Theater - Tanz
Studio Braun: Der goldene Handschuh im Deutschen Schauspielhaus Foto Sinje Hasheider

Was Kult ist, muss nicht unbedingt gut sein. Heinz Strunk ist Kult und tut alles dafür, dass es so bleibt. Egal, auf welchem Niveau. Sein blutrünstiger Bestseller „Der goldene Handschuh“ über den Frauenmörder Fritz Honka mag lesenswert sein, die abgedrehte Revue mit Live-Band nach dem Buch, die er jetzt gemeinsam mit seinen Kollegen Jacques Palminger und Rocko Schamoni (Studio Braun) auf die Schauspielhausbühne brachte, ist einfach nur öde.
Ein schriller, prätentiöser Mix aus naturalistischem Kammerspiel und plakativer Kiez-Revue. Allein die wunderbaren Schauspieler, allen voran Lina Beckmann, Charly Hübner und Bettina Stuckey, machen diese banale Rocko-Honka-Horrorshow sehenswert.

Wir befinden uns da, wo niemand hinwill: In der Gosse. Ganz unten. Im „Goldenen Handschuh“ auf dem Hamburger Berg. Wer sich in den 70er-Jahren in dieser heruntergekommenen 24-Stunden-Kneipe schon tagsüber volllaufen ließ, war Ausschuss im Wirtschaftswunderland der Nachkriegszeit: Keine Familie, keine geregelte Arbeit, oft auch kein festen Wohnsitz. In diesem Rattenloch fiel einer wie Fritz „Fiete“ Honka nicht weiter auf. Im Gegenteil. Der 40jährige war noch gut dran. Hatte Arbeit als Nachtwächter und so was Ähnliches, wie eine Wohnung: Eine verwahrloste Dachbutze, in die er seine Opfer mitnahm, um sie dort zu missbrauchen und zu töten. Es muss bestialisch gestunken haben in dieser Bude, in der man im Sommer 1975 die verstümmelten und teils mumifizierten Überreste von vier Frauen fand. Verständlich, dass Honka seine Zeit lieber im „Goldenen Handschuh“ verbrachte. „Zu den Klängen von ,Una Paloma Blanca‘ hat er hier seine Tänzchen geschoben“, schrieben BILD und SPIEGEL 1975. „Wenn er nicht gerade hinter einem roten Vorhang in seiner schummrigen Nische auf Frauen nach seinem Geschmack lauerte: verlebt, aufgedunsen, hässlich“.

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Die Medien hatten den schmächtigen Mann zu einem Monster stilisiert. Zu einem „perversen Sadisten“, mit riesigen Fingernägeln, „die zu breiten langen Krallen nach vorn gewachsen sind“, „brutal unter ihren dünnen Rock“ fuhren oder „an den Leichen rumgeschnippelt“ haben, wie die BILD mit voyeuristischem Furor schrieb.
Mit der gleichen Lust an Ekel und Voyeurismus setzt auch das Studio Braun sein aberwitziges Panoptikum auf offener Werkstattbühne in Gang. Hier geht es nicht um das Psychogramm eines Massenmörders, hier geht es um Show und noch mal Show. Und ein schrilles Figurenkabinett. Ein Jahrmarkt der Underdogs, je abstoßender, umso besser. Während Jens Rachut als veritabler Kater den Conférencier spielt und das Geschehen immer mal wieder kommentiert, suggerieren im Hintergrund großformatige historische Schwarzweiß-Szenen vom Kiez eine Zeitreise ins Rotlichtmilieu der 70er-Jahre. Hier versammelt Kneipenwirt Herbert (Heinz Strunk) an seinem gigantischen Aschenbecher-Tresen mit eingelassenen Pinkelbecken („oben rein, unten raus“) die verlotterte Stammkundschaft. Anni, eine in die Jahre gekommene Hure (herrlich überzogen: Lina Beckmann); Poledancerin Ruth (anrührend Rica Blunck), der irre Soldaten-Norbert (Rocko Schamoni) und Gerda Voss, Prototyp der fetten Schlampe. Bettina Stucky übertrifft sich in dieser Rolle selbst: Mit ihren strähnigen Haaren, der dicken Brille und der verwaschenen, viel zu kleinen Kittelschürze, aus der das Fett quetscht, trieft ihr die Trostlosigkeit aus jeder Pore. Wie sie sich da immer wieder auf den Barhocker zu hieven versucht, während die Schürze hoch und die Strümpfe runterrutschen, ist ein Kabinettstückchen komödiantischer Schauspielkunst. Natürlich ist die alte Schabracke eine von Honkas Opfern, lässt sich demütigen, benutzen und schließlich ermorden in der stinkenden Kammer, die über und über mit barbusigen Pin-up-Girls beklebt ist (Bühne: (Stéphane Laimé).

Charly Hübner spielt Honka als tumbes Tier, gefangen in seinem Suff und den verqueren Sexfantasien. Dieser Mann scheint gar nicht ganz da zu sein, nicht ganz bei sich. Er glotzt wie ein Stier, doch man meint, er sieht seine Umwelt gar nicht. Er steht wie ein schiefes Fragezeichen, mit hochgezogenen Schultern und durchgedrücktem Kreuz. Ein erbärmliches, erbarmungswürdiges „Würstchen“, wie Peggy Parnass, damals Gerichtsreporterin in dem aufsehenerregenden Prozess, einst schrieb. Charly Hübner spielt brillant, keine Frage. Aber Einblicke in das Seelenleben eines Mörders gibt er nicht. Kann er auch gar nicht, so wie Strunk die Figur angelegt hat. Nur zwei Mal flackert Menschlichkeit, Sehnsucht nach einem normalen Leben und Sentiment auf: In der Begegnung mit der Putzfrau Helga (Lina Beckmann) und bei dem Schlager „Es geht eine Träne auf Reisen“.

Als Gegenpol zur Gosse hat Heinz Strunk eine Reeder-Familie an der Elbchaussee erfunden mit einem unausstehlichen Senior (Josef Ostendorf) und einem ständig notgeilen Enkel (Jonas Hien). Eine Gesellschaft, die nicht weniger verdorben ist, als die Elendsgestalten vom Hamburger Berg, ist die unverkennbare Botschaft. Nun gut, das wussten wir auch vorher.

Bleibt nur die Frage, warum Studio Braun es nicht bei der Regie belassen konnte. Warum mussten die drei Freunde unbedingt auch noch mitspielen. Sie haben sich damit keinen Gefallen getan. Der Dilettantismus war ebenso grässlich wie die Geschichte selbst.

Der goldene Handschuh
von Studio Braun nach dem Roman von Heinz Strunk
Regie: Studio Braun
Zu sehen bis 17.12. im

Deutschen Schauspielhaus Hamburg, Kirchenallee 39, 20099 Hamburg

Weitere Informationen

Es spielen: Lina Beckmann, Rica Blunck, Lieven Brunckhorst, Ali Busse, Rosemary Hardy, Taco van Hettinga, Jonas Hien, Sebastian Hoffmann, Charly Hübner, Josef Ostendorf, Jacques Palminger, Jens Rachut, Sönke Rust, Rocko Schamoni, Heinz Strunk, Matthias Strzoda, Bettina Stucky, Michael Weber, Gala Othero Winter
Regie: Studio Braun, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Dorle Bahlburg, Musik: Studio Braun, Lieven Brunckhorst, Sebastian Hoffmann, Ton: Matthias Lutz, Christoph Naumann, Licht: Rebekka Danke, Videodesign: Jan Speckenbach, Video: Marcel Didolff, Peter Stein, Choreografie: Rica Blunck, Dramaturgie: Bastian Lomsché
Eine Stunde, 45 Minuten. Keine Pause.

YouTube-Video:
Uraufführung für strunks "der goldene handschuh"

Abbildungsnachweis: Alle Fotos: © Sinje Hasheider, 2017
Header: v.l.: Rocko Schamoni, Charly Hübner, Heinz Strunk, Jacques Palminger
Galerie:
01. Ensemble
02. v.l.: Jonas Hien, Gala Othero Winter
03. Charly Hübner
04. Rica Blunck, Charly Hübner Palminger
05. Ensemble

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