Theater - Tanz
„Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Höhepunkte intellektueller Hochleistungs-Exhibitionisten

Es ist das wohl böseste Ehedrama, das je geschrieben wurde. Und auch das bekannteste: Dutzende Male wurde Edward Albees Theaterstück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ von 1962 für die Bühne bearbeitet.
Die Verfilmung mit Elizabeth Taylor und Richard Burton (1966) ist legendär. Nun hat Karin Beier den gnadenlosen Geschlechterkampf am Deutschen Schauspielhaus Hamburg mit Maria Schrader und Devid Striesow inszeniert – als einen klug auf zwei Stunden gekürzten Wettkampf zweier intellektueller Hochleistungs-Exhibitionisten, die ihre gegenseitige Zerfleischung coram publico als eine Art akademische Disziplin um die schmerzhaftesten Verbalinjurien austragen.

Wie viele Paare werden wegen „seelischer Grausamkeit“ geschieden? Wie viele Ehen zerbrechen an Kinderlosigkeit? Wie viele Frauen halten ihre Männer für Versager? Die Zahl dürfte ins Uferlose gehen. Zerrüttete Beziehungen wird es ewig geben, das ist auch der Grund, warum Edward Albees Kammerspiel so zeitlos aktuell ist. Frustrierte Direktoren-Töchter wie Martha, die einst erhofft hatte, dass ihr Mann George Papas Nachfolge als Uni-Dekan antritt und abgehalfterte Geschichtsprofessoren wie eben jener George – solche Menschen sterben einfach nicht aus. Was ihnen bleibt, nach Jahren bitterer Enttäuschungen, sind Rachegelüste und Lebenslügen, die unter Alkoholeinfluss und bevorzugt vor und mit Zuschauern immer wieder aufbrechen. So wie in dieser verhängnisvollen Nacht, in der Martha und George um zwei Uhr früh von der Uni-Party mit Papa angetrunken nach Hause kommen und Martha ihrem Gatten eröffnet, dass sie noch Gäste erwarten: Den frisch berufenen Biologie-Dozenten Nick (Matti Krause) und sein naives Frauchen Süße (Josefine Israel). Voila! Ring frei für einen voyeuristischer Sado-Maso-Seelenstrip, gegen den Strindbergs Ehedramen so harmlos wie eitel Sonnenschein wirken.

Allerdings stellt sich die Frage, warum Karin Beier gerade jetzt dieses Stück auf die Bühne bringt? Als Sinnbild einer im Zynismus erstarrten, abgestumpften, entleerten, eitlen, selbstverliebten Gesellschaft? Einer Gesellschaft, in der nichts mehr echt, alles nur noch Fake und grausames Spiel ist? Man weiß es nicht. Vielleicht wollte die Intendantin und Regisseurin ja auch nur ein Schauspielerfest feiern. Ein Stück zelebrieren, in dem ihre beiden wunderbaren Protagonisten, Maria Schrader und Devid Striesow, alle Register ihres Könnens ziehen. Denn genau das tun die beiden in dem riesigen, die ganze Bühne umfassenden Raum, der eher einem Campus als einem Wohnzimmer gleicht.

Bühnenbildner Thomas Dreissigacker hat einen Ort im Nirgendwo gebaut, ein paar Ikea-Papierlampen wie Sterne an den Bühnenhimmel gehängt und auf den Boden ein Podest gesetzt, eine Bühne auf der Bühne. In diesem unwirtlich großen Raum kommt die Verlorenheit und Einsamkeit beider Paare viel deutlicher zum Ausdruck, als in den vielen gutbürgerlichen Stuben mit ihren schicken Sofagarnituren und vollen Bücherregalen, die man hier so oft zu sehen bekommt. Ach ja, und einen unübersehbaren, kargen, abgestorbenen Baum hat Dreissigacker noch ins Zentrum gestellt, dessen Bedeutung einem am Schluss wieder in den Sinn kommt, wenn George den imaginären Sohn mit dem Auto gegen einen Baum prallen lässt und damit ganz offizell „tötet“. Spätestens an diesem Punkt hat der Ehekrieg eine neue Dimension der Demütigungen erreicht, gegen die vorangegangene Quälereien, wie „Gib’s dem Gast“ oder „Fick die Hausfrau“ noch halbwegs amüsant erscheinen.

Schrader-Striesow Virginia Woolf DeclairKarin Beier lässt an diesem Abend weder ihren Protagonisten noch den Zuschauern Zeit zum Luftholen. Maria Schrader und Devid Striesow geben von Anfang an Vollgas. Jeder Satz, jeder Blick, jeder Wink ist ein gezielter Hieb in diesem psychologischen Endspiel, für das Martha das junge Paar Nick und Süße als Zaungäste erkoren hat. Eine etwas undankbare Aufgabe für Matti Krause und Josefine Israel, die erst einmal steif, schüchtern und dümmlich-puppenhaft keine adäquaten Sparring-Partner abgeben dürfen. Doch die beiden laufen in ihrer „Opferrolle“ - abgefüllt von George, der aus dem Off gleich zwei Servierwagen voller Spirituosen zaubert - alsbald zur Hochform auf. Glänzend, wie sich Matti Krause vom seriösen, akademischen Hoffnungsträger zum geilen Schleimer und privatem Loser wandelt, der auf eine Scheinschwangerschaft hereingefallen ist. Und Josefine Israel brilliert als hysterische Süße mit einer hinreißenden Tanzeinlage à la „Sterbender Schwan“. Überhaupt sind die Showeffekte in dieser Inszenierung ganz erstaunlich. Das erotische Pas-de-Deux von Martha (im sexy Schlangen-Kleid) und Nick ist schon akrobatisch zu nennen. Und im verkorksten Tanzversuch von George, der Süße wild und brutal herumschleudert, versteht man erstmals schlüssig, warum sich die junge Frau danach übergeben muss.

In den ausführlichen „Warnhinweisen“ zu Anfang des Programmheftes über „lebensgefährliche Mengen alkoholischer Getränke“, „außereheliche sexuelle Handlungen“ und „Darstellung häuslicher Gewalt“, heißt es unter anderem auch, „dass unter keinen Umständen Nackte zu sehen sein werden“. Darüber kann man nur schmunzeln. Denn so nackt, wie diese zwei Paare am Ende darstellen, so nackt kann man sich gar nicht ausziehen.

„Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“

Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Kirchenallee 39, 20099 Hamburg
wieder am 25. Januar, sowie am 13., 14., und 27. Februar 2019.
Alle Infos unter www.schauspielhaus.de


Abbildungsnachweis:
Header: Josefine Israel, Matti Krause, Maria Schrader, Devid Striesow © Arno Declair, 2019
Im Text: Maria Schrader, Devid Striesow © Arno Declair, 2019

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