Meinung
Unsere 17. Lange Nacht der Museen in Hamburg

Dagmar Seifert (DS) und Claus Friede (CF) sind wie bereits in den vergangenen gefühlten 20 Jahren für KulturPort.De in die Lange Nacht der Museen in Hamburg ausgeschwärmt und tragen, getrennt durch eine zarte, aber sichtbare Linie, ihre Erlebnisse hinein in die dazu vorgesehene Kolumne.

DS: Bevor es richtig losging mit der Langen Nacht der Museen in Hamburg am vergangenen Samstag fand die Pressekonferenz bereits am Donnerstag statt: im Atombunker beim Hauptbahnhof. Das ist tatsächlich eins der Hamburger Museen, obwohl bestimmt nicht das bekannteste.

Was unter anderem an seiner bodenlosen Bescheidenheit liegen könnte. Genau wie die Kunsthalle befindet der Bunker sich ganz in der Nähe des Hauptbahnhofes.
Aber während die eine wirklich nicht zu übersehen ist, kann einem das mit dem anderen problemlos passieren!
Der Tiefbunker besitzt zwar auch drei Stockwerke – jedoch nach unten. Und sein Eingang am Steintorwall schmiegt sich derart unscheinbar an Boden und Wand des Bahnhofs, dass man ihn eher für eine Bedürfnisanstalt halten könnte oder für das Kabäuschen, in dem der Straßenkehrer seinen Besen aufbewahrt.
Wer weiß schon, dass hier die „Rettung“ gewartet hat auf diejenigen, die einer Nuklearexplosion ausgesetzt waren? Zumindest für 2.702 Personen.
„Rettung“ – glaubte man in den 60er-Jahren. Nach vierzehn Tagen wollte man die Geretteten wieder hinaus in die freie Natur scheuchen.
Inzwischen wissen wir ein wenig mehr über radioaktiven Niederschlag.
Ursprünglich war der Bunker für Schutzsuchende im ersten Weltkrieg gebaut worden.
Unter dem Eindruck der Kubakrise rüstete man ihn auf: zwischen 1965 und 1969 wurden unter anderem moderne Drucktüren, Lüftungsfilter und Notstromanlagen eingebaut.

Nach der Pressekonferenz bekamen Interessierte unter uns noch eine kleine Führung durch diesen Bunker. Ich war sehr interessiert. Der Vereinsvorstand der ‚Hamburger Unterwelten‘, Sören Kempe, zeigte mit viel Sachkenntnis und grimmigem Humor diesen Hort der Geborgenheit.
Kalt ist es im Bunker, um die 12°, es empfiehlt sich also, zur Besichtigung was Warmes anzuziehen. Ob sich die Temperatur geändert hätte durch die gemeinsame Anwesenheit der 2.702 Geretteten? Schön dicht beieinander mussten sie sitzen, auf dünnen Stühlchen wie in einer uralten Straßenbahn.

TiefbunkerZwar gab es einige wenige Liegeräume, vielleicht für (umgekippte) Sonderfälle oder Schwangere oder ähnliche Entschuldigungen. Der Hauptanteil der Geretteten hatte während der ihnen zugebilligten zwei Wochen zu sitzen. Sie konnten sich ja währenddessen angeregt unterhalten.
Die sanitären Anlagen sahen vor, dass die Herren sich nebeneinander in eine flache Rinne erleichtern durften, wenn sie nicht Gründe hatten, eine der wenigen Toiletten zu beanspruchen.
Den Damen standen richtige Klos zur Verfügung, aus Sicherheitsgründen ohne Tür, nur durch einen Vorhang zu schließen. Darüber hinaus gab es Waschbecken, beileibe keine Duschen.
An jeden wäre ein Handtuch verteilt worden, ein dünnes Stück Stoff, das auch als Serviette und Napfreiniger dienen musste: es war ja nicht daran zu denken, dass jeder sein Essgeschirr womöglich mit Wasser saubermachte.
Gefüttert werden sollten die Gefangenen – nein, Geretteten mit Proteinklumpen, so vollgestopft mit Kalorien wie die Bunkerräume mit Menschen.
Sören Kempe meint, es hätte kein Plan vorgelegen für das Miteinander der in Todesangst aufeinander gepropften. Es hätte geheißen, das Soziale würde sich von alleine regeln.
Was unwillkürlich daran denken lässt, wie sich das Soziale im überfüllten Käfig von Versuchsmäusen zu regeln pflegt.

Überleben – nach vierzehn Tagen in diesem Zustand also wollte man die Geretteten entlassen. Es fragt sich sehr, ob es sinnvoll wäre, sich die letzten Lebenstage auf diese Weise zu versüßen oder lieber innerhalb einer Viertelsekunde zu Goldstaub zu explodieren und in die ewigen Jagdgründe zu schweben…
Führungen durch die beklemmende Unterwelt (ab einem Mindestalter von 12 Jahren) sind anmeldungspflichtig und meistens schnell ausgebucht, da die ehrenamtlichen Helfer nur begrenzt Zeit haben. Ich finde sie unerhört interessant und sehr empfehlenswert.

Nun aber zur eigentlichen Langen Nacht der Museen! Diesmal wollte ich mein Auto stehen lassen und öffentliche Verkehrsmittel nutzen, wirklich. Es gibt wunderbare Angebote der Stadt diesbezüglich, unbedingt. Aber irgendwie komme ich mir ohne Auto so entkörpert vor…
Mein exzellenter Schutzengel schaffte es auch, mir zwei erlaubte (!) kostenlfreie Parkplätze zuzuschustern, wie immer er das anstellte in Gegenden wie Hauptbahnhof und Reeperbahn. Ganz bestimmt nicht, weil weniger Menschen unterwegs waren als in den vergangenen Museumsnächten.
Bei der Pressekonferenz hatte es auf eine entsprechende Frage geheißen, die Besucherzahl sei sehr zufriedenstellend und bliebe sich in den letzten Jahren ungefähr treu.
Ach wirklich? Ich hatte den Eindruck, es werden von Jahr zu Jahr mehr!
An diesem kalten Frühlingsabend trabte die Menschheit in großen Trauben um mich herum, in sämtlichen bekannten oder (mir) unbekannten Sprachen schnatternd und im Wesentlichen bester Laune. Über allem schwebten beruhigender Weise zwei Hubschrauber, um uns zu beaufsichtigen. Aber vielleicht flogen die da auch aus ganz anderen Gründen herum.

Zum Anfang knöpfte ich mir die Hamburger Kunsthalle vor. Dort bin ich ewig nicht gewesen. Das Motto dieses Abends lautete: Schönheit. Im Werner-Otto-Saal wurde Schönheit & Brillanz geboten.
Spartak Margaryan, ein junger Pianist aus Armenien, dem Schönheit nicht abzusprechen ist, spielte mit schmerzlich-gesammelter Miene Haydn, Scarlatti und Ravel und machte das wirklich großartig. Ein bisschen ärgerlich fand ich nur, dass er eine Viertelstunde zu spät anfing. Das wäre, handelte es sich nur um ein Konzert, nebensächlich. Wenn es jedoch um eine Lange Nacht geht, in der man ja noch hier und da oder auch dorthin will, schaut man nach einer Weile nervös auf die Uhr.
KunsthalleUm das zu vermeiden, blickte ich mich in dem eleganten Raum um, bewunderte die honigfarbenen Marmorsäulen und den wunderschönen Terrazzo-Boden und bemerkte verblüfft, dass in der Kunsthalle sogar die Mauselöcher ästhetisch ansprechend geformt sind.
Andererseits handelt es womöglich gar nicht um Mauselöcher, sondern um Lüftungsöffnungen für die Heizung oder Steckdoseneinschnitte oder dergleichen…

Nachdem Herr Margaryan sein Programm abgeliefert hatte, verließen einige der Zuschauer geradezu fluchtartig den schönen Saal. Bestimmt nicht, weil es ihnen missfallen hatte, sondern eben, um ihrem weiteren Programm zu folgen, während die anderen nach einer Zugabe klatschten.
Ob es die gegeben hat, vermag ich nicht zu sagen, da ich zu den Flüchtenden gehörte. Tatsächlich huschten einige bereits kurz vor Schluss der Darbietung möglichst diskret aus der Tür. Und das, möchte ich versichern, hat der begabte Pianist ganz und gar nicht verdient…

CF: Tief unten in der Kunsthalle, zwischen unterirdischem Gang und Galerie der Gegenwart ist auch „Schönheit“ zu finden: Venezianische Malerei. Und dies mit Poesie gemischt – aber nicht im strengen Sinne des Wortes. Viel Landschaft und Architektur, viel nackte Haut, vor allem Weibliche, nur deswegen züchtig und in der damaligen Zeit akzeptabel, weil es biblische oder mythologische Themen sind, die da farbenfroh auf die Leinwände festgehalten wurden. Die fachkundige Führung ist höchst aufschlussreich und alle Teilnehmer sind gleichermaßen vom Wissen der Dame, die ins winzige raschelnde Mikrophon auf unsere Headsets spricht, beeindruckt. Leider findet sie aber den poetischen Teil in ihrem Vortrag nicht und mit gleichbleibender Tonhöhe im Ohr ermüdet der eine oder andere schneller als erwartet.

Die Security ist zumindest hellwach und ermahnt so manches Mal einige der Nachtschwärmer nicht so dicht an die Bilder zu schreiten oder gar sich mit Hand und Fingern zu nähern, weil das sofort einen unangenehmen Signalton auslöst. Dieser Ton wird jedoch zur Begleitmusik in den meist in rot und grau gehaltenen Räumen.

Kunsthalle Venezianische MalereiDie Säle sind gut gefüllt – auffällig viel junges Publikum – gut, dann haben hier ja einige etwas richtiggemacht und wir verlieren unser Zukunftspublikum nicht aus den Augen und dem Sinn.

Wer Paris Bordone heißt ist entweder ein Createur von Parfums (und man kann sich vorstellen welch süßer Duft da verströmt werden würde) oder ein hierzulande noch nicht ausreichend gewürdigter Maler der Lagunenstadt in Norditalien.
Ein wenig Renaissance, eine Prise Manierismus, im Kopf schon die eine oder andere Vorstellung vom Bühnenraum des Barocks und die zeitliche Übergangswelt ist grob skizziert. Das eine oder andere Bild ist von Farbintensität und Leuchtkraft wirklich beeindruckend. Das soll daran liegen, sagt unsere Führerin, dass Bordone und sicherlich auch andere in der Glasstadt Venedig und dem hübschen Inselvorort Murano, eben jenes Material in kleinste Partikel zerstoben haben und es in die Farb- und Ölmasse mit einbrachten. Das erhöht die Stofflichkeit eines Seidenkleids in der Portrait-Abteilung der Ausstellung ungemein. Es leuchtet einem quasi entgegen. Bei der Ritterrüstung des Mars’ in einem Allegorie-Bild wurde das offensichtlich nicht gemacht, die metallene Schutzhaut wirkt demgegenüber zwar unbenutzt und poliert, aber eben nicht glänzend.
Wer mag und sich in die Inhalte der Ausstellung vertiefen möchte, liest einfach hier weiter.

DS: Meine nächste Station befand sich neben der Reeperbahn: das Hamburger Schulmuseum in der Seilerstraße.
Es sieht schon von außen genauso grässlich (oder idyllisch) aus, wie man es von einer Schule erwartet. Und es roch auch so: nach Kreide und Wurstbrot und Bohnerwachs und Stress. Aber das ist meine völlig subjektive Meinung über Schulen.
Ich wollte dieses Museum vor allem besichtigen, um mich zu freuen, dass ich nicht mehr schulpflichtig bin.

In einem der mittelgroßen Räume (eben Schulzimmer) wurden Kurzfilme zu verschiedenen Unterrichtsfächern gezeigt.
In einem anderen die Lernziele der ‚Schule unterm Hakenkreuz‘, in der man Kindern beispielsweise vermittelt hatte, wie mit ‚Krüppeln‘ umzugehen sei.
Danach gab es den ‚Neuanfang 1945‘, ein Foto zeigt die Kleinen in Mänteln und Mützen im ungeheizten Klassenraum.
Doch auch die damaligen Lernziele und Moralvorstellungen, obwohl nicht mehr nationalsozialistisch, befremden den heutigen Menschen noch ganz gewaltig.
Wer in einer Riesenfibel blättert, kann die Geschichte einiger kleiner Jungen lesen, die an einem heißen Sommertag im Wasser herumplantschen. Einer meint, das sei ja kalt, und wird von anderen ausgelacht: „Bist du etwa wasserscheu?“
Das war damals goldrichtig, ein echter Junge ist nicht zimperlich und muss, falls er es doch ist, zurechtgewiesen werden. In unserer Zeit wäre es schon knapp am Mobbing vorbei…
Sehr tröstlich war in diesem Zusammenhang das Motto des Abends: „…jetzt machen wir es anders“
Aber viele der Besucher wollten ja im Gegenteil tapfer vermittelt bekommen, wie unangenehm es damals war. Sie sammelten sich dazu vor einem speziellen Klassenzimmer. Hier sollte der Unterricht wie zu Kaisers Zeiten: „Gerade sitzen, Ohren spitzen!“ demonstriert werden. Viermal in dieser Nacht zur vollen Stunde. Zumindest stand es so im kleinen Museums-Büchlein. Kurz vor 21:00 Uhr also drängelten sich potentielle Schüler auf dem Flur und warteten.
Und warteten.
Und warteten.
Es war dasselbe Problem wie im Musikzimmer der Kunsthalle.
Eine in diesem Ausmaß nicht einkalkulierte Masse an Zuschauern konnte nicht in die zur Verfügung stehende Zeit gepresst werden.
Es wurde immer wärmer und immer voller.
Ein junger Mann neben mir klärte, angeregt vermutlich durch die Schul-Atmosphäre, seine Familie sehr sachkundig über die Englischen Rosenkriege zwischen den Häusern York und Lancaster auf einschließlich der Tatsache, dass dabei alle männlichen Erben weggeputzt worden sind.
Erwachsene unterhielten sich über ihre eigenen jeweiligen Schulerlebnisse mit angenehmem Schauder und deutlicher Zufriedenheit darüber, es hinter sich zu haben.
Kinder standen auch vereinzelt dazwischen, die sich mit ihren Smartphones unterhielten.
Und dann erspähte ich plötzlich in einem benachbarten Raum eine zierliche Dame in einer weißen Bluse zu halblangem Rock und Stiefelchen, das Haar zum strengen Knoten gebändigt und mit einer Brille. Wahrhaftig, sie sah aus wie die sprichwörtliche antike Lehrerin!
Ich schlängelte und quetschte mich also durch die Besuchermassen zu dieser Frau durch und fragte, ob nicht der Unterricht genau um neun hätte beginnen sollen? Also vor einer guten Viertelstunde? Und ob das ihre Art sei, Kindern Pünktlichkeit zu vermitteln?
Sie nickte bekümmert und gab zu, man hätte ‚eine kleine Vorführung dazwischen gequetscht‘. Die müsse aber nun bald vorbei sein…
Immerhin ging sie selbst in die Klasse, und nun tröpfelte nach und nach die Schülerschaft dort hinaus, damit wir hineinkonnten.
Hamburger schulmuseum Foto BaskeDie Besuchermenge schwappte also in den Raum, eroberte die Sitze hinter den Bänken sowie einige geringe Seitensitze und drängelte sich im Übrigen in Dreierlagen hintereinander an den Wänden.
Ein Lehrer mit Spitzbart, ungefähr so altmodisch und sprichwörtlich wie unsere Lehrerin, meinte besorgt, so ginge es nicht.
Er entfernte die stehenden Anteile des Publikums von den Wänden wie ein Imker den Bienenschwarm, versicherte, sie wären bei der nächsten Vorführung dabei – und ließ uns Sitzende mit der Lehrerin allein.
Die machte ihre Sache ganz entzückend.
Eigentlich sehr hübsch, mit Rehaugen, Grübchen und voller dunkler Stimme, entartete sie zum harschen, strengen Fräulein – nachdem sie uns vorgewarnt und zur eigenen Umwandlung eine große Schulglocke geschwungen hatte.
Die weiblichen Besucher wurden mit einem gestreiften oder karierten Flügelschürzchen ausgestattet, die männlichen mit umgehängten Matrosenkragen. Denn nun befanden wir uns im Kriegsjahr 1917, der Kaiser blickte huldvoll von der Wand über dem Pult auf seine jungen Untertanen.
Namensschilder gab es auch, um die Hälse der Schüler gehängt. Die hießen jetzt Clara, Hedwig oder Agnes, Oscar und Emil – wobei auffällt, dass die Jüngsten in unserem Kulturkreis bereits wieder haargenau heißen wie die Urgroßeltern. Einmal wieder rum.
Das Fräulein Lehrerin prüfte, ob saubere Taschentücher vorhanden wären (sehr zu ihrer Unzufriedenheit im Zeitalter des Zellstofftuchs) brachte der Klasse das kleine i und das kleine u in Sütterlin auf der Schiefertafel bei und bemühte sich vor allem, sie Disziplin zu lehren. Was die Besucher sehr erheiterte und immer wieder den Ausruf erforderte: „In der Schule wird nicht gelacht!“
Eine überaus unterhaltsame Demonstration, wenn auch ein wenig abgekürzt.
Denn der Schulflur und auch das anschließende Treppenhaus platzte beinah vor Lernwilligen. Es war abzusehen, dass die Veranstalter in dieser Nacht unbedingt mehr als nur noch zwei der Unterrichtsdemonstrationen zu geben hatten.
Unten in der Pausenhalle gab es die belegten Brötchen, nach denen es schon beim Eintreten so angenehm duftete und ich gönnte mir eins, nach all der Gelehrsamkeit.

CF: Lernen ist überhaupt DAS Stichwort dieser Langen Nacht der Museen: Wer da so alles was weiß und es mit den unterschiedlichsten Mitteln von sich gibt. Man kann meinen, Hamburg besteht in dieser Nacht aus Wissen und Neugierde – Erfahren und Lernen.

Paula Modersohn Becker BucifuAls private Stiftung konzentriert sich das Bucerius Kunstforum, meiner nächsten Station, nicht nur auf das Zeigen, sondern insbesondere auf die Vermittlung von Kultur. Das wird auch beim Besuch der Paula Modersohn-Becker-Ausstellung klar – mit dem zugefügten Titelzusatz: Der Weg in die Moderne.
Heute Abend sind allerdings erstaunlich wenig Menschen zu Besuch, drängen sich zu sonstigen Öffnungszeiten tausende durch die Ausstellung. Das macht den Besuch umso angenehmer, denn man kann die Bilder auch sehen und hier und da mal Abstand nehmen, physikalisch gesprochen. Nach einer nur geringen Weile weiß man eigentlich schon: Paula Modersohn-Becker war bereits in der Moderne, viele andere sicherlich noch auf dem Weg. An kleinen Feinheiten kann man das sehen, aufgeklappte Perspektive und das schon im Jahr 1907 – da fingen Picasso, Braque und Konsorten gerade mit dem Kubismus an. Maskenartige Gesichter, Abstraktionen, Filter, Farbigkeit etc. Die Frau hätte nach Paris gehört und nicht nach Worpswede! Jedoch ist die Norddeutsche Moorlandschaft ein gewisser Garant dafür, dass sich das Norddeutsche Publikum extremst für Maler aus dem Teufelsmoor interessiert und sich, wie es Andreas Hoffmann, der Geschäftsführer des Bucerius Kunstforums formulierte, die Ausstellungshallen in Hamburg besonders füllen.
Bremen und Hamburg sind sich hier einmal einig: die Modersohn-Becker ist etwas Besonderes und Uwe Schneede, ehemalige Chef der Hamburger Kunsthalle, hat in der Zusammenstellung der Ausstellung und wie man hört in der Zusammenarbeit der hansestädtischen Institutionen viel geleistet.
Die großen vieleckigen Räume des ‚Bucifus’ zeigen jedenfalls einen sehr sehenswerten Kanon der Künstlerin.
Wer mag und sich in die Inhalte vertiefen möchte, liest hier weiter.

Einer Performance gleich hat das Security-Personal auch hier und in dieser Nacht wieder einen eigenen Auftritt: Wenn man aus dem stürmisch-feuchtkalten Hamburger Schietwetter kommt, braucht man in den geheißten Räumen nicht lange um wieder warm zu werden.
Was macht man? Genau, man zieht die Jacke, den Mantel oder den Anorak aus. Tänzelnd, freundlich-unmissverständlich wird der Kleidungsstück-Entlediger sofort gebeten, dies zu unterlassen. Taschen und Oberbekleidung sofort in der Gaderobe im Untergeschoss abgeben oder: Kunst kann schweißtreibend sein. Alternativ – man muss seine laufende Führung verlassen, um das Kleidungsstück abzugeben, was auch keiner in der Situation machen will, weil er viel verpasst. Und eigentlich will man ja danach auch schnell weiter, die Nacht wird immer kürzer. In richtig viele freundliche Gesichter schaut man jedenfalls bei den Betroffenen dann nicht mehr.

DS: Dann fuhr ich zu meiner letzten Station, dem Polizeimuseum in Alsterdorf.
In einem der Räume im Obergeschoss sollte erläutert werden, weshalb Tote nicht schweigen.
Es wirkte, als hätten hunderte von Menschen seit Jahren auf die Antwort zu dieser Frage gewartet.
Jedenfalls gab es auf der gesamten Treppe ein geradezu lebensgefährliches Gedrängel. Im Vortragsraum war selbstverständlich jeder Stuhl besetzt und jede Wand doppelt und dreifach mit Zuhörern gepolstert.
Eine junge Frau erkundigte sich bei einem Polizisten, ob es erlaubt sei, auf dem Boden zu sitzen?
Er erwiderte, ja, zur Not, ganz vorn vielleicht, einige wenige…
Manchmal muss man schnell handeln. Bevor er ausgesprochen hatte saß ich ganz vorn auf dem Boden.

Hamburger Polizeimuseum DachgeschossDirekt vor meiner Nase befanden sich ein mit Trauerflor verhüllter Tisch, zwei ältere Herren und mehrere Totenschädel.
Bei den beiden Vortragenden handelte es sich um den Leiter des Polizeimuseums, Joachim Schulz und um Professor Dr. Klaus Püschel, Facharzt für Rechtsmedizin.
Das erste, was beide taten, nachdem sie vorn am Tisch standen und sich umblickten, war, die Augen aufzureißen und Laute des Erstaunens von sich zu geben über das gigantische Auditorium.
Dann stellte Polizist Schulz den Professor und sich selber vor. Dabei flocht er in seinen launigen Vortrag ein, wo die Parallelen zum Münsteraner Tatort-Team stimmten und wo nicht.
Er selber also ist HSV-Fan (was er durch Öffnen seiner Jacke und Vorzeigen eines entsprechenden T-Shirts beweisen konnte), während Professor Püschel Werder Bremen anhängt. Nun warf niemand direkt mit Gemüse, aber es ging ein kurzes, dumpfes Stöhnen durch den Saal.
Ich hatte vorher bereits festgestellt, dass die vielen interessanten, fremdländischen Gesichter, die mir vorher überall in der Stadt begegnet waren, hier fehlten.
Es ist ein anderes Publikum in der Kunsthalle als im Schulmuseum und wieder ein anderes im Polizeimuseum. Dem Stöhnen nach, das auf die Werder-Bremen-Anhängerschaft folgte, handelte es sich hauptsächlich um Hamburger.

Nach der Vorstellung kamen die beiden Vortragenden zum eigentlichen Thema, dem Schädel des Piraten Störtebeker.
Klaus, der Professor, erklärte lang und breit, wieso es sich bei dem dunklen Knochengewölbe mit dem Nagelloch nur um den Kopf dieses einen Mannes gehandelt haben konnte – und nahm seine Zuhörer ein wenig auf den Arm, indem er verzapfte, die Liekedeler hätten so geheißen, weil sie in ihrer Güte die Beute und deren Erlös mit dem armen Volk geteilt hätten, Klaus, der Pirat, sei ein toller Kerl gewesen, der seinen Trinkbecher zerknautschte wie Raimund Harmstorf die berühmte Kartoffel – und so weiter. Zum Schluss gab er jedoch zu, dass Störtebeker womöglich nie existiert hat.

Nichtsdestotrotz hängt das Museum für Hamburgische Geschichte sehr an dem alten Piratenschädel. Seit jeher. Noch mehr, seit er 2010 plötzlich verschwunden war und knapp zwei Jahre später wiederauftauchte.
Die verwickelte Geschichte, wie er selbst die Kriminaltat aufklärte und der Museumsleiterin das Ausstellungsstück zurückgab, erzählt Schulz augenzwinkernd. Und die würde sich wirklich für einen Münsteraner Tatort eignen, ganz ohne Mord…

Bedauerlicherweise muss der Vortrag ein wenig gekürzt werden – die Zeit ist knapp.
Ich rudere durch die Menschenmassen auf der Treppe nach unten, dränge mich durch noch mehr Menschen in den unteren Räumen und widme mich der Getränkebude im Polizeigarten, bevor ich das Gelände verlasse. Gleich darauf sehe ich vor der nahen Bushaltestelle ganze Völkerscharen warten. Dabei ist es bereits kurz vor zwölf!

Vielleicht sollten die Veranstalter der langen Museumsnacht in Hamburg die Zuschauer noch mal durchzählen. Ich glaube doch, es waren diesmal viel mehr als früher…


Die Lange Nacht der Museen in Hamburg

Weitere Informationen:
- LNdMHH
- Hamburger Unterwelten

- Hamburger Schulmuseum
- Polizeimuseum Hamburg


Abbildungsnachweis:
Header: Museumdienst Hamburg. Foto: Mario Sturm
Fotos: Dagmar Seifert und Claus Friede
Foto (c) Hamburger Schulmuseum, Barske

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