren bist;
Beschirm dein arme Christenheit,
Dass sie dich lob in Ewigkeit.“

Beide Cantatas für den 2. Ostertag, ‚Erfreut euch ihre Herzen’ sowie auch ‚Bleib bei uns es will Abend werden’ finden sich ebenfalls aus der oben bereits erwähnten Aufnahme aus der Bach-Pilgrimage des Sir Eliot Gardiner.
Gardiner hat einen grundsätzlich anderen Ansatz als Kuijken – er benutzt einen ausgewählten Chor und seine ganze Diktion namentlich bei ‚Erfreut euch ihr Herzen’ ist mehr auf die Osterfreude gelegt als auf die Innerlichkeit. Das bedeutet nicht das Gardiners Interpretation weniger intensiv ist – eher im Gegenteil – er macht ein Fest aus seinen Aufführungen zu den Festtagen.


Ihr Herby Neubacher


Abbildung: Detail auc „Christus in Emmaus" von Rembrandt (1648)