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Wie konnte sich eine 16jährige Kanadierin, die Opernarien singt und klassische Pianistin werden will, zu einer über jeden „No street credibility“-Verdacht erhabenen Hyperaktivistin der U-Musik entwickeln, die vor Konzerten bis zur letzten Minute Lieblingssongs ihrer Fans arrangiert?

„Wer hätt's gedacht! Ich sitze im Flieger nach Saskatchewan und habe gerade ein Arrangement für „Yellow“ von Coldplay fertig gekriegt.“ Eine eigene Requestomatic-Abteilung hat Laila Biali auf ihrer Facebook-Seite eingerichtet. Fans können sich Lieblingssongs wünschen, die Premiere haben, wenn Lailas Band in ihre Stadt kommt. Dank solcher „musikalischer Liebesbriefe“ an einzelne Zuschauer können alle im Saal Premieren erwarten. Eventuell werden diese nie wieder gespielt, manche gehen aber auch dauerhaft ins Repertoire ein. Es gibt sogar Songs wie „Yellow“ (Coldplay) oder „Let’s Dance“ (Bowie), die es auf ihre neue CD geschafft haben.

„Als Jazzmusiker sollten wir flexibel genug sein, weit über den gewohnten Horizont hinaus zu gehen“, sagt die ungekrönte Königin im Crowdsearching von Setlists. Dabei hat bis zum Ende ihrer Teenagerzeit weder Jazz gespielt noch jene Popsongs aus ihrem heutigen Repertoire gehört, die damals im Radio liefen. „Als ich drei war, habe ich mich auf den Klavierschemel gemogelt und versucht den Titelsong der 'Sesamstraße' zu spielen. Wenig später habe ich vor allem klassische Klaviermusik gehört und mir vorgestellt, ICH würde da vor großem Publikum den Beifall kriegen.“ Also hat sie geübt und geübt, die Chancen sahen gar nicht so schlecht aus – bis sie als Fünfzehnjährige in einen Autounfall verwickelt wurde. Ihr rechter Arm war so deutlich verletzt, dass ksich absehen liess: Laila würde mit den Anforderungen bei klassischen Wettbewerben nicht mehr zurecht kommen.

Just dieses Manko sollte für sie positive Folgen haben. Als die 1980 in Vancouver Geborene in Toronto ans Humber College ging, landete sie dort schon bald in der Bigband. Sie hörte Kenny Wheeler und vor allem Keith Jarrett, dessen Solokonzerte ihr den „change of plan“ erleichterten. „Langsam, aber sicher hat diese Musik bei mir die Hauptrolle eingenommen.“ Laila fing an, Joni Mitchell zu hören und Sting. Und sie fing an, zu singen. „Meine ersten Kompositionen waren rein instrumental. Aber ich habe gelernt, wie wichtig Lyrics sind für Leute, bei denen ich Background Vocals gesungen habe, wie Sting, Suzane oder Paula Cole.“ Auf Tour mit der Singer-Songwriterin lernte sie übrigens ihren Mann kennen. Ben Wittman saß am Schlagzeug, was er später häufig auch fürs Biali-Trio tun sollte.

Dass Laila Biali einigen Nachholbedarf in Sachen Pop und Rock hatte, wurde ihr spätestens klar, als sich im Vorfeld ihrer CD „From Sea to Sky“ (2007) Repertoire aus dem „Canadian Songbook“ auswählen sollte, dabei nur in Ausnahmefällen Kompositionen kanadischer Jazzmusiker. „Ich habe viel recherchiert und Sachen entdeckt, die ich eigentlich längst hätte kennen sollen: Leonard Cohen, Feist, Sarah McLachlan, Bruce Cockburn, k.d. Lang, Ron Sexsmith, Jane Siberry.“ Umso bemerkenswerter ist, dass ihr ein vielfach bewundertes Musterbeispiel dafür gelungen ist, wie kreativ Coverversionen sein können.

2014 hat sie ihr mittlerweile fünftes Album „House of Many Rooms“ dann mit lauter eigenen Songs bestritten. Und die gingen deutlich mehr in Richtung Rock und Pop. Als Laila 2013 im Rahmen eines von der Canadian Independent Music Association im Club „Moments“ veranstalteten Showcase-Konzerts auftrat, standen fürs Deutschlanddebüt im Rahmen der „jazzahead“ in Bremen noch Cover-Versionen im Vordergrund. Sie kam bei einem Management für Touren in Großbritannien unter. Außerdem dürfte ihr Erfolg eine Rolle dabei gespielt haben, dass sie 2016 auf der großen jazzahead-Bühne im Schlachthof landete.

Laila Biali COVERIm Umfeld dieser „Overseas Night“ wurde sie nicht nur für Schweden und Borneo (!) gebucht, sondern auch von Siggi Loch angesprochen. Und siehe da, man vereinbarte, ihre nächste CD („selbstbetitelt“, ein hässlicher Fachbegriff, der wörtlich ja nur sagt, dass jemand die Titelfindung nicht anderen überlassen hat, nun gut, das Opus heißt „Laila Biali“) bei dessen Label ACT zu veröffentlichen. Was gar nicht so selbstverständlich war, wie Laila erzählt: „Ich hatte anfangs ziemliche Bedenken, weil Siggi unmissverständlich klargestellt hat, dass er gerne mitredet bei der Musik. Oh oh, sagte ich mir, weil das Ding schon fertig produziert war. Nun gut, wenn er die Mixtur aus neun eigenen Songs und drei Cover-Versionen nicht gut finden sollte, können wir leider keinen Vertrag unterschreiben. Zum Glück hat Siggi die Zusammenstellung gemocht! Bin mal gespannt, wie es bei der nächsten CD aussehen wird...“

Educated guess des Autors: Vielleicht schlägt ihr Siggi Loch ein Konzept vor. Da wäre er bei Laila an der richtigen Adresse: „Sowas ist für mich völlig okay! Freiheit innerhalb gewisser Vorgaben, definitiv mehr Freiheit als beim Requestomat, und selbst mit der bin ich glücklich.“ Man darf gespannt sein, welche Requests es in Bremen und Berlin, Kiel oder Hannover auf die Bühne schaffen werden.

Laila Biali

George Koller, bass / Larnell Lewis, drums / Ben Wittman, drums, percussion
Label: ACT
CD
EAN: 614427904126

Hörprobe
YouTube-Videos:
- LAILA BIALI - Yellow (Coldplay cover) - live acoustic version
- Laila Biali - Let's Dance (David Bowie), live at Jazz Bistro

Tourdaten:
28.04. Bremen, Kito
30.04. Hannover, Jazzclub
03.05. Köln, Eden River Records
04.05. Kiel, Kulturforum
05.05. Dresden, Tonne
09.05. Berlin, A-Trane
10.05. Berlin, A-Trane


Abbildungsnachweis:
Headerfoto Leila Biali: Paquin Artist Agency
CD-Cover

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