Musik
Händel: Israel in Egypt

Eine Auseinandersetzung mit dem Gottesbild.
Nachdem der Schlussakkord von Händels mächtigem Oratorium „Israel in Egypt“ verklungen war und der Applaus beim SHMF-Konzert in der Hamburger Laeiszhalle nicht enden wollte, sang der Balthasar-Neumann-Chor unter Thomas Hengelbrock als a-cappella-Zugabe Felix Mendelssohns Motette „Richte mich, Gott“ – auch in ihrem Text geht es vorderhand ein starker, aber unbarmherziger Gott, der seine Gläubigen alleine lässt in der Not. Und um einen starken Glauben, der sich nicht irre machen lässt und felsenfest an die Rettung glaubt. Entstanden gut 100 Jahre nach Händels Werk war das ein starker Schlusspunkt und das Nachzeichnen der Verknüpfung, die musikhistorisch zwischen beiden Komponisten besteht.

Denn Mendelssohn war es, der das 1739 uraufgeführte „Israel in Egypt“ aus England mitbrachte und 1833 beim Niederrheinischen Musikfest in Düsseldorf wieder aufführte. Das Oratorium gilt nicht als leichtgängiger Publikumsrenner wie Händels zwei Jahre später geschriebener „Messias“. Es handelt ganz alttestamentarisch von den Bedrückungen des Volkes Israel in Ägypten, von den zehn Plagen, vom Auszug durch das von Moses geteilte Rote Meer, von der Vernichtung der ägyptischen Verfolger und vom Versprechen, den Heimatlosen das Land Kanaan zu geben.
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Händel findet dafür eine hoch konzentrierte Musiksprache, mehrheitlich Chöre, oft wuchtig, und gerne sehr illustrativ. Grandios, wie Hengelbrock das Balthasar-Neumann-Ensemble in einen angriffslustigen Mückenschwarm verwandelte, wie das Erschlagen der Erstgeborenen unter gewalttätigen Schlägen hörbar wurde, wie sich im Chor die Finsternis über das Land legt und alle musikalischen Farben in fahles Grau verwandelte. Und immer wieder scheinen in den großen Chören Bausteinchen auf, die Händel dann im „Halleluja“ des „Messias“ zu überwältigender Vollendung gefügt hat. Kaum zu glauben, dass das derselbe Händel ist, der kurz zuvor noch den überwältigenden italienischen Opern-Zucker geliefert hatte und nun alttestamentarisch strenge Chorfugen auftürmt, aber zuweilen auch weit in die Tonsprache der Romantik nach vorn schaut.

Es ist eine Freude, das leidenschaftliche Spiel der Musiker nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen, wie sie jede Note aus dem Moment heraus interpretieren und locker beweisen, dass historisch informierte Aufführungspraxis keineswegs die Rekonstruktion eines interessanten Weniger bedeutet, sondern einen ganzen Kosmos, in dem ganz andere Klangvorstellungen realisiert werden als in einem modernen Symphonieorchester. Wenn man Hengelbrocks Ensemble hört, spürt man: Es klingt ursprünglicher, oft sind sie härteren, größeren Kontrasten auf der Spur. Und alles natürlich blitzblank und von geradezu verblüffender Akkuratesse.

Im Kern ist Händels Oratorium wie Mendelssohns Motette aber keine musikalische Erzählung mit auskomponierten Bildern, sondern die Auseinandersetzung mit einem Gottesbild – während Ägypten sich unter den biblischen Plagen duckt, formt sich im Volk Moses’ die Idee einer jubelnden Überlegenheit, und spätestens bei den Worten: „Die Völker sollen hören und sich fürchten, Sorge soll sie ergreifen, und alle Einwohner Kanaans sollen dahin schmelzen, vor der Größe deines Arms sollen sie erstarren wie Stein“ ist man gedanklich bedrückend nahe bei den aktuellen Konflikten unserer Tage.

Von den 31 Stücken des Oratoriums sind 20 für den Chor geschrieben – eine gewaltige Anforderung und ein Fest für den 32-köpfigen Balthasar-Neumann-Chor, der die wuchtigen Passagen ebenso beherrscht wie die feinsten Pianissimo-Stellen, und der aberwitzig schnelle Läufe mit atemberaubender Transparenz singen kann. Aus seinen Reihen traten denn auch die neun Solisten hervor für die Rezitative und Arien – von ihnen überzeugten vor allem Terry Wey (eine liebliche Kontra-Alt-Stimme), Virgil Hartinger (ein durchschlagkräftiger, klarer Tenor) und Alice Borciani mit ihrem vollen, punktgenau artikulierenden Sopran. Außer der Plage der hochsommerlichen Gluthitze in der nahezu ausverkauften Laeiszhalle ist wenig kritisch anzumerken, vielleicht das eine oder andere Schluss-T aus dem Chor, das sich etwas unkoordiniert multiplizierte. Feinheiten, die indes wenig zählen in der Glut des unbedingten Gestaltungswillens. Mit Sicherheit war dieses auch in Lübeck und Kiel aufgeführte Oratorium einer der Höhepunkte des Diesjährigen Schleswig-Holstein Musik Festivals.


Mit 450 Sängern und Instrumentalisten musiziert Hengelbrock am 31. August dann auch den Schlusspunkt des SHMF: Mendelssohns „Elias“ mit dem City of Birmingham Symphony Chorus, dem Schleswig-Holstein Festival Chor und dem NDR Sinfonie- und Jugendsinfonieorchester. Karten gibt es unter 0431 - 2370 70.


Abbildungsnachweis:
Header: Bathasar Neumann Chor und Enselble. Foto: Florence Grandidier
Galerie:
01 Batltasar Neumann Ensemble. Foto Ralf Ernst
02. Thomas Hengelbrock. Foto: Florence Grandidier
03. Laeiszhalle. Foto: Claus-Joachim Dickow. Lizenz: CC-BY-SA 2.5