Musik
Mozarts „Don Giovanni“ in der Hamburger Kammeroper

Hervorragende Sängerinnen und Sänger, ein wunderbares Mini-Orchester, ein eingängiges Regiekonzept – der Hamburger Kammeroper gelingt mit „Don Giovanni“ der zweite Volltreffer in einer ambitionierten Spielzeit, die später noch „Così fan tutte“ auf die Bühne bringen wird. Der Wüstling und die Gesellschaft seiner Opfer, die ihre Rache planen – im kleinen Opernhaus sorgen sie für einen großen, musikalisch höchst hörenswerten Opern-Abend.

Am Ende des Premierenabends am Mittwoch stand das pure Opernglück. Don Giovanni, stets gewaltbereites Großmaul im Rocker-Outfit mit Motörhead-T-Shirt, ist ordnungsgemäß zur Hölle gefahren (hier in der Hamburger Kammeroper, etwas dezenter, hat er sich in einen blutbefleckten Vorhang gewickelt). Die Überlebenden stimmen den Höhepunkt des nachkomponierten Finales an, und dann bricht ein Jubelsturm los, wie ihn das kleine 200-Plätze-Opernhaus an der Max-Brauer-Allee nicht alle Tage erlebt.

Don Giovanni. Ein alter Stoff, den Mozart und sein Librettist Lorenzo da Ponte, 1787 in den Prototyp einer Action-Oper verwandelten. Versuchte Vergewaltigung, Mord, Heiratsschwindel, sexuelle Nötigung, Beleidigung, üble Nachrede – jeder Jurist hätte seine Freude an dem, was da auf der Bühne gezeigt wird. Auf der kleinen Bühne der Hamburger Kammeroper schnurrt das etwas zusammen – aber nur, was das Format der Bühne und des winzigen Orchestergrabens angeht. Die Aufführung selbst hat großes Format und kann musikalisch überzeugen.

Der musikalische Leiter Ettore Prandi hat Mozarts große Oper mit zarter Hand und enormem Stilgefühl eingedampft, dabei etliche handlungsbremsende Arien gestrichen, was das Action-Potenzial dieses Halbstarken-Dramas deutlich steigert. Das siebenköpfige Orchester (zwei Violinen, Cello, Kontrabass, Flöte, Oboe und Klarinette) treibt unter Prandi die Handlung kompromisslos voran, mit dem Primgeiger André Böttcher als Säule der Orchesterbegleitung. Er spielt geradezu unheimlich exakt, perfekt intoniert, feinfühlig, unerbittlich konzentriert und immer bei den Sängern droben.

Die Verknappung im Format kommt der Inszenierung vor allem im ersten Teil zugute, denn da wird Spannung aufgebaut und keine Sekunde lockergelassen bei der Darstellung des atemlosen dunklen Wegs des Möchtegern-Frauen-Eroberers. Dieser Don Giovanni ist kein Adelsprivilegienprotz, sondern ein rowdyhafter Rüpel. Hat eine große Klappe, einschüchterndes Gebaren, und seinen Diener Leporello, der immer einspringen muss, wenn’s was auszubügeln gibt und der die Liste der von Giovanni Verführten auf seinem Smartphone führt.

Marco Ascani gibt ihm eine Stimme, die nicht wirklich schön klingt, die aber perfekt zu diesem triebgesteuerten Lederjackenträger passt, dem es ja auch nicht um die Schönheit der Frauen geht. Marius Adam punktet lustvoll als Leporello – die tragikomische Rolle des langhaarigen, schnurrbärtigen Dieners ist seinem warmen Bariton wie auf den Leib geschrieben. Ein stimmstarker Pluspunkt des Abends: die Donna Anna von Julia Grüter, koloratur- und auch sonst rundum mit ihrem Sopran sehr sicher. Ihre Stimme wird auch in größeren Häusern tragen. Erkältungsbedingt mit winzigen Schwächen, aber immer wieder überraschend tonschön: Annas ewig zaudernder Tenor-Anbeter Don Ottavio. Natascha Dwulecki, diesmal als Zerlina, ist immer eine sichere Wahl in der Kammeroper und gab mit Massetto (Sönke Tams Freier) ein hübsches Paar ab.

Wüstlinge haben eben andere Reize als Buchhalter
Die Sensation der Premiere aber ist in dieser Premierenbesetzung die Donna Elvira, gesungen von Feline Knabe. Als zeternde, verlassene 3-Tage-Ehefrau hat Elvira keine wirklich dankbare Aufgabe in der Handlung. Hier aber war sie aufgewertet zu einer unbedingt Liebenden, die sich all in ihren Verletzungen verzehrt und doch nicht anders kann, als Giovanni immer wieder zu verteidigen – Wüstlinge haben eben andere Reize als Buchhalter. Sie sang und spielte so intensiv und unbedingt, so nuancenreich, anrührend und so wahr, dass die Oper in dieser Fassung eigentlich „Donna Elvira“ heißen könnte. Und jeder im Saal spürt: Diese Elvira singt um ihren Traum und um ihr Leben.
Die acht Sängerinnen und Sänger überzeugten auch gemeinsam in den hinreißenden Ensembleszenen, die direkt unter die Haut gingen. Kleines Theater? Ganz große Oper! Die Regie von Birgit Scherzer führte sie solide und ohne große Überraschungen, wobei kleine Frage sein müssen: Warum – wenn man schon solch ein großartiges Ensemble hat – muss man die Szene der Masken vor dem Ballsaal, für die Mozart das grandiose Durcheinander von drei Orchestern komponiert hat, teilweise sprechen lassen? Und vielleicht sollte man noch mal überlegen, wie man das Ende – jenen schaurigen Schluss-mit-lustig-Moment, den das Auftauchen der jenseitigen Welt in der unsrigen markiert – etwas eindringlicher gestalten könnte. Bei der jetzigen Lösung, übergroßer Schatten auf Leinwand, stellen sich nirgendwo Nackenhaare auf und würden nicht mal mitgebrachte Kinder eine Gänsehaut bekommen. Kathrin Keglers klug reduziertes Bühnenbild platzierte die Handlung in einer düsteren Abbruchatmosphäre – in einer Welt, in der dieser Giovanni so frech auftreten darf, ist eben einiges kaputt. Und Barbara Hass lieferte die dezent jetztzeitigen Kostüme sowie den leicht modernisierten deutschen Text.
Das Erstaunliche des Konzepts Kammeroper – man ist immer wieder überrascht, wie gut es funktioniert – ist es, dass man auch Mozarts herzerschütternde Musik auf so wenigen Instrumenten spielen kann, ohne dass je ein Gefühl von „da fehlt doch was“ aufkommt. Auch, dass die Bühne mit dem Konzept „weniger ist mehr“ punkten muss, ist nach drei Sekunden vergessen. Dafür sitzt das Publikum ja viel zu nah dran, spürt die Spannung des Geschehens fast körperlich und wird im kleinen Saal vom Klang noch stärker umfangen als in den großen Häusern. Es ist ein sehr intimes, fast persönliches Opernerlebnis – und mit diesem „Don Giovanni“ gelingt dem Mini-Team an der Max-Brauer-Allee nach „Figaros Hochzeit“ die zweite der großen Mozart-da Ponte-Opernherausforderungen. Was schon wieder Lust macht auf „Così fan tutte“, die im Mai startet und diese Spielzeit beschließen wird.


„Don Giovanni“. Oper von W. A. Mozart
zu sehen in der Hamburger Kammeroper, Max-Brauer-Allee 76, Hamburg-Altona.
„Don Giovanni“ läuft bis zum 30. April, jeweils Mi, Fr und Sa (19:30h) und So (19:00h). Karten und Menüs von 27 bis 39,50 Euro im Internet unter www.hamburger-kammeroper.de oder telefonisch unter (040) 3802 3811 (Mo–Fr von 10 bis 18 Uhr, Sa/So von 11 bis 16 Uhr).

(Der Autor ist hin und wieder für die Hamburger Kammeroper beratend tätig.)



Abbildungsnachweis:

Headerfoto: J. Flügel