Theater - Tanz
Rezensiert! Die Ratte

Seit 1999/2000 gibt es in der Komödie im Winterhuder Fährhaus in Hamburg die Kontraste, ein Genre, das sich vom ‚klassischen’ Boulevard auf der Hauptbühne durch absurden, schrillen, bösen Humor unterscheidet – schwarze Komödien gewissermaßen, in einem eigenen kleinen Bühnenraum im Haus, sehr liebevoll und engagiert präsentiert.
Am 17. November war hier Premiere des Stücks ‚Die Ratte’ von Justine del Corte.
Ratten an sich sind seit Gerhard Hauptmann über Küchengenie Rémy bis zu Leseratte Firmin recht kulturelle Tiere. Der Nager in del Cortes Komödie hat indessen lediglich einen Camoe-Auftritt und sorgt im Grunde nur für ein wenig mehr Gekreisch und einigen Gesprächsstoff.

Ort der Handlung ist flotterweise New York.
Hier lebt, warum auch immer, die Deutsche Maria (Meike Harten) mit ihrem Gatten Nick (Herbert Schöberl), der mit Schweizer Akzent gurgelt. Die beiden hausen in einer wahrhaft kläglichen Zwei-Zimmer-Wohnung mit Kochnische - das Telefon auf dem im Wohnzimmer stehenden Kühlschrank – die jedoch mehrfach als ‚hübsch’ bezeichnet wird (Bühnenbild Heidrun Schüler). Immerhin erhärtet das Ambiente Nicks Erfolglosigkeit, von der verschiedentlich die Rede sein wird.

Man fragt sich, warum Maria, die zwar stark neurotisch ist - wer ist das nicht? - aber energisch und tatkräftig und bemerkenswert geschmackvoll gekleidet (Kostüme Julia Borchert), nicht das ihre dazu tut, um aus dem Elend raus zukommen.

Stattdessen besteht sie darauf, dass ihre kleine Schwester Isabell (Theresa Berlage) und deren Freund Richard (Markus Frank), gemeinsam gerade auf Urlaubreise im Big Apple, nicht in ein Hotel gehen, sondern sich auch noch in dieser winzigen Bude einquartieren.

Isabell ist mit Leib und Seele schwanger, Richard, im Gegensatz zu Nick schrecklich erfolgreicher, hornbrillengekrönter Professor und Schriftsteller, macht auch viel um ihren Riesenbauch her.
Zunächst kommen die beiden mit hinterlegtem Schlüssel allein in das Apartment, lesen die von Maria verfassten Verhaltensauflagen für Gäste, entdecken auf dem Balkon im Käfig vier Wachteln und ein Wachtel-Ei, wühlen ungeniert in Schränken und Schubladen und machen bereits überdeutlich, dass die Schwestern sich nicht grün sind.

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Während die beiden einkaufen, tauchen Maria und Nick, einen Tag früher als angekündigt, in der eigenen Wohnung auf, durchwühlen ungeniert die Koffer der Verwandtschaft und zerrupfen ihre Gäste bereits verbal.
Dann kommen Isabell und Richard vom Einkauf zurück und man geht zum Nahkampf über.

Del Cortes Komödie ist jüngeren Datums, deutlich daran zu erkennen, dass beim Pinkeln die Klotür offen gelassen und bereits in den ersten Sätzen erklärt wird, er möchte ihn ihr jetzt reinstecken. Alles andere wäre bekanntlich spießiger alter Muff. Und natürlich übergibt sich die Schwangere, obwohl mindestens schon im achten Monat, hier und da und dort, ein bisschen halbherzig übrigens; das haben wir schon ergiebiger gesehen.

Hin und wieder erinnert ‚Die Ratte’ an Yasmina Rezas "Gott des Gemetzels": Streit um des Streitens Willen, mal Jener gegen Diesen und ganz unerwartet wieder Die gegen Den in völlig anderer Koalition, von seidig-perfide bis hysterisch brüllend.


Die Protagonisten fallen von einer Emotion in die nächste, es gibt sogar Momente des Verstehens und der Harmonie, etwa, wenn der Embryo strampelt und Isabell, Maria und Richard einträchtig ihre Hände auf Isabells Bauch legen und dazu ‚Lalelu’ singen. Allerdings behält Maria dabei geistesabwesend die ganze Zeit ihr riesiges scharfes Küchenmesser in der anderen Hand, was andeutet, es handle sich keineswegs um Frieden, nur um Waffenstillstand. Ebenso vereinen sich alle Vier jeweils, wenn die auf dem Balkon oder im Bad bekreischte Ratte vorbeihuscht.

Umrahmt wird das Ganze von nicht enden wollenden Anrufen der Mutter von Maria und Isabell, selten angenommen, meist in der Mailbox vermodernd, mit Jammern und Klagen über mangelnde Anteilnahme, schlaflose Nächte vor Sorgen und die Lieblosigkeit der Töchter.

Und dann wäre da noch der kurze, aber effektvolle Auftritt des Kammerjägers (Harun Yildirim), den Maria empfängt, als sie zufällig allein in der Wohnung ist.
Der Mann sieht aus wie etwas aus Asterix, so karrikaturhaft attraktiv, deshalb ist sein Auftritt an sich bereits ein Lacherfolg. Maria muss sich selbst immer wieder zurückreißen, um ihm nicht direkt unter die Achsel zu kriechen: offenbar riecht der Kerl ebenso gut, wie er aussieht. Er flirtet nicht einmal, er erzählt nur freundlich ein bisschen über Rattenbekämpfung, seine Frau und seine 8-Zimmer-Wohnung – ohne Kinder! An dieser Stelle bricht er, erschüttert über die eigene Kinderlosigkeit, kurz in Tränen aus.
Nachdem er gegangen ist, heult auch Maria los. Weil sie kein Baby hat. Oder keinen eigenen Kammerjäger…


Einiges ist wirklich ausgesprochen komisch oder boshaft oder bestenfalls beides, alles zusammen wäre über drei Akte ermüdend, vielleicht sogar ärgerlich.
Gerettet wird das Stück durch eine brillante Regie (Harald Weiler) und durch fünf hervorragende Darsteller.

Meike Harten gibt die Maria so damenhaft-kühl, dass sie an die junge Lauren Bacall erinnert, umso mehr, wenn sie Kette raucht. Sie muss, so will es die Familienkonstellation, zwingend alles unter Kontrolle behalten, um den Gegensatz zur kleinen Schwester zu bilden („Du hast immer die Niedliche gespielt!“) Wenn sie dann mal diese Kontrolle verliert, zum Beispiel, den Mund übervoll mit Wachtelfleisch, losheult, dann ist das zwar nicht sehr appetitlich, aber schrecklich rührend.

Theresa Berlage ist genau so unabdingbar der spontane Wonneproppen, der von der Verspieltheit zum hemmungslosen, trampelnden Wutanfall wechselt und der die Ältere gewohnheitsmäßig in die Neid- und Eifersuchtsnerven piekt: Du hättest auch gern ein Baby – einen erfolgreichen Mann – ich war immer viel hübscher als du!
Zur Bestätigung dieser These bekommen die Wachteln, die das Eierlegen zwei Jahre lang verweigerten, ausgerechnet jetzt, wie Isabell zu Ehren, ihr erstes Ei.
Was Maria ihnen arg verübelt.

Die Mannsbilder, viel einfacher gestrickt, wären vielleicht friedlich, wenn ihre Frauen sie nur ließen. Markus Frank, am Anfang noch ironisch-distanziert, verliert über sämtliche Akte zunehmend die Fassung, von der Schwägerin drangsaliert, von der Partnerin aus heiterem Himmel verraten und von der aufgestellten Rattenfalle geklemmt.
Herbert Schöberl wirkt noch am gesündesten und muss folgerichtig am meisten ausbaden. Ihm bleibt die Schlusspointe, endlos lang hingezogen: ein Schweizer erzählt einen Witz…

Die vier Streitenden, Hackenden, Kämpfenden haben im Grunde allesamt höchst unsympathische Rollen. Trotzdem schaffen sie es wahrhaftig, dabei liebenswert zu bleiben. Das ist ein Kunststück.
Die Inszenierung im Winterhuder Fährhaus zeigt, dass man aus einem mittelmäßigen Stück einen fulminanten Abend machen kann.

Weitere Vorstellungen: November: 20./21./25./26./27. Dezember: 3./4./5./8./9./10./11./12./17./18./19./31. Januar: 6./7./8./14./16./21./22./23./28./29./30. jeweils 19.30 Uhr, Komödie Winterhuder Fährhaus, kleiner Saal
Kartentelefon: 040 - 4806 8080 - www.kontraste-reihe.de
Alle Fotos: Oliver Fantisch