Klartext
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Während uns täglich "Uns-geht-es-prima"-Arbeitsplatzzahlen von Bundesregierung und ihrer Kanzlerin über die Medien erreichen, hat sich die Situation der KunstproduzentInnen und -wissenschaftlerInnen ohne Anstellung keineswegs verbessert.
Im Gegenteil: Seit dem Platzen der Bankenblase 2008 hat der Hype um die Kreativwirtschaft schlagartig aufgehört, der uns einige Jahre lang eine warme Prise gestiegener Wertschätzung und auch ein wenig Geld beschert hatte. Der Grund ist einfach: Als FreiberuflerInnen versauen wir keine Arbeitslosenstatistik und steigern keine Exportzahlen, der Fetisch einer jeden Regierung. Wir kriegen auch keine Zuschüsse von der Arbeitsagentur für Kurzarbeit: wir sind eine 'quantité négligable'. Die Kommunen zahlen die Zeche der Bankenrettung, sind ärmer denn je und reichen die Armut direkt an uns weiter: Denn Kultur ist keine Pflichtaufgabe!

Deshalb haben die Künste allen Grund neue, eigensinnige Wege zu beschreiten, die ihre gesellschaftliche Relevanz sichtbar werden lassen: Kreativität ist der Rohstoff des 21. Jahrhunderts.

Die Kulturgesellschaft stützt sich auf die Kreativität, Vorstellungskraft und Phantasie der Menschen. Sie sind der wichtigste Rohstoff in Hochpreisländern ohne Bodenschätze. Allerdings ist Kreativität von Strömung und Umfeld abhängig, flüchtig, nicht Vorrat. Sie braucht Bedingungen, um sich ständig erneuern zu können und so Quelle von Nachhaltigkeit zu sein. Denn die große Gegenspielerin der Kreativität ist die Existenzangst. Existenzangst lässt erstarren. Das gilt freilich nicht nur für die Künste und Wissenschaften.

Ein bedingungsloses, existenzsicherndes Grundeinkommen, das Allen eine Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Wohlstand zusichert, ist eine Alternative, die im Nachdenken über eine gerechte Gesellschaft eine zentrale Rolle einnimmt. Wer auf die Entfaltung und Entwicklung jedes Einzelnen setzt, kommt um eine Auseinandersetzung mit der Idee des Grundeinkommens nicht herum.

Was wir denken können, können wir auch realisieren. Und an vielen Ecken wird laut über die Kernfrage nachgedacht: »Was würde ich arbeiten, wenn für mein Einkommen gesorgt wäre?« Diese Frage ist zugleich verunsichernd, wie sie die Phantasie und die Imagination entfesselt, sie lädt zum Tagträumen, zum Verwerfen, zum verschwenderischen Neu-Denken ein und führt zur größeren Frage: »Wie wollen und wie können wir eigentlich leben, wenn wir nicht unter den Drohungen von vereinzelnder Existenzangst stehen, wenn wir unsere Fähigkeiten uns und der Gesellschaft zur Verfügung stellen könnten?

Die Idee knüpft an die humanistischen Ideale der Aufklärung an und schreibt sie ganz und gar unblutig weiter. »Freiheit, Gleichheit, Grundeinkommen« würden dann wirklich für alle Menschen – Frauen wie Kinder und Männer – gelten. Es entwickelt den Menschheitstraum von freien und gleichen Entfaltungsmöglichkeiten weiter. Zwei Jahrhunderte und zwei Jahrzehnte nach der Französischen Revolution könnte das Grundeinkommen den dringend notwendigen gesellschaftlichen Schub auslösen, um Leben, Arbeit, Gemeinschaft, Kümmern ganz anders zu verstehen.

Ihre Adrienne Goehler


Adrienne Goehler (*13. Oktober 1955 in Lahr im Schwarzwald) ist diplomierte Psychologin, ehemalige Präsidentin der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und war Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin. Sie lebt und arbeitet als Publizistin und Kuratorin in Berlin. Seit Jahren plädiert sie für das Grundeinkommen.

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Foto: Claus Friede