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Meine 14. Lange Nacht der Museen in Hamburg

Der Mensch liebt Gewohntes – ich nehme mich nicht aus.
Der Eröffnungs- und zentrale Sammelplatz für die 14. Lange Nacht der Museen ist in diesem Jahr nicht der sympathische Ort zwischen den Deichtorhallen, sondern der Dar-Es-Salaam-Platz. Wegen einer Baustelle an den Deichtorhallen sind die Veranstalter ausgewichen, aber die Steinwüste in der Hamburger HafenCity macht nicht wirklich glücklich. Der Platz hat überdies kaum Intimität, er ist für Durchgangverkehre gemacht. Es fehlt (noch) eine schöne Baumreihe und mindestens ein weiterer Grund, um sich dort wohlfühlen zu können, er hat keine wirkliche Gestalt.

Die Lange Nacht der Museen beginnt mit „stickStoff Basel – Drumming Entertainment". Und obwohl der Frühlingswind die Steine der HafenCity noch nicht wärmen kann, düngen die Jungs aus der Schweiz mit ihren Percussion-Kunststücken die Gäste mit rhythmischer Energie. Die Busse sind geheizt und so ist es angenehm, Fahrt aufzunehmen.

Wie jedes Jahr ist es unmöglich die Angebote, Ausstellungen und unzähligen Programmpunkte an einem Abend zu fassen, alle Besucher sollen vielmehr Lust bekommen – nämlich auf mehr!

Das passt vor allem schon einmal auf meine erste Station an dem Abend: Das Hafenmuseum Hamburg am Bremerkai des Hansahafenbeckens ist so ein „Mehr-Ort“. Nicht nur der Blick von der Südseite der Elbe auf die Stadt ist wunderbar, auch die historisch alten Schuppen 50 und 51 aus den Jahren 1908/1909 sind es.

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Damals brauchte man Fläche für den Seegüterumschlag. Die dreischiffige Holzkonstruktion diente einst für das Lagern des Stückguts, heute ist die Halle ein Schaudepot und voller Regale und Fundsachen, die der Hamburger Hafen hier anlandete: Dampfmaschinen, Kräne, deutsche Exportschlager, ein alter VW-Käfer mit geteilter Heckscheibe, Gabelstapler, Van Carrier (der älteste erhaltene in Europa!), Schiffsmodelle und Vitrinen mit Modellen. Als Außenstelle des Museums für Arbeit ein Ort, an dem es nach derselben noch riecht und schmeckt.

Aus dem alten Elblotsenhaus Brunsbüttelkoog ist das Original der 1895 eingebauten Lotsenstube liebevoll restauriert, ohne den Gebrauchsflair ignoriert zu haben. Die dunkle Holzvertäfelung ist mit Ornamenten bemalt, die Anrichte und der Biertresen sind verziert, und der hölzerne Kronleuchter verbreitet gedimmtes Licht. Ölbilder von Dreimast-Vollschiffen oder Fünfmast-Barken schmücken die Wände. Hindenburg-Portraits bewachen grimmig die Arbeit der Elb- und Kanallotsen, die hier ihre Zeit verbrachten und darauf warteten an Bord eines Dampfers zu gelangen, um die Brücke zu übernehmen.

Authentisch die zahlreichen „Hamburger Originale", die durch das Sammelsurium an dem Abend führen und die noch als Lotsen oder als Schauerleute arbeiteten oder die Schwimmkräne, Schutensauger und Kaikrane bedienten. Sie können gar nicht genug bekommen, davon zu erzählen, und sie treffen auf ein neugieriges Publikum, das wissen will wie das war mit dem Wandel von der Fracht in Kisten zum Container; wie es kam, dass in Hamburg einst die größten Schiffe der Welt auf Kiel gelegt wurden, Norddeutschland führend im Schiffbau war, hier heute aber kaum noch große Schiffe für den internationalen Markt gebaut werden können. Die ehemaligen Hafenarbeiter haben das alles miterlebt. Ja, es ist ihr Leben. Und das macht den Besuch so reizvoll und spannend. Hier werden Geschichte und Geschichten lebendig, durch Wissen, Erfahrung, Anekdoten und Seemannsgarn – oder soll man besser sagen „Lotsengarn"? Da ist der Besucher plötzlich mittendrin in einer Welt, die sonst nur von den Landungsbrücken zu besichtigen ist. Das Schaudepot ist kein typisches Museum, es ist ein Tummelplatz ehrlicher Arbeit.

Es wird dunkel als ich im Bus wieder Richtung Innenstadt fahre. Mein Ziel ist das Museum für Hamburgische Geschichte „hamburgmuseum“ oder wie Lisa Kosok, die Direktorin es postuliert, das wichtigste Museum der Stadt. Das muss sie so sagen als Hausherrin. Diese Behauptung haben sich übrigens an dem Abend identisch alle Direktoren der großen Häuser auf ihre Stirn geklebt.

Das Museum für Hamburgische Geschichte setzt in diesen Tagen auf „Inklusion", also die Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppen, die bisher (zu) oft am Rande stehen, wie Menschen mit Handicaps. „Geht doch", heißt die Erlebnisausstellung und will jene ohne Behinderungen in eine ihnen oft unbekannte Welt einführen. „Reingehen und ausprobieren ist die Devise: inklusiv Kickern in der Kneipe, Einkaufen aus Sicht eines Rollstuhlfahrers, Spielen nach Gehör. Der Besucher platzt mitten in das Leben unterschiedlicher Personen, lernt sie kennen, begibt sich interaktiv in ihre Situation und wird sensibel für die Lebensumstände anderer. Die Ausstellung greift in den unterschiedlichen Lebenssituationen sowohl die Probleme auf, die bestehen, als auch die Möglichkeiten, die Inklusion eröffnet“, heißt es in der Museumserläuterung.

Im Hof spielt eine Blinden-Band – „Living Musicbox“ nennen sie ihr Programm. Die Besucher dürfen Musikwünsche äußern und wie bei einer Dukebox, anstatt eine Tastenkombination zu drücken, ruft man beispielsweise „E5“ und Hit, Schlager oder Ballade werden angestimmt. Das ist ein lockerer Umgang mit dem Inklusionsthema, denn in der Ausstellung selbst ist es durchaus auch ernster. Die Lange Nacht der Museen öffnet also nicht nur Türen... Eine gute Ergänzung zum ganzjährig stattfindenden „Dialog-im-Dunkeln", in dem Menschen Sehenden die Welt der Blinden erfahrbar machen. Dort ist allerdings heute geschlossen.

Zum zweiten Mal macht das Polizeimuseum in Alsterdorf bei der Langen Nacht mit – und diesmal nicht als überfüllte Baustelle wie noch ein Jahr zuvor. Auf meiner dritten Station des Abends bin ich auf Ermittlung. Woher der Regen plötzlich kommt, lässt sich fahndungstechnisch nicht herausbekommen, aber die alte Polizeikaserne ist trocken und warm.

Ehemalige und aktive Polizeibeamte erzählen das, was nicht in den Akten steht. Dass beispielsweise der „Fall Dagobert" den damaligen Chefermittler die besten Jahre seines Lebens kostete, weil der einstige Karstadt-Erpresser, Arno Funke, die Fahnder zwei Jahre an der Nase herumführte. Ausgestellt und erklärt sind die damaligen Beweisstücke bis hin zu einem Mini-U-Boot, mit dem „Dagobert" die Millionen auf dem Tauchweg durch einen See abtransportieren wollte. Für ihn leider wurde es Winter bis er zuschlagen konnte, die Gewässer waren zugefroren, so dass das selbstgebaute Lösegeld-Unterwasserfahrzeug nie zum Einsatz kam. Jetzt ist das U-Boot hier aufgetaucht, in der Ausstellung von acht großen Kriminalfällen der Hamburger Polizei seit 1900. Drei Schritte neben der Petersen-Bande des „Der Lord von Barmbeck“ (damals noch mit „ck“ geschrieben) und dem kalt geknackten Safe liegt ganz unschuldig in einer Vitrine die Säge des Frauenmörders Fritz Honka. In Anbetracht dieses Exponats läuft mir der Schauer über den Rücken und ich frage mich, ob es so gut ist, hier seinen nächtlichen Abschluss zu begehen. Dabei relativiert der Museumsbegleiter stante pede: Man habe damals zwar menschliche Eiweißspuren an der Säge gefunden, Beweise dafür, dass Honka damit seine Opfer zersägte, gebe es aber nicht. Die Details der Geschichte(n) schauen Sie sich besser selbst im Polizeimuseum an...

Auch drei Originale der von Konrad Kujau gefälschten „Hitler-Tagebücher" sind hier zu sehen. Umschlag, Siegel und Handschriftliches. Der vermeintliche „Sensationsfund", mit denen er und Reporter Gerd Heidemann 1983 den „Stern" betrogen und diesen an den Rand des Abgrunds brachten. Bis heute einer der größten Presseskandale der Bundesrepublik Deutschland.

Skandale kennt auch die nächste Staatsautorität, der Deutsche Zoll. Das Zollmuseum in der Speicherstadt scheint in dieser Nacht ein sehr beliebtes Ziel zu sein, es ist gerammelt voll. Zwischen Gebäude am Alten Wandrahm und Zollkanal steht eine historische gelbe Kutsche, die die Gäste inklusive Zollkontrolle einmal ums Museum fährt. Drinnen ist es thematisch weit gefächert: Neben der Historie des Zollwesens im Allgemeinen und im Besonderen in der Hansestadt, geht es um die Koloniale Zollwelt, um die Not zwischen den Kriegen bis zu den modernen Anfordernissen von Produktpiraterie über den Schutz vor Menschenräubern bis zur sozialen Gerechtigkeit und dem Thema Schwarzarbeit.

Auch die Zeit des Nationalsozialismus ist thematisiert, es sind die damaligen Zwangsmaßnahmen gegen Juden fokussiert und die Unterbindung der Ausreiseversuche von Personen ohne gültige Papiere. Klingt recht harmlos, wenn man bedenkt was dahinter steckte und so ist auch ein Kapitel der DDR-Zollverwaltung gewidmet, andere Zeit – gleiche Mittel.

Bei allen Orten nehme ich mir vor, in diesem Jahr noch einmal zurückzukehren – tagsüber! Bis dahin also...

Ihr Claus Friede
(Mit Unterstützung von Nicola von Hollander)


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