Musik
„Gott gab mir ein Zepter“ - Brittens ‚Gloriana‘ an der der Hamburgischen Staatsoper

Mit einer Krönungsoper für die junge Elizabeth II. sollte Benjamin Britten einem nationalen Mythos huldigen: dem goldenen Elisabethanischen Zeitalter der Renaissance.
Doch Brittens ‚Gloriana‘ wurde nicht das erwartete patriotische Fest, sondern eine feine psychologische Studie über getäuschte Hoffnungen und die Einsamkeit des Mächtigen.

Westminster Abbey, 2. Juni 1953: Als erstes royales Medien-Event der Neuzeit wird die Krönung von Queen Elizabeth II. nicht nur in London von Millionen Schaulustigen begeistert gefeiert. Zwar stehen in den wenigsten Wohnungen Fernseher – doch überall auf dem Globus versammeln sich die Menschen zum größten kollektiven Bilderlebnis vor der Erfindung des ‚Public Viewing‘. In ihrem Filmbericht kommentiert die Deutsche Wochenschau: „Es war das prunkvollste Schauspiel, das die Welt seit dem Mittelalter erlebte.“

Galerie - Bitte Bild klicken
Teil der offiziellen Krönungsfeierlichkeiten ist auch die Uraufführung einer Oper von Benjamin Britten in Londons Covent Garden. Der berühmteste Komponist Englands seit Henry Purcell widmet die Partitur der jungen Königin. Auf der 27-jährigen Elizabeth II. ruht die Hoffnung eines riesigen Reiches: Daheim sortiert sich England nach den Wunden des 2. Weltkriegs neu, in der Welt wankt das British Empire durch die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kolonien. Dass die neue Queen den Namen ‚Elizabeth‘ trägt, gilt als gutes Omen – denn unter der Renaissance-Königin Elizabeth I. erlebte Britannien eine strahlende Blüte. Als ‚Gloriana‘ verehrt, schenkte die Monarchin ihrem Volk im 16. Jahrhundert eine Periode von dauerhaftem inneren Frieden und kulturellen Glanz. Mit Schriftstellern wie William Shakespeare, Musikern wie John Dowland, Entdeckern wie Francis Drake und Philosophen wie Francis Bacon bestimmte das Elisabethanische Zeitalter über Jahrzehnte hinaus das Geistesleben in ganz Europa.

‚Gloriana‘ ist denn auch der Titel, den Britten seiner neuen Oper gibt. Man erwartet nicht nur eine Verherrlichung der glorreichen Vergangenheit, sondern auch einen allegorischen Vergleich der Regierungszeit Elizabeths I. mit der neu anbrechenden zweiten Elisabethanischen Ära. Doch Britten schreibt keinen staatstragenden Lobgesang, sondern richtet den Blick auf die inneren Konflikte seiner Figuren. Das handverlesene adlige Premierenpublikum ist von der fehlenden patriotischen Hochstimmung enttäuscht, der handschuhgedämpfte Beifall fällt dementsprechend knapp aus. „Die Gala war ein widerwärtiges Ereignis“, notiert Britten. ‚Gloriana‘ fällt durch und hat sich bis heute kaum auf den Spielplänen etablieren können.

Zu Brittens 100. Geburtstag will Simone Young das selten gespielte Werk rehabilitieren: „Wie die besten historischen Opern basiert ‚Gloriana‘ zwar auf geschichtlichen Fakten, ist aber eigentlich ein Personendrama. Erzählt wird vom Scheitern einer Liebe – wie eigentlich immer in Brittens Stücken“, erzählt Simone Young. Tatsächlich steht auch hier ein für seine Bühnenwerke sehr typischer Konflikt im Zentrum: der zwischen gesellschaftlichen Zwängen und privater Glückssuche, zwischen Gesetz und Neigung, zwischen Pflicht und Herz. Als ‚Gloriana‘ nimmt Elizabeth I. die Rolle der treusorgenden Monarchin an. Doch als Privatperson existiert sie nicht. Die ‚jungfräuliche Königin‘ verweigert sich einer Heirat, um ihre Staatsautorität nicht zu gefährden. Elizabeths Gefühle aber gehören Robert Devereux, dem Earl of Essex. Ihr ehrgeiziger Günstling ist Jahrzehnte jünger als die Queen. Und Elizabeth weiß, dass ihre Zuneigung keine Chance auf Erfüllung hat: „Wenn Leben Liebe heißen würde, könnte ich dich grenzenlos lieben. Aber Gott gab mir ein Zepter. Ich darf es nicht niederlegen“, bekennt sie im Selbstgespräch.

Die Regentin genießt die wenigen Momente der Vertrautheit mit dem impulsiven Essex. Er darf in ihr Herz sehen – und hinter die stilisierte Maske der alternden Frau: „Die Rose muss den Frost spüren. Du siehst mich, wie ich bin“, offenbart sie ihrem jungen Favoriten. Doch selbst diesen letzten Rest von Privatheit muss Elizabeth opfern. Nach einem gescheiterten Irlandfeldzug sucht Essex sein Heil in der Revolte, aber die Verschwörung misslingt. Essex wird als Hochverräter verurteilt. Die Queen muss sein Todesurteil eigenhändig unterzeichnen. In einem großartigen Schlussmonolog zieht sie Bilanz: „Ich sehe keinen Grund, warum ich das Leben lieben oder den Tod fürchten sollte.“

Brittens ‚Gloriana‘ ist weniger eine Geschichtsstunde als eine zeitlose Studie über die Einsamkeit des Mächtigen. Dennoch atmet die Musik unverkennbar das Kolorit einer fernen Epoche. In einer ganz eigenen Sprache aus zeitgenössischem Material und historischen Übermalungen kombiniert Britten seine eigene psychologisch ausgefeilte Tonsprache mit Reverenzen an die Renaissance. Die Musik der Elisabethaner spiegelt sich immer wieder in Tänzen und Chören. Höhepunkt dieser stilistischen Hommage ist das zärtliche Lautenlied, das Essex für seine Königin singt. Ein filigranes Kleinod in exquisiter Melancholie, ein betörendes Liebeslied, nicht nur von Essex an die Queen, sondern auch von Britten an seinen Lebensgefährten Peter Pears, der diese Partie in der Uraufführung sang und sich als Forscher wie als Interpret intensiv mit der Musik der englischen Tudor-Zeit auseinandergesetzt hatte. Das fein glitzernde Klanggespinst ist die kammermusikalische Perle der Partitur, die ansonsten auch mit prunkvollen Passagen zu überwältigen weiß. „Immer wieder bewundere ich Brittens Instrumentationskunst“, sagt Simone Young. „Auch hier ist die Orchestrierung von außerordentlicher Originalität und Schönheit. Britten arbeitet in ‚Gloriana‘ stark mit Bühnenmusik-Effekten, beispielsweise Bläserfanfaren oder Harfen auf der Bühne. Und diese Theatralik macht einen wichtigen Teil der musikalischen Wirkung aus.“

Die Titelpartie ist eine der wenigen dominierenden Frauenrollen in Brittens Bühnenwerken. In der emotionalen Spannweite zwischen beherrschter, berechnender Staatsfrau und getäuschter Liebender ist die Darstellung der legendären Monarchin eine ebenso dankbare wie herausfordernde Aufgabe, die in Hamburg von Amanda Roocroft übernommen wird.

Simone Young schätzt die Sopranistin als „große englische Sängerdarstellerin, mit der ich bereits in Londons Covent Garden Opera mehrfach zusammengearbeitet habe.“
Die Inszenierung, die nach der Hamburger Premiere auch am Royal Opera House gezeigt wird, liegt in den Händen von Richard Jones (Regie) und Ultz (Ausstattung). Das britische Team wirft einen Blick auf die Zeit Elizabeths I. aus der Sicht des Krönungsjahrs von Elizabeth II. „‘Gloriana‘ interessiert uns als kulturelles Artefakt“, erzählt Richard Jones. „1953 haben in ganz England Veranstaltungen und Theaterstücke stattgefunden, die das Ereignis der Thronbesteigung mit einer Huldigung an das Elisabethanische Zeitalter verknüpften – so, wie man es ja auch von Benjamin Britten erwartet hatte. In der englischen Nachkriegsgesellschaft verklärte man die Regentschaft von Elizabeth I. mit einem inbrünstigen Eifer, der aus heutiger Sicht einerseits sehr naiv, andererseits auch durchaus anrührend wirkt. Man darf ja nicht vergessen, dass die frühen, krisengeschüttelten Fünfziger Jahre eine Periode der nationalen Identitätssuche waren, und da kam der patriotische Mythos eines ‚New Elizabethanism‘ gerade recht. Brittens Musik spricht aber viel eher von der Scheinhaftigkeit dieses Mythos als von der Bestätigung, und das ist genau das, was uns interessiert“, sagt der englische Regisseur, der in Deutschland bereits in München und Frankfurt gearbeitet hat.

Elizabeth I. regierte ihr Land 45 Jahre lang. Längst hat ihr Elizabeth II. in dieser Hinsicht den Rang abgelaufen: 2012 feierte Europas dienstälteste Monarchin, die 1952 die Nachfolge ihres Vaters George VI. antrat, aber erst ein Jahr später gekrönt wurde, ihr 60-jähriges Thronjubiläum. Allerdings kann sie erst 2015 den Rekord ihrer Ururgroßmutter Victoria einstellen, die 63 Jahre lang die Krone trug. Queen Elizabeth II. wäre dann 89 Jahre alt. Die Chance, sich ihre eigene Krönungsoper noch einmal anzuschauen, hätte sie bereits 2013.


Benjamin Britten: 'Gloriana'
Inszenierung: Richard Jones
Bühnenbild und Kostüme: Ultz
Lichtdesign: Mimi Jordan Sherin
Choreografie: Lucy Burge
Dramaturgie: Kerstin Schüssler-Bach

Im Alter von vierzig Jahren war Benjamin Britten ein weltbekannter Komponist. Mit Opern wie »Peter Grimes« hatte er seinen Ruhm als einer der wichtigsten englischen Komponisten des 20. Jahrhunderts begründet. So erhielt er den Auftrag für ein neues Werk zur Krönung von Königin Elizabeth II. im Jahr 1953. Er schrieb »Gloriana« – und erlebte seinen ersten Misserfolg. Die Uraufführung im Londoner Covent Garden fiel beim Publikum durch. Erst Jahre später wurde die Subtilität und Tiefe, mit der Britten den urenglischen Stoff behandelte, erkannt. Das Libretto von William Plomer handelt von der Beziehung der alternden Königin zu Robert Devereux, Graf von Essex. Das Leben von Elizabeth I. bot bereits Stoff für zahlreiche Filme und Bücher. Für die Umsetzung auf der Hamburger Opernbühne zeichnet der Regisseur Richard Jones verantwortlich. Simone Young fügt damit im Britten-Jahr 2013 der Reihe seiner Werke, die sie an der Staatsoper Hamburg realisierte, ein weiteres hinzu.

Koproduktion der Staatsoper Hamburg mit dem Royal Opera House London. Unterstützt durch die Stiftung zur Föderung der Hamburgischen Staatsoper. In englischer Sprache mit deutschen Übertexten.

Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit der Hamburgischen Staatsoper.

Aufführung:
Sonntag, 24.03.2013 18:00 Uhr
Hamburgische Staatsoper, Großes Haus, Dammtorstraße 28, 20354 Hamburg
Preise: 6,- bis 158,- € (P)

Weitere Aufführungen:
MI, 27.03.2013 19:30 - 22:00 Uhr
SA, 30.03.2013 19:30 - 22:00 Uhr
MO, 1.04.2013 18:00 - 20:30 Uhr
DO, 4.04.2013 19:30 - 22:00 Uhr
SA, 6.04.2013 19:30 - 22:00 Uhr
Onlinetickets

Weitere Empfehlungen:
Von Elizabeth I. zu Elizabeth II. / Mo. 25.03.2013 19:30 Uhr
10. Philharmonisches Konzert / So. 23.06.2013 11:00 Uhr
Filme:
"Elizabeth - The Golden Age" mit Cate Blanchett und Joseph Fiennes (Teil 1) / 29.03.2013 19:00 Uhr und 31.03.2013 17:00 Uhr
Teil 2 / 05.04.2013 17:00 Uhr und 07.04.2013 20:00 Uhr
im Metropolis Kino, Kleine Theaterstraße 10, Hamburg
"War Requiem" (OmU) mit Tilda Swinton und Laurence Olivier / 06.04.2013 22 Uhr
im Bmovie, Brigittenstraße 5, Hamburg


Fotonachweis: © Hamburgische Staatsoper
Header: Detail aus Benjamin Britten at Crag House. Foto: Roland Haupt
Galerie:
01. Elizabeth I in coronation robes
02. Benjamin Britten on Aldeburgh Beach. Foto: Hans Wild

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment


Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.