Meinung

Inglourious Basterds Universal Pictures
  

In den vergangenen filmträchtigen Wochen hat es eine Vielzahl an Exempeln gegeben, dass Popularität zwei Seiten einer Medaille hat. Dafür möchte ich folgende drei Beispiele stellvertretend herausstellen:

Beispiel 1:
Christoph Waltz, Gewinner zahlreicher Preise: Des Bambi, Golden Globe, Bafta, Screen Actors Guild Award und natürlich des Oscars, befindet sich gerade auf der Überholspur. Alles das, was ihm die letzten 20 Jahre in seiner Karriere, ob seines großen Talents verwehrt blieb, kommt jetzt seines Weges. Er wird in jedem deutschen Boulevardblatt, als „unser deutschsprachiger Oscar-Gewinner“ gebrandmarkt und tingelt, vornehmlich in den USA, von einer Talkshow zur nächsten. Hat er sich dabei verändert? Natürlich! Ist er dabei unangenehmer oder arroganter geworden? Nein, definitiv nicht! Wir wissen jetzt Dank der Yellow Press sicherlich mehr über sein Privatleben, aber wie er wirklich tickt, dass wissen wir nicht. Dreimal hatte ich das Vergnügen, den Österreicher zu treffen und jedes Mal hinterließ er einen anderen bleibenden Eindruck. Das erste Mal war er zur Deutschlandpremiere von „Inglourious Basterds“ in Berlin. Auf jede Frage die ich stellte, hatte er eine Gegenfrage. Jede Antwort endete in einem philosophischen Highlight. Arrogant? Keineswegs. Interessiert – unbedingt. Eines der Interviews die einem lange im Gedächtnis bleiben, weil sie eine Herausforderung für jeden Journalisten darstellen. Ein Schauspieler, der sich für seinen Job wirklich interessiert und daher auch die ihm gestellten Fragen analysiert.

Die nächste Begegnung war kurz vor den „Academy Awards“ in Los Angeles auf einer Party mit den Nominierten aus dem deutschsprachigen Filmbereich. Quentin Tarantino war dort nur Beiwerk. Jeder wartete gespannt auf Christoph Waltz. Wie die Geier stürzten sich alle Journalisten auf Ihr „Opfer“, als Waltz der Limousine entstieg. Die letzten Wochen des Presserummels und vor allen Dinge des ‚Hypes’ hatten Spuren bei ihm hinterlassen. Man sah, dass dieser Rummel an seinen Nerven zerrte und das Schlafdefizit war ebenso sichtbar. Dennoch, bereitwillig stellte er sich den Fragen der Presse. Meine berufliche Aufgabe bestand an diesem Abend lediglich darin, ihn zu bitten, bei Pro7 am Roten Teppich der Oscar-Verleihung stehen zu bleiben. Seine erste Reaktion war, dass er sich an mich von der Deutschlandpremiere des Film erinnere und mir genau sagen konnte, welche Farbe mein Anzug an jenem Abend gehabt hatte. Er war freundlich, höflich und zuvorkommend. Unsere dritte Begegnung am Roten Teppich war geprägt von Hektik. Unglaublich viel Gebrüll um ihn herum und seine leichte Nervosität und Aufregung seinerseits, gleich herauszufinden, ob er wirklich seinen Siegeszug bei den Preisverleihungen mit dem Gewinn der weltweit populärsten Filmtrophäe abschließen könne. Den Umständen entsprechend, war er angespannt, aber immer freundlich und nie ließ er sich vom Umfeld anstecken.

Im Nachhinein hörte ich – egal auf welcher Party Christoph Waltz in jenen Tagen auftauchte – von Jamie Foxx, Adrien Brody, Renée Zellweger oder der von Steven Spielberg, alle wollten den Mann kennenlernen. Das einzige Problem an seiner Situation ist, dass die Amerikaner die Tendenz haben, sobald jemand Erfolg hat und sie ihn kontrollieren können, er durch die ganz große Public Relations Maschine gedreht wird, ohne die Gelegenheit zu haben, einmal Luft zu holen. Ich bin mir aber sicher, dass wir uns noch auf viele großartige Filme mit ihm freuen können und er wird sich nicht verändern. Er ist und bleibt ein großartiger Schauspieler, mit offenen Augen für das, was um ihn herum passiert. Ihn wird seine Popularität hoffentlich nur wenig verändern.

Beispiel 2:
Sandra Bullock, Oscar-Gewinnerin und gekürt mit der „Goldenen Himbeere“ für schlechte schauspielerische Leistungen, steht seit fast 20 Jahren im Mittelpunkt der Klatschpresse. Sie ist daran gewöhnt, dass jeder noch so kleine Fehltritt, jede unbedachte Äußerung eine Schlagzeile werden kann, ohne dass sie die Möglichkeit hat, etwas zu revidieren. Ihre Leinwandarbeiten hatten nicht immer die notwendigen qualitativen und inhaltlichen Formen. Augenfällig und niveauunabhängig war aber: Sie hatte Spaß an Ihrem Job. In Interviews wirkte sie immer unglaublich positiv und locker, und gab dem Fragenden zu verstehen, lass uns primär über den Film reden und dann beantworte ich vielleicht auch einmal etwas Privates. In Zeiten in denen Praktikanten von Ihren Redakteuren dazu gedrängt werden, doch bitte platt und direkt nach Sexleben, Lieblingsessen und „Was machen Sie an Ostern?“ zu fragen, eine schwierige Haltung. Zwei Tage bevor sie zu den Oscars geht, schaut sie bei der Verleihung der „Goldenen Himbeere“ vorbei, um sich ihren Preis persönlich abzuholen. Wer macht so etwas heutzutage, der einen Preis für schlechte Leistung erhält? Könnten sie sich vorstellen, dass Veronica Ferres, die diese Auszeichnung schon mehrfach verdient hätte, bei einer solchen Veranstaltung vorbeischaut? Ich mir sicher nicht!


Was macht die Bullock, sie bringt für jeden Teilnehmer auch noch eine DVD mit dem Film mit, für den sie ausgezeichnet wurde. Das ist clever! Jetzt hat sie quasi ihr Leben gerade ‚Volley’ genommen ist mit dem Oscar in ihrer Hand auf dem Zenit ihres Schaffens, machte den erfolgreichsten Film ihrer Karriere und dann lässt sie ihr Mann im Stich. Trotz öffentlicher Liebesbekundungen war anscheinend so viel im Argen, dass er sich in die Arme, oder wohin auch immer, einer anderen Frau fallen ließ. Wenn das eigene Leben ständig auf dem silbernen Tablett serviert wird und man keine Chance hat, in Ruhe zu trauern, zieht man sich zurück und meidet zu Recht die Öffentlichkeit. In diesem Fall wird die Popularität zum Verhängnis. Sandra Bullock ist eine bemerkenswerte Frau, aber in diesen Schicksalsschlag muss sie erst einmal verdauen. In diesem Fall ist Popularität ein Fluch.

Beispiel 3:
Andy Warhol sagte 1968: “In the future, everyone will be world-famous for 15 minutes.”.
Das scheint der Leitsatz für sehr viele Menschen aus der Entertainment-Industrie geworden zu sein. Es zählt längst nicht mehr das Talent oder die Arbeitsleistung, sondern es zählt mittlerweile häufig und einzig wie man sich verkauft.
Stars weltweit eint ein weiterer gemeinsamer Leitgedanke: Man will für seine Arbeit anerkannt werden, nicht für sein Privatleben. Wer in das Business gelangen möchte, den treibt die Frage um: Wie viel kann und wie viel darf man über das Privatleben Preis geben?

Diese Unsicherheit birgt folgendes Problem: Wenn man nicht gewillt ist, sein Inneres nach Außen zu kehren, hat man kaum noch eine Chance, Karriere zu machen. Damit sage ich nicht, dass es einem Journalisten nicht erlaubt sein sollte in Interviews private Fragen zu stellen, was ich damit meine ist, es sollte nicht nur noch ums Private gehen.

Gerade hat der ‚Spiegel’ einen Fragebogen veröffentlicht, den die Produktionsfirma von „DSDS“ ihren Finalkandidaten aushändigt hat, mit der Bitte um detaillierte Antworten zu allen auch der noch so privaten Themen. 
  

Der Gedanke einmal populär zu sein, einmal groß in der Öffentlichkeit zu stehen, treibt die Menschen offensichtlich an, wie ein Hirte seine Schafe. Jeder will Andy Warhols Aussage wahr machen. Aber für welchen Preis? Das Interesse an jemandem, der alles erzählt hat, verschwindet genau so schnell wie es aufgetaucht ist. Man kann die Geschichtchen irgendwann nicht mehr toppen, und dann fängt man an steil abzustürzen. Und alles immer noch in der Hoffnung, die Öffentlichkeit immer wieder für sich zu gewinnen, vielleicht zu schocken und das Interesse auf die eigene Person weiterhin zu lenken. Warum will man das? Wenn man populär ist – denken viele, ist man auch gut. Nein! Wenn man populär ist, wird weniger hinterfragt und nicht mehr so genau hingeschaut. Fällt man aber in ein Loch, weil der nächste schon parat steht, dann wird alles bis ins kleinste Detail analysiert. In einer Welt, in der nichts mehr heilig ist, in der das Privatleben durchleuchtet wird, kann uns nichts mehr schocken!

Und wohin führt das? Letztlich zu nichts.
Popularität ist eben ein Segen und ein Fluch zugleich. Das öffentliche Interesse ist notwendig, ohne dieses geht heute nichts mehr, weder die Kinokasse klingeln zu lassen, noch Quoten im Fernsehen nach oben zu schrauben, noch die Modekollektion oder ein künstlerisches Bild zu verkaufen. Wenn man Talent hat und gute Arbeit abliefert kann man Popularität als Segen für eine lange Zeit erleben. Wird sie aber benutzt, um ausschließlich berühmt zu werden und das um jeden Preis, fängt man schnell an seine Defizite zu kaschieren. Dann wird die Presse und die Öffentlichkeit gnadenlos und die Popularität schnell zum Fluch.

Ihr Steven Gätjen

(Steven Gätjen arbeitet in Deutschland und den USA als Event- und Fernsehmoderator. U.a. war er für Sender wie MTV, ZDF, Pro7, Kabel Eins und SAT 1 tätig. Weitere Informationen unter: www.stevengaetjen.com)

Foto: Copyright Inglourious Basterds / Universal Pictures