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Klartext Stefan Hentz: Elbjazz. Volle Kraft zum Stillstand

Es ist so schade, es hatte sich ja positiv entwickelt, dieses Elbjazz Festival.
Es hat seinen Gästen, sowohl denjenigen aus Hamburg als auch denjenigen, die ihre Städtereise mit einem Festivalbesuch verbanden, neue Perspektiven auf die Stadt eröffnet. Darüber hinaus hatte es immer wieder große Stars des Genres auf die Hauptbühne bei Blohm+Voss gelockt – das war die eine Seite, das was man erwarten konnte. Die andere Seite war, dass daneben in den teilweise nicht ganz einfach zu erreichenden Spielstätten abseits der legendären Werft Musiker ihre Kunst präsentieren konnten, die im internationalen Jazz zwar längst zu den Top-Acts zählen, in Hamburg ansonsten jedoch nie zu hören waren.

Mit diesem Engagement für den aktuellen Jazz machte Elbjazz Hamburg überhaupt erst zu einem Punkt auf der Landkarte des internationalen Jazz. Das Kunststück, diese beiden Schichten so miteinander zu verbinden, dass ihr Nebeneinander zwangsläufig erscheint, ist die hohe Kunst der Festivalgestaltung, und sie kristallisiert sich in der Person der bisherigen künstlerischen Leiterin, Tina Heine.

Zusammen mit ihrer Kollegin Nina Sauer hat Tina Heine nicht nur das Festival auf der Basis der Überzeugungskraft ihres eigenen Enthusiasmus überhaupt erst möglich werden lassen, die gelernte Kirchmusikerin, erfahrene Gastronomin und mitreißende Menschensammlerin hat mit ihrem eigenen Geschmack als Kompass dafür gesorgt, das Elbjazz den Jazz anders präsentierte als ihn seine Verächter zu sehen lieben. Jazz, so konnte man hier erleben, ist kein Historienschmankerl mit verdienten Stars von gestern, den man mit Appetithäppchen aus dem Bereich des Pop in eine verdauliche und zeitgenössische Form bringen muss, sondern als eine Kunstform, in der Geschichte und Gegenwart sich respektvoll die Hand reichen. Eine Kunstform zudem, die so offen ist für das musikalische Geschehen jenseits seiner stilistischen Grenzen, dass diese Grenzen bisweilen verschwimmen, und kaum ein Veranstalter sich den Appetithäppchen in den Weg stellt. Es war das Verdienst der bisherigen künstlerischen Leitung von Elbjazz, die Balance zwischen Kommerz und Kunstanspruch, in zunehmendem Maße in den eigenartigen Charme des Festivals umzumünzen.
Die Hoffnung, dass diese Balance, die den eigentümlichen Charme von Elbjazz begründete, nach der Trennung von Tina Heine, auch nur angestrebt wird, ist gering: Im Zusammenspiel der verbleibenden Gesellschafter, der Konzertagenten Folkert Koopmans von der Konzertagentur FKP Scorpio und Karsten Jahnke mit seiner gleichnamigen Firma, die in den vergangenen Jahren erhebliche Verluste mit dem Festival einfahren mussten, weisen nun alle Schilder in Richtung „business as usual“. Koopmans ist ein erfahrener Festivalveranstalter, der aber mit beiden Füßen im Bereich der großen Zahlen steht, in Sachen Pop und Rock. Musikalisches Interesse an Jazz hat ihm noch niemand nachgesagt. Das ist bei Karsten Jahnke, der mit seiner Leidenschaft für den Jazz seit mehr als einem halben Jahrhundert einer der wenigen verlässlichen Unterstützer des Jazz in Hamburg war, entschieden anders. Doch Karsten Jahnkes Jazzbegeisterung hat einen engen Rahmen, Jahnke ist ein Freund von Glamour und der traditionellen Virtuosenkunst – die Klangforschung und die Interaktionsformen der jüngeren Entwicklungen im Jazz sind ihm eher fremd geblieben. Ein Vertreter jenes „Old-Boy-Networks“, das den Zugang zum Jazz in Deutschland seit langem dominiert, und der nun in dieser neuen Allianz der Konzertveranstalter die Gelegenheit über Bord wirft, die Stabübergabe zwischen den Generationen weiter voran zu treiben, die zumindest für den Hamburger Jazz zuvor plötzlich als ein denkbares Modell erschienen war. Auch diese Chance ist nun perdu.

Es mag ein ermutigendes Signal sein, dass die Kulturbehörde nun die Hoffnung erweckt, den Zuschuss zum Festival zu erhöhen. Wenig ermutigend ist jedoch, dass die Kulturbehörde dieses Signal ausgerechnet in einem Moment aussendet, da Elbjazz die Balance zwischen Glamour und Experiment zu verlieren scheint, die es zu einem interessanten und über die Stadtgrenzen hinaus beachteten Festival gemacht hat. Deutlich wird damit einmal mehr, wie wenig die Kulturverwaltung noch immer begriffen hat, was ihr Fach von der allgemeinen Wirtschaftspolitik unterscheidet, wo es vielleicht (auch hier gibt es erhebliche Zweifel) sinnvoll sein könnte, nach den großen Zahlen zu schielen, nach größtmöglicher Anschlussfähigkeit, und sich nach den Platzhirschen am Markt zu orientieren. Im Bereich der Kunst und einer Musik, die sich nicht in erster Linie als Ware versteht, wäre eine Perspektive gefordert, die in Rechnung stellt, dass künstlerische Qualität konsequente Zuspitzung und strukturelle Stringenz erfordert, und Künstler und Musiker notwendiger Weise dem breiten Publikum immer mindestens einen Schritt voraus sind. Kunst und Musik sind also weder Äpfel noch Birnen, und schon im Sinne der Steuerzahler, um deren Geld es hier letzten Endes geht, wäre es wünschenswert, dass die Hüter des Geldes diesen kleinen Unterschied (und seine großen Folgen) verstanden haben. Doch bisher lässt diese Kulturverwaltung nicht erkennen, dass sie begriffen hat, dass Musikstadt etwas ist, das man nicht kaufen kann. Nicht durch Senatsbeschluss und spektakuläre Gastspiele von Spitzenorchestern entstehen Musikstädte, sondern dadurch, dass man entschlossen und konsequent geeignete Arbeitsmöglichkeiten für die vielen örtlichen Musiker schafft, Orte, an denen Musiker ihrer Arbeit nachgehen und Zuhörer die Gelegenheit haben, an der Entstehung neuer, aktueller, zeitgenössischer Musik Teil zu haben. In keinem Bereich der Musik geht das besser, mitreißender, sinnlicher als im Jazz, wo schon per definitionem alles fließt.
Leuchttürme sind nicht das Meer, sie zeigen nur dessen Rand.

Elbjazz Festival

Stefan Hentz arbeitet als freier Journalist (Die ZEIT, Neue Zürcher Zeitung, WDR u.a.) in Hamburg.

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Header: Detail und Montage eines Fotos von Mathias Pätzold