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Klassik Kompass – Musik im Mittelalter

Musikalisch betrachtet war das Mittelalter alles andere als „finster“. Die Zeit zwischen 1000 n.Chr. und Mitte des 15. Jahrhunderts ist eher als die Geburt und Wiege der musikalischen Formen zu betrachten, die wir heute noch kennen und die Musik bis in unsere Zeit bestimmt.
Der KlassikKompass unternimmt in einer Serie in losen Folgen eine Reise in die Musik des Mittelalters. Und wir beginnen in den prächtigen Burgen der Ritter und mit den Liedern der Troubadoure und Minnesänger...

Wann begann und endet das sogenannte Mittelalter? Das ist nach wie vor umstritten. In der Musikwissenschaft wird das musikalische Mittelalter in drei Epochen unterteilt: Die Zeit der Gregorianik bis etwa 1100 mit vorwiegend einstimmiger Musik, die Musik des 12. und 13. Jahrhunderts (Notre-Dame-Schule) mit der Entwicklung mehrstimmiger Musik und die Musik von etwa 1300 bis 1450 (Ars Nova, Trecento) mit einer zunehmenden Differenzierung unterschiedlicher Stile in verschiedenen Ländern.

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Unbestritten ist, dass die Musik des Mittelalters weitgehend ein kosmopolitischer Schmelztiegel war, fundierend unter anderem auf der Tonsprache der Antike. Sie wurde namentlich aus Griechenland übernommen, wo sie der Mathematiker und Philosoph Pythagoras (570 v. Chr. - 510 v. Chr.) entwickelt haben soll. Sie kannte nur Ganztonreihen jeweils acht Töne der Tonleiter – einer Oktave – von jedem Grundton aus und man benannte diese nach den verschiedenen Provinzen des alten Griechenland – Phrygisch, Äolisch, Lydisch (daraus wurde „Moll“), Ionisch, Mixolydisch, Dorisch (daraus wurde später das Tongeschlecht “Dur“).
Weitere Einflüsse mischten sich aus den Gesängen der nordafrikanischen Mauren und der sephardischen Musik des jüdischen, mittelalterlichen Spaniens und bildeten einen bunten Strom vielfältiger Tonalitäten.

Vieles der mittelalterlichen Musik mag uns also heute sehr bekannt vorkommen zum Beispiel aus türkischen, auch schottischen und irischen oder jüdischen Musikstilen. Sie haben erfolgreich viele ihre mittelalterlich-musikalischen Wurzeln bis heute bewahrt.

Im Mittelalter gab es zunächst kaum uns heute bekannte schriftliche Aufzeichnung von Musik – das machte die Rekonstruktion dieser Stücke sehr aufwendig. Die Musikforschung der Alten Musik im Originalklang widmete sich bereits in den frühen 1970er-Jahren der Forschung nach der Aufführungspraxis mittelalterlicher Musik und nahm dazu die „Neunen“ zur Hilfe – notenartige Aufzeichnungen die aus dieser Zeit überliefert sind.
Wir werden uns mit den „Neunen“ und der Entwicklung der Tongeschlechter in einer späteren Folge unserer Klassik Kompass Serie noch genauer beschäftigen.
Es ist unter anderem besonders Musikern wie dem Briten David Munrow (1942-1976), der die Musik des Mittelalters neu entdeckte und die Instrumente nach alten Vorlagen nachbauen ließ, wie auch der Sprachforscherin, Dichterin und Musikerin Andrea von Ramm (1928-1999), die mit dem „Studio für frühe Musik“ gemeinsam mit dem US Musikforscher und Musiker Thomas Binkley namentlich die mittelhochdeutsche Kunst der Minnesänger im Originalen Klang von Sprache und Musik wieder aufführte, zu verdanken, das diese hochkulturelle Frühzeit heute lebendiger ist denn je.
Die Musiksprache des Mittelalters entstand ebenfalls neu durch Gruppen wie „Sequentia“ aus Köln, die sich der Musik der Heiligen und Äbtissin Hildegard von Bingen widmeten.

Auch der katalanischen Formation Hesperion XX unter Jordi Savall, der es gelang das berühmteste spanische geistliche Werk des 12. Jahrhunderts, die „Cantigas de Santa Maria“ wiederzuentdecken und zum Erstaunen der Musikforschung aufzuführen und seither zum festen Repertoire all derer zu machen, die sich mit der Musik dieser Epoche beschäftigen.

Sozusagen zur „Bibel“ des deutschen Minnesangs wurde der “Codex Manesse“, auch Manessische Handschrift genannt oder auch als Große Heidelberger Liederhandschrift oder Pariser Handschrift bezeichnet. Es ist das umfangreichste und berühmteste erhaltene deutsche Zeugnis des literarischen und musikalischen Mittelalters. Die Manessische Liederhandschrift enthält dichterische Werke in mittelhochdeutscher Sprache. Ihr Grundstock entstand um 1300 in Zürich, wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Sammeltätigkeit der Zürcher Patrizierfamilie Manesse. Mehrere Nachträge kamen bis 1340 hinzu. Der Codex gilt als repräsentative Summe des mittelalterlichen Laienliedes und bildet für den Minnesang die Haupt- und weithin die fast einzige Quelle. Die außerdem in ihm enthaltenen insgesamt 138 Miniaturen, die die Dichter und Minnesänger in idealisierter Form bei höfischen Aktivitäten darstellen, gelten als bedeutendes Dokument gotischer Buchmalerei.

Die Gruppe I Ciarlatani aus Heidelberg hat auf ihrer CD eine gute Auswahl der Minnelieder des Codex aufgenommen.
Man bekommt einen breiten Überblick über die Erzählkunst der Sänger und ihre musikalische Sprache. Es finden sich Lieder von Neidhard von Reuntal und Tannhäuser sowie Walther von der Vogelweide.

Die Instrumentierung ist vielfältig, von Blasinstrumenten wie Schalmaien Fanfaren der Cantigas de Santa Maria zu Fiddeln und Schlagwerk kann man sich auf dieser CD ein gutes Bild des Klangreichtums des 13. Jahrhunderts machen. I Ciarlatani haben außerdem ein sehr informatives Heft der CD beigefügt in denen die einzelnen Lieder erklärt werden und auch einiges über den Codex und seine Geschichte zu lesen ist.

Die CD „Codex Manesse“ mit dem Ensemble „I Ciarlatani“ ist zu haben bei Christophorus Records unter der Bestellnummer CHE 0138-2

Mittelalterliche Klänge sind längst wieder „in“ und Popgruppen beschäftigen sich grenzgängig mit dieser Musik wie die Hamburger Folk-Rock-Band „Ougenweide“, die Lieder des Minnesängers Neidhard von Reuntal erfolgreich auf die Bühne brachten. Wer sich gerne ein Bild möchte wie harmonisch mittelalterliche Texte und Klänge mit Rockmusik zusammenpassen, dem sei das CD Album „Liederbuch“ der Hamburger Gruppe anempfohlen.
Besonders gut gelungen ist die Stilsicherheit mit der „Ougenweide“ Altes und Neues zu einem, neuen musikalischen Klangbild mischt und dabei den Minnesänger-Vorlagen treu bliebt. Sehr hörenswert als Einstieg in die Materie.

Die CD „Liederbuch“ mit dem Ensemble „Ougenweide“ ist zu haben bei Polydor Universal Records. Bestellnummer ist leider nicht bekannt.

Trobadors, Trouvéres, Minnesang
Ein wichtiges Feld mittelalterlicher Musikausübung spielte sich an den Höfen und den Burgen der Fürsten und Ritter ab. Die ersten bezeugten Minnesänger sind die Trobadors in Südfrankreich. Als deren ältester Vertreter gilt Wilhelm IX. von Aquitanien (1071-1126). Ruhm errang Wilhelm als der „erste Trobador“ und der erste weltliche Lyriker des christlichen Europas, der in einer Volkssprache dichtete. Elf Lieder in der Langue d'oc, die heute als Okzitanisch bekannt ist, werden ihm zugeschrieben.

Im nördlichen Frankreich, namentlich der Normandie und ab 1066 am englischen Hofe wurde der Minnegesang der Trouvères (Troubadoure) in altfranzösischer Sprache gepflegt. Die Sprache ihrer Lieder wird in moderner Zeit oft als Provenzalisch bezeichnet, wobei darunter aber nicht der okzitanische Dialekt der Provence, sondern eine Art okzitanische oder Literatursprache zu verstehen ist, die Elemente aus verschiedenen okzitanischen Dialekten aufnimmt.

Die Szene der französischen Trouveres präsentiert die CD „Le Jeu d’amour“ – „Das Spiel der Liebe“ mit Liedern zum Thema der ritterlichen Sänger meist aus Nordfrankreich aber auch aus der Provence. Das Ensemble Boston Camerata aus der nordamerikanischen Universitätsstadt unter seinem Leiter Joel Cohen zu dem auch die Sopranistin Anne Azema zählt, die auf dem ritterlichen Liebeslieder Album zu hören ist, hat sich jahrzehntelang mit der Musik des Mittelalters – besonders der okzitanischen provenzalischen Musik dieser Epoche beschäftigt. Die CD liefert Werke des wohl berühmtesten französischen Troubadours Thibault de Champagne (1201-1253) und seines Zeitgenossen Adam de la Halle (1237-1288) und anderen. Alle Lieder singen von der „fin’amor“ – der höfischen Liebe und ihrer unerfüllten Sehnsucht. Eine beeindruckende Riese in diese Welt der französischen Ritter, deren Gesänge eindrucksvoll vorgetragen werden.

Ebenfalls dabei ein sehr informatives Beiheft mit allen Texten im französischen und okzitanischen Original und der Übertragung ins Englische.

Die CD „Le jeu d’amour“ mit Anne Azema, Gesang und Mitgliedern des Ensemble „Boston Camerata“ ist zu haben bei Apex Records unter der Bestellnummer 2564 62685-2.

Der Minnesang der südfranzösischen Trobadors, später auch der nordfranzösische der Trouvères hat wesentlichen Einfluss auf die Anfänge des deutschen Minnesangs. An den fränkischen und alemannischen Höfen bildete sich unter deren Einfluss die Tradition des Minnegesang in Mittelhochdeutsch heraus.

Minnesang (Minne – bedeutet Verehrung einer meist hochgestellten Dame oder Frau) nennt man die schriftlich überlieferte, hoch ritualisierte Form der gesungenen Liebeslyrik, die der westeuropäische Adel im hohen Mittelalter pflegte, den Kaiser selbst eingeschlossen. Im deutschen Sprachraum kann man ab etwa 1155 von einem Minnesang auf Mittelhochdeutsch sprechen. Die im Minnesang gepflegte Version des Hochdeutschen ist der erste bekannte Versuch einer Vereinheitlichung der deutschen Literatursprache. Der älteste überlieferte deutsche Minnesang ist mit dem Dichter Kürenberger (Mitte des 12. Jahrhunderts) nachweisbar. Berühmt ist sein Falkenlied in der 'Nibelungenstrophe': „Ich zoch mir einen valken...“.

Die häufigsten Liedformen des „Minnegesangs“ sind:
- Inhalt des Minne- oder Werbelieds ist eine Minneklage des Mannes an eine unerreichbare Frau oder Angebetete. Man unterscheidet die Minneklage des Mannes in Form eines Monologes und ein direkt an die Auserwählte vorgetragenes Werbe- oder Klagelied. Diese Formen werden Hohe Minne, Frauen- und Minnepreislied genannt.
- Im Frauenlied wiederum wird der Minnedienst aus der Sicht der angebeteten Frau betrachtet. Sie nimmt den Minnedienst entgegen und drückt ihr Bedauern aus, dass sie ihn – natürlich – zurückweisen muss.
- Unter einem Wechsellied versteht man das Nebeneinandersprechen von Mann und Frau. Die Sprecher kommunizieren dabei nicht miteinander.
- Das Dialog- oder Gesprächslied dagegen ist ein reiner Dialog zwischen den Minnepartnern, zwischen lyrischem Ich und allegorischen Figuren (Frau gleich Allegorie der Welt) oder zwischen fiktiven Figuren.
- Beim Tagelied handelt es sich inhaltlich um den Abschied zweier Liebender bei Tagesanbruch nach einer gemeinsam verbrachten Nacht. Es ist 'dramatisch' angelegt und schildert das fiktive Liebespaar beim Morgengrauen vor der unvermeidlichen Trennung.
- In einer Pastourelle wird die Begegnung eines Ritters mit einem einfachen Mädchen im Freien beschrieben. Dabei handelt es sich um einen Verführungsversuch, welchen das Mädchen zu entgehen versucht.
- Ein Bruch mit der hohen Minne ist das so genannte Mädchenlied. Dieser Lied-Typ wurde besonders von Walther von der Vogelweide geprägt. Man nennt diese Art auch niedere oder erreichbare Minne.
- Das Kreuzlied befasst sich mit der Verbindung von Minne- und Kreuzzugthematik. Der Sänger kontrastiert einen bevorstehenden oder erlebten Kreuzzug, also seinen Dienst an Gott, mit seinem Frauendienst.
- Naturlieder finden sich selten als reine Jahreszeitenlieder. Meist dienen sie als Eröffnung eines Minneliedes. Je nach beabsichtigter Stimmung unterscheidet man Mai-Lied, Sommerlied und Winterlied.

Die Troubadoure – im Keltischen werden sie auch „Barden“ genannt – und Minnesänger hatte eine besondere Stellung bei Hofe. Sie waren nicht nur reine Musiker sondern auch Boten und teils sogar Historiker und Berater der Fürsten. Sie waren fahrende Leute, sie bereisten die damalige Welt und verweilten nur eine gewisse Zeit an den jeweiligen Höfen. Sie hatten Neuigkeiten zu erzählen und waren so eine Art Tageszeitung mit Unterhaltungsteil. Berichte von Schlachten lösten sich ab mit Liedern über Mode und Gepflogenheiten anderer Länder und Höfe und auch reiner Klatsch kam vor.

Die Instrumente der Minnesänger waren vielfältig und mussten natürlich transportabel sein. So gab es die Harfe, Fiddle, die eine Vorform der Violine darstellten sowie die Drehleier. Auch erste Formen von Lauten wurden eingesetzt um die rezitativisch vorgetragenen Liedgedichte zu untermalen. Ebenso Dudelsack (Sackpfeifen) und Schlagwerk wie Tambourine und Schellen sowie verschiedene Handtrommeln.

Eine Methode der Vaganten oder des Bardenvortrags wird heute noch in Frankreich gepflegt, beispielsweise in der Camarque: mit der Doppelhirtenflöte und gleichzeitig dem Schlagen der Handtrommel mit einem Krummholz.

Die Sprache aber war tragendes Element des Minnesangs, die Dichtung wurde lediglich mit Musik dramatisierend untermalt.
Im Laufe des Hochmittelalters (ab 1350) wurde die Musik immer mehr in den Vordergrund gerückt und die Begleitung wurde verfeinert und musikalisch vielfältiger. Das hängt auch mit dem Beginn der Mehrstimmigkeit in der Kirchenmusik der Schule aus Notre Dame und der damit beginnenden Chromatik (Installierung der Halbtonschritte in der Oktave) in der Musik zusammen.

Das Ensemble „Perceval“ nach dem berühmten Ritter des Mittelalters benannt der zum Gralskönig wurde, bietet auf seiner CD ein breites Spektrum höfischer Lyrik und Lieder vom Norden bis Süden Europas. Man kann sich ein gutes Bild des Minnesangs und den unterschiedlichen Höfen machen.

Vertreten sind spanische Komponisten wie Cerveri de Girona (1259-1285) ein katalanischer Troubadour aus der gegen um Barcelona, Bernart de Ventadorn (1130-1190) einem französischen Trouveres, der auf der Burg Ventadour seine Konzerte gab, daher der Name. Es finden sich auch Gesänge aus den Cantigas de Santa Maria und von Walther von der Vogelweide und Neidhard von Reuntal. Die Gruppe gibt sich große Mühe mit der originalen, oft eher basisch karg besetzten, Aufführungspraxis und gestaltet damit ein sehr authentisches und intimes historisch genaues Bild der mittelalterlichen Hofmusik.

Die CD „ Minnesänger, Troubadours, Trouveres“ mit dem Ensemble „Perceval“ ist zu haben bei ARTE NOVA Records unter der Bestellnummer 74321 58968 2.

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