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Matthias Schriefl mit Shreefpunk plus Bigband: Europa Foto: Gerhard Richter

Das Thema „Europa“ mit einem Wiener Schnitzel zu beginnen und dann auch noch mit einem schlecht schmeckenden, ist allein schon Punk. Shreefpunk ist aber weder reine Genussecke, noch Gattung, sondern die von Matthias Schriefl gegründete Jazz-Band und natürlich eine Haltung.
Das sehr persönliche neue Album „Europa“ ist eine Art fragmentarisches Tagebuch, eine Aneinanderreihung voneinander unabhängigen Geschichten, in acht sehr erlebbare Stücke unterteilt. Aber wie des Öfteren, gibt es neben den realen-, auch die musikalischen Geschichten, und diese zu erzählen, hat gut sieben Jahre gedauert.
Gemeinsam mit einer Bigband, im Gros bestehend aus Mitgliedern der Kölner Jazz-Szene und – wie mehrfach in den diversen Ankündigungen betont – zwei Schlagzeugern, kann sich der Trompeter Matthias Schriefl ausbreiten, ausleben, verdoppeln und komprimieren.

Der Ritt auf dem Stier, die Ausflüge nach Afrika, die Besuche europäischer Großstädte führen letztlich dann doch wieder in die heimatliche Region der Voralpen zurück.

Die Geschichte zum besagten „Wiener Schnitzel“: „Ich hatte gerade kurz vor meinem Auftritt in Wien das schlechteste Wiener Schnitzel meines Lebens gegessen!“, kolportiert der im Allgäu aufgewachsene Schriefl. Das animierte ihn den Lebensweg jenes Kalbes zu transformieren, das da auf dem Teller lag. Es beginnt mit dem ersten O-Ton von vielen in dem Stück, einer Aufnahme im heimatlichen Kuhstall. Die latente Aggressivität zieht sich inhärent durch Leben und Vertonung.

Die Geschichte zu „Frisch verwirrt“: Frisch-Dur? Was ist das denn für eine Tonart? Hören! Das Bläser-lastige Arrangement hat sich bereits zu früherer Zeit in unterschiedlichen Gewändern gezeigt. Konsequent geblieben ist die Aneinanderreihung von überwiegend ruhigen Dur-Dreiklängen. Die Bläser gruppieren sich harmonisch um ein Bass-Solo.

Die Geschichte vom „König von Köln“: Transkulturalität, Cross-Over, aber bitte mit Augenzwinkern. Nur im Feiern sind sich Bayern (Oktoberfest) und Rheinländer (Karneval) sich so nah wie in der katholischen Kirche. Beim 4/4-Takt ebenso, wenn bayerische Blasmusik mit Karneval-Hits schunkelt. Doch Shreefpunk braucht die Eigenständigkeit und so verschiebt sich der Takt während des Stücks leicht, um am Ende wieder auf der „Eins“ zu landen. Dadaistische Gesangseinlagen à la Kurt Schwitters ‚umlauten’ die Instrumente.

COVER Matthias Schriefl mit Shreefpunk plus Bigband: EuropaDie Geschichte von einem mutigen Journalisten – „Pour Norbert Zongo“: Eine Hommage an den afrikanischen Schriftsteller und Journalisten, der im Dezember 1998 wegen seine Recherchearbeit ermordet wurde. Nunmehr gibt es nicht nur eine kleine Gedenktafel am Ort des Geschehens, sondern auch diese musikalische Verneigung. Rein Lautmalerisch kann das Wort „Pour“ auch als „poor“ wahrgenommen werden – die ‚Differe(a)nce’ lässt grüßen. Die Kirchenglocken läuten zu Beginn des Stücks in eine Dramatik, die neben der Trauer auch die respektvolle Demut kennt. Wunderbar die Soli von Flügelhorn (Schriefl) und Tenorsaxophon (Niels Klein).

Die Geschichte, die ihre Geschichte kennt – „Abidjan“: Die Hauptstadt der Elfenbeinküste haben die Künstler als „bipolare Metropole“ kennengelernt. Kein Wunder, erkennt Schriefl selbst am Golf von Guinea musikalische Gemeinsamkeiten zur Alpenregion...
Im einem der beliebtesten Ballungsräumen Westafrikas werden nicht nur extrem gut Fußballer ausgebildet, sondern auch Musiker. Zu hören im gemeinsam erarbeiteten Bigband-Rhythmus.

Die Geschichte von „Robert in Birmingham“: Gemeint ist Robert Landfermann, der Schreefpunk-Bassist, der bei einem dortigen Konzert derart krank war, dass er lediglich mit seinem Streicherbogen Straßenlärm simulieren durfte. Die dynamische, etwas aufgeregte Soundkulisse des Stücks passt zur englischen Industriemetropole Birmingham, dachte sich Shreefpunk, der Heimat der Punk- und Death-Metal-Band „Napalm Death“. Gute Besserung dann auch!

Die Geschichte von „Ameisen in Stockholm“: Das kürzeste aller Stücke dieses Albums wuselt sich musikalisch sensible durch die Welt von Giganten. Die kleinsten Besucher eines Konzertes von Shreefpunk jemals, war eine Gruppe von Ameisen im Stockholmer Kulturhuset. Fast tänzerisch bewegt sich der Stamm, verschwindet wieder in Ritzen und Löchern und taucht an anderer Stelle wieder auf. Das alles beäugt und geadelt von den musikalischen Interpreten.

Und schließlich die Geschichte, die in die heimatliche Region zurückführt – „Hei Griaß Di Gott Ländle“: Erwachsen aus einem Allgäuer Volkslied transformiert sich das Stück in eine zunächst Süd- dann in eine Gesamtdeutsche Parodie, mit Gesangseinlagen, die nach Herbert Grönemeyer oder nach alter Neuer Deutscher Welle klingen. Jazziger Bigband-Sound der 50ger lässt ebenso kurz grüßen wie die Kreiselbewegungen alpenländischer Vergnügungsdynamik.

Gut gelaunt, nach etwas über einer Stunde Shreefpunk, angekommen...

Matthias Schriefl mit Shreefpunk plus Bigband: Europa
Mathias Schriefl: Trompete, Flügelhorn, Tuba, Sousaphon / Johannes Behr: Gitarren / Robert Landfermann: Kontrabass / Jens Düppe: Schlagzeug
Label: resonando
CD mit Booklet
EAN: 4032324100063
VÖ: 20.10.2017
Weitere Informationen

YouTube-Video:
Matthias Schriefl und Shreefpunk - Der König von Köln_Teil1


Abbildungsnachweis:
Headerfoto: Gerhard Richter
CD-Cover