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Die Kölner Akademie

Für seine Literatur, die die Nachtseiten der Romantik auslotet, ist E.T.A. Hoffmann berühmt. Für seine frechen Karikaturen wurde der preußische Jurist strafversetzt. Als Kapellmeister legte er eine grandiose Bauchlandung hin. Als Komponist ist er fast vergessen. Zu Unrecht, wie die neue CD E.T.A. Hoffmann: Symphony – Overtures von Die Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens zeigt.

Für seine Kunst hat Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann eine Menge auf sich genommen. Geboren in Königsberg 1776, zwanzig Jahre nach Mozart. Studierter und examinierter Jurist, was für ihn vor allem der Brotberuf war, zog es ihn mit aller Macht immer wieder zu dem, was er als seine eigentliche Berufung ansah, zur Musik. Ironischerweise ist Hoffmann im Nachruhm weder als Komponist noch als Zeichner mit scharfer Feder bekannt, sondern vor allem als Schriftsteller, dessen Erzählungen eine große Wirkungsgeschichte aufweisen. Vom Musiker, der immerhin 85 Werke komponierte, von Kammermusik bis zur großen Oper, sind bei amazon.de derzeit gerade mal zwei CDs gelistet, weniger als zehn lassen sich mit einigem Suche finden, darunter eine Messe in d-Moll und Motetten, ein Harfenquintett sowie seine Sinfonie Es-Dur und ein Miserere in b-Moll. Jetzt liegt eine weitere vor, eingespielt von der Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens.

E.T.A. Hoffmann: Symphony – Overtures Sie enthält ebenfalls die Sinfonie Es-Dur und zwei der Ouvertüren zu Hoffmanns Opern, zu „Aurora“ und „Undine“. Erstere und letztere markieren Höhepunkte in Hoffmanns an Niederlagen und Tränentälern reicher Musikergeschichte. Die Sinfonie wurde 1806 im Rahmen eines Festkonzertes zum Geburtstag des preußischen Königs in Warschau aufgeführt, in dem der preußische Regierungsrat auch als Tenor auftrat. Ein Jahr zuvor hatte er sich auf dem Titelblatt eines von ihm komponierten Singspiels zu seiner Verehrung für Mozart bekannt und den „Wilhelm“ in der Reihe seiner Vornamen durch den „Amadeus“ ersetzt.
Seine Sinfonie beginnt denn auch mit einem Adagio e maestoso im getragenen „Zauberflöte“-Ton, zitiert bis in die Tonfolgen hinein. Um dann im den heiteren Tonfall von Haydn und Mozart dahinzusprudeln, sehr dicht komponiert, mit wunderbaren quirligen Einfällen, überraschenden Wendungen – da ist Hoffmann ganz nahe beim komplexen Spätwerk der beiden Wiener Klassiker, und im Menuetto zeigt er, dass ihm auch Beethovens dramatischere Tonsprache nicht fremd ist.
Die Kölner Akademie, mit vielen Konzertprogrammen und Aufnahmen spezialisiert auf die Wiederbelebung vergessener Preziosen und auf kenntnisreiche historische Aufführungspraxis, spielt das mit feiner Präzision, feurigem Temperament und großer Lust auf Hoffmanns kompositorische Abenteuer – ein Hörvergnügen der Extraklasse, das im Hinblick auf seine Fantasie und die exzellente Beherrschung der Klangfarben keine Wünsche offen lässt. Ganz so, wie es Hoffmann zu seinem Programm gemacht hatte, als er notierte, was Werner Keil im Booklet zitiert: In einem Sonatensatz solle „anscheinende Willkür herrschen, und je mehr sich die höchste Künstlichkeit dahinter versteckt, desto vollkommener“.

„Geistreich, ja oft frappant und durchaus effektvoll“
Doch Hoffmanns Leben wurde immer wieder durch den Kometenschweif der Politik aus dem Lot geworfen. Hatte er sich schon in Posen unbeliebt gemacht durch kecke Karikaturen von Militärs und Adligen, Strafversetzung inklusive, so war es im Jahr des Geburtstagskonzerts Napoleon, der Polen eroberte, das sich Russland, Preußen und Österreich geteilt hatten. Für unseren Komponisten bedeutete das: Er wurde arbeitslos, hungerte, musste Kleidungsstücke verkaufen. Zog nach Berlin, schlug sich mit Gesangsunterricht durch, schrieb auch Musikkritiken, wurde 1808 Kapellmeister in Bamberg – ein grandioser Misserfolg. Aus dem Kapellmeister wurde ein Direktionsgehilfe, Dramaturg und Dekorationsmaler. Freunde halfen ihm, seine Erfahrungen verarbeitet er literarisch, wurde Musikdirektor einer Theatertruppe in Leipzig und Dresden.
Doch die Achterbahn des Lebens hob ihn in Berlin noch einmal zum Erfolg empor: 1816, wieder zum Geburtstag des preußischen Königs, wurde seine 1814 komponierte große romantische – und deutschsprachige – Oper „Undine“ aufgeführt, die sogleich zur Attraktion des Nationaltheaters Berlin wurde. Fünf Jahre vor Carl Maria von Webers „Freischütz“, dessen Komponist von Hoffmanns Werk beeindruckt war: „Die Musik ist ungemein charakteristisch, geistreich, ja oft frappant und durchaus effektvoll geschrieben, so dass ich große Freude und Genuss daran hatte. Ich war so erfüllt davon, dass ich gleich nach dem Theater zu Hoffmann lief, um ihm meinen Dank und Teilnahme zu bezeigen.“
1812 hatte Hoffmann mit seiner mythologisch-heroischen Oper „Aurora“ weniger Glück, für Bamberg geschrieben, wurde sie damals nicht aufgeführt.
Bei den Overtüren zu beiden Opern beweist die Kölner Akademie stilistisches Fingerspitzengefühl, sie rücken die Musik in die Tradition der französischen Oper und der Werke Glucks und spielen sie als würdige Vorläufer der romantischen Oper in Deutschland.

Friedrich Witt - eine Ausgrabung, die es zu hören lohnt
Eine weitere Ausgrabung liefert Michael Alexander Willens gleich mit: Friedrich Witt (1770 bis 1837) war Kapellmeister in Würzburg und höchst produktiver Komponist – allein 23 Sinfonien sind von ihm überliefert, von denen eine lange Zeit als verschollene „Jenaer Sinfonie“ Beethovens gehandelt wurde. Die Nachbarschaft zu Hoffmann ist nicht nur nach der Entstehungszeit berechtigt. Zwei Sinfonien Witts waren 1809 auch Gegenstand von ersten Rezensionen Hoffmanns; in einer prägte er den Satz, die Sinfonie sei „gleichsam die Oper der Instrumente“ geworden. Aber haben Sie jemals eine Witt-Sinfonie im Konzertsaal gehört?
Die um 1790 entstandene A-Dur-Sinfonie beweist, dass der Schatz aufführbarer Musik erheblich größer ist als das, was auf den Konzertpodien immer wieder zu hören ist und dass nicht alle, die nicht zum Kanon der Großmeister gehören, das verniedlichende Etikett „Kleinmeister“ verdienen. Munter im Rokoko-Stil, lässt sich Witts A-Dur-Sinfonie nicht auf große harmonische Abenteuer ein, ist aber ein Stück mit viel Sinn für das, was populär war zu seiner Zeit. Und durch eine frische, spritzige Interpretation wie die der Kölner Akademie einen hübschen Blick ins Musikleben jener Zeit werfen lässt. Frappierend ist vor allem die Ähnlichkeit des Themas des vierten Satzes mit dem französischen Revolutionslied „Ah, ça ira“, das ebenfalls 1790 entstanden war – und dessen böse Konnotationen von Witt in eleganter höfischer Manier zu einem harmlosen Ende gebracht werden.

E.T.A. Hoffmann, Friedrich Witt: Symphony – Overtures
Die Kölner Akademie, Michael Alexander Willens.
cpo 777 208.2

Hörbeispiele


Abbildungsnachweis:
Header: Die Kölner Akademie. Foto: Wolfgang Burat
CD-Cover

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