Theater - Tanz
„Eine Stunde Ruhe“ – Herbert Knaup, St. Pauli Theater

Als polternder TV-Kommissar Kluftinger ist Herbert Knaup längst Kult.
Kluftinger ist die Hauptfigur einer erfolgreichen Kriminalromanreihe der deutschen Schriftsteller Michael Kobr und Volker Klüpfel, auch bekannt als Allgäu-Krimis. Die BR-Verfilmung ist eine eigenständige Filmreihe. Jetzt kämpft der vielseitige Schauspieler im St. Pauli Theater in Hamburg um „Eine Stunde Ruhe“.

Isabelle Hofmann (IH): Eine Stunde Ruhe wünscht sich Michel, um eine Uralt-LP zu hören. Doch dazu kommt es nicht, denn in dieser Stunde gerät sein Leben total aus den Fugen. Wann wünschten Sie sich das letzte Mal eine Stunde Ruhe?

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Herbert Knaup (HK): Puh, das geht mir andauernd so! Ich traue mich schon gar nicht mehr, solche Wünsche zu haben.

IH: Und wenn Sie tatsächlich mal Zeit für sich finden?

HK: Dann gehe ich am liebsten in den Garten. Ich glaube, das letzte Mal in einer Stunde Ruhe habe ich Weintrauben gepflückt und Traubensaft draus gemacht. So etwas liebe ich! Da komme ich endlich mal zu mir.

IH: In Florian Zellers Komödie geht es nicht nur um Michel und seine Frau Laurence, die sich belügen und betrügen, es geht auch um ihren 29-jährigen Sohn Sebastien, einen ausgeflippten Punk-Musiker, der auf der Bühne Ratten verspeist.

HK: Das ist schon hart! Im Grunde ist Sebastien eine traurige Gestalt, sieht alles schwarz und zukunftslos. Dass er sich Fucking Rat nennt, ist natürlich Rebellion – aber das kann man ja auch irgendwie begreifen. Ich habe in meiner Jugend auch gegen die Elterngeneration aufbegehrt. Nur war ich kein Punk, sondern eher Rocker und Hippie.

IH: Wenn Sebastien Ihr Sohn wäre, würden Sie ihm dann auch so viel Verständnis entgegenbringen?

HK: Klar wäre ich auch geschockt und entsetzt. Aber ich denke schon, dass ich ziemlich tolerant bin und das als Künstler auch sein sollte. Nur zu sagen: „Du spinnst wohl“, das reicht nicht. Vielleicht hätte ich ihm gesagt, dass man Tiere auf der Bühne gar nicht töten darf, das ist ein Strafdelikt, und dass er sich was anderes einfallen lassen soll.

IH: Sie selbst haben zwei Söhne, Ihr großer ist 25 Jahre alt und studiert Medizin – ein Bilderbuch-Sohn, oder?

HK: Manchmal frage ich mich, wo das überhaupt herkommt. Seine Mutter hat kein begnadetes Abitur gemacht, ich habe gar kein Abitur, aber er war immer Einserkandidat, studiert jetzt in Holland und will später mal international wirken. Da denkt man schon, was ist eigentlich jetzt los?
Man weiß ja nie, was aus einem Kind wird. Bei vielen ist es ja auch so, dass Sie über die Rebellion einen Weg zu sich finden

IH: War das bei Ihnen so?

HK: Ich glaube ja. Aber ich hatte es auch leicht, weil meine Eltern mir die Tür aufgemacht haben. Sie haben mich akzeptiert und gesagt, Du kannst jetzt aus dem Haus gehen, dann schauen wir mal. Ich lebte ja schon mit 17 Jahren in einer WG, so wie „Fucking Rat“. Wir haben eine Zeitung herausgebracht, wir haben alles Mögliche getrieben und nichts ausgelassen.

IH: Im Bayerischen Sonthofen der 70er-Jahre müssen Sie ein ziemlich schriller Vogel gewesen sein?

HK: Ich war ja nicht allein. Das war die Zeit der Hippiebewegung: „Give Peace a Chance“. Wir waren 30, 40 Jugendliche, die sich jedes Wochenende an Flüssen getroffen haben. Wir haben riesige Lagerfeuer gemacht, Gitarre gespielt und Lieder von Crosby, Still, Nash & Young, Led Zeppelin oder Jimmy Hendrix nachgespielt.

IH: Was haben ihre Eltern gesagt, als Sie ihnen offenbarten, dass Sie Schauspieler werden wollten?

HK: Die haben gesagt, dann machst Du das. Meine Eltern haben irgendwo auch Vertrauen in mich gehabt. Meine älteren Geschwister gingen mit 14 Jahren schon in die Lehre. Ich, als Nachzügler, durfte meinen Weg finden.
Man hatte damals auch noch nicht so eine große Angst wie heute. Ohne Lehrstelle oder Studienplatz schafft man es heute ja gar nicht mehr sich beruflich zu etablieren. Das Quereinsteigen ist viel schwerer geworden. Ich konnte noch Umwege gehen und habe trotzdem meine Kurve gekriegt.

IH: Sie kommen aus einfachen Verhältnissen…

HK: Mein Vater war Schlosser, meine Mutter Hausfrau - da hätte auch nie jemand gedacht, dass aus mir mal ein Schauspieler wird. Es gibt ja ganz wenige Schauspieler, die aus Arbeiterfamilien kommen. Ich habe die Sprache gesucht. Ich wollte die Sprache finden. Der Allgäuer Dialekt, mit dem ich aufgewachsen bin und mit dem ich mittlerweile durch den Kommissar Kluftinger sogar Erfolg habe, ist ja eine sehr behäbige Sprache.

IH: Aber sie passt zu Ihnen.

HK: Ja, weil es meine Muttersprache ist.

IH: Sie haben jetzt auch einen Nachzügler im Haus. Ihr zweiter Sohn wurde 2008 geboren, damals waren Sie 52 Jahre. Welche Vorteile sehen Sie in einer so späten Vaterschaft?

HK: Ich weiß nicht, ob das unbedingt ein Vorteil ist. Wir haben uns ein Kind gewünscht, es ist die schönste Frucht unserer Liebe. Späte Eltern sind glückliche Eltern! Und wenn man so spät noch mal Nachwuchs hat, will man natürlich alles richtig machen und denkt, oh Gott, bloß nicht in Fallen tappen.

IH: Zum Beispiel?

HK: Man sollte Kinder ihre eigenen Wege gehen lassen und dann eher mit schützender Hand dabei sein. Wenn man älter ist, so wie ich jetzt, ist das manchmal schwierig. Ich bin derzeit eher in der Helikopter-Eltern-Phase. Aber ich halte es für falsch, Kinder zu sehr in bestimmte Richtungen zu drängen.

IH: Stattdessen immer schön positiv verstärken, wie es moderne Erziehungsratgeber empfehlen?

HK: Nein, überhaupt nicht. Man muss seinen Kindern ein Gegenüber bieten und eine klare Haltung haben.

IH: Ihr Vater war eine Respektsperson im Ort und ein starkes Gegenüber für seine Kinder. Er hat aber auch öfter mal hingelangt. Ist Ihnen auch schon mal die Hand ausgerutscht?

HK: Nein, nie!

IH: Haben Sie eigentlich eine Erziehungs-Maxime?

HK: Ach, Maximen sind doch schrecklich! Die stehen dann an der Wand. Ich finde, das wichtigste ist, dass man den Draht zu seinen Kindern nicht verliert. Dass, so lange man lebt, ein gegenseitiges Vertrauen besteht und dass man sich beim Anderen aufgehoben fühlt.

IH: Michel hat diesen Draht nicht zu Sebastien. Aber er heuchelt Verständnis, wie so viele Eltern ihren Kindern gegenüber. Warum eigentlich?

HK: Um Konflikte zu vermeiden. Man will die heile Welt hochhalten, so lange es nur irgend geht, um die herannahende Katastrophe dahinter nicht zu sehen, die Schwierigkeiten, die in irgendeiner Form in jeder Familie stecken. Und da sind Männer ja vorne dran, sich in die Tasche zu lügen und zu sagen: „Ach, ist ja alles nicht so schlimm“.

IH: Autor Florian Zeller hält nicht nur Männern den Spiegel vor...

HK: Na klar, das finde ich auch toll. Florian Zeller tritt der Pariser Gesellschaft ordentlich auf die Füße. Der gut betuchte, mittelständische Franzose ist verheiratet, aber nebenbei läuft immer noch was. Man muss es ja nicht erzählen.

IH: Michel und Laurence halten nur noch die bürgerliche Fassade aufrecht. Ist das der eigentliche Grund für Sebastiens Revolte?
HK: Ich denke schon. Laurence spricht ja auch mit ihrem Psychologen darüber, dass sie das Lügengebäude nicht mehr aufrechterhalten will. Man denkt fast, Laurence hätte eine Meise, dabei ist es das wirklich Wichtige, sich klar zu werden, wer man selber ist – gerade als Erziehender

IH: Wissen Sie, wer Sie wirklich sind? Haben Sie genau hingeschaut?

HK: Ich bin seit fast 60 Jahren dabei. Gerade als Schauspieler sollte man sich genau kennen.

IH: Sie haben mit 17 Jahren ihren eigenen Weg gesucht. Sebastien ist mit fast 30 Jahren immer noch dabei. Haben es Kinder heutzutage schwerer sich abzunabeln? Fehlt das klare Feindbild der Elterngeneration wie in den 70ern?

HK: Es ist die Frage, ob sich die Kinder heutzutage überhaupt noch abnabeln. Die Brücke zwischen den Generationen ist so gigantisch groß geworden ist. Die Rock-Opas - Rolling Stones, und wie sie alle heißen, sind ja total akzeptiert bei der Jugend. Aber dieses bacchantische Drauflos-Leben von früher, das gibt es nicht mehr. Die junge Generation ist bewusster, strukturierter, knallhart auf Karriere aus.

IH: Die Konkurrenz ist größer geworden, der Kampf um Anerkennung vielleicht auch. War für Sie eigentlich immer klar, dass Ihre Eltern Sie lieben und stolz auf Sie sind?

HK: Ja, das war immer klar. Wir hatten ganz viel Wärme bei uns zu Haus. Mein Vater sagte zu mir immer: Du bist ein Knaup!

IH: Was meinte er damit?

HK: Das sollte heißen: „Hey, Du bist mein Sohn! Dir kann gar nichts passieren!“ Das hat mir Selbstbewusstsein gegeben.

IH: In Zellers Komödie brechen zum Schluss alle Fassaden, Sebastien heult los und sagt seinem Vater: Du hast mich nie geliebt. Haben Sie als Kind von Ihrem Vater gehört, dass er Sie liebt?

HK: Doch, das hat er gesagt. Mein Vater hat sogar geweint. Die Emotionen waren bei uns immer da. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum ich Schauspieler geworden bin.

IH: Und was wollen Sie Ihren Kindern mitgeben?

HK: Mitgeben? Viel Geld (lacht herzlich).
Ach, das Leben ist so kurz! Am Anfang denkt man, es ist ewig und schon ist man ein alter Mann. Aber noch jung in der Birne und im Herzen! Genieße deine Zeit, würde ich meinen Kindern sagen – Du bist ein Knaup!

IH: Haben Sie das Ihren Kindern schon mal gesagt?

HK: Nein, bislang noch nicht. Das wissen sie schon selbst.


„Eine Stunde Ruhe“ von Florian Zeller
Basierend auf einer Originalidee von Simon Gray („Otherwise Engaged")
Deutsch von Annette und Paul Bäcker. Deutschsprachige Erstaufführung
Mit: Herbert Knaup, Leslie Malton, Thomas Heinze, Johanna Christine Gehlen, Stephan Schad, Martin Wolf, Holger Dexne
Regie: Ulrich Waller; Bühne: Raimund Bauer; Kostüme: Ilse Welter
Noch bis zum 21. Februar 2015 zu sehen im St. Pauli Theater Hamburg, Spielbudenplatz 29, Hamburg
Tickets - Hotline: (040) 4711 0666


Abbildungsnachweis: 1 Stunde Ruhe. Fotos: Oliver Fantitsch
Header: v.l.n.r.: Herbert Knaup, Johanna Christine Gehlen.
Galerie:
01. Plakat "Eine Stunde Ruhe"
02. Ensemble
03. v.l.n.r.: Herbert Knaup, Leslie Malton
04. v.l.n.r.: Herbert Knaup, Thomas Heinze
05. v.l.n.r.: Johanna Christine Gehlen, Leslie Malton, Herbert Knaup
06. v.l.n.r.: Stephan Schad, Martin Wolf
07. v.l.n.r.: Leslie Malton, Herbert Knaup, Thomas Heinze

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