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Carmen-FRancesca Banciu – Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten

Mit dem dritten und letzten Roman ihrer Trilogie ist Carmen-Francesca Banciu ein großer Wurf gelungen: „Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten!“ ist für den Deutschen Buchpreis 2018 nominiert.
Er gehört zu den zwanzig Titel der Longlist. Zu Recht, denn dieses Buch ist ein sprachliches Kleinod, ein literarisches Requiem, ein mitreißender Monolog. Im Mittelpunkt steht der Abschied der Tochter vom sterbenden Vater. In allen drei Romanen dieser Reihe hat die 1955 in Rumänien geborene, seit 1991 in Deutschland lebende Autorin Abschied genommen. Sie verließ ihr Heimatland, nachdem sie 1985 nach der Verleihung des Internationalen Kurzgeschichtenpreises der Stadt Arnsberg Publikationsverbot in Rumänien erhielt. Schon in ihrem ersten auf Deutsch geschriebenen Roman „Vaterflucht (1998, Volk und Welt Verlag, Berlin) setzte sie sich mit ihrer Herkunft, mit den Eltern und dem Heimatland auseinander. Fortgeführt wurde die intensive Auseinandersetzung mit der Heimat Rumänien, mit den familiären und politischen Verhältnissen in „Das Lied der traurigen Mutter“ (2007, Rotbuch Verlag).

Der lange Abschied von Eltern und Genossen, vom Elternhaus und vom Heimatland scheint nun beendet zu sein. Gut für die Autorin, schade für die Leser. Denn diese Suche nach der eigenen Identität ist nicht nur eine persönliche Sache, sondern durchaus auch eine allgemeingültige. Der Roman überzeugt zudem durch Form und Stil. So schließen beispielsweise Reduktion und Wiederholung einander nicht aus. Ganz im Gegenteil: sie gehen Hand in Hand, bereichern den Text und beglücken den Leser. Während im „Lied der traurigen Mutter“ die Tochter zu deren Sterbebett nach Rumänien reist, ist es im neuen Roman der verunglückte Vater, den Maria-Maria besucht. „Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten“ mit dem Untertitel „Tod eines Patrioten“ handelt vom Tod des Vaters. Dieser ist ein Patriot, für den Vaterland, Partei und Aufbau einer neuen Gesellschaft stets den wichtigsten Platz in seinem Leben einnahmen. Der Roman handelt auch von der Liebe, die sich ein (erwachsenes) Kind von den Eltern erhofft. Eine Liebe, die versagt bleibt. Bis zuletzt.

Während die Tochter den Vater im Krankenhaus besucht, an seinem Bett sitzt, ihm Wasser, Essen reicht, ihn zudeckt, abdeckt, Fenster öffnet, schließt, sagt dieser: Schon immer hab ich es gewusst/Nichts kannst du richtig […] (S. 13). Der Vater sieht in Maria-Maria nur die Tochter, welche die reale Utopie der kommunistischen Gesellschaft verraten hat. Sie hingegen kann nur den ideologisch-motivierten Parteirhetoriker sehen, der sich immer und immer wieder als moralische Instanz aufspielte, der ständig und beständig von anderen Menschen Opfer verlangte, selbst aber zeitlebens ein bigottes Leben führte. Dieser Vater hatte nicht nur eine, sondern viele Geliebte. Unter ihnen spielen Rebeca und Daria bis zum tödlichen Ende, bis zum Ableben des Vaters, eine große Rolle - vielleicht sogar eine größere Rolle als die Mutter sie je hatte. Vater hat Angst vor Daria […], Rebecas Herz hat Vater für immer gebrochen […] (S. 249).

Manche Passagen bewegten sich schon in den ersten beiden Büchern der Trilogie zwischen Prosa und Lyrik. Das hat sich noch verstärkt und ist handwerklich perfekt. Im neuen Roman bilden Prosa und Vers eine unverbrüchliche Einheit, gehen technisch und emotional eine gelungene Verbindung ein. Carmen-Francesca Bancius Sprache war und ist dabei immer persönlich und zugleich allgemeingültig. Sie besticht mit knappen Sätzen, ist dennoch deutlich, spricht nie verschleiert und immer anrührend. Es ist eine Sprache, der sich vermutlich kaum jemand entziehen kann. Das Buch ist aufgebaut wie ein Gedicht. Die Zeilenanfänge beginnen mit Großbuchstaben. Der Text ist in Kapitel und Absätze gegliedert. Nur selten gibt es Satzzeichen. Wörtliche Rede wird nicht gekennzeichnet. Alle Kapitel sind durchnummeriert, einige werden zusätzlich mit Überschriften versehen wie Vater liegt im Krankenhaus und wartet oder Vaters Nacht. Es könnte seine letzte sein.

Banciu BuchumschlagBevor ihr zweiter Roman dieser Reihe veröffentlicht wurde, schrieb Carmen-Francesca Banciu mir in einer Mail: „Ich bin sicher, das ist ein wichtiges Buch, nicht nur für Frauen. Ein Buch über die Mutter, die Beziehung zur Mutter, über Weiblichkeit, die Frage nach weiblicher Identität etc.“ Als das Buch dann 2007 erschien, lobten Kritiken dessen reduzierte Sprache, die eigenwillige Interpunktion und das Stakkato der Sätze (NNZ). Auch deren Musikalität und der Rhythmus der Sprache fielen auf. Daran hat sich nicht viel geändert. Höchstens das: Carmen-Francesca Bancius Sprache ist noch dichter, verdichteter geworden, also noch lyrischer als sie es zuvor schon war: Und Vater entfernt sich / Wir lassen ihn gehen / Vater liegt auf einem Floß / Vater gleitet auf dem Fluss / Aus seinem Inneren atmet der Fluss […](S. 243). Wenig später heißt es: Nach dem Tod wird er ein Rabe sein /So hatte er sich das vorgestellt /Nach dem Tod wird er eine Rabe sein /Und kein Löwe, wie es in seinem Horoskop steht/Nach dem Tod wird er ein Rabe sein/Mit pechschwarzem, schimmerndem Federkleid/Nach dem Tod wird er ein Rabe sein/Mit glänzendem Schnabel/Die Füße mit Goldschuppen geziert/Nach dem Tod wird er ein Rabe sein/Und so ist es auch gekommen (S. 332).

Wer alle drei Maria-Maria-Bücher liest, gelesen hat, kennt die Eltern fast so gut wie die Tochter selbst. Der Leser kennt deren Strenge und Kälte, deren Unfähigkeit, Liebe zu fühlen, zu geben, zu zeigen. Was weiß Vater über Liebe/Vaters Herz, wie versteinert/Was kann Vater weitergeben/was weiß Vater/Über/Verknöchern/Verwelken/Verblühen […](S. 292/293). Der Leser weiß von der Abwesenheit der Eltern, selbst wenn sie anwesend sind, und er kennt deren Treue zur Partei, insbesondere die des Vaters: Erst das Vaterland, die Partei, der Beruf/Und dann die Familie/Weil eigentlich alles der Familie zugute kommt/Weil alles zum Vorteil der Familie ist/Weil man der Familie so den größten Dienst erweist […](S. 311). Es ist beinahe so, als sei man selbst ein Mitglied dieser Familie. Das Mitleid(en) ist entsprechend groß, wenn es um die Vergewisserung der Herkunft geht, um das Schicksal der Emigration und die Suche nach Identität. Diese emotionale Bindung des Lesers gelingt der Autorin mit ihrer knappen und dennoch reichen Sprache, dieser gelungenen Mischung aus Prosa und Lyrik.

Es gibt viele Interviews und Kritiken, in denen diese eigenwillige, besondere Sprache besprochen und belobigt wird. Carmen-Francesca Banciu selbst hat vor vielen Jahren Folgendes gesagt: „Ich pflanze Worte und warte, dass sie blühen. Und Früchte tragen. Ich kenne auch Worte, die verblühen, ihre Zeit läuft ab. Ich kenne Worte, die duften und Worte, die wirbeln, die brechen und Worte, die vernichten können. Worte. Ich sammle sie und mache daraus meine Sprache… Ich atme die Worte ein. Ich nehme sie in mir auf und sie werden mein Fleisch. Sie werden meine Haut. Meine Zunge. Sie werden ich, die diese Worte ausspricht und mit ihnen eins wird.“ Diese Worte der Autorin zitierte ich, als Carmen-Francesca Banciu vor gut zehn Jahren, Anfang 2008, bei der GEDOK Schleswig-Holstein in Lübeck aus ihrem Roman „Das Lied der traurigen Mutter“ las. Wenige Monate zuvor hatte sie den GEDOK-Literaturförderpreis 2007 erhalten (siehe auch https://gedok.de/08/?p=23).

Viele weitere Preise, Stipendien und andere Auszeichnungen sind inzwischen gefolgt. Und viele Bücher. Über das aktuelle, für den Deutschen Buchpreis nominierte Werk, schreibt György Dalos im Nachwort: „Carmen-Francesca Bancius neuestes Buch ist ein auf einen inneren Monolog entblößter Roman, dessen Handlung sich in dem Ich der Erzählerin abspielt: Es ist ein Kampf mit dem Monster Vater, der sich niemanden näher kommen lässt, der aber gleichzeitig auch kein Entrinnen erlaubt. Ein unendliches Requiem und trauriges Lied in dunklen Glockentönen - monumental.“ Genauso ist es. Lassen wir zu guter Letzt noch einmal die Autorin selbst zu Wort kommen (S. 317): Heute wird Vater sterben/Die Glocken läuten/In der schönsten Stadt der Welt/Sie läuten/Sie leiten Vaters Tod ein.

Carmen-Francesca Banciu: Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten! Tod eines Patrioten

PalmArtPress, Berlin 2018
Gebunden, 376 Seiten

ISBN 9783962580032.


Abbildungsnachweis:
Headerfoto Carmen-Francesca Banciu: Foto: Marijuana Gheorghiu
Buchumschlag