Meinung
Richard Wagner - die Opern I

Aus: Der Fliegende Holländer 1.Akt
„Dich frage ich, gepries’ner Engel Gottes,
Der meines Heils Bedingung mir gewann;
War ich Unsel'ger Spielwerk deines Spottes,
Als die Erlösung du mir zeigtest an?’

Ich möchte nun im dritten und vierten Teil meiner Wagner-Reihe zehn der wichtigsten Wagner-Opern vorstellen, bevor ich anschließend im fünften Teil Wagners Dirigenten vorstelle:

Es gibt drei Opern Wagners, die mich aus verschiedenen Gründen nicht interessieren. In erster Linie, weil sie versuchen dem Publikumsgeschmack des 19. Jahrhunderts zu folgen und aus meiner Warte eher Skizzen Wagners sind, seine spätere kraftvolle musikalische und dramatische Sprache zu entwickeln. Dies sind: ‚Das Liebesverbot’ (1836), ‚Rienzi’ (1842) und ‚Die Feen’ (1888) – die Jahreszahlen hinter den Titeln bezeichnen jeweils das Jahr der Uraufführung.

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Wagner war modern ausgedrückt, ein Sensor für Geschichten, die in sein grundsätzlich anarchisches Weltbild passten. So fand er seine Inspiration für den ‚Fliegenden Holländer’ auf einer Sturmfahrt die in Riga Begann. Ihm erschien die Vision des über die Meere getriebenen heilssuchenden Kapitäns. Dieses Bild brachte ihn zu der wildesten „Wassermusik“, mit der er diese erste ernste, ungeheuer dramatische Oper füllte.

Der Fliegende Holländer (1841)
Die Oper erzählt die Geschichte des norwegischen Kauffahrers Daland, der von einem Sturm verschont den Holländer trifft, einen geheimnisvollen Seemann, der dem Satan fluchte und nur durch die Liebe einer treuen Frau Erlösung finden kann. Daland bietet seine Tochter Senta an, nachdem ihm der Hollaender seine Reichtümer zeigt und des Vaters Gier weckt.
Senta hat Visionen des wilden Mannes und ist schon lange innerlich bereit ihm bis in den Tod zu folgen. Als der Vater den Hollaender nun heimbringt, schwören sich die beiden ewige Treue. Doch Erik, ein jungen Jäger, der sich Hoffnungen auf Senta gemacht hatte, erinnert sie an seine Liebe. Der Hollaender hört dies und wähnt sich von Senta betrogen. Er flieht und Senta stürzt sich ins Meer ihrer wilden Liebe – wie geschworen – bis in den Tod folgend.

Wagner beschreibt in dieser recht kurzen Oper (nur 2½ Stunden) bereits seine Hauptthemen die ihn sein ganzes späteres Werk begleiten werden: Vernichtung einer korrupten Welt, gnadenlose Gier nach Gold (und Macht) und (oft betrogene) Hoffnung auf eine Erlösung durch Liebe – moderner geht es nicht mehr.

Tannhäuser (1845)
Tannhäuser beschreibt das Drama des Minnesängers, der im Berg der Venus ewige Lust fand und sich zurück in die Welt sehnt. Er flieht die Göttin und kehrt zurück an die Wartburg, die er einst als gefeierter Sänger verließ.
Elisabeth, die Nichte des Landgrafen von Thüringen Herrmann, liebte den Sänger und ist glücklich das Tannhäuser zurück an seine alte Wirkungsstätte kommt. Man veranstaltet ein Sängerfest – eher einen Wettstreit – der Minnesänger in dessen Verlauf Tannhäuser sich aber durch sein Lied verrät und erwähnt im Venusberg „geweilt“ zu haben.
Er wird verdammt auf Pilgerfahrt nach Rom zu ziehen, um beim Papst Vergebung für seine „Sünden“ zu erflehen. Elisabeth erwartet seine Rückkehr doch als er mit den Pilgern nicht kommt entleibt sie sich. Tannhäuser ist dem Pilgerzug von Ferne gefolgt und erklärt Wolfram von Eschenbach, der auf ihn gewartet hat, in einer dramatischen ‚Romerzählung’ wie der Papst sein Anliegen der Entsühnung harsch zurückwies :
„Wie dieser Stab in meiner Hand nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, kann aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer dir erblühn.“
Tannhäuser beschwört nun Venus ihn wieder in ihre Arme zu schließen und nur Wolframs Ruf ‚Elisabeth’: ‚Ein Engel fleht für dich vor Gottes Thron ...’ - lässt ihn zurückbleiben und mit den Worten ‚Heilige Elisabeth bitte für mich’ sterben während Venus wieder im Berg versinkt. Pilger bringen den ergrünten Priesterstab des Papstes als Zeichen der Erlösung Tannhäusers.
Tannhäuser ist auf den ersten Blick eine romantische Oper – aber eben nur auf den ersten Blick. Wagner hat mit diesem Stoff gekämpft – es gibt eine Dresdner (1845) und eine Pariser Fassung (1861). In der letzteren stellt Wagner ein Venusberg Tanz-‚Bacchanal’ an den Beginn das überhaupt nichts mehr mit „Romantik“ zu tun hat – eher mit purem Sex und wilder Lust.

Dazu ertönen Klänge wie sie von Zwölftönern erfunden sein könnten – weit dem (Klein-)Geist und der Moral des 19. Jahrhunderts voraus.
In der Mitte bricht diese Oper erneut musikalisch und dramatisch völlig um. Der qualvolle Ruf Tannhäusers ‚Erbarme Dich’ auf die Bitte Elisabeths ‚Ich fleh' für ihn, ich flehe für sein Leben, zur Buße lenk' er reuevoll den Schritt! Der Mut des Glaubens sei ihm neu gegeben, daß auch für ihn einst der Erlöser litt!’ macht diese Oper zu einer der ersten „Erlösungsopern“ Wagners.
Der begleitende, fundamentale harmonische Umbruch im Finale des zweiten Aktes ist immer wieder ungeheuerlich – man glaubt etwas völlig Neues zu hören – die Erlösung baut sich als massives Dreiklangmotiv auf – nichts mehr ist wie es war – der neue archaische Wagner ist geboren.

Lohengrin (1850)
Der Gralsritter Lohengrin wird im Traum von Elsa von Brabant zur Hilfe gerufen, als sie von dem rivalisierenden Grafen Telramund und seiner Gattin Ortrud, einer friesischen Fürstin und Verfechterin des alten Wotans Glauben, vor des König Heinrichs Gericht beschuldigt wird, ihren Bruder, den Erben von Brabant, ermordet zu haben.
Lohengrin erscheint in einem Kahn, vom Schwan gezogen, und kämpft im Gottesgericht mit Telramund, der ihm schließlich unterliegt. Elsa hatte ihm vor dem Kampf ihre Liebe gestanden und ist bereits ihn zu heiraten.
Lohengrin nimmt ihr aber ein heiliges Versprechen ab: ‚Elsa, soll ich dein Gatte heißen, soll Land und Leut' ich schirmen dir, soll nichts mich wieder von dir reißen, mußt eines du geloben mir: Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam' und Art...’
Telramund wird gebannt und muss gemeinsam mit Ortrud den Hof verlassen.

Im zweiten Akt schwören Telramund und Ortrud bittere Rache. Die ‚wilde Seherin’ Ortrud hält Lohengrin für einen Zauberer. Sie schmeichelt sich bei Elsa ein und versucht sie zu beeinflussen Lohengrin die verbotene Frage zu stellen, da sie glaubt damit seine Macht brechen zu können.
Vor der Hochzeit treffen sich Lohengrin und Elsa mit dem königlichen Gefolge ein, um im Dom zu heiraten. Ortrud verstellt nun Elsa den Weg und versucht gemeinsam mit Telramund Lohengrin zu zwingen seine Herkunft preiszugeben. Der Gralsritter verweigert dies selbst dem König – er muss nur Elsa antworten.
Im dritten Akt, allein im Brautgemach, wird Lohengrin schließlich von Elsa immer stärker bedrängt, sein Geheimnis – selbst nur ihr, im Geheimen – zu offenbaren. Sie stellt offen die verbotene Frage und Telramund versucht gleichzeitig Lohengrin zu töten und wird von ihm erschlagen.
Vor des Königs Gericht erklärt sich nun Lohengrin in der sogenannten ‚Gralserzählung’: „In fernem Land, unnahbar euren Schritten, liegt eine Burg, die Montsalvat genannt; ein lichter Tempel stehet dort inmitten, so kostbar, als auf Erden nichts bekannt; drin ein Gefäß von wundertät'gem Segen wird dort als höchstes Heiligtum bewacht (...)
Nun hört, wie ich verbotner Frage lohne! Vom Gral ward ich zu euch daher gesandt:
Mein Vater Parzival trägt seine Krone, sein Ritter ich – bin Lohengrin genannt.“
Der Schwan – eigentlich der verwandelte junge Herzog von Brabant – holt Lohengrin ab, der nun erkannt ist und nicht verweilen darf. Ortrud triumphiert – doch Lohengrin erlöst den Schwan aus seinem Bann und gibt Brabant seinen Herzog zurück. Elsa aber verliert den Gatten an den Gral.

Thomas Mann, ebenfalls ein glühender Wagner-Verehrer, nannte Lohengrin einmal die schönste Oper des Komponisten. Es ist sicher die spirituellste. Schon die Ouvertüre mit ihren traumgleichen Klängen und schwirrenden Harmonien ist unvergleichlich und immer wieder wie nie vorher so gehört.

Der Schwanenritter bleibt eine unnahbare Vision, ein Ideal mit dem man nicht wirklich leben kann. Ungefragt gibt es kein Glück – auch wenn Elsa im 2. Akt behauptet: „Es gibt ein Glück das ohne Reu“ – sie wird eines Besseren belehrt.

Die Rolle der Ortrud ist ein ebenbürtiger Widerpart zu dem Lichtritter Lohengrin. Ihre wilde dunkle dämonische Seite wird musikalisch faszinierend untermauert.
Ortrud gehört ohne Zweifel zu den Wagner Paraderollen – sie wirkt wie eine frühe künstlerische Vorlage für Kundry im ‚Parsifal’.

Ihr wilder Ausbruch in Form eines ‚Credo’ (‚Ich glaube...’) im Finale der Racheszene zum Beginn des zweiten Aktes lässt außerdem musikalisch bereits die Klangwelt des ,Ring’ erahnen: „Entweihte Götter! Helft jetzt meiner Rache! Bestraft die Schmach, die hier euch angetan! Stärkt mich im Dienste eurer heil'gen Sache! Vernichtet der Abtrünn'gen schnöden Wahn! Wodan! Dich Starken rufe ich! Freia! Erhabne, höre mich! Segnet mir Trug und Heuchelei, daß glücklich meine Rache sei!“

Tristan & Isolde (1865)
Mit ‚Tristan & Isolde’ verlässt Wagner das Genre der „romantischen“ Oper und entwickelt eine ganz eigene harmonische und dramatische Sprache die – so die Musikwissenschaft – in ihrer gewagten Tonalität bis in das 20 Jahrhundert hin zu Maurizio Kagel und seinen Zeitgenossen reicht. Die Musikhistorie versteht Tristan als die Geburt der modernen, auch der atonalen Klassik.

Die Handlung der Oper: Cornwalls Held Tristan hat im Unabhängigkeitskrieg seines Landes gegen Irland dessen König Morold getötet und seinen Kopf an Morolds Verlobte Isolde geschickt. Tristan selbst wurde tödlich verwundet an die Küste Irlands getrieben, wo er von Isolde gefunden und gesundgepflegt wird.
In dem Fremden mit Namen ‚Tantris’ erkennt diese anhand seiner Wunde den Mörder ihres Verlobten und beschließt, sich an dem Wehrlosen zu rächen. Ein Blick Tristans hält sie jedoch davon ab, und sie lässt ihn geheilt nach Cornwall zurückkehren.
Im ersten Akt Tristan ist erneut nach Irland gekommen, um für König Marke von Cornwall um Isolde zu werben und sie gleich per Schiff mit sich in seine Heimat zu nehmen. Isolde ist tief gedemütigt. Sie fordert eine Unterredung mit Tristan, die dieser jedoch ablehnt.
Erst als sie droht, nicht mit ihm an Land zu gehen, kommt Tristan ihrer Bitte nach. Isolde verlangt von ihm Genugtuung für den Mord an Morold, sie reicht ihm einen Trank ‚zu sühnen alle Schuld’, von dem sie glaubt, er werde ihm den Tod bringen.
Tatsächlich aber hat Brangäne ihrer Herrin einen Liebestrank gereicht, und nachdem Tristan und Isolde davon getrunken haben, erglühen beide in Liebe füreinander. In diesem Moment landet das Schiff in Cornwall.
Der zweite Akt zeigt Isolde die im Garten seiner Burg auf Tristan wartet. König Marke ist mit seinem Gefolge auf die Jagd gegangen. Entgegen der Warnung Brangänes löscht sie die Fackel, womit sie Tristan das Zeichen zu kommen gibt.
Tristan stürzt herbei und beide verschmelzen in der herabsinkenden „Nacht der Liebe":
„O sink hernieder, Nacht der Liebe,
Gib Vergessen, daß ich lebe;
Nimm mich auf in deinen Schoß,
Löse von der Welt mich los!
So stürben wir, um ungetrennt –
Ewig einig, ohne End’,
Ohn’ Erwachen – ohn’ Erbangen –
Namenlos in Lieb’ umfangen,
Ganz uns selbst gegeben,
Der Liebe nur zu leben!
Ohne Nennen, ohne Trennen,
Neu Erkennen, neu Entbrennen;
Ewig endlos, ein-bewußt:
Heiß erglühter Brust
Höchste Liebeslust!

Voll in Ekstase vernehmen sie Brangänes Warnruf vor dem anbrechenden Tag, doch das Paar nimmt den Ruf nicht ernst, wünscht sich vielmehr die ewige Nacht, den Liebestod als Vollendung ihrer Liebe in ewiger Vereinigung:
In diesem Augenblick werden sie von Marke und seinem Hofstaat überrascht, die von dem verräterische Melot herbeigeholt wurden. Der König ist bestürzt über die Untreue seines Freundes Tristan, der verzweifelt versucht, die störenden ‚Tagsgespenster’ zu verbannen. Dann aber stellt er sich der Realität und fasst den Entschluss, Isolde um ihres Geheimnisses willen in das ‚Wunderreich der Nacht’, in den Tod, vorauszugehen.
Mit dem letzten Kuss für Isolde provoziert er Melot, so dass dieser gegen den Verräter das Schwert zieht. Tristan dringt auf ihn ein und sinkt verwundet in Kurwenals Arme.
Im dritten Akt hat der getreue Kurwenal hat seinen Herrn auf dessen Burg Kareol gebracht. Dort durchlebt Tristan im Fiebertaumel noch einmal die Stationen seines Lebens und seiner Liebe zu Isolde. Er sehnt sich nach dem erlösenden Tod, den ihm Isolde, wiederum als Heilerin, bringen soll.
Mehrmals glaubt er, ein Schiff zu erkennen – Kurwenal hat nach Isolde geschickt – wird aber von Halluzinationen getäuscht und verflucht den Liebestrank und sein Schicksal, Isolde nicht sehen und doch auch nicht sterben zu können.
Endlich wird die Ankunft von Isoldes Schiff gemeldet. Als Isolde zu ihm eilt, reißt Tristan sich die Verbände vom Leib und stirbt in ihren Armen.
Ein zweites Schiff legt an: Es sind Marke mit seinem Gefolge und Brangäne. Kurwenal wirft sich den vermeintlich feindlichen Eindringlingen mit seinen Leuten entgegen und erschlägt Melot, wird aber selbst im Kampf tödlich verletzt.
Marke beklagt die Toten: Er ist gekommen, um Tristan mit Isolde zu vermählen, nachdem ihm von Brangäne die Zusammenhänge um das Verhältnis des Liebespaares offenbart wurden. Isolde jedoch sinkt mit einer Vision, in der sie sich mit Tristan vereint sieht, entseelt über seine Leiche.

Isolde:
„Mild und leise wie er lächelt,
Wie das Auge hold er öffnet –
Seht ihr’s Freunde? Seht ihr’s nicht?
Immer lichter wie er leuchtet,
Sternumstrahlet hoch sich hebt?
Seht ihr’s nicht?
Wie das Herz ihm mutig schwillt,
Voll und hehr im Busen ihm quillt?
Wie den Lippen, wonnig mild,
Süßer Atem sanft entweht –
Freunde! Seht!
Fühlt und seht ihr’s nicht?“
Sie ertrinkt ‚in des Welt-Atems wehendem All’. ,Ertrinken, versinken, unbewusst – höchste Lust!’ sind Isoldes letzte Worte mit einer Musik, die – laut Thomas Mann – für den ‚Lastwagen ins Himmelreich’ komponiert wurde. Die Schlussmusik, die heute meist fälschlich als Isoldes Liebestod bezeichnet wird, nannte Wagner selbst ‚Isoldes Verklärung’.
In Tristan und Isolde benutzt Wagner gewagte Tonalität – so den ‚Tristan Akkord’ ein Leitmotiv das sich keiner Tonsprache anpasst, weder Dur noch moll – nicht zu definieren und einzuordnen.
Dieses Tristan-Leitmotiv wird Symbol dieser unausweichlichen Liebestragödie in der Liebe keine Erfüllung ist sondern zum gemeinsamen hoffnungslosen Suizid wird – zur Flucht aus dem Tag in die Nacht – zum egozentrischen Selbstzweck.
Diese Liebe ist zerstörerisch – sie lässt nur menschliche Öde zurück selbst Isoldes Verklärung dient nur dem gemeinsamen Tod.
So klagt König Marke am Ende: „Tot denn alles! Alles tot!”

Diese Oper ist selbst für mich nach Jahrzehnten Wagner-Erfahrung und unzähligem Erleben schwer auszuhalten. Sie fordert alles vom Hörer, sowohl was ihre Tonsprache als auch ihre Botschaft angeht.
Mit ‚Tristan & Isolde’ fand Wagner eine Kunstform die monolithisch in der Operngeschichte dasteht. Ich denke man kann diese Musik ein Leben lang hören und immer noch neue Facetten in ihr entdecken.

Die Meistersinger (1868)
Wagner machte sich nun an Dichtung und Komposition der Oper ,Die Meistersinger’ im Jahre 1845 in Marienbad und plante eine Art komödiantischen Gegenentwurf zum Sängerkrieg auf der Wartburg seines ,Tannhäuser’.
Er studierte den Ritus der Meistersinger, die es in der Tat in Nürnberg während der Renaissance gegeben hatte, bis ins Einzelne und schrieb herum eine Story mit sehr lebensechten Figuren – wie beispielsweise Hans Sachs – und kluger Fiktion.
Die Oper ‚Die Meistersinger von Nürnberg’ in drei Akten von Richard Wagner wurde schließlich am 21. Juni 1868 in München uraufgeführt.

Wie gesagt, die Oberfläche des Werks stützt sich ganz auf Historisches. Wagner lässt wirkliche Personen aus der Zeit Nürnbergs im Zeitalter der Reformation, im 16. Jahrhundert auftreten, darunter besonders den Dichter Hans Sachs.
Dieser in Nürnberg und ganz Süddeutschland geliebte und verehrte Dichter und Schustermeister (1494-1576) war mit über 6.000 Werken (etwa 4.000 Meisterlieder, 1800 Spruchgedichten, 200 Dramen, Fabeln und Schwänke) einer der produktivsten deutschen Dichter.
Er war nicht nur der bekannteste Vertreter der Meistersänger, sondern auch ein sehr toleranter Mensch. So schlug er beispielsweise vor, die Beurteilung von Meisterliedern seiner Nürnberger Zunft nicht nur dem Merker (Kritiker) zu überlassen, sondern dies auch dem „Volk“, der Zuhörerschaft, zu übertragen.

Die Geschichte der Oper in Kurzfassung:
Walther von Stolzing, ein verarmter, fränkischer Ritter, kommt nach Nürnberg und verliebt sich in die Tochter des reichen Goldschmieds Pogner. Der ist ,Spiritus Rector’ der Nürnberger Zunftbrüder und der Meistersinger Gilde und gelobt seine Tochter Eva nur einem wahren Meistersinger zur Ehe zu geben.
Stolzing muss sich also um diesen ‚bürgerlichen’ Ehren-Titel bemühen, will er Eva gewinnen, fällt aber in der Werbung durch. Er wird sozusagen mit Tafelkreide ‚niedergemacht’ vom Nebenbuhler Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber seines Zeichens und bestallter ,Merker’ (Kritiker) der Meistersinger Gilde.
Hans Sachs, ebenfalls hochgeehrter Meistersinger und Schuster von Beruf, findet jedoch Gefallen an dem Auftritt des jungen Ritters und seinen spontanen Gesängen, die so ganz anders sind: „Der Vogel, der heut sang, dem war der Schnabel hold gewachsen. Macht er den Meistern bang, gefiel er doch Hans Sachsen ...!“

Der dichtende Schuhmacher nimmt sich Stolzings an.
Der Ritter versucht zunächst enttäuscht durch den Reinfall seines Werbeliedes mit Eva zu fliehen, doch Sachs weiß das mit Schläue zu verhindern, indem er sogar eine ganze, urkomische nächtliche Massen-Prügelei auf der Gasse initiiert, um das geheime Vorhaben zu vereiteln.
Schließlich gestaltet Sachs mit viel guten Ratschlägen und viel Altersweisheit aus einem Traumbild des Ritters ein Preislied ‚Morgendlich leuchtend...’, das dann am Johannisfest auf der Festwiese natürlich gegen Beckmesser, der das Lied-Manuskript auch an sich gebracht hatte, aber völlig entstellt vorträgt, gewinnt.
Stolzing wird aber Meistersinger erst nach einigem Hin-und her und nachdem Sachs ihm klar gemacht hat, wie wertvoll ,Deutsche Meister’ sind.

An diesem deklarierten ‚Deutschtum’ – das natürlich zu Wagners Zeit revolutionär war – die 1848er-Revolution war gerade 20 Jahre ins Land gegangen, ein studentischer und intellektueller Versuch erstmals ein gesamtdeutsches Bewusstsein zu etablieren – wurde der Oper immer wieder zum Vorwurf gemacht.

Ich kann so etwas nur albern finden. Dazu werden wieder die ‚Nazis’ herangezogen, die auch die Meistersinger propagandistisch missbrauchten.
Aber das Dritte Reich hat nun wirklich überhaupt nichts mit der revolutionären Botschaft von 1848 zu tun – eher im Gegenteil.

Die Meistersinger werden auch oft als Wagners einzige ‚komische Oper’ missverstanden. Das Werk hat aber unter der Oberfläche des augenzwinkernden Spiels einer warmen Johannisnacht mit fröhlicher Keilerei und des darauffolgenden Festtages einen menschlichen und musikalischen Tiefgang, der erst dem Hörer mit einer gewissen Reife klar wird.
Ich muss ehrlich sagen, das ich die Meistersinger immer wegen ihrer mitreißenden Musik geliebt habe, aber den inneren dramatischen und auch sehr depressiven Sinn des Stückes erst mit über 50 Jahren verstanden habe.
Hans Sachs zieht sich aus der Welt zurück die er nicht mehr in ihrem ‚Wahn’ akzeptieren kann. Er, der Erz-Komödiant fühlt im Herbst seines Lebens – obwohl gesellschaftlich hoch geehrt – die große Sinnlosigkeit allen Handels und die Unfähigkeit die Dummheit und Verbohrtheit aus dem menschlichen Zusammenleben zu bannen.
Sachsens klare Worte dazu im Monolog des dritten Aktes:
„Wahn! Wahn! Überall Wahn!
Wohin ich forschend blick in Stadt- und Weltchronik,
Den Grund mir aufzufinden, warum gar bis aufs Blut
Die Leut sich quälen und schinden in unnütz toller Wut?

Hat keiner Lohn noch Dank davon; in Flucht geschlagen
Wähnt er zu jagen; hört nicht sein eigen Schmerzgekreisch,
Wenn er sich wühlt ins eigne Fleisch, wähnt Lust sich zu erzeigen! -

Wer gibt den Namen an? - 's ist halt der alte Wahn,
Ohn den nichts mag geschehen,'s mag gehen oder stehen!
Steht's wo im Lauf, er schläft nur neue Kraft sich an:
Gleich wacht er auf; - dann schaut, wer ihn bemeistern kann! (...)“

Wer könnte da nicht zustimmen?! Wie hochaktuell ist das!

Wagner schuf mit den Meistersingern ein hintergründiges Werk das an Nachdenklichkeit und Tiefgang viel zu bieten hat und sich sicher nicht auf die schöne Festwiesen-Szene am Schluss, die zu den berauschendsten Opernereignissen gehört, die einem im Musiktheater widerfahren können, beschränkt.


Ihr Herby Neubacher

Herby Neubacher stammt aus Wuppertal und wurde in Salzburg zum Musikliebhaber: Mit sieben Jahren hat er als Sopranist im Salzburger Dom Bach-Kantaten aufgeführt. Nach einem Kunststudium arbeitere er 20 Jahre in der Musikindustrie. Heute ist er als Journalist und PR-Experte tätig. Seit 2012 schreibt er regelmäßig für Kultur-Port.De über Alte Musik, Barock bis zur Romantik. Er lebt und arbeitet in Vietnam.

Hinweis: Die Inhalte der "Kolumne" geben die Meinung der jeweiligen Autoren wieder. Diese muss nicht im Einklang mit der Meinung der Redaktion stehen.
Fotonachweis:
Header: Detail aus Henri Fantin-Latour, "Szene aus Tannhäuser", 1864, Öl auf Leinwand. Los Angeles County Museum of Art, Los Angeles, CA, USA
Galerie:
01. Willem van de Velde d.J. (1633-1707): ‘De windstoot’. Rijksmuseum Amsterdam
02. Der Tannhäuser aus Codex Manesse, um 1300
03. Fotograf unbekannt. Scherl: Von den Bayreuther Festspielen 1930. Tannhäuser Schlusszene. Bayreuth, 1930. Quelle: Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst - Zentralbild (Bild 183)
04. Joseph Albert: Ludwig und Malwine Schnorr von Carolsfeld als "Tristan und Isolde" der Münchner Uraufführung, 1865, München, Staatliche Verwaltung der Schlösser. Retoiuchiert. Quelle: Wikipedia