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Filmdokumente: Maria Callas in concert – Hamburg 1959 & 1962

Ihr erstes Solo-Konzert in Deutschland sang Maria Callas 1959 in der Hamburger Musikhalle. Ein Ereignis, das – dem Norddeutschen Rundfunk sei Dank – genau wie das zweite Hamburg-Konzert 1962 in Bild und Ton festgehalten wurde. Es sind zwei der raren Filmdokumente mit der Callas in zentraler Rolle. Warner hat jetzt beide Konzerte auf einer BluRay-Disc neu herausgebracht: „Maria Callas in concert – Hamburg 1959 & 1962“. Unverzichtbar für alle Fans der Star-Sopranistin und für die, die herausfinden wollen, was das Geheimnis ihres Erfolgs und Weltruhms ausmacht.

In der Limousine, mit der die Diva samt Lieblingspudel Toy sehr spät am Abend des 13. Mai 1959 vom Flughafen Fuhlsbüttel zum Hotel Atlantic gebracht werden soll, hat sich ein junger Mann eingeschlichen, der plötzlich „wie der Teufel aus der Kiste“ auf der Hinterbank links neben der erstaunten Sängerin auftaucht. Ein kühner Autogrammjäger, aber kein sehr hartnäckiger, denn „der junge Mann wetzte durch die geöffnete Tür davon und ward nicht mehr gesehen“, wie das Hamburger Abendblatt notiert. Über die Callas schrieb der Reporter: „Eine sehr scharmante Frau, deren Züge viel weicher, viel ebenmäßiger wirken als alle Photographien das bisher zeigen konnten. Ein klein wenig Ähnlichkeit mit Soraya. Haltung und Lächeln auf jeden Fall würdig einer Königin aus dem Reich der Kunst.“
Callas in Hamburg - BlueRay-CoverKonzertveranstalter Kurt Collien, Pressefotografen und Fans umringten ihr Idol – das Foto davon prangt am nächsten Tag auf Seite 1 der Zeitung. Nie zuvor hatte die Callas in Deutschland ein Solo-Konzert gegeben, nur zweimal stand sie bislang auf deutschen Opernbühnen, für zwei ihrer Paraderollen – eine „Lucia di Lammermoor“ 1955 mit Herbert von Karajan in Berlin, und eine „Somnambula“ in Köln. 35 Jahre jung ist Maria Callas zum Zeitpunkt ihres ersten Hamburg-Konzerts, ein internationaler Star auf dem Höhepunkt seines Könnens, dessen Kunst längst auf Schallplatten vielfach auf dem Markt ist.
Das Konzert ist ein Event, würde man heute sagen. Ausverkauft seit langem. Selbst die billigen Plätze im 2. Rang haben noch stolze 10 Mark gekostet. Wer die nicht aufbringen kann, darf immerhin per Fernsehen dabei sein. Prominenz vom Rhein bis zur Elbe war angereist, namentlich erwähnt werden Bürgermeister Max Brauer, Zarah Leander, Louis Ferdinand von Hohenzollern.
Auf dem Podium sitzt das Sinfonieorchester des Norddeutschen Rundfunks, damals noch frauenfreie Zone, soweit das Auge der Kamera reicht. Es reichert das Programm mit Ouvertüren von Cherubini, Rossini und Verdi an, die auf der BluRay nicht verewigt sind. Dafür aber die fünf Arien, die Maria Callas an diesem Abend singt. Die sich in den Anfangstagen ihrer Europatournee eine Erkältung eingefangen hatte, deren Nachwirkungen sie in der Musikhalle noch behelligen. Dreimal bekreuzigt sie sich, weiß das Abendblatt, bevor sie zum ersten Mal die Bühne betritt. In einem gold- und silberdurchwirkten Brokatkleid, auch das wird nicht vergessen. Mehrfach schaut sie zu Dirigent Nicola Rescigno, als wolle sie entschuldigend sagen: Besser geht’s grad nicht. Doch da geht ein ganze Menge.

Die Stimme der Callas ist faszinierend uneinheitlich
Fünf Arien Callas live. Sie machen vom ersten Moment an klar, dass Callas nicht nur die Stimme ist. Die ist faszinierend uneinheitlich: ein tiefer, metallischer Mezzosopran, eine weiche, runde Mittellage und darüber ein kecker, treffsicherer und ungemein beweglicher Koloratursopran. Sie wechselt hörbar durch diese Register, forciert gehaltene Töne in den hohen Lagen, so dass sie häufig ein Spürchen zu hoch klingen. Und geht am Ende des Konzerts dem hohen C aus dem Weg.
Sei’s drum. Die Callas ist ein Gesamterlebnis, sie hat im kleinen Finger mehr zwingende Bühnenpräsenz als die meisten ihrer Kolleginnen in einer ganzen Oper aufbieten könnten. Man hat bei ihr in jeder Sekunde das Gefühl: Sie singt nicht nur von Liebe, Verzweiflung, Rache – sie durchlebt, durchleidet in ihren Auftritten jedes dieser Gefühle bis in die letzten Tiefen des Empfindens. Höchstspannung, keinen Wimpernschlag lang locker lassen. Das Publikum fesseln, dass es fast vergisst zu atmen. Ihr gelingt das. Das Programm: Arien aus Spontinis „Vestalin“, zweimal Verdi mit der Cavatina der Lady Macbeth und Elisabettas „Tu che le vanità“ aus dem letzten Akt von „Don Carlo“, dann ihr Paradestück: Rosinas „Una voce poco fa“ aus Rossinis „Barbiere di Siviglia“. Und zum Schluss Bellini, aus „La Pirata“ – eine der Szenen, in der sie ihr Können so ausspielen kann, dass es größten Effekt macht. Gewaltiger Applaus, Blumenorgien, huldvolle Verbeugungen, großartig selbst als schwarzweißes Fernsehbild.
Dessen Qualität ist historisch, nicht berauschend, aber anständig. Der Mono-Ton der ursprünglichen Aufnahme wurde in Stereo aufgesplittet und schon für die ebenfalls erhältliche DVD digital aufgefrischt, man kann die Callas also ohne Grundrauschen erleben. Nur die komplett digital tiefengereinigte Aufnahmen Warner-Box mit allen Studio-Recordings zwischen 1949 und 1969 bieten eine sauberes Callas-Klangbild.

Die Sängerin als durchglühtes Objekt eines Gefühls
Knapp drei Jahre später, anlässlich des Konzerts vom März 1962 schreibt das Abendblatt von einer „neue Callas“. Es hat sich in der Tat viel getan im Leben der Sängerin. Noch im Juli 1959 ist das Ehepaar Callas-Meneghini einer Einladung des griechischen Tankerkönigs Aristoteles Onassis zu einer Mittelmeerkreuzfahrt gefolgt. Danach gibt es zwei Scheidungen und ein neues Glamour-Paar. Für Onassis reduziert die ohnehin schlanke Sängerin noch einmal ihr Gewicht, nachdem sie für ihre Bühnenschönheit schon in den 50er-Jahren 30 Kilo abgenommen hatte. Auf der Bühne der Musikhalle erscheint sie 1962 – nur vier Wochen nach der verheerenden Sturmflut – geradezu beängstigend mager. „Einfach in der Kleidung, kostbar im Schmuck“, schreibt das Abendblatt. Onassis lässt sich durch 20 rote Rosen vertreten. Ob er da schon an der Einladung für eine andere Schönheit bastelt, die er im Sommer 1962 auf eine seiner verführerischen Kreuzfahrten mitnehmen wird – eine gewisse Jacqueline Kennedy? Onassis wird 1963 später die Trauerfeier von John F. Kennedy besuchen, von dort zum 40. Geburtstag der Callas jetten und Jacqueline Kennedy 1968 zu Jacqueline Onassis machen.
Beim zweiten Hamburger Konzert wird Maria Callas wieder vom NDR-Sinfonieorchester begleitet, diesmal unter der Leitung von Georges Prêtre. Nun ist im Orchester immerhin schon eine Frau zu sehen – schön traditionell an der Harfe.
Unvergleichliche Geste ganz zu Beginn: Die von einem Herrn auf die Bühne hochgereichte Rose kappt sie dicht unter der Blüte und platziert sie zentral im Dekolleté. „Extravaganz, die ihre Anmut noch unterstreicht“, analysiert das Abendblatt. Sie singt Arien aus Massenets „Le Cid“, die Habaera und die Seguidilla aus Bizets „Carmen“, die sie nie auf einer Opernbühne gespielt hat. Dazu zweimal Verdi und ein funkelndes Arien-Juwel aus Rossinis „La Cenerentola“.
Kenntnisreichen Kritikern wie Jürgen Kesting zufolge hat sie bei diesem Konzert den Höhepunkt ihres Könnens bereits überschritten. Der Hamburger Stimmen-Experte schreibt in seiner ungemein detailreichen Callas-Biographie: „Der Mitschnitt ihres Hamburger Konzerts beweist, dass ihr Singen uneben war. Der elegischen Arie der Cimène aus ‚Le Cid’ fehlen die schmerzlichen Farben, der Arie aus ‚Ernani’ gar die Cabaletta – offenbar wäre diese virtuose Herausforderung eine zu hohe Hürde gewesen. Cenerentolas ‚Nacqui all’affano gerät zu einer Etüde, und in der Habanera aus ‚Carmen’ unterlaufen der Sängerin sogar diverse Gedächtnisfehler. Grandios hingegen die Eboli-Arie, auch wenn man in deren Stretta den Kampf um die Bewältigung der höchsten Noten deutlich spüren kann.“
Kesting zitiert auch Joachim Kaiser, der das Programm Tage zuvor in München gehört hatte: „Keine Sängerin versteht es wie sie, sich zum durchglühten Objekt eines Gefühls zu machen. Es ehrt die Welt, dass sie sich davor verbeugt und nicht nur nach Perfektion fragt.“ Kaiser moniert eine manchmal zu scharfe Höhe, Unsauberkeiten der Intonation, fehlende Parlando-Leichtigkeit und schreibt: „Vor ein paar Jahren fiel ihr die Höhe offenbar leichter.“ Merkt aber auch an, dass die Callas „erst da einzigartig wird, wo die Sphäre des Vortrags, des Ausdrucks, ja man darf sagen: der Seele beginnt. Die Größe von Frau Callas triumphiert da, wo von Gesang und Mimik nicht mehr die Rede ist.“
Der lange „Abstieg in den Ruhm“, wie Kesting es formuliert, hat begonnen. In Hamburg darf sie sich eine halbe Stunde lang im Applaus sonnen.

Maria Callas in concert. Hamburg 1959 & 1962
Konzertmitschnitte des Norddeutschen Rundfunks. BluRay
Warner Classics
08256 4605 4237
Video: Maria Callas - Concert Hamburg 1959 et 1962

Buchtipp: Jürgen Kesting: Maria Callas. 432 Seiten, List TB 60260


Abbildungsnachweis:
Header: Maria Callas (c) Warner Foto: Angus McBean
Cover

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