Meinung
Musikpreis HANS - der Branchenverstärker

Zum zweiten Mal wurde er verliehen: der Musikpreis HANS, Kind der IHM (Interessengemeinschaft Hamburger Musikwirtschaft).
Am 17. November war der große Abend, wieder im guten alten Gruenspan auf St. Pauli. Dieses Jahr gab es schon acht Kategorien, denen man einen Preis verpasste, 2009 nur vier.
Veranstalter Uriz von Oertzen erklärte den Namen der Auszeichnung: „Klingt doch wie Hanseat oder Hans Albers, das passt zu Hamburg.“

Moderiert wurde flott und witzig von Marco Antonio Reyes Loredo, dem konspirativen Küchenbullen auf ‚Tide’. Mindestens so interessant wie seine Sprüche war allerdings sein schwarzes Beinkleid; ich verweile bei diesem Detail, weil auch das etwas mit Kultur zu tun hat und weil keiner so ein Dings anzieht, wenn er nicht hofft, dass es bemerkt, angestaunt und erwähnt wird.
Der Hosenboden befand sich ungefähr in halber Höhe der Oberschenkel, der Schlitz wurde mit auffallenden, gut sichtbaren hellen Knöpfen geschlossen und die Hosenbeine endeten ziemlich hoch oben, um die bunten Turnschuhe zu zeigen. Ich hatte mal eine Tante, die ungefähr so nähte, aber aus Versehen.

Übrigens: wir waren auch unter denen, die fast beinah eventuell einen HANS hätten abschleppen können, und zwar in der Kategorie ‚Medienformat’! Das weiß bloß niemand, weil leider keineswegs alle Nominierten erwähnt, sondern nur ganz schnöde die tatsächlichen Preisträger genannt wurden. Was sich gewiss zeitsparend auswirkte: ungefähr drei Viertel des Publikums (500 geladene Gäste) stand sich stundenlang - und trotzdem unbegrenzt begeistert - die Beine in den Bauch.
Den HANS für’s Hamburger Medienformat des Jahres bekam dann nicht Kultur-Port, sondern selbstverständlich Ina Müller für ihre TV-Show ‚Inas Nacht’.
Verdientermaßen, um ehrlich zu sein.
Ina hüpfte anmutig, in rasender Geschwindigkeit und völlig sicher, auf Mörderabsätzen das steile Treppchen zur Bühne hoch, griff dem Moderator verständlicherweise kurz in den Schritt (vermutlich, um zu prüfen, bis wo er gefüllt war) und teilte ihm mit, die ‚Mädels’ hätten zu dieser Hose gemeint, man müsse ja nicht jede Mode mitmachen. Dann nahm sie von Laudator Roger Cicero den Preis entgegen und schien sich darüber aufrichtig mindestens so sehr zu freuen wie über ihre bereits gesammelten Trophäen: Adolf-Grimme- und Deutscher Fernsehpreis, Goldener Prometheus sowie Deutscher Comedypreis. Anschließend sang sie temperamentvoll und engagiert ein Lied ‚extra für diesen Abend’.

Mit dem HANS 2010 ausgezeichnet wurden außerdem:
“Hamburger Künstler/in des Jahres”: Tocotronic
“Herausragende Hamburger Künstlerentwicklung”: Fettes Brot
“Hamburger Produktion des Jahres”: “ Wir Kinder vom Bahnhof Soul“ / Jan Delay
“Hamburger Programmmacher des Jahres”: Reeperbahnfestival
“Hamburger Verpackung des Jahres“: Dial und Smallville Records

Den Preis für das “Hamburger Label des Jahres” erhielt Audiolith in der Person von Lars Lewerenz, der seit mehr als sieben Jahren Künstler wie Bratze, Frittenbude, Clickclickdecker, Egotronic und Saalschutz fördert und dabei als Plattenfirma, Musikverlag, Merchandiser und Booking-Agentur fungiert.
Die Laudatorin, Andrea Rothaug (Rock City) rief zunächst Lewerenz’ Mutter und seine hochschwangere Lebensgefährtin auf die Bühne, sodann Lars Lewerenz selbst, der erst Mal seinen Sohn Oskar („Kann jede Minute kommen“) mit einem Kniefall begrüßte, anschließend seine Familie vom Podium wies: „Setzt euch schon mal hin, ich mach hier alleine weiter!“, sich das Mikro griff und, hin und her tigernd, sein Herz erleichterte.
Da kam viel Grundsätzliches zutage, angefangen bei den Schwierigkeiten im Job ("Selbstausbeutung am Rande des Existenzminimums") über die Freude, dass seine Eltern ihn nie in eine Banklehre gezwungen hätten bis zum nachdrücklichen Missvergnügen darüber, dass sein Preis keine finanzielle Zuwendung beinhaltete. Außerdem störte ihn die Beziehung des HANS zu Hans Albers, dem er Nazi-Knechtschaft vorwarf. (Womit er ihm Unrecht tat. Man kann Albers sicherlich alles Mögliche vorwerfen, das eben nicht.)
Schließlich hörte Lars Lewerenz auf zu reden und schritt zur Tat: er holte eine blinkende Axt hervor, zerhackte die hölzernen Teile seines Preises - ein quadratischer Holz-Metall-Rahmen mit eingearbeitetem kleinem Verstärker - und massakrierte dadurch das gesamte Kunstwerk, (gestaltet übrigens von Nils Koppruch).
In diesem Zusammenhang war es sehr beruhigend zu wissen, dass ‚alles, was passiert, ganz genau so geplant ist’, wie Alexander Maurus, der Vorsitzender der Jury, am Beginn des Abends versichert hatte.

Nach diesem Auftritt erfolgte der von Bratze.
Sänger Kevin Hamann nörgelte zunächst ein wenig ins Mikrophon, weil er wohl nicht mit der Wahl der zu fördernden Nachwuchskünstler einverstanden war. Kurz vor Ende ihrer Performance wurden die beiden Bratze-Künstler durch starke Männer von der Bühne entfernt. Das hatte jedoch höchstwahrscheinlich nichts mit dieser Kritik zu tun, es gehörte einfach zur Show.

Auch die Hamburger Afrikanerin Nneka sang zwei besonders schöne Stücke, nur zur Unterhaltung.

“Hamburger Nachwuchs des Jahres” wurde gegen Ende der Veranstaltung, als Höhepunkt, die Gruppe ‚1000 Robota’.
Dieser Preis übrigens war mit 2000 Euro dotiert (gestiftet von der Hamburger Volksbank), und Anton Spielmann verkündete sofort ironisch, man werde die Summe natürlich Bratze überweisen – samt einiger weiterer Freundlichkeiten über ambitionierte Vierzigjährige.
Anschließend haute ‚1000 Robota’ rein, dass die kleinen Umzugskisten, auf denen man direkt vor der Bühne sitzen konnte, hüpften. Spielmann schaffte sich ordentlich und warf vor lauter Leidenschaft das Mikrophon samt Ständer von der Bühne. Als er es für die nächste Strophe brauchte, hatte er dann allerdings einige Probleme damit, es wieder hoch zu angeln.

Alexander Maurus sprach die Abschlussworte. Er betonte, wie beglückt und befriedigt die Veranstalter mit dem Abend wären. Und dann konnte er doch nicht umhin – wie eine Hausfrau, die seit Tagen ihre Wohnung für das große Fest gewienert, vorbereitet, gekocht und gebacken hat und deren Gäste sich gerade in der Gardine die Finger abwischen und vor der Glasvitrine miteinander raufen – mal eben kurz zu versichern, man hätte sich für diesen Preis weiß der Himmel den Arsch aufgerissen, sie würden wirklich von Herzen gern auch Geldpreise vergeben, wenn sie könnten, es sei jedoch nun mal einstweilen keins da!

Da kann man wieder mal sehen: alles ist immer nur eine Sache des Blickwinkels. Wäre kultur-port.de, der Kompass der Künste, zufällig mit dem HANS für die Kategorie ‚Medienformat’ geehrt worden (ich wiederhole, wir gönnen ihn Ina Müller! Zwar ist unser Format auch sehr hübsch und wir sind stolz darauf, aber ihrs ist zweifellos spektakulärer, ich hätte niemals auf so hohen Absätzen derart schnell rennen und hüpfen können und Claus Friede kann nicht so schön singen)
Aber WENN wir nun eben doch gewonnen hätten…
Dann hätte ich vielleicht auch angefangen, darüber nachzudenken, ob die kostenlosen Getränke und das leckere Fingerfood, das dem Publikum von reizenden jungen Damen aufgedrängt wurde, ob das anschließende Buffet und der Auftritt von Nneka, die ja sicher nicht aus reiner Freundlichkeit gesungen hat, eigentlich nötig gewesen wären – oder ob sich die Zuhörer nicht Käsebrote mitbringen könnten und ihre Cola selbst kaufen, wenn dafür alle Preisträger ein kleines Sümmchen erhielten?

Da ich mich jedoch lediglich als Zuhörer im Gruenspan befand, genoss ich den Service ganz außerordentlich und hielt die Verleihung des HANS für eine gelungene Performance…

Ihre Dagmar Seifert

(Dagmar Seifert ist stellvetrende Chefredakteurin von Kultur-Port.De, Autorin zahlreicher Romane, Drehbücher, Rundfunk-Features und Theaterstücke.)
Foto: Thomas Baumgarten