Musik
Humperdinck - Koenigskinder

Es ist eine echte Rarität, wenn sich ein Dirigent der tragischen Märchenoper „Königskinder“ annimmt.
So wie es Jeffrey Tate nun mit den Hamburger Symphonikern, der Lübecker Chorakademie und 14 Gesangssolisten in einer konzertanten Aufführung tut.
Anders als mit seinem Welt-Hit „Hänsel und Gretel“ hatte der Komponist Engelbert Humperdinck mit seinen „Königskindern“ nämlich kein großes Bühnenglück.

Ein Königssohn, eine Gänsemagd, ein Spielmann und eine Hexe - mit diesen Hauptfiguren in den „Königskindern“ versuchte Humperdinck 1897 an seinen größten Erfolg anzuknüpfen. Doch eine erste Fassung als Melodram, uraufgeführt am Münchener Hoftheater, verschwand rasch von den Spielplänen, eine zweite zur Oper ausgearbeitete und gleichzeitig in der Handlung entschlackte Fassung wurde im Dezember 1910 in New York an der Metropolitan Opera uraufgeführt – aber auch sie schaffte den Sprung ins Repertoire nicht, obwohl in einer Kritik zur New Yorker Uraufführung stand, sie sei die „wertvollste Oper der nachwagnerschen Zeit“. Vielleicht, weil der Komponist eine der Grundregeln von Märchen überging: Dass Menschen sie mögen, weil sie das Grundbedürfnis bedienen, eine böse Situation möge am Ende gut ausgehen.

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Mit seiner Kinderoper „Hänsel und Gretel“, wo das genau so ist, hatte Humperdinck nach der Uraufführung 1893 im Weimarer Hoftheater in kürzester Zeit fast alle Bühnen Deutschlands erobert und wurde schon 1895 auch in London und sogar New York gespielt. Theaterleute und Publikum waren verrückt nach Humperdincks Musik, bis heute ist „Hänsel und Gretel“ in Deutschland nach der „Zauberflöte“ die zweitmeist gespielte Oper, noch vor „La Traviata“ und „La Bohème“.

Ein Erfolg, den sich der damals 39 Jahre alte Komponist nie hatte träumen lassen, es war das Stück, das ihn für den Rest seines Lebens von allen finanziellen Sorgen befreite. Er machte seinen Namen so bekannt, dass sich der britische Schlagersänger Arnold George Dorsey Ende der 50er Jahre einen skurrilen deutschen Künstlernamen zulegte: Als Engelbert Humperdinck ersang er sich 68 Goldene und 26 Platin-Schallplatten.
Geschrieben hatte das „Hänsel-und-Gretel“-Libretto seine Schwester, eigentlich sollte nur ein kleines Singspiel zu Weihnachten im Familienkreis 1890 aufgeführt werden. Die Musik dazu war aber so erfolgreich, dass Humperdinck sich entschloss, eine große romantische Märchenoper für Kinder daraus zu machen.
Humperdinck hat damals schon eine beachtliche Musikerkarriere hinter sich. Er war früh zur Musik gekommen, hatte im Studium mehrere Preise gewonnen und die Musik dann zu seinem Beruf gemacht. Ein geradezu vergöttertes Vorbild hat er auch: Richard Wagner. Den hört er zum ersten Mal 1873, bei einem Werbekonzert in Köln für Wagners Bayreuther Festspiele. 1878 sitzt Humperdinck in der exklusiven Münchener Erst-Aufführung vom „Ring des Nibelungen“ und tritt dem „Orden vom Gral“ bei, einem schillernden Geheimbund glühender junger Wagnerianer.

1880 lernt er den Meister in Neapel endlich persönlich kennen, da ist Humperdinck 26 und gerade als Stipendiat in Italien. Das Treffen hat Folgen: Der junge Mann wird Wagners Assistent für die Parsifal-Uraufführung 1882 in Bayreuth, er lebt anderthalb Jahre als Gast in dessen Villa Wahnfried, unterrichtet auch Wagners Sohn Siegfried in Kompositionslehre und Dirigieren.

Humperdinck ist Wagnerianer durch und durch, seine ersten Kinder beiden Kinder aus seiner 1892 geschlossenen Ehe nennt er Senta und Wolfram. Wolfram hat – mehr geht fast nicht – Cosima Wagner als Patentante. Humperdincks damaliger Haushund heißt übrigens nach einem der Riesen im „Rheingold“ Fasolt – da muss man erstmal drauf kommen!

Die enge Verbindung zu Bayreuth befördert seine Karriere erheblich: 1883 bekommt er einen Kompositionsvertrag und wird zweiter Kapellmeister am Kölner Opernhaus, 1885 musikalischer Gesellschafter der Familie Krupp in der Villa Hügel bei Essen. Und 1890 geht er als Dozent ans Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main (und bleibt dort bis 1897) und schreibt als Opernreferent – so heißt das damals – für die Frankfurter Zeitung.
In diese Zeit fällt die Komposition von „Hänsel und Gretel“. Ein genialer Wurf, denn Humperdinck, der sich immer wieder intensiv mit deutschen Volksliedern beschäftigt, findet einen Weg, die wagnersche Musikwelt mit einfachen und eingängigen Melodien zu verknüpfen, die oft nach Volkslied klingen, ohne eins zu sein. Seine musikalische Sprache erinnert sehr an Wagner: Das Werk ist durchkomponiert, arbeitet kontrapunktisch dicht, verwendet Leitmotive, und es hat auch hat einen Hang zum spätromantisch Düsteren, der sich später bei den „Königskindern“ mit ihrem tragischen Ausgang noch verstärkt zeigt.

Uraufführungsort seiner Erfolgsoper ist 1893 Weimar, der Uraufführungsdirigent ein gewisser Richard Strauss, 29 Jahre jung – den Kontakt der beiden wird wohl Cosima Wagner geknüpft haben, denn Strauss war vor Weimar ebenfalls Assistent in Bayreuth. 1894 schon dirigierte der „Hänsel- und-Gretel“-Geburtshelfer im Festspielhaus von Bayreuth den „Tannhäuser“, seine Ehefrau Pauline war als Elisabeth engagiert.

Humperdinck, seine Schwester und deren Ehemann nennen „Hänsel und Gretel“ ein „Märchenspiel in drei Bildern“, Humperdinck verballhornt das ironisch zum „Kinderstubenweihfestspiel“ – ein Anspielung auf Wagners „Parsifal“, den der Meister zum „Bühnenweihfestspiel“ deklariert hatte.
Den weltweiten Siegeszug von „Hänsel und Gretel“ konnte kein anderes seiner insgesamt 170 Werke wiederholen, auch keine seiner weiteren fünf Opern, zu denen die „Königskinder“ zählen. Der Komponist zog mit seiner Familie 1901 nach Berlin, wo er bis kurz vor seinem Tod 1921 die Meisterschule für Komposition und der Königlichen Akademie der Künste leitet und Bühnenmusik unter anderem für Max Reinhardt schreibt. Zu sein Schülern zählen Friedrich Holländer und Kurt Weill.

Elsa Bernstein, die Textdichterin der „Königskinder“ wurde später von den Nazis ihrer „jüdischen Herkunft“ wegen verfolgt, 1942 im KZ Dachau interniert und im selben Jahr mit ihrer Schwester Gabriele ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Gabriele Bernstein starb dort, Elsa Bernstein wurde dort Anfang Mai 1945 befreit, sie starb 1949 in Hamburg-Eimsbüttel.


Engelbert Humperdinck: Königskinder. Jeffrey Tate, Hamburger Symphoniker, Chorakademie Lübeck, Solisten.
Sonntag, 18. Mai 2014, 19.00 Uhr in der Laeiszhalle, Großer Saal.
Karten: 8 bis 42 Euro
Mehr Informationen zu Königskinder
Humperdinck: "Prelude AKT III" Königskinder


Abbildungsnachweis:
Header: Notenzeile aus Klavierauszug der "Königskinder"
Galerie:
01. Engelbert Humperdinck, Postkarte um 1910
02. Geraldine Farrar und Hermann Jadlowker in der Uraufführung von Königskinder III Akt, 1910
Quelle: Capricci Forum für klassische Musik