Musik
Ekkehard Jost - Cantos Libertad

"Wie jede große gesellschaftliche Umwälzung, bringt auch der Krieg seine eigene musikalische Subkultur hervor: Hymnen, Gesänge des Kampfes und des Widerstandes, der Sehnsucht nach Frieden und des Heimwehs, Klage- und Spottlieder, Tänze und Trauermärsche.“
Auch im spanischen Bürgerkrieg, der vor 76 Jahren endete, entstand ein umfangreiches musikalisches Repertoire, zu dessen Vielfalt die spanische Volksmusik, die katalanische Sardana und der Flamenco das ihre beitrugen.

Zum Elbjazz Festival in Hamburg erlebt diese Tradition – jazzmusikalisch vom Ekkehard Jost Ensemble gedeutet – eine sozialhistorische Widergeburt.
Claus Friede traf den Musikwissenschaftler und Baritonsaxophonisten Ekkehard Jost und sprach mit ihm über Spanien, den Bürgerkrieg, Texte und Musik sowie über politische Aussagen in der Kunst.

Claus Friede (CF): Cantos de Libertad basiert auf historischen Lied- und Literaturtexten des spanischen Bürgerkriegs, die mit improvisierter Musik verknüpft werden. Wie kam es zu der Idee?

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Ekkehard Jost (EJ): Ich hab ein lebenslanges Interesse für Spanien, das ist initiiert worden erstens durch mein Interesse für spanische Musik – Flamenco vor allen Dingen – aber auch an regionalen Arten der Volksmusik, die man zum Teil gar nicht mit Spanien identifizieren würde. Zum Beispiel die Musik der Gallegos, die im äußersten Nordwesten Spaniens zuhause sind und Gallier bzw. Kelten sind. Dort gibt es die Tradition der Dudelsackmusik, die wirkt überhaupt nicht spanisch. Musikalisch ethnologische Besonderheiten habe ich mir herausgesucht, zudem sehr viel Musik der Gitanos. Das ist die musikalische Seite der Sache.
Ich habe mit meiner Frau Spanien nicht als Tourist entdeckt, sondern all die kleinen abgelegenen Ortschaften und Straßen befahren. Wir waren bereits zur Franco Ära unterwegs in den späten 60er-Jahren und haben parallel ein sehr starkes Interesse für die spanische Geschichte entwickelt. Wir haben angefangen, die einschlägige Literatur zu lesen, da kommt man zwangsläufig nicht um den spanischen Bürgerkrieg drum herum.
Wir hatten damals mit Menschen zu tun, die in die Klauen der Guardia Civil kamen, mit Studenten zu tun gehabt, die unter den Repressionen der Franco-Zeit gelitten haben, denen man die Papiere weg genommen hat, damit sie nicht mehr reisen konnten. Wir haben den Francismus und dessen Spätfolgen sehr deutlich erlebt. Mein Interesse für den spanischen Bürgerkrieg entstand auch deswegen, weil er in Deutschland nicht detailliert rezipiert worden ist. Übrigens, der Begriff Bürgerkrieg ist allein schon völlig falsch.

CF: Weil es ein Krieg mit internationaler Beteiligung war?

EJ: Genau, es war zunächst ein Putsch von antidemokratischen und nationalistischen Generälen. Und dieser Putsch hat sich ausgeweitet zu einem Krieg. Aber der wurde nicht durch Bürger initiiert, sondern durch jene francistischen putschenden Generäle. Aufgrund der lehrreichen Bücher die ich las, haben wir dann auch explizit Orte aufgesucht, die für uns den Krieg visualisiert haben. Es gibt mitten in der Pampa, in der Provinz Saragossa, östlich von Madrid, den Ort Belchite, der ist im Bürgerkrieg unglaublich lange umkämpft und zerstört worden. Das Dorf hat das Franco-Regime als Ruine stehen lassen, so zerschossen und kaputt wie es damals war, als Denkmal. Man kann eigentlich nur ironisch sagen „als Denkmal“ – für die eigenen Untaten. Natürlich haben die Nationalisten das anders interpretiert und diese ganzen interessegeleiteten Aktionen in den Jahren danach waren sehr aufschlussreich.
Schließlich habe ich angefangen in meiner jazzmusikalischen Praxis Elemente der zuvor erwähnten Musik zu verarbeiten. In einer der frühen Freejazz Gruppen, die ich in Gießen geleitet habe – eine sagenumwobene, ziemlich anarchistische Vereinigung namens „Grumpff“ haben wir unglaubliche Erfolge bei Festivals gefeiert. Wir haben in Hamburg in der Fabrik gespielt und in Moers auf dem Festival gespielt, weil wir eine ziemlich verrückte Performance geboten haben. Daraus entstand eine erste Platte, die den schönen Titel „Segeln in der Wetterau“ hat – Wetterau ist eine flache hässliche Landschaft in der man nicht Segeln kann, nur unsere These war, wenn man genug von dem einheimischen Apfelwein intus hat, dann segelt man zwangsläufig. Auf der Platte hatten wir ein Stück aufgenommen. Das zwar nicht direkt aus dem spanischen Bürgerkrieg entsprungen ist, aber das man mit dem spanischen Bürgerkrieg verbindet. Es heißt „La Santa Espina“ und ist ursprünglich ein katalanischer Tanz, der in der Franco-Zeit zu einer Art Hymne des Widerstands wurde. Katalonien war nicht Spanien, es hießt es seiend Separatisten. Und dieses Santa Espina hat einen immensen Symbolwert bekommen. Ein tolles schwungvolles Lied, das auch dann im Bürgerkrieg von den Republikanern benutzt wurde mit eigenem Signalcharakter.
Das ist der erste Teil der Geschichte. Der zweite Teil begann als ich mit meiner Band in Ostdeutschland gereist bin. Ich lernte dort einen sehr freundlichen Zeitgenossen kennen, der bei der thüringischen Landeszentrale für politische Bildung arbeitete. Der fragte mich: „Weißt du eigentlich, dass sich jetzt zum 70. Mal der Beginn des spanischen Bürgerkriegs jährt?“ Ich hab geantwortet: „Natürlich weiß ich das nicht, ich merk mir keine Jahreszahlen“. “Meinst du nicht, dass man in dieser Richtung mal was machen sollte?“ Der hat mich also erneut auf das Thema gestoßen wofür ich ihm ewig dankbar bin. So habe ich angefangen darüber nachzudenken, mit Texten und der Musik aus dem spanischen Bürgerkrieg ein Programm zu machen.
Aber Achtung: Es gibt diese sagenhafte Platte von Charlie Haden mit einigen maßgeblichen Vertretern des US-Amerikanischen und afroamerikanischen Freejazz-Szene. Mit Musikern wie Don Cherry und Roswell Rudd. Die haben bereits ein Projekt namens Liberation Music Orchestra gemacht. Nun musste ich natürlich aufpassen, dass ich nicht in die Falle einer epigonalen Geschichte komme. Aber ich glaub, die Gefahr haben wir ganz erfolgreich umschifft.

CF: Worin liegt die deutliche Unterscheidung?

EJ: Dadurch, dass ich ganz anders mit dem Material umgegangen bin. Das werden dann alle in dem Konzert bei Elbjazz in Hamburg hören können.
Erstens haben mit anderen musikalischen Mitteln gearbeitet. Wir sind dichter am ursprünglichen Material geblieben. Und zweitens haben wir die Sache mit Texten versehen, was Haden nicht tat. Dies ist eine entscheidende Komponente!
Wenn ich allerdings Texte singen lasse, können diese zu einer folkloristischen Angelegenheit werden. Das wollte ich unbedingt vermeiden. Deshalb habe ich eine Sprecherin dafür engagiert, eine Spanierin, die dieses knatternde Madrileno Español spricht: Marta de la Vega. Marta hat bei mir Musikwissenschaft studiert und war eigentlich keine Sprecherin, sondern einerseits Studentin und andererseits Rocksängerin. Sie hat in Rock-, Blues- und Soulbands gesungen. Sie hat die Texte gesprochen und das irre gut: mit einer Power und einer Energie und vor allen Dingen spricht sie die Texte genau auf die richtige Stelle.
Ich habe über ein französisches Label eine Produktion gefunden, die damals auf republikanischer Seite in Barcelona für Schallplatten aufgenommen wurden. Die haben diese traditionellen spanischen Weisen arrangiert und mit Orchester und so weiter eingespielt. Wie die Franzosen an das Material kamen weiß ich nicht.

CF: Zu welcher Zeit war das? War das nach dem Bürgerkrieg oder während dessen?

EJ: Das war während des Bürgerkriegs. Ich glaube 1937 oder 38 müssen die entstanden sein. Das heißt wir haben eigentlich eine doppelt gefilterte Geschichte dann letzten Endes entwickelt. Die haben ihr Material gehabt aus der spanischen Volksmusik, Originalkompositionen. Unsere Ouvertüre ist zum Beispiel ein Lied von Paul Dessau in deutscher Sprache.
Also in emotionaler Hinsicht eine Riesenvariationsbreite.

CF: Cantos de Libertad ist mit historischen und politischen Aussagen verbunden. Welche Kernaussagen kann man heute noch damit verbinden? Ich frage das auch deshalb, weil ich sonst überhaupt keinen „politischen Jazz" im Moment entdecken kann.

EJ: Die hohe Zeit dieses politischen Engagements im Jazz waren zweifellos die 60er-Jahre und die erste Hälfte der 70er. Danach ist das ziemlich abgeflaut. Ich kann von mir nur sagen, mich hat mit der Musik zu versuchen, politische Botschaften zu vermitteln von Anfang an immer interessiert. Das ist manchmal nicht unproblematisch. Die Gefahr besteht immer, dass das aufgesetzt wirkt. Und inwieweit uns das gelungen ist das zu vermeiden, das müssen die Zuhörer selbst entscheiden. Aber Sie haben Recht. Das gesellschaftliche Engagement von Jazzmusikern ist längst ein anderes.

CF: Wobei ich glaube, dass wir ähnliche Aufbruch- oder Umbruchsituationen im Moment haben wie damals vor 50 Jahren. Es schüttelt uns ja alle in gewisser Weise durch, einige mehr, andere weniger. Und ich reflektiere jetzt nicht nur Europa oder die USA, sondern auch andernorts. Ich will damit nicht sagen, dass Künstler generell die Aufgabe hätten, politisch reagieren zu müssen. Aber ich glaube, dass es gerade in den künstlerischen Feldern andere Sensibilitäten für diese Themen gibt.

EJ: Sicher. Es ist halt ein ganz problematisches Feld. Ein Beispiel: Ich hab ein anderes Programm gemacht, was so nun nicht mehr durch den Tod von Dietmar Mues weitergeführt werden kann. Wir haben ein Projekt erarbeitet mit dem Titel „Gesänge gegen den Gleichschritt“. Politische Musik aus fünf Jahrhunderten: Eissler und Biermann, Lieder aus dem Bauernkrieg, und so weiter. Ich wollte, dass die Menschen erwachen – Leute, lasst euch nicht alles andrehen, macht nicht alles was man euch sagt. Darüber habe ich mit meinem Freund Joachim Kühn gesprochen. Er antwortete mir: „Unsere Musik hat mit Politik überhaupt nichts zu tun“. Was soll man darauf sagen? „Wenn du meinst – deine nicht, meine schon“.

CF: Natürlich hat Musik auch immer eine gewisse politische Aussage...

EJ: ...und sei es auch nur, die Leute zu entpolitisieren.

CF: Ich finde „Gesänge gegen den Gleichschritt“ einen wunderbarer Titel. Wo kommt der her?

EJ: Habe ich erfunden. Es geht vor allen Dingen um den Gleichschritt des Denkens.


Das Ekkehard Jost Ensemble spielt auf dem ELBJAZZ Festival am Freitag, 25. Mai um 18 Uhr im Stage Kehrwieder Theater, in der Speicherstadt Hamburg.
Mit:
Reiner Winterschladen: Trompete
Detlef Landeck: Posaune
Eugenio Colombo: Flöte, Sopran- und Altsaxophon
Wollie Kaiser: Sopran- und Tenorsaxophon, Flöte, Kontrabaßklarinette
Ekkehard Jost: Baritonsaxophon und Kontrabaßklarinette
Gerd Stein: Gitarre
Dieter Glawischnig: Piano
Dieter Manderscheid: Kontrabaß
Joe Bonica: Schlagzeug und Perkussion
Marta de la Vega: Stimme

Fotonachweis:
Header: Ekkehard Jost Ensemble. Foto: Axel Cordes. © Karsten Jahnke Konzertdirektion GmbH und Ekkehard Jost.
Galerie:
01. Marta de la Vega. Foto: Axel Cordes
02. Cantos de Libertad, CD Cover
03. Spanische Landschaft. Foto: Ekkehard Jost
04. Gesänge gegen den Gleichschritt, CD Cover
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